Frauenbundesliga: Dina Belenkaya legt die russische Flagge ab

Nach dem Großmeister Evgeny Romanov, der vom russischen zum norwegischen Verband gewechselt ist, gibt es jetzt einen zweiten Wechsel eines prominenten Spielers. Dina Belenkaya, WGM und Schachreporterin, spielt nicht länger unter russischer Flagge. An diesem Wochende während der Frauen-Bundesliga wird die einstige Meisterin von St. Petersburg erstmals unter israelischer Flagge antreten.

Auch Evgeny Romanov (33) ist in Deutschland kein Unbekannter. Neben der norwegischen hat er (2016) die deutsche Nationalmannschaft trainiert. Zuletzt lebte er überwiegend in Norwegen und wird nun der 18. GM des skandinavischen Landes. Mit seinem Elo von 2567 steigt er auf Rang fünf der norwegischen Rangliste ein.

Belenkaya repräsentiert die wachsende Riege der Schachmeister- und -meisterinnen, die ihr Auskommen als Schachprofi und als -kommentator, -berichterstatter-, -streamer verdienen. Der Inder Vidit Gujrathi etwa aus dem Elo-2700-Club ist mit seinen wachsenden Kanälen Teil dieser Riege, aber er versteht sich weiterhin in erster Linie als Spieler. Belenkaya (Elo 2264) setzt den Schwerpunkt anders. Während des ersten Grand Prix in Berlin hat sie mit einer Reihe launiger Spieler-Interviews für Aufsehen gesorgt. Es gelang ihr, das menschliche Antlitz der Supergroßmeister zu zeigen.

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Dina Belenkaya beim Berliner Grand Prix mit Vidit Gujrathi, der erst verraten will, wer seine Freundin ist, wenn sein YouTube-Kanal den Millionsten Abonnenten gewonnen hat.

Nun soll sie für den deutschen Meister SC Bad Königshofen am Brett sitzen. Um sie herum dürfte sich eine im Föderationskontext bemerkenswerte Konstellation ergeben: In Bad Königshofen spielen Russinnen und Ukrainerinnen gemeinsam in einer Mannschaft.

https://twitter.com/DinaBelenkaya/status/1501236748118106119
Eine Russin und ihre ukrainische Freundin in Bad Königshofen

Mannschaftsführer Jürgen Müller gegenüber der Mainpost: “Wir haben zwei ukrainische Spielerinnen, beide sind sicher in Deutschland.” Er hat Ende Februar das Mannschaftsmitglied Olga Babiy und ihre Schwägerin mit deren 13-jähriger Tochter in Polen abgeholt. “Alle drei leben wohlbehalten in meinem Haus, und alle Verwandten sind in der Ukraine noch unverwundet am Leben. Olgas jüngste Schwester ist noch auf der Flucht aus dem Osten der Ukraine, wir hoffen, dass sie irgendwie Polen erreicht. Wir werden sie natürlich auch aufnehmen”, sagt Müller.

Anders sieht das in Baden-Baden aus. OSG-Teamchef Thilo Gubler verzichtet auf die russische Exweltmeisterin Alexandra Kosteniuk. Er könne nicht gleichzeitig ukrainische und russische Spielerinnen aufstellen, so Gubler laut Baden-Badener Website. Weiter steht dort: “Zumindest eine der beiden Muzychuk-Schwestern aus der Ukraine, Mariya oder Anna, wird für die OSG am Brett sitzen. Beiden ist die Flucht aus der Ukraine über Polen nach Spanien gelungen.”

Überschattet wird die Liga von einem Rückzug bzw. Zwangsabstieg, nachdem Bad Kissingen (KissChess) auch zur dritten Runde nicht angetreten ist. Was genau passiert ist, wissen wir nicht, aber ein Koflikt um Corona- und Verfahrensfragen hat schon im November 2021 dazu geführt, dass über dem Zwist in der Frauenliga eine Reihe Frauenbundesligaverwalter inklusive DSB-Vizepräsident Ralph Alt das Forum des Schach-Tickers vollgeschrieben hat. Offenbar sind sie sich seitdem nicht einig geworden. Der Zwist mit dem Schachbund sei nicht vom Tisch, hat KissChess mitgeteilt – und wird nun die Liga verlassen müssen.

Ein bisschen gleicht es der großen Bundesliga: Während die Mehrheit aller Beteiligten nach draußen kaum sichtbar ist, in manchen Fällen gar peinlich, verbeißen sie sich drinnen genüsslich in Verfahrensfragen. Weder die Vereine noch die Liga und schon gar nicht unser Sport haben etwas davon.

Dass es in der stärksten Frauenliga der Welt brodelt, hat freilich kaum jemand mitbekommen, was mit dem Umstand zusammenhängt, dass sich kaum jemand für die Frauenbundesliga interessiert.

Die Geschichte der aus der Ukraine geflüchteten Muzychuk-Schwestern sollte erzählt werden. Von der OSG Baden-Baden erfahren wir immerhin, sie seien über Polen nach Spanien geflohen. Vielleicht erfährt der Schachbund mehr?

Schade eigentlich, dort spielen einige internationale Spitzenspielerinnen, die trefflich als Aushängeschilder ihrer Vereine ebenso wie des Sports und nicht zuletzt der Liga taugen würden. Auch im Kontext des internationalen Frauen-Turnierzirkus, den die FIDE anschiebt: Die Liga hätte Potenzial. Aber die Außendarstellung fast aller Vereine, ob Baden-Baden oder KissChess, unterbietet noch die Amateurhaftigkeit, die der einstige KissChess-Chef Hans-Joachim Hofstetter beim organisierenden Schachbund diagnostiziert.

Ein bodenseeseits unfairer Tweet gegenüber dem SV Hemer. Sorry!

Ob nun Elisabeth Pähtz oder Dina Belenkaya, offensichtlich müssten solche Promi-Spielerinnen der vieltausendköpfigen Schar ihrer Fans mitteilen, dass sie an diesem Wochenende Bundesliga spielen. Sie müssten zum Zuschauen und Mitfiebern einladen – eine Selbstverständlichkeit im Sinne der Vereine, die ihre Honorare bezahlen, im Sinne der Liga, im Sinne des Sports.

Keine einzige Bundesligaspielerin hat irgendwen zum Mitfiebern eingeladen (allem Anschein nach). Und so spielen sie, mal wieder, unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Ein Verein müsste auf die für Schachverhältnisse kühne Idee verfallen, einen Bruchteil des Etats nicht fürs Einfliegen von Elopunkten einzusetzen, sondern dafür, dass sich das Engagement herumspricht.

Aus Sicht des Deutschen Schachbunds gälte es angesichts des anhaltenden Trauerspiels Frauenbundesliga, einen Anreiz zu setzen: Bringt euren Laden in Ordnung, werdet vorzeigbar, erfüllt zumindest die Mindeststandards, mit denen sich arbeiten ließe. Dann helfen wir euch gerne als Multiplikator.

Unser Schachbund hält es offenbar für richtig, der Liga so, wie sie ist, jetzt schon Öffentlichkeit zu verschaffen, und stellt dafür einige Ressourcen zur Verfügung. Der Angestellte Paul Meyer-Dunker wird an diesem Wochenende auf allen Kanälen von der Frauenbundesliga berichten, außerdem kommentiert die Honorarkraft Andreas Heimann live auf Schachdeutschland TV.

Weder @lisiko85 noch die @SFDeizisau haben die Schar ihrer Fans darauf hingewiesen, dass an diesem Wochenende Bundesliga ist. Ob sie diese Vorlage vom einsam in Sachen Frauenbundesliga tweetenden DSB verbreiten werden?

Livepartien, Tabelle der Frauenbundesliga

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Thomas Richter
Thomas Richter
2 Jahre zuvor

Ich will ja nicht den Besserwisser spielen, oder gar den Scharfrichter – letzteres überlasse ich im Zweifelsfall Ralph Alt, der zwar nicht diesen Nachnamen aber diesen Beruf hat(te) – aber: Es gab schon viel mehr Verbandswechsel, unter GMs auch Bykhovsky (ebenfalls Israel) und Novik (Litauen). Bykhovsky hat wie Belenkaya die israelische Staatsbürgerschaft, Novik ist Doppelstaatler. Und wenn man auf https://ratings.fide.com/transfers.phtml nachschaut, ebenfalls im März noch eine Reihe titelloser mit weitgehend Elo <2000. In vielleicht nicht allen aber vermutlich in vielen Fällen gibt es wohl einen Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine. Noch fehlt ein “sehr bekannter Name”, Grischuk hat… Weiterlesen »