Schiffeversenken im Schwarzen Meer, Schnellschach an der Ostsee

Unabhängig von Ethnie, Nationalität, Glaube, Geschlecht: Jeder, der sich für die Weltmeisterschaft im Schnell- und Blitzschach qualifiziert hat, soll daran teilnehmen können. Diese Selbstverständlichkeit verkündete unlängst der Schach-Weltverband FIDE – und verlegte die Schnell- und Blitzschach-WM (26. bis 30. Dezember) von Saudi-Arabien nach Russland. Die Saudis konnten oder wollten nicht garantieren, dass Israelis einreisen und mitspielen dürfen.

Dann holte die geopolitische Wirklichkeit die Schachorganisation ein. In der Meerenge von Kertsch zwischen dem Schwarzen und dem Asowschen Meer brachten die Russen ukrainische Schiffe auf. Seitdem droht der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zu eskalieren. Für russische Männer gilt längst ein Einreiseverbot in die Ukraine (damit sie dort keine militärischen Einheiten bilden). Umgekehrt gilt ein solches Verbot zwar nicht, aber jeder Ukrainer überlegt sich dieser Tage sehr genau, ob er nach Russland fahren will.

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Pavel Eljanov (l.) wird die Schnell- und Blitzschach-WM in St. Petersburg wegen des Ukraine-Konflikts boykottieren. Wahrscheinlich werden weitere Ukrainer folgen. Eljanovs Landsmann Wassili Iwantschuk hat sich dazu noch nicht geäußert. (Foto: Russischer Schachverband)

Großmeister Pavel Eljanov will nicht. Der ukrainische Großmeister hat mit Verweis auf den sich abermals verschärfenden Konflikt seine Teilnahme abgesagt. Und er wird voraussichtlich nicht der einzige bleiben. Schon die Schnell- und Blitzschach-WM 2017 in Riad hatte seine Landsfrau (und seinerzeit Weltmeisterin) Anna Muzychuk boykottiert (und auf ein Rekord-Preisgeld verzichtet), weil sie nicht in einem Land spielen wollte, in dem Frauen unterdrückt werden.

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Die Abkehr Dworkowitschs von Saudi-Arabien

“Erst Iran, dann Saudi-Arabien. Was kommt als nächstes?”, hatte Muzychuk vor einem Jahr öffentlich gefragt, eine Frage die seinerzeit an die FIDE-Chefetage unter Kirsan Iljumschinow gerichtet war. Was als nächstes kommt, hat Iljumschinows Nachfolger Arkadij Dworkowitsch jetzt beantwortet – und sich auf seiner ersten großen Baustelle gleich ein großes Problem eingehandelt.

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Arkadi Dworkowitsch kann Russland-Visa beschleunigt ausstellen lassen, aber nicht vorhersehen, ob und wann seinen Ex-Kollegen im Kreml nach einer Partie Schiffeversenken im Schwarzen Meer ist. (Foto: Davild Llada)

Der von der FIDE verkündete Grundsatz, dass jeder einreisen und mitspielen kann, wird wegen des Ukraine-Konflikts allenfalls theoretisch gelten. Wieder überschatten nichtschachliche Begleitumstände eine der größten Veranstaltungen des Jahres – die übrigens die FIDE selbst organisiert, nicht der FIDE-Organisator Agon, auf den sich sonst die Schuld abwälzen lässt, wenn es wieder hakt im Schachbetrieb.

Eigentlich hatte Dworkowitsch die Abkehr von Saudi-Arabien geschickt eingefädelt. Direkt nach seiner Wahl zum neuen FIDE-Chef forderte der Russe von den Saudis bis Anfang November eine schriftliche Garantie, dass jeder einreisen und mitspielen darf. Gleichzeitig und wahrscheinlich in Abstimmung mit der FIDE kündigte Weltmeister Magnus Carlsen an, dass er das Turnier in Saudi-Arabien boykottieren wird, sollten Israelis wieder außen vor bleiben müssen.

Die eingeforderte Garantie scheint nicht im FIDE-Hauptquartier (das gerade von Athen nach Lausanne/Schweiz umzieht) angekommen zu sein. Nach Ablauf der Frist erklärte die FIDE, dass das Turnier von Saudi-Arabien nach Russland umzieht, ohne den genauen Spielort zu benennen.

Der musste noch organisiert werden, keine Kleinigkeit sieben Wochen vor Beginn der Veranstaltung. Es folgte ein langes Hin- und Her, Gerüchte über zahlreiche Spielorte von Sotschi bis Moskau machten die Runde, und FIDE-Verantwortliche kündigten immer wieder eine definitive Mitteilung an, die dann doch nicht kam. Erst am heutigen Dienstag steht fest: Das Turnier läuft vom 26. bis 30. Dezember in St. Petersburg.

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Hey, Buddy! Vladimir Putin und Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman beim G-20-Gipfel. Der orangefarbene Staatenlenker hinten schaut irritiert angesichts dieser freudigen Begrüßung.  (Screenshot, Video: Reuters)

Eigentlich hatte Dworkowitsch mit der Verlegung auch in diplomatischer Hinsicht einen guten Zug gemacht: Seit der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Kashoggi steht das saudische Regime, das die Unbequemen unter seinen Bürgern töten lässt, international noch mehr am Pranger als eh schon. In so ein Land will man keine Großveranstaltung vergeben. Dank seiner kurzen politischen Drähte in Russland konnte Dworkowitsch den Teilnehmern vor der Einreise in sein Heimatland sogar beschleunigte Visa-Verfahren versprechen. Nur war der ehemalige stellvertretende russische Ministerpräsident wahrscheinlich nicht darüber informiert, dass seinen ehemaligen Kollegen im Kreml ausgerechnet kurz vor der Schnellschach-WM der Sinn danach stand, mit einer Partie Schiffeversenken im Schwarzen Meer auf einem weiteren Spielfeld internationale Krisendiplomatie auszulösen.

Sergej Karjakin: gebürtiger Ukrainer, Putin-Fan

Und so wird ab dem 26. Dezember in Russland mindestens ein Ukrainer fehlen, eher mehrere. Der Schnellschach-Weltmeister 2016 Wassili Iwantschuk hat sich noch nicht geäußert, ebenso Ex-Weltmeisterin Anna Muzychuk. Nur einem gebürtigen Ukrainer ist eine öffentliche Äußerung herausgerutscht: Sergej Karjakin verkündete am Rande der Weltmeisterschaft in London, dass die Schnell- und Blitzschach-WM in Moskau stattfinden werde. Ein Irrtum, wie wir mittlerweile wissen.

Wir dürfen davon ausgehen, dass der gebürtige Ukrainer Sergej Karjakin auch in St. Petersburg mit von der Partie ist. Karjakin hat schon 2009 die russische Staatsbürgerschaft angenommen. In Russland erfreut sich der Schachmigrant mehr staatlicher Unterstützung als jeder andere russische Großmeister, was wiederum mit Karjakins demonstrativer Putin-Unterstützung zusammenhängt. Im Konflikt mit der Ukraine dürfte Karjakin auf russischer Seite stehen. Schon als Russland sich 2014 die Krim einverleibte, posierte Karjakin auf Instagram in einem Putin-T-Shirt.

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Hält die Annexion der Krim für eine gute Sache: Sergej Karjakin im Putin-T-Shirt.
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Archivar
Archivar
5 Jahre zuvor

Schach und Politik hängt ohne Zweifel zusammen. Von Schach zu berichten gehört zu einem Schachblog und Schuster, bleib bei deinen Leisten. Von der Politik, in der nur oberflächliches Wissen durch Propaganda vorhanden ist, sollte man die Finger lassen. Das wirkt dann doch ziemlich lächerlich.

Raymund Stolze
Raymund Stolze
5 Jahre zuvor

Von „Schiffeversenken“, wie der Autor schreibt, kann nun wirklich keine Rede sein. Was den Zwischenfall in der Meerenge von Kertsch angeht, die zwischen dem östlichen Zipfel der Halbinsel Krim und dem russischen Festland liegt, so sind – Stand heute, Montag, den 3. Dezember – die Ursachen bisher keineswegs endgültig geklärt. Für den Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, war es dennoch ein Vorwand, das Kriegsrecht auszurufen, dem das Parlament für 30 Tage zustimmte. Es sei seiner Meinung nach eine „Verteidigungsmaßnahme”, die man aber nicht als „Kriegserklärung” missverstehen dürfe. Übrigens regeln die Artikel 19 und 21 der UN-Seerechtskonvention die Durchfahrt durch Meerengen… Weiterlesen »

Raymund Stolze
Raymund Stolze
5 Jahre zuvor

Lieber Herr Ax, vielleicht sollte man eher die Realität akzeptieren als mir „russische Propaganda“ zu unterstellen. Tatsächlich ist es freilich so, dass wir beide – und das geht den meisten von uns doch so – stets Infos nicht aus erster Hand bekommen. Diese werden in der Regel leider immer tendenziell „voreingenommen“ veröffentlicht. Nehmen wir deshalb erst einmal zur Kenntnis, dass sich die Lage nach dem Zwischenfall in der Meerenge von Kertsch inzwischen vor Ort normalisiert hat. Die ukrainischen und auch Schiffe anderer Nationen können die Durchfahrt ins Asowsche Meer wieder passieren. Und das ist gut so! Was die Rapid- und… Weiterlesen »

trackback

[…] Aus dem auf der Krim geborenen Ukrainer Sergej Karjakin ist spätestens seit seinem Verbandswechsel vor 13 Jahren ein national gesonnener Russe geworden.Schiffeversenken im Schwarzen Meer, Schnellschach an der Ostsee […]

Julius
Julius
2 Jahre zuvor

Hoffen wir das der Krieg nicht so viele Zivile Opfer wie im Irak Krieg kostet und so lange dauert.