Verräter?

Vladimir Putin gratulierte “von Herzen”, nachdem Daniil Dubov Ende 2018 die Weltmeisterschaft im Schnellschach gewonnen hatte. “Ein wunderbares Neujahrsgeschenk für alle russischen Schachfans”, telegrafierte der Machthaber Russlands, dessen Truppen kurz zuvor nahe der Küste der Krim ukrainische Schiffe beschossen und aufgebracht hatten.

Die Botschaft, die Dubov zurücksandte, wird Putin nicht amüsiert haben. Im Konflikt um die annektierte Krim sei er “vollständig auf Seiten der Ukraine”, erklärte Dubov in einem seiner Interviews als neuer Schnellschachkönig. Politiker und anderweitig einflussreiche Leuten forderten daraufhin, Dubov solle für diese Aussage bestraft werden.

Als jetzt Team Carlsen nach vollbrachter Titelverteidigung die Schar der Helfer des alten und neuen Weltmeisters offenbarte, waren einmal mehr eine ganze Reihe von Russen nicht amüsiert. Ian Nepomniachtchis Landsman Daniil Dubov war Teil des Teams, das außerdem aus den Stammkräften Peter Heine Nielsen, Laurent Fressinet, Jan Gustafsson sowie Neuzugang Jorden van Foreest bestand.

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Carlsen-Sekundant und Marshall-Experte Jan Gustafsson war offenbar schon nach der zehnten Partie zum gemütlichen Teil des Sekundantendaseins übergegangen.

Im Lauf des WM-Matchs und speziell nach der scharfen katalanischen zweiten Partie war ausgiebig spekuliert worden, wer den Kontrahenten in Dubai schachlich aushilft.

Im Zentrum dieser Spekulation: Daniil Dubov. Einerseits ist bekannt, dass Carlsen den ideenreichen Russen schon 2018 vor dem Caruana-Match angeheuert hat, andererseits war vorstellbar, dass die Zusammenarbeit ruht, nun, da Carlsen gegen einen Landsmann Dubovs um höchste schachliche Ehren spielt.

Um die Qualitäten Dubovs wusste natürlich auch Ian Nepomniachtchi: “Daniil ist ein großartiger Spieler und Analytiker, aber er hat eben mit Magnus zusammengearbeitet”, sagte Nepo nach seinem Sieg beim Kandidatenturnier – und kündigte an, nicht an Dubov heranzutreten, um ihm einen Konflikt zu ersparen: “Ich will ihn nicht in eine Position bringen, in der er sich zwischen mir und Magnus entscheiden muss.”

https://youtu.be/2o2J0331N-A
In einer der spektakulärsten Partien der jüngeren Vergangenheit rettete Carlsen-Sekundant Daniil Dubov bei der Team-EM 2018 seinen Russen das 2:2 gegen Deutschland. Leidtragender: Rasmus Svane.

Eine Entscheidung hat Dubov gleichwohl getroffen, die nämlich, seine Zusammenarbeit mit Carlsen fortzusetzen. Das offenbarte sich in einem von chess24 kurz nach dem Titelgewinn veröffentlichten Video, in dem Magnus Carlsen seine WM-Sherpas vorstellte.

Daniil Dubov schickt per Video einen verbalen Seitenhieb in seine Heimat: In Russland werde ein Helferteam schlicht nach Spielstärke zusammengestellt, Harmonie sei kein Faktor. “Sein” Team Carlsen repräsentiere eher den europäischen Ansatz: Alle Beteiligten kämen gut miteinander aus, und das führe zu fruchtbarer Arbeit.

“Ich wollte einen Franzosen, aber MVL und Bacrot hatten keine Zeit”: Magnus Carlsen erklärt, wie abermals Laurent Fressinet in sein WM-Team geraten ist.

Das rief sogleich Sergey Karjakin auf den Plan. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Nepomniachtchi-Sekundanten und Carlsens russischer Ideenmaschine beschränken sich offenbar nicht auf die Krim. Während Dubov die ukrainische Seite unterstützt, hält Karjakin die russische Annexion für eine gute Sache, wie er 2014 per Instagram-Daumen-hoch-Foto demonstrierte:

Aus dem auf der Krim geborenen Ukrainer Sergej Karjakin ist spätestens seit seinem Verbandswechsel vor 13 Jahren ein national gesonnener Russe geworden.

Im Angesicht des weltmeisterlichen Sekundantenvideos kam Karjakin nicht umhin, seinem Glückwunsch an Magnus Carlsen einen Giftpfeil gegen Dubov beizufügen:

Karjakins rhetorisch-hypothetische Frage: “Stell dir vor, die spielst ein WM-Match gegen Magnus Carlsen. Nimmst du Hilfe von Jon-Ludvig Hammer oder Aryan Tari an?”

Andere russische Schachfreunde formulieren es deutlicher. “Erst habe ich es nicht geglaubt, aber nun stellte sich heraus, dass es wahr war. Ich verstehe es nicht. Daniil ist so glücklich zu erzählen, wie stolz er ist, für die russische Nationalmannschaft zu spielen und dass wir eine Schachsupermacht sind, die immer gewinnen muss”, sagt nach einem Bericht des Aftenposten Ilya Levitov, einst russischer Schachfunktionär, der nun die Plattform LevitovChess zu etablieren versucht.

“Soll er doch nach Norwegen gehen”

Schach-Matches, speziell solche um die Weltmeisterschaft, werden gern zum Kampf der Systeme oder zwischen Nationen überhöht. Das gilt speziell aus der Perspektive Russlands, wo Schach auch gut 30 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion einen erheblichen gesellschaftlichen Stellenwert genießt. Und wo der Wunsch brennt, nach Kramniks Titelverlust 2008 endlich wieder die Schachkrone dahin zurückzuholen, wohin sie aus russischer Sicht traditionell gehört.

Das ist der Hintergrund, vor dem Sergey Shipov jetzt “Verrat!” rief. Der Großmeister und gepriesene Kommentator forderte auf kasparovchess, Daniil Dubov nun jegliche Unterstützung vom russischen Schachverband zu streichen. Und Dubov dürfe nicht wieder für die russische Nationalmannschaft spielen.

“Soll er doch nach Norwegen gehen”, wetterte Shipov.

Massenprotest in Russland nach der Nawalny-Festnahme. Mittendrin: Daniil Dubov und Alexander Grischuk.

“Ich nehme das relativ gelassen. Dies ist für mich kein Problem, wahrscheinlich auch nicht für Ian”, entgegnete Dubov jetzt auf Anfrage eines Sportmagazins. “Ich weiß nicht, woher der Gedanke kommt, dass ein Russe einem Ausländer nicht helfen sollte, sich auf ein Titelmatch mit einem Russen vorzubereiten. Wahrscheinlich nicht von einem großen Geist. Es gibt bei uns diese imperialen Ambitionen – jeder ist gegen uns, jeder ist Feind. Das gilt vor allem, wenn bei uns etwas nicht funktioniert.”

(Titelfoto: Eric Rosen/FIDE)

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acepoint
2 Jahre zuvor

Ist Jürgen Klopp eigentlich schon gesteinigt worden? Frage für einen Freund…

https://www.sport.de/fussball/uefa-europa-league/ma8224997/liverpool-fc_borussia-dortmund/aufstellung/

Daniel Hendrich
Daniel Hendrich
2 Jahre zuvor

Wenn (Schach)-Sportler sich politisch äußern – ganz egal worum es eigentlich geht – wird es meistens eher peinlich für alle Beteiligten. Daher sollte man so eine “Diskussion” wirklich nicht ernster nehmen als unbedingt nötig.
Und mal davon abgesehen: Bei einer WM spielen zwei Einzelpersonen gegeneinander. Welchem Land sie angehören und für welche Schachföderation sie im Moment spielberechtigt sind, ist allenfalls drittrangig. Und das gilt genau so auch für den/die Sekundanten.

Stefan Meyer
Stefan Meyer
2 Jahre zuvor

“Verrat” und Forderungen nach “Bestrafung” sind ohne Zweifel völlig überzogene Reaktionen. Allerdings, ohne Diskussion und nur mit uneingeschränkter Zustimmung würde eine solche Konstellation (dem Gegner/der Gegnerin des eigenen Landsmanns/Landsfrau helfen) in keinem Land der Welt abgehen.

Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
2 Jahre zuvor

Unser Sport ist so individual, Patrioten denken hört mit dem zu erwartetem Honorar vom Auftraggeber auf.
In der stärksten Liga der Welt in Europa ansässig wird auch um Schecks gespielt nicht um Urkunden oder Titel.

Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
2 Jahre zuvor

Sind die Kader der 1+ 2 Bundesliga eigentlich verrat an dem deutschen Schachsport .

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[…] Carlsen-Sekundant Daniil Dubov – Verrat an Russland? […]

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[…] Galiya Karjakina auf den Plan, Gattin des linientreuen WM-Kandidaten Sergey Karjakin, einer der schärfsten Kritiker des Carlsen-Helfers […]

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[…] Verräter? Groß ist die Zahl Dubovscher Glanzpartien, dieses ist eine der bekanntesten, gespielt bei der Mannschatseuropameisterschaft 2018. Leidtragender des Dubovschen Feuerwerks: Rasmus Svane […]

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[…] nur mit der Neigung des Weltranglisten-17. zu schnellen Friedensarrangements zusammen. Bei seiner Kritik an Daniil Dubovs Mitgliedschaft im Carlsen-Sekundantenteam und seiner Kritik an der Entscheidung, […]

schwichtd
schwichtd
2 Jahre zuvor

Und heute… eine weitere Folge von… Dumme Leute sagen Dumme Sachen online. shriiiik

Es ist traurig, das heutzutage jeder für alles eine Bühne findet und gehört wird. Vor 30 Jahren hätte abseits ihrer Stammkneipe niemand die Aussagen diese Mental Minderbemittelten gehört.

Fällt für mich wieder einmal in die Kategorie “typische Twitter-Diskussion”. Meier und Pähtz lassen grüßen.