Die Eröffnung: Wie beginnt man eigentlich eine Schachpartie?

Die Regeln waren schnell gelernt. Nun sitzen wir das erste Mal vor unserer Armee und haben keine Ahnung, wie wir sie am besten in die Schlacht führen. 16 Klötze, vor unserer Nase säuberlich aufgereiht. Was tun wir damit?

Um sie möglichst kraftvoll ins Spiel zu bringen, identifizieren wir erst einmal den wichtigsten Teil des Schachbretts.

I: Das Zentrum

Eine Figur auf den vier Zentralfeldern strahlt über das gesamte Brett ins gegnerische Lager (Angriff!) wie in unseres (Verteidigung!). Einen aktiveren Posten gibt es nicht.

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Am Beispiel der Springer wird noch deutlicher, wie wichtig ein zentraler, aktiver Posten für unsere Figuren ist.

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Der Gaul auf e5 ist eine mächtige Figur; er bestreicht acht Felder, viele davon im Lager des Gegners. Sein Kollege in der Ecke auf h1 fühlt sich weniger mächtig; er kann nur auf zwei Felder hüpfen. Dem Springer auf a3 geht es ein wenig besser, aber noch lange nicht gut. Vier Felder unter seiner Kontrolle, keines davon zentral. Springer am Rande bringen Kummer und Schande, weil der Brettrand ihren ohnehin eingeschränkten Radius noch weiter beschneidet.

Könnten wir unsere Truppen ungehindert im Zentrum aufmarschieren lassen, wir hätten bald das ganze Brett unter Kontrolle. Aber unser Gegner weiß das auch, und er wird seinerseits nach zentralen Posten Ausschau halten.

Jede Schachpartie beginnt mit einem Kampf um das Zentrum.

II: Entwicklung

Wir haben schon gesehen, dass aktiv und zentral aufgestellte Figuren viel wirksamer sind als solche, die am Brettrand herumlungern. Aber zu Beginn der Partie stehen sie ja alle am Brettrand. Wie bekommen wir sie da weg, damit alle mitspielen? Und in welcher Reihenfolge?

Nur die Springer könnten sich ohne Hilfe sogleich in den Kampf stürzen.

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Tatsächlich wäre 1.Sb1-c3 oder 1.Sg1-f3 ein ordentlicher erster Zug: entwickelt eine Figur, wirkt ins Zentrum.

Aber es geht noch besser. Es gibt ja in unseren Reihen zwei Figuren, die mit nur einem Schritt das Zentrum erreichen können, die Bauern auf e2 und d2.

1.e2-e4

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Guter Zug!

Der Weiße besetzt sogleich das Zentralfeld e4 und beherrscht ein weiteres (d5). Außerdem öffnet er seinem Läufer auf f1 eine Diagonale, auf der er sich wird entwickeln können.

Auch der Dame hat der Weiße damit Raum für einen Ausflug eröffnet, aber das ist zweitrangig. Zwar ist die Dame unsere mächtigste Figur, aber zu Beginn der Partie kann sie nicht viel ausrichten. Brächten wir sie sofort ins Spiel, würde der Schwarze sie nur mit seinen Bauern, Springern und Läufern zurücktreiben. Ein Beispiel dafür aus der Praxis unseres neuen Schachfreundes Matei sehen wir am Ende dieses Beitrags.

Ähnlich verhält es sich übrigens mit den Türmen, wie wir neulich schon am Beispiel unseres neuen Schachfreundes Şafak gesehen haben. Türme werden erst stark, wenn sich im Verlauf der Partie Linien (vertikal) und Reihen (horizontal) öffnen, auf denen sie wirken können. Bis dahin bleiben sie wie die Dame besser im Stall.

Erst bringen wir die Leichtfiguren ins Spiel, Springer und Läufer.

Alle anderen kommen später. Besonders im Fokus stehen der Springer auf g1 und Läufer auf f1. Diese beiden müssen möglichst schnell die Grundreihe verlassen, damit wir unseren Chef aus der Gefahrenzone bringen können.

III: Königssicherheit

Wenn früher Königreiche Krieg geführt haben, dann kämpfte auf beiden Seiten der König nicht mit. Stattdessen verbarg er sich in seinem Schloss, vielleicht auch weit hinter dem Schlachtfeld in seinem Quartier, um ja nicht in Gefahr zu geraten.

könig schlacht.jpg
Der König mitten in der Schlacht. Beim Schach keine gute Idee.

Beim Schach ist das genauso. Damit der König nicht ins Kampfgetümmel gerät und womöglich einem Matt erliegt, bringen wir ihn so früh wie möglich in Sicherheit. Und nichts ist sicherer als in der Ecke des Brettes hinter einem Schutzwall von Bauern.

Damit Schachspieler ihren König schnell in Sicherheit bringen können, gibt es die Rochade. Die möglichst schnell auszuführen, ist eines der obersten Ziele in der Eröffnung.


Und schon sind wir in der Lage, eine vernünftige Eröffnung zu spielen:

1.e2-e4

1…e7-e5

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Guter Zug!

Der Schwarze ist nicht doof, er verfolgt dieselben Ziele wie der Weiße: Zentrum beherrschen, Figuren raus, König in Sicherheit.

Beide Seiten haben ihr Territorial im Zentrum abgesteckt. In der Folge werden beide versuchen, dieses Territorial zu behaupten und nach Möglichkeit auszubauen. Keiner möchte ohne mindestens einen Bauern im Zentrum dastehen.

2.Sg1-f3

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Guter, aggressiver Zug!

Entwickelt eine Figur, lugt ins Zentrum und stellt eine Drohung auf: Der Springer greift den ungedeckten Bauern auf e5 an. Wenn der Schwarze nicht aufpasst, nehmen wir ihn weg.

2…Sb8-c6

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Guter Zug, aktiv und solide zugleich!

Entwickelt eine Figur, deckt den angegriffenen Bauern auf e5 und schaut ins Zentrum.

3.Lf1-c4

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Guter, aktiver Zug!

Entwickelt eine Figur auf ein aktives Feld, von dem sie der Schwarze nicht so leicht vertreiben kann. Auf c4 verstärkt der Läufer nicht nur die weiße Kontrolle über das Zentralfeld d5, er lugt per Röntgenblick noch weiter bis nach g8, wo wahrscheinlich bald der rochierte schwarze König auftauchen wird. Außerdem hat Weiß jetzt die Felder g1 und f1 geräumt, so dass er im nächsten Zug selbst rochieren kann.

3…Lf8-c5

eröffnung11.jpg

Guter, aktiver Zug!

4.0-0

eröffnung13.jpg

Guter Zug! Dem König kann jetzt nichts passieren, wenn im Zentrum die Schlacht tobt.

Nur vier Züge sind gespielt, und der Weiße hat schon eine Menge erreicht.

  • Er hat auf e4 einen zentralen Pflock eingeschlagen
  • Er beherrscht zentrale Felder
  • Zwei Figuren sind auf aktive, zentrale Posten entwickelt
  • Der König steht sicher
  • Der schwarze Bauer auf e5 steht unter Druck

So kann es weitergehen.

Und nun vergleichen wir das einmal mit einer Stellung, wie sie unser neuer Schachfreund Matei neulich nach drei Zügen bei seiner ersten Partie auf Lichess erreicht hatte:

eröffnung1

Oje.

Weiß hat alles richtig gemacht, die schwarze Bilanz nach drei Zügen sieht trübe aus.

  • Figuren entwickelt: eins zu null für Weiß
  • Bauern im Zentrum: zwei zu null für Weiß

Stattdessen hat Matei die Dame nach f6 gebracht, das gibt noch einmal einen Minuspunkt. Die exponierte Dame kann der Weiße jetzt mit Lc1-g5 angreifen. Schwarz muss dann seine Dame wegziehen, und der Weiße hat Zeit gewonnen, um eine weitere Leichtfigur (die dritte schon!, drei zu null) ins Spiel zu bringen, während die schwarzen Truppen immer noch auf der Grundreihe versammelt sind.

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[…] ihn gefährden könnte. Wie stark so ein zentraler Vorposten ist, haben wir ja neulich im Beitrag „Die Eröffnung: Wie beginnt man eigentlich eine Schachpartie“ […]

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[…] Unfung haben wir ihm natürlich sofort ausgetrieben, einen kleinen Vortrag übers Zentrum gehalten, außerdem diesen: erst die Springer raus, dann einen Läufer, dann den König in Sicherheit […]

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[…] befindet sich dieses Blog in der Anfängerphase, und da kramen wir es wieder hervor, um Konstantinos beim Hoffnungsschach zu […]

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[…] Im Zentrum stehen sich die Bauern unbeweglich gegenüber und verschließen die Stellung. Wenn alle Figuren entwickelt und per Rochade die Könige in Sicherheit gebracht sind, wird es für beide erst einmal darum gehen, langfristige Pläne zu schmieden und […]

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[…] „Wie beginnt man eigentlich eine Schachpartie?“ […]

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[…] Alles, was Grundlagen und Fundamentales für Novizen berührt, wird dort einsortiert. Zum Beispiel „Wie beginnt man eigentlich eine Schachpartie?“. Besonders unsere neue Serie „Projekt Papa besiegen“ scheint bei schachinteressierten […]

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[…] für die Partie trainiert, und die Schlussstellung legt tatsächlich nahe, dass er versucht hatte, richtig Schach zu spielen: Entwicklung, Zentrum und so weiter. Nur in Sachen Königssicherheit ging etwas fundamental schief. […]

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[…] und so lehrreich ausnutzte, dass bis heute Schachschüler anhand von Morphy-Partien lernen, wie man eine Schachpartie beginnt und wie man es bestraft, wenn der Gegner gleich zu Beginn Zeit […]