Flexibel bleiben!

Wenn wir zu Beginn der Partie unsere Figuren entwickeln, dann steht für einige unserer Truppen oft früh fest, auf welchem Feld sie landen werden. Für andere bieten sich mehrere Optionen, auch abhängig davon, wie sich der Gegner hinstellt.

Hier zum Beispiel:

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Wohin sich unser Lf1 orientieren will, ist noch nicht so klar. Ob der Sb1 auf c3 landet, oder ob wir lieber versuchen, uns per c2-c3 und d2-d4 ein schönes Bauernzentrum zu bauen und den Springer nach d2 beordern werden, wissen wir auch noch nicht.

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Aber dass f3 ein prima Feld für den Sg1 ist, das können wir an dieser Stelle sehen. Entwickelt eine Figur, wirkt ins Zentrum, bedroht den schwarzen Bauern e5. Sg1-f3 ist gut und flexibel.

Optionen offen und die Struktur flexibel halten

flexibel

Wir bringen erst die Figuren ins Spiel, deren Entwicklungsfeld schon feststeht, und halten diejenigen zurück, bei denen wir uns noch nicht sicher sind, wo sie landen werden. Gleiches gilt für unsere Bauern, für die sogar ganz besonders, denn Bauern können nicht zurück marschieren. So wie wir unseren Figuren nach Möglichkeit Optionen offen halten, sollten wir bestrebt sein, unsere Bauernstruktur flexibel zu gestalten.

Nicht vorzeitig festlegen!

Das Konzept “Flexibilität” haben wir bei den “vier Geboten der Eröffnung” schon kurz erwähnt. Aus aktuellem Anlass müssen wir heute genauer hinschauen. Aber bevor wir uns in die Niederungen des Schachs am Bodensee (der übrigens 400 Meter über dem Meeresspiegel liegt) begeben, gucken wir bei den Profis rein.

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Eine theoretische Stellung aus dem Kalaschnikow-System der Sizilianischen Verteidigung. Unter Großmeistern am beliebtesten ist hier …Le6.

Wer in Überlingen beim Jugendschach aufpasst, der hat mehr als einmal gehört, dass wir zu Beginn der Partie möglichst bald unseren König in Sicherheit bringen wollen. In dieser Hinsicht wäre ja eher …Sf6 gefolgt von …0-0 naheliegend. Und tatsächlich ist …Sf6 ein guter Zug, den an dieser Stelle schon so mancher starke Spieler ausgeführt hat.

Aber …Le6 ist flexibler.

Schwarz hält sich zwei Optionen offen, die sich als wertvoll erweisen können:

…Le6 ist ja allemal ein vernünftiger Entwicklungszug, der nicht schaden kann. Schwarz wartet ab, was Weiß macht, um dann eventuell eine der Optionen wahrzunehmen, die er sich offen gehalten hat. Diese Flexibilität würde ihm ein Zug wie …Sf6 nehmen.

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Eine theoretische Stellung aus dem geschlossenen System der Katalanischen Eröffnung. Unter Großmeistern am beliebtesten ist hier Td1.

Wer in Überlingen beim Jugendschach aufpasst, der hat mehr als einmal gehört, dass wir zu Beginn der Partie möglichst bald unsere Leichtfiguren ins Spiel bringen wollen, meistens erst die Springer, dann die Läufer. Und tatsächlich wären Sc3 oder Sbd2 gute Entwicklungszüge, die an dieser Stelle schon so mancher starke Spieler ausgeführt hat.

Aber Td1 ist flexibler.

Es ist ja noch nicht ganz klar, wo der Sb1 und Lc1 am wirkungsvollsten stehen werden. Das hängt auch davon ab, was der Schwarze macht. Entwickelt der zum Beispiel seinen Lc8 nach a6, wird oft d2 das beste Feld für unseren Springer sein. Endet der Lc8 auf b7, spielen wir wahrscheinlich lieber Sc3. Und auch der Lc1 wird mal nach f4 gehen wollen, mal nach b2 auf die lange Diagonale.

Schaun mer mal und warten erstmal ab.

Allemal  ist Td1 ein vernünftiger Zug, der bei der gegnerischen Dame angesichts des Gegenübers auf der d-Linie Linie ein gewisses Unwohlsein verursacht. Wenn Weiß später e2-e4 durchdrückt (und das wird er sehr oft tun), dann mag sich der den d-Bauern deckende, womöglich gar anschiebende Td1 als überaus nützlich erweisen.

Klaus Grensing – Sebastian Brendle, Überlingen, März 2018

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Eine theoretische Stellung aus der Sizilianischen Verteidigung. e4 hängt.

Schachfreund Klaus deckte den Bauern mit Ld3.

Frage 79

Was halten wir davon?


Jakov Hrusc – Klaus Richter, Überlingen, März 2018

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Eine theoretische Stellung aus der Englischen Eröffnung, aber nicht mehr lange.

Schachfreund Jakov entschied sich für e2-e4.

Frage 80

Was halten wir davon?

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Der Schwarze pfiff auf jegliche Läuferflexibilität und legte sogleich fest, wo sein Lf8 stehen soll.

Frage 81

Was halten wir davon?

flexibel4.jpg

Im nächsten Zug legte er dann den Aufenthaltsort für einen Sg8 fest. Er zog den Gaul nach f6.

Frage 82

Was halten wir davon?

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[…] Schachspieler wird plötzlich von 1.400 auf 1.900 DWZ springen, nur weil er in der Eröffnung superflexibel ist, im Mittelspiel weiß, wohin mit welchem Turm und im Endspiel keine Chance verpasst, in ein […]

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[…] Dieser Flexibilität würde er sich mit dem schrecklichen Zug 3.c5? berauben. Für die nahe Zukunft hätte Weiß jetzt nur noch einen Plan, nämlich einen Bauernsturm am Damenflügel. Und dem kann der Schwarze sogleich auf typische Weise den Zahn ziehen: 3…b6!, und nach 4.b4 a5 stellt Weiß fest, dass seine Bauernmasse zerbröselt, weil 5.a3 wegen der Fesselung auf der a-Linie nicht geht. So viel zum Thema Bauernsturm. […]

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[…] bewährte und hundertfach erprobte Zugfolge. Neben dem Hauptzug 8…Lg7 ist auch das weniger flexible 8…e4 […]

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[…] Vereins verfügt über spezielle Fähigkeiten und Werkzeuge, die der Gruppe nutzen könnten. Klaus kann Zahlen in Formulare eintragen, Conrad Buchstaben aneinanderreihen. Ramadan hat einen Bulli […]

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[…] nicht, und darum treibt er neben dem Schach sein Mathematikstudium voran: Optionen offen halten, Flexibilität, ein Konzept, das Matthias vom Schach […]

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[…] und einem (moderat fortgeschrittenen) Eröffnungskonzept: Flexibilität. […]

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[…] entdeckten die Weißspieler die Zweispringer-Variante neu – und die oben erwähnte Flexibilität der weißen Partieanlage. Objektiv-theoretisch ist Schwarz okay, aber in der Praxis bieten sich dem […]

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[…] Aufgabe 79-82: Flexibel bleiben! […]