Die Reizfigur

Die DSB-Personalie Paul Meyer-Dunker hat Aufruhr im Arbeitskreis der Landesverbände (AKLV) ausgelöst. Unter anderem die Präsidenten der beiden größten Landesverbände, Ralf Chadt-Rausch (NRW) und Peter Eberl (Bayern), haben angekündigt, den AKLV zu verlassen, sollte der DSB-Angestellte Meyer-Dunker weiter als Berliner Landespräsident an den Sitzungen des AKLV teilnehmen. Chadt-Rausch, Eberl ebenso wie AKLV-Chef Guido Springer (Mecklenburg-Vorpommern) und Achim Schmitt (Rheinland-Pfalz) haben Meyer-Dunker aufgefordert, sich künftig im AKLV vertreten zu lassen.

Der 29-Jährige hat nicht vor, dieser Aufforderung zu folgen: “Ich fände es bedauerlich, würden Bayern und NRW unseren Sitzungen fernbleiben“, sagt Meyer-Dunker auf Anfrage dieser Seite. „Aber dem AKLV tut eine junge, moderne Perspektive sehr gut. Die werde ich auch weiterhin einbringen.”

Allemal ist die Konstellation speziell, vielleicht sogar heikel. Als Mitarbeiter der DSB-Geschäftsstelle untersteht Meyer-Dunker dem DSB-Präsidenten, über dessen Wahl oder Abwahl ebenso wie über andere für den DSB relevante Dinge er als Berliner Landespräsident mitentscheidet, den Haushalt etwa. Lokalpolitiker Meyer-Dunker sagt, diese beim Schach neue Konstellation sei „Alltag in zahlreichen deutschen Verbänden und Organisationen“, deren Mitarbeiter zugleich ein untergeordnetes Ehrenamt bekleiden. Sein Amt und seine Pflichten als Berliner Präsident sieht er von seinem DSB-Job nicht berührt.

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https://twitter.com/Meyer_Dunker/status/1444387291259097094

Eine Reizfigur für die anderen Landespräsidenten, speziell diejenigen, die aus einer Vielzahl an Präsidentschaftsjahren und Mitgliedern besondere Wichtigkeit ableiten, war Meyer-Dunker als jugendlicher Präsident eines Mini-Verbands längst. Seine Angewohnheit, Entwicklungen zu kritischen Themen zu twittern, anstatt sie in abgeschotteten Gremien zu besprechen, wird von vielen misstrauisch beäugt.

Nun kam hinzu, dass er sein Anheuern beim DSB nicht vorab im AKLV bekanntgegeben hatte, was von einem Teil des Gremiums als Affront wahrgenommen wird. Von der Personalie überrascht, debattieren Meyer-Dunkers Präsident:innenkollegen aus den Ländern den vermeintlichen Interessenkonflikt des Berliners nun nicht nur anhand ihrer Ordnungen und Satzungen. Dem Vernehmen nach geht es im E-Mail-Zirkel der Schachpräsidenten in der Causa Meyer-Dunker längst auch um moralisch-ethische Kategorien, um Vertrauensverlust, um Sittenverfall sogar. Obendrein soll das DSB-Präsidium gegenüber den Landespräsidenten seine Personalentscheidung begründen.

“Berlin entscheidet, wen Berlin schickt”

Ausgerechnet der neben Meyer-Dunker einzige öffentlich wahrnehmbare, meinungsfreudige Landespräsident debattiert intern nicht mit. Michael S. Langer (Niedersachsen) kennt das Thema zur Genüge. Vor Jahren als DSB-Finanzchef einerseits und Landespräsident andererseits hatte er sich im Zentrum derselben Debatte wiedergefunden. Anders als heute Meyer-Dunker entschied Langer damals, sich im AKLV vertreten zu lassen. Aber auf Anfrage dieser Seite stellt er fest: „Allein Berlin entscheidet, wen Berlin in den AKLV schickt.“

Das sieht Uwe Pfenning ähnlich. Im Gespräch mit dieser Seite verweist der Badener Präsident auf die inhaltliche Stärke Meyer-Dunkers, auf eine Vielzahl von Impulsen, die er in der kurzen Zeit seines Schaffens gegeben habe. Ausgerechnet einen der Engagiertesten in den Mittelpunkt einer Debatte zu stellen, in der die Funktionäre wieder einmal um sich selbst kreisen, sieht Pfenning auch als Indiz für den kontinuierlichen Niedergang des Gremiums der Landespräsidenten.

Uwe Pfenning, Präsident des Landesverbands Baden, beim Bodensee-Cup 2019 in Überlingen. Die 2021er-Auflage des Länderturniers beginnt am 15. Oktober wieder in Überlingen. | Foto: Perlen vom Bodensee

In der Tat. Von außen ist nicht zu erkennen, was der AKLV anderes sein soll als ein gewohnheitsmäßig im Verborgen tagender Verwaltungszirkel, dessen Schaffen, worin immer das bestehen mag, fürs Schach bestenfalls nicht relevant ist. Oder sogar schädlich: In den beispiellosen DSB-Katastrophenjahren 2019/20, als Intervention bitter nötig gewesen wäre, hat der AKLV keinerlei Impuls ausgesandt, sondern Katastrophe um Katastrophe still eskalieren lassen.

Dieser zweijährigen Apathie folgte ein jämmerliches Trauerspiel beim Kongress 2021, wo die Präsident:innen und ihre Gefolge aus den Ländern offenbarten, dass nicht einmal jemand darüber nachgedacht hatte, wie es nun weitergehen soll, geschweige denn einen Plan gefasst und sich um eine Alternative zum Katastrophenduo an der DSB-Spitze bemüht hatte. Stattdessen ließen die Länder auswürfeln, wer ins neue DSB-Präsidium einzieht.

Rechenschaft für 19/20 forderte niemand. Außer ein paar zaghaften Fragen war seitens der Delegierten nichts zu hören, nur der unter Marcus Fenner und Ullrich Krause schleichend entmachtete Andreas Jagodzinsky erhob das Wort. Nachdem dessen Einlassungen im Kongressprotokoll vertuscht worden waren (was wahrscheinlich nicht durchgehen wird, siehe Kongressbroschüre, Antrag 2, Seite 116), kann nun Ullrich Krause mit einiger Berechtigung öffentlich rätseln, warum ihm beim Kongress so viele Leute die Entlastung verweigert haben. Es hatte ihm ja kein Delegierter erklärt warum.

Unsere an Substanz, am Wohlergehen des Schachs herzlich desinteressierten Amtsträger geraten jetzt in Wallung, weil jemand, der mehr tut als alle anderen, noch mehr tun möchte. Fürs Schach wäre es wahrscheinlich nicht die schlechteste Entwicklung, würde der AKLV an der Causa Meyer-Dunker zerbrechen, sich selbst abschaffen und aus der DSB-Satzung streichen. Das könnte der Beginn einer ernsthaften DSB-Strukturreform sein, einer, an deren Ende unsere Vereine am Verband andocken, die lebendigen, innovativen allen voran, anstatt der für das nationale Schach nutzlosen Länder. Fortan würde öffentlich um Ideen gerungen anstatt im Stillen verwaltet.

Worin inhaltlich der Sinn der Personalie Meyer-Dunker besteht, hat vor lauter Aufruhr und Um-sich-selbst-Kreisen niemand hinterfragt. Hat ein gewiefter Denkprozess Fenners und Krauses zu Meyer-Dunkers Anstellung geführt oder allein die Beobachtung, dass er viel twittert? Wer genau beobachtet, stellt fest, dass Meyer-Dunker zwar mit Verve öffentlich unterwegs ist, aber ohne das Handwerkszeug, das er für seinen neuen Job bräuchte.

Selbst wenn wir seine täglich auf Twitter zu besichtigenden Problemfelder Rechtschreibung und Zeichensetzung ignorieren: Als ausgefuchster Komponist von gezielt auf Reichweite und Interaktion abgestellten Social-Media-Posts fällt Meyer-Dunker weder in Sachen Schach noch Politik noch privat auf. Das, wofür der DSB einen spezialisierten Profi suchte, kann Meyer-Dunker nicht, er muss es jetzt lernen. Was zur Frage führt, warum er trotzdem eingestellt wurde.

Im Schachfeld wittern die Beobachter einen Coup: Krause und Fenner hätten einen Kritiker ruhiggestellt, indem sie ihn einkaufen. Diese Einschätzung ist allenfalls bedingt richtig. Tatsächlich hat sich Meyer-Dunker, seitdem er vor gut einem Jahr die Bühne betreten hat, mehrfach entsetzt über die Außendarstellung des DSB, seiner Spitzensportler und -funktionäre geäußert oder die Frage aufgeworfen, warum sich das organisierte Schach im Schoß von Mäzenen ausruht, anstatt sich für Sponsoren attraktiv zu machen.

Zugleich hat sich Meyer-Dunker speziell Ullrich Krause rasant angenähert. Jeder, der in den vergangenen Monaten mit Meyer-Dunker über den Zustand unseres Schachbunds gesprochen hat, der hat die Geschichte vom freundlichen DSB-Präsidenten gehört, der offen für Vorschläge ist und willens, Dinge zu verändern. Auf das angesprochen, was war, sagt Meyer-Dunker, davon wisse er nicht genug, er sei ja erst seit kurzem dabei.

Reizfigur nicht nur im AKLV

Diese Attitüde ist, wenn man so will, eine Qualität, die für unseren Sport segensreich sein kann. Wo andere ihre Skepsis pflegen, fängt Meyer-Dunker bei Null an und arbeitet Baustellen des Schachs ab. Wo andere den Teufel tun würden, sich in eine Abhängigkeit von Marcus Fenner und Ullrich Krause zu begeben, schickt Meyer-Dunker eine Bewerbung als Mitarbeiter für die Öffentlichkeitsarbeit.

Die Nähe Meyer-Dunkers zu Ullrich Krause bringt mit sich, dass er bei weitem nicht nur im AKLV als Reizfigur wahrgenommen wird. Georg Meier etwa, bis heute gekränkt und getroffen, ist unlängst auf Twitter mit dem neuen Social-Media-Mitarbeiter des DSB aneinandergeraten. Der Austausch dieser beiden endete damit, dass der Nationalspieler den Funktionär blockte.

Die speziell von Krause beschworene Annäherung an die Schachjugend gibt es nur auf dem Papier. Tatsächlich kracht es immer wieder, zuletzt in der gemeinsamen Arbeitsgruppe, und das übergeordnete Thema, um das es geht, ist stets dasselbe: Geld. In dieser Sache weicht Meyer-Dunker von seinem „Davon weiß ich nichts, ich bin ja noch neu“-Schema ab. Stattdessen hat er sich bemüht, die Frontlinien und Gefechtsstellungen des lange schwelenden Kriegs zu überschauen, der endgültig ausbrach, nachdem im August 2019 in der DSB-Geschäftsstelle eingebrochen und aus Jörg Schulz‘ Schublade Geld gestohlen worden war.

In der Causa DSB vs. DSJ heißt Meyer-Dunker zwar das Krisenmanagement des DSB-Führungsduos nicht gut, ist aber in der Sache zu der Überzeugung gelangt, dass der Schachjugend zu lange ein Fokus auf geordnete Finanzen gefehlt hat. Seitdem Meyer-Dunker diese Überzeugung twittert, macht er die Erfahrung, dass Ullrich Krause und Marcus Fenner nicht die einzigen sind, die die Schachwelt um sich herum strikt in Gut und Böse unterteilen. Dieses Schema greift auch bei der DSJ: Wer andeutet, die alte DSJ-Führung habe Reformbedarf ignoriert oder gar nicht erst gesehen, macht sich der Nähe zum Bösen verdächtig. Und so ist Meyer-Dunker auch in diesem Feld eine Reizfigur.

Eine Figur welcher Art er künftig in der DSB-Geschäftsstelle sein wird, ist eine spannende Frage. Als Mitarbeiter für Öffentlichkeitsarbeit beackert Meyer-Dunker nun das Feld, das einst sein direkter Vorgesetzter an sich gerissen und andere Zuständige rausgedrängelt hatte, nur um dann wieder und wieder zu demonstrieren, dass er es nicht kann, während Krause wieder und wieder von seinem „Glücksfall“ schwärmte. Diese Entwicklung mündete zwei Jahre später in die folgerichtige Superklatsche für unser DSB-Führungsduo. Leider musste das gesamte organisierte Schach für deren Leistungssport-Missmanagement öffentlich geradestehen.

Für Beobachter ist die Zeit danach ein Mysterium. Sind die beiden nach diesen Watschn wirklich von jetzt auf gleich zur Besinnung gekommen? Woran immer es liegt, sicher ist, es hat seit nun fast einem Jahr keine Katastrophe mehr gegeben, allenfalls kleine öffentliche Peinlichkeiten, niemand ist herumgeschubst oder sonstwie kaltgestellt worden. Und manches, das nach draußen geht, ist tatsächlich gut.

Katastrophenpause oder Sinneswandel? Das wird sich jetzt zeigen. Eine Figur mit mehr Sprengkraft als Paul Meyer-Dunker lässt sich im organisierten Schach schwerlich finden, und ausgerechnet diese Figur soll jetzt die Schar der braven Mitarbeiter unter Marcus Fenner bereichern.

Der gesuchte Social-Media-Profi ist Meyer-Dunker nicht, trotzdem kann seine Verpflichtung inhaltlich und konzeptionell ein Riesengewinn für die in Sachen Marketing und Medien unbedarfte DSB-Führungsriege sein. Sogar ein Anzeichen für eine neue Souveränität könnte diese Personalie spiegeln: Es wird jemand mit eigenem Kopf verpflichtet, jemand, der auf Hierarchiegepränge pfeift und sogar dem Präsidenten widersprechen würde, wenn der Unrecht hat. Es ist noch nicht lange her, da wurde Jörg Schulz für derlei Flegelhaftigkeiten abgemahnt.  

Eine spannende Konstellation. Bevor sich zeigt, ob die Reizfigur Paul Meyer-Dunker den Laden sprengt oder antreibt, muss sich erst einmal die Lage im AKLV klären, so oder so. Dort geht der in der vergangenen Woche ausgebrochene E-Mail-Aufruhr der Landespräsident:innen unvermindert weiter.

Von Paul Meyer-Dunker erreicht uns dazu diese Stellungnahme:

 “Ein Problem, das es nicht gibt, wird künstlich aufgeblasen. Diese Art der Selbstbeschäftigung und des persönlichen Gerangels interessiert den Großteil unserer Mitglieder nicht. Unsere Aufgabe ist es, das Schach in Deutschland voranzubringen.

Uns steht ein Kongress bevor, bei dem wir wichtige inhaltliche Fragen klären müssen. Ich will nur ein paar aufzählen:  

  • mehr Normenturniere für Talente von den Landesverbänden
  • die finanzielle Aufstellung der Schachjugend
  • Cybergrooming und Kinderschutz im Internet, speziell auf Lichess & chess.com
  • Vernetzungs- und Ausbildungsangebote speziell für Frauen
  • Kinderbetreuung auf allen DSB-Veranstaltungen
  • die Umstrukturierung im Leistungssport
  • die Zukunft des Meisterschaftsgipfels
  • der FIDE-Grand Prix in Berlin

Ich finde es bedauerlich, aber auch bezeichnend, dass von einem Großteil derjenigen, die jetzt ausführlich über meine Person diskutieren, noch nicht ein Beitrag zu auch nur einem dieser Themen kam.”


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[…] war ja vorhanden. Die im Arbeitskreis der Landesverbände gärende Causa Meyer-Dunker drohte auf den Kongress des Schachbunds überzugreifen, und dann hätten sie, um diesen […]

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[…] es offenbar für richtig, der Liga so, wie sie ist, jetzt schon Öffentlichkeit zu verschaffen. Der Angestellte Paul Meyer-Dunker wird an diesem Wochenende auf allen Kanälen von der Frauenbundesliga […]

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[…] nötig gewesen wären): null. Wortmeldungen, die in Erinnerung geblieben sind: null (außer einer leeren Drohung). […]