“Nicht von dieser Welt”: neue Vorwürfe gegen Hans Niemann

Acht Punkte aus neun Partien, Performance 2946. Hans Niemann hat beim “Turnier des Friedens” in Kroatien die beste Turnierleistung des Jahres 2023 gespielt. Schon während des laufenden Turniers beschuldigte ihn Großmeister Ivan Sokolov offen des Betrugs. Es blieb nicht bei dieser einen Beschuldigung. Beweise gibt es nicht, nur Anschuldigungen.

Irgendwie wollte bei der Siegerehrung keine rechte Freude aufkommen. | Foto: European Chess Union

Nach der Einigung mit Magnus Carlsen und chess.com im August hat Niemann infolge bescheidener Ergebnisse fast 50 Elo verloren. Unter anderem die Juniorenweltmeisterschaft in Mexiko, bei der er vor Frederik Svane an eins gesetzt war, lief deutlich unter Erwartung. Anfang Oktober stoppte er zumindest den Abwärtstrend mit soliden 5,5/11 bei der sehr stark besetzten US-Meisterschaft.

Nach fast einjährigem Streit die Einigung Ende August 2023.

Es folgte ein erstaunliches Trainingslager in der Schweiz bei, aller Wahrscheinlichkeit nach, Vladimir Kramnik. Die beiden waren beim Onlineschach erst aneinandergeraten. Auch Kramnik beschuldigte Niemann nach einer Niederlage erst des Betrugs, aber wenig später hatten sie einander plötzlich lieb und wollten sich sogar zum Training treffen.

Werbung
Hans Niemann gegen Vladimir Kramnik, das konnte nicht geräuschlos enden.

Dazu kam es im November. Niemann hat nicht explizit bestätigt, dass er in der Schweiz den in Genf lebenden Kramnik getroffen hat, aber eine Trainingsstellung auf einem in Paris (wo Kramnik bis 2014 gelebt hat) erworbenen Brett mit einem vielsagenden Text veröffentlicht, der nur diesen Schluss zulässt.

Nach der gemeinsamen Session trennten sich die Wege. Der selbsternannte Cheating-Detektiv Kramnik fand andere Zielscheiben, um sie auf seinem teils mehrfach täglich aktualisierten chess.com-Profil zu beschuldigen, zuletzt Hikaru Nakamura, dessen Siegesserien er verdächtig fand. Chess.com wies Kramniks Anschuldigung öffentlich zurück. Kramnik, offenbar erbost darüber, dass chess.com die Beschuldigung als solche bezeichnete, wahrscheinlich auch über den Spott, den er zu hören bekommt, erwägt nun, chess.com zu verklagen.

Niemann begab sich nach der Session in der Schweiz zurück ans Brett. Und es ging aufwärts. Schon das Grand Swiss (6/11, Performance 2719) war sehr ordentlich. Nun das überragende Resultat in Kroatien in einem Feld mit der ukrainischen Nummer zwei Anton Korobov und den einstigen Weltklassespielern Wassily Iwantschuk und Ivan Sokolov.

Mit dem heutigen Coach unter anderem der usbekischen Nationalmannschaft verbindet Niemann eine Geschichte. Im Oktober 2022, kurz nach Magnus Carlsens Anschuldigungen, forderte Sokolov eine lebenslange Sperre für den US-Amerikaner. Nun saßen sie einander am Brett gegenüber, und Sokolov wurde ausgangs eines italienischen Theorieduells sehenswert zerlegt.

Hans Niemann zerlegt Ivan Sokolov.

Wie das passieren konnte, offenbarte Sokolov auf Twitter:

“Was soll ich machen gegen 98 Prozent Genauigkeit? Es gibt hier (außer der zeitverzögerten Übertragung) keine Sicherheitsvorkehrungen, nicht einmal Scans.”

Nach Niemanns Sieg über Sokolov verschärften die Organisatoren offenbar die zeitverzögerte Übertragung. Statt 15 Minuten galt nun 30 Minuten. Niemann hielt das nicht davon ab, weiter zu gewinnen. In der neunten Runde (als er schon als Turniersieger feststand) zerschmetterte er Korobov mit einem sehenswerten Mattangriff.

30.Txg6!, einer von mehreren Hinguckern im Turnierverlauf. 9 Züge später war Korobov matt.

Während des Wettbewerbs und danach schwelgte Niemann mit dem gewohnten Pathos in seinem Erfolg. Zur Partie gegen Sokolov zitierte er Bobby Fischer: “Ich genieße den Moment, in dem ich das Ego eines Mannes zerbreche.” Zur Siegesmeldung kam noch einmal der Exweltmeister zu Ehren. Der nämlich hatte 1970 das “Tournament of Peace” ebenso überlegen gewonnen wie Niemann 2023: “Siegreich 53 Jahre voneinander getrennt. Zwei Amerikaner, allein gegen die Welt.”

Ist klar, Hans.

Nach dem Turnier meldete sich auf Facebook der Tabellenletzte Ivan Cheparinov, den Niemann mit Schwarz in 25 Zügen vom Brett gefegt hatte:

“Auch ich möchte dem Turniersieger Hans Niemann gratulieren. 8/9! Er ist ein aufsteigender Stern, ich glaube, er wird bald 2800 haben. Niemals habe ich jemanden so stark spielen sehen. Ich habe mit vielen Top-Spielern gespielt, kürzlich (beim Grand Swiss, Anm. d. Red.) mit einem der stärksten der Welt, Hikaru Nakamura. Nakamura hat nicht einmal annähernd Niemanns Niveau. Ich glaube, dass Niemann sehr hart arbeitet, und ich bin ab jetzt sein größter Fan!”

Damit nicht genug. Die norwegische Zeitung Aftenposten zitierte Kresimir Podravec, Sekretär des Zagreber Schachverbandes, der das Turnier organisiert hat:

„Niemanns Leistung ist nicht von dieser Welt, aber wir haben keinen eindeutigen Beweis dafür, dass er betrügt. Wir haben einige Indizien, wissen aber nicht, ob ihn jemand melden möchte.“

Die Zeitung hatte Niemanns Erfolg zum Anlass genommen, bei der FIDE nachzufragen, wann das Ergebnis der FIDE-Ermittlungen gegen Magnus Carlsen und Hans Niemann veröffentlicht wird. Mitte Dezember werde damit gerechnet, heißt es jetzt. Der Bericht ist seit Februar fertig.

Gegenüber dem Magazin Forbes sagten Niemanns Anwälte:

„Trotz der überwältigenden Beweise für Hans‘ außergewöhnliches Talent wird es immer Neider geben. Unser Rat an sie ist einfach: Gewöhnt euch dran! Hans fängt gerade erst an.“

Hans Niemann spielt unmittelbar weiter. Am Freitag trifft er in der ersten Runde des London Chess Classic mit Schwarz auf den französischen Großmeister Jules Moussard. Ab dem 13. Januar ist Niemann im B-Turnier des Tata-Steel-Festivals in Wijk an Zee am Start. Dort kommt es unter anderem zu einem erneuten Aufeinandertreffen mit Korobov.

4.2 27 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

28 Comments
Most Voted
Newest Oldest
Inline Feedbacks
View all comments
Daniel Hendrich
Daniel Hendrich
4 Monate zuvor

Schlechte Verlierer wie Sokolov, die blindlings mit Cheating-Vorwürfen um sich werfen, sollte man genau so hart bestrafen wie tatsächliche Cheater. Diese Hexenjagd gegen Niemann ist erbärmlich.

Carlo
Carlo
4 Monate zuvor

Möglicherweise ist Hans Niemann ein Charakter, mit dem man nicht befreundet sein möchte. Und möglicherweise betrügt er. Und wenn ja, wie stellt er das an? Es gibt ja Partien von ihm mit 98% Genauigkeit. Heißt das, er spielt praktisch immer den jeweils bestmöglichen Zug? Wie kommt er also an diese Information? Wenn sie ihm nicht telepathisch eingegeben wird, dann braucht’s ein Instrumentarium. Da ist die Stellung auf dem Brett, die muss von einem externen Beurteiler gesichtet, bewertet und operationalisiert werden und dann über irgend eine Datenverbindung in das Denken von Niemann transferiert werden. Wie geschieht das? Ich habe ChatGPT gebeten… Weiterlesen »

Jens Hollatz
Jens Hollatz
4 Monate zuvor

Wenn Niemann gewinnt betrügt er und wenn er schlecht spielt ist das der Beweis daß er betrügt. Wie erbärmlich ist das eigentlich. Oder wie Aftenposten. Erst loben und dann mit dem Messer in den Rücken.Wenn es Indizien gibt, raus damit. Ansonsten Klappe halten und ab in die Ecke schämen.
Selbst ich als eher schlechter Schachspieler habe hin und wieder eine Partie mit über 90 %. Aber das sagt ersteinmal gar nichts aus.Die Performance des Gegners gehört dann nämlich auch dazu.

Krennwurzn
Krennwurzn
4 Monate zuvor

In Zagreb war halt auch alte, satte Herren (1990 und älter) gegen Jahrgang 2003 jung und hungrig.

http://turnir-mira.com/en/players-2/

So ein Ergebnis wie HMN würde ich in so einem Turnier auch Vincent Keymer und anderen Junioren ebenfalls zutrauen.

Amontillado
Amontillado
4 Monate zuvor

Herzlichen Dank an Magnus Carlsen und die zahnlose FIDE, die dafür gesorgt haben, dass es innerhalb eines Jahres zur Normalität geworden ist, dass Spieler andere Spieler mit Betrugsvorwürfen überschütten.

von und aus dem Walde
von und aus dem Walde
4 Monate zuvor

Wenn man dem ernsthaft begegnen will, dann geht es aktuell ab einem bestimmten Niveau nur noch mit großem Aufwand für die Turnierveranstalter einher. Wo man da die Grenze ziehen will, weiß ich nicht, Ratingschnitt 2500, 2600 oder ab einem bestimmten Preisfond? Was ich mit größeren Aufwand meine, ist das, was heute schon möglich ist. Zeitverschiebung bei der Übertragung, Metalldetektoren, keinerlei eigene Utensilien erlauben, keine Sicht auf die Zuschauer durch die Spieler. Die Profis können ja selbst entscheiden, ob sie bei Turnieren, die das nicht bieten, noch teilnehmen oder nicht. Man sollte aber auf jeden Fall vermeiden, dass die Akteure irgendwann… Weiterlesen »

Julian Ullrich
Julian Ullrich
4 Monate zuvor

Ach ja, mit dem Niemann kann man es ja machen, schließlicht hat Carlsen ja das selbe schon gemacht, und direkt kann man sich viel besser mit der eigenen Niederlage fühlen. So wie Carlsen ja damals auch. Versteht mich nicht falsch, natürlich war es nicht korrekt dass er als Jugendlicher in ein paar online Partien die Engine nebenher hat laufen lassen. Sowas ist echt erbärmlich und unsportlich. Noch erbärmlicher und unsportlicher ist es eigentlich nur sich dann einen Jungen talentierten Schachspieler zu nehmen und ihn ohne auch nur den Hauch eines Indizes für das Cheating zu liefern zu missbrauchen, um seinem… Weiterlesen »

Stefan Link
Stefan Link
4 Monate zuvor

Das ist doch grotesk! Herr Carlsen hat mit seiner wüsten Behauptung die Büchse der Pandora geöffnet.
Das muss aufhören!
Zugegeben, ich würde Herrn Niemann nicht zum Geburtstag einladen. Er scheint reichlich exzentrisch zu sein. Wer weiß, vielleicht ist er ja die Reinkarnation von Bobby F.?
Aber das tut nichts zur Sache. Ein Betrugsvorwurf ist ernst und kann Folgen haben. Solange man nicht mehr hat als das weinerliche Greinen: “Der hat viel besser gespielt als ich! Der muss betrogen haben!!!”
sollte man den Mund halten!

Neandertaler
Neandertaler
4 Monate zuvor

Ab dem 18. Januar ist Niemann im B-Turnier des Tata-Steel-Festivals in Wijk an Zee am Start.

Und was tut er in den vier Runden vorher?

Vor Süffisanz sollte man Sorgfalt setzen, oder?

Zur Sache: Ich weiß nicht, ob Niemand betrügt. Zu einem Betrugsvorwurf gehören aber eben Indizien, und Indizien sind mehr als “So gut kann der gar nicht spielen, ich bin doch hier der (alternde) Star.”

Jeder dieser Vorwürfe beschädigt das Schach. Welche Konsequenzen drohen, wenn man einfach wüst Betrugsvorwürfe streut? Aktuell offenkundig gar keine.

———–

Fehler ist korrigiert, danke, d. Red.

Last edited 4 Monate zuvor by Neandertaler
Harry Bender
Harry Bender
4 Monate zuvor

Of you see Robert Ris’ Analysis of Niemann defeating Sokolov it’s clear, that this was a very human and wild battle with more mistakes or inaccuracies on Sokolovs side and a brilliant conception by Niemann. Ridicoulous, to give poisoned compliments of “superhuman” play here.

trackback

[…] “Nicht von dieser Welt”: neue Vorwürfe gegen Hans Niemann Acht Punkte aus neun Partien, Performance 2946. Hans Niemann hat beim “Turnier des Friedens” in Kroatien die beste Turnierleistung des Jahres 2023 gespielt. […]

Markus Wappler
Markus Wappler
4 Monate zuvor

Man kann sagen was man will, aber wo Niemann im Moment auftaucht, ist für großartige Unterhaltung gesorgt – auf den Perlen gewohnt meisterhaft in Szene gesetzt. Ich kann Ivan Sokolov verstehen, ein zerschmettertes Ego ist nicht mehr zu heilen. Das kann nur durch eine lebenslange Sperre gesühnt werden. Aber da das glücklicherweise niemand melden möchte, kommen wir weiterhin in den Genuss dieses außergewöhnlichen Talentes.

Oliver Calm
Oliver Calm
4 Monate zuvor

Wäre es unter Umständen möglich, die menschenverachtenden Beiträge von Herrn Vogel, geschrieben im Stile eines Herrn Freislers, zu löschen?

Die entmenschlichende Sprache einhergehend mit Gewaltfantasien hat meines Erachtens nichts in einer Kommentarspalte wie dieser zu suchen.

Sicherlich gibt es dafür andere Plätze im großen, weiten WWW.

Tobias Vogel
Tobias Vogel
4 Monate zuvor

Cheater sind die Totengräber des Schachs- auch der Grund dafür, dass ich keine Turnierpartie mehr spiele. Und zu der viel diskutierten Beweisfrage, haben wir alles schon bei der Tour de France durchgekaut, als die Doper( Betrüger) den Kontrolleuren immer mindestens zehn Jahre voraus waren. Und Wesen wie Armstrong haben erst einmal zig Millionen verdient ( und verfügen über die Hälfte heute noch- sch..egal über den ramponierten Ruf. Gierige, würdelose Menschen, Profilneurotiker und Gierdarwinisten sind für Geld bereit mit allem zu bezahlen! Zumal mit der KI sich die Cheatingmöglichkeiten permanent vervielfachen( werden erfolgreiche Cheater 20 Jahre später in ihren Memoiren veröffentlichen).Diese… Weiterlesen »