Levon Aronian zieht um. Künftig wird der nationale Sportheld Armeniens in der amerikanischen Schachhauptstadt Saint Louis wohnen, und er wird unter der US-Flagge Schach spielen. Am heutigen Freitag verkündete Aronian seinen Wechsel per Facebook. Zeitgleich erschien auf der Seite des Schachzentrums Saint Louis eine Pressemitteilung, in der der Wechsel bestätigt wurde. Wie von dieser Seite vor drei Wochen berichtet, nennt Aronian nun selbst das Ausbleiben zugesagter staatlicher Unterstützung als Hauptgrund für seinen Wechsel.
“Das vergangene Jahr war für uns alle sehr schwierig – eine Epidemie, in meinem Fall ein Krieg, persönliches Unglück und die absolute Gleichgültigkeit des Staates gegenüber dem armenischen Schach. Ich stand vor der Entscheidung, mein Lebenswerk aufzugeben oder an einen Ort zu ziehen, an dem ich geschätzt werde”, schreibt Aronian. Seit mehr als einem Jahr warte er darauf, dass die Regierung ihre Versprechen erfüllt, “ein verschwendetes Jahr”. Es sei Zeit für eine Entscheidung gewesen.
Die Weltspitze im Schach habe er nur dank der Unterstützung und Arbeit von Landsleuten erreichen können. Präsident Sersch Sargsian, der ihn einst vom deutschen Verband zurück in die Heimat lotste, der auch Präsident des nationalen Schachverbands war und ist, habe ihn jahrelang unterstützt.
Unterstützung von der Mutter
Die neue Regierung unter dem seit 2018 amtierenden Sargsian-Nachfolger Nikol Paschinian habe versprochen, diese Linie fortzusetzen, aber nach einem Jahr sei die Unterstützung ausgelaufen. In der Zwischenzeit seien Positionen im armenischen Schach mit “mit unwissenden Figuren besetzt worden”, die sportliche Erfolge in erster Linie für sich reklamiert hätten. Unter der neuen Führung sei die armenische Schachfamilie in die Spaltung und ins Chaos abgeglitten.
Seitdem kursiert, Aronian stehe vor einem Wechsel in die USA, steht Aronian in Armenien in der Kritik. Und doch blieb seine von Smbat Lputian, Vizepräsident des armenischen Schachverbands, angekündigte Erklärung aus. Als es zuletzt hieß, Aronian habe “astronomische Beträge” vom Staat kassiert, sprang ihm seine in Berlin lebende Mutter Seda Aronovna zur Seite. “Obszön” finde sie es, dass ihr Sohn nun zum “Verräter an der Nation” stilisiert werde, erklärte sie per Facebook, verwies auf die Haltung und die sportlichen Erfolge ihres Filius.
Aronian hat seine Entscheidung nun verkündet, kurz nachdem die seit Monaten anhaltenden politischen Turbulenzen in Armenien eine neue Eskalationsstufe erklommen hatten: Erst ein Aufruf des Militärs, die Regierung müsse zurücktreten, dann die Warnung Paschinians vor einem Militärputsch.
Sportlich hinterlässt der Abgang Aronians in Armenien eine Lücke, die nicht zu füllen sein wird. Bald nach seiner Rückkehr vom deutschen zum armenischen Verband 2004 war der heute 36-Jährige und Fünfte der aktuellen Weltrangliste der führende Spieler des Landes. Die armenische Nationalmannschaft hat er zu drei Goldmedaillen bei Schacholympiaden geführt: 2006 (Turin), 2008 (Dresden) und 2012 (Istanbul). Außerdem gewannen die Armenier 2011 die Mannschafts-Weltmeisterschaft.
Abseits des Sports versicherte Aronian jetzt, “dass ich mit meiner Heimat verbunden bin. Auf jeden Fall werde ich auch aus der Ferne das Mögliche und Unmögliche für mein Land tun.”
Warum nicht nach Deutschland?
Nach eigenen Angaben konnte sich Aronian mehr oder weniger aussuchen, wo er spielen möchte, sollte er sich entscheiden, Armenien zu verlassen. Er habe im Lauf der Jahre mehrere Angebote bekommen, lukrative zumal, diese aber stets abgelehnt.
Angesichts seiner engen Verbindung zu Deutschland liegt nahe zu fragen, ob nicht eine Rückkehr zum deutschen Verband eine Option gewesen wäre: Aronian hat einen Wohnsitz in Berlin, dort lebt seine Mutter, Aronian war schon für einige Monate Schachdeutscher, und er ist seit Jahren dem deutschen Serienmeister OSG Baden-Baden verbunden, wo im Hintergrund ein dem Schach gewogener Mäzen die stärkste Vereinsmannschaft der Welt unterstützt.
“Mir ist kein Kontakt von uns mit Levon in dieser Sache bekannt. So wie ich es gelesen habe, hat sich Levon die Entscheidung seines Wechsels nicht leicht gemacht, hat aber nun für sich die Entscheidung getroffen, was das Beste für ihn ist”, sagt OSG-Vorsitzender Patrick Bittner auf Anfrage dieser Seite. “Das sollte man respektieren und es dabei belassen.”
Den Zuschlag hat nun nicht ein deutscher, sondern ein amerikanischer Milliardär bekommen. Rex Sinquefield, Mitbegründer des Saint Louis Chess Club und nicht zuletzt des US-Schach-Aufschwungs, hatte Aronian Jahr für Jahr von neuem angeboten, nach Saint Louis zu ziehen. Jetzt heißt er den Armenier “mit offenen Armen willkommen”. Sinquefield: “Levon hat 2013 bei unserem allerersten Sinquefield Cup gespielt. Ich habe ihn im Laufe der Jahre kennengelernt, ein starker Spieler, ein wahrer Gentleman. Levon repräsentiert das Beste aus unserem Sport.”
Rückwirkender Wohnsitznachweis?
Allerdings war es nicht Sinquefields Werben allein, das den Ausschlag gab. Das macht Aronian deutlich: “Vielen Dank an Fabiano Caruana, Amerikas stärksten Spieler, der mich unterstützt und meine Entscheidung befürwortet, dass wir Teamkollegen werden.”
Wann Aronian zum ersten Mal für eine US-Mannschaft am Brett sitzen wird, ist noch nicht klar. Unter den potenziellen Transfers ist er bei der FIDE noch nicht geführt. Gemäß den neuen Bestimmungen der FIDE (die in auch im Fall Arkadij Naiditsch eine Rolle spielen) muss Aronian nach seinem bis jetzt letzten offiziellen FIDE-Turnier zwei Jahre warten, bevor er für eine neue Föderation spielen kann, ohne dass eine Gebühr fällig wird. Im Fall Aronians wäre dieses letzte Turnier die Schellschach- und Blitzmeisterschaft Ende 2019 – oder die FIDE-Online-Olympiade 2020. Ob letztere zählt, muss nach einem Bericht von chess.com noch entschieden werden.
Außerdem muss die Frage nach dem Wohnort geklärt sein. Von einem Nicht-Staatsbürger verlangt die FIDE, dass er zwei Jahre auf dem Staatsgebiet der neuen Föderation wohnen muss, bevor er für diese Föderation spielen darf. chess.com spekuliert, Aronian könne womöglich einen “rückwirkenden Wohnsitznachweis” vorlegen, um Zeit zu gewinnen. Wahrscheinlich sei, dass er für die Schacholympade 2022 in Moskau spielberechtigt ist.
Aronian wäre dort, um es mit Magnus Carlsen zu sagen, der vierte von Sinquefield eingekaufte Nerd im US-Team. Dieses nominell mit einigem Abstand weltbeste Team sähe, Stand jetzt, so aus: Fabiano Caruana (2823), Levon Aronian (2781), Wesley So (2770) und Leinier Dominguez (2758).
Zu Modalitäten des Wechsels: Auf der verlinkten FIDE-Seite stehen nur abgeschlossene Transfers mit notification date UND transfer date, keine potenziellen (laufende Verfahren, erst recht keine Gerüchte). Der alte Verband kann einen Wechsel zwar nicht verhindern, aber um 90 Tage verzögern, indem er keine “letter of non-objection” ausstellt. Armenien könnte also erreichen, dass Aronian beim Kandidatenturnier (für das er sich aber nicht qualifiziert hat) noch für Armenien spielt, mehr nicht. Bei Abdarahim Salem (von Südafrika nach Libyen) dauerte es gut 3 Monate, in anderen Fällen ging es schneller, oft nur ein paar Tage. Ansonsten kann man die Sache mit Geld beschleunigen… Weiterlesen »
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Alles Gute für L.A. in USA! Aber zum Text und warum nicht nach/für Deutschland: Mhm…Fünf Zeilen mit dem dürftigen Inhalt “Nichts bekannt”. Das finde ich etwas wenig Inhalt. Ich vermisse die Nachfragen – wenn die OSG schweigen will, dann z.B. an DSB oder Bad.-Württb.: Gab es den Versuch deutscher Schach-Organisatoren (Funktionäre kling für mich immer zumindest leicht abwertend), L.A. “unter deutscher Flagge” (s. Naiditsch) spielen zu lassen? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Ich vermisse die Nachfragen an L.A. oder zumindest den Versuch eines Interviews mit ihm. Doch optimistisch hoffe ich auf die Stärken der Perlen – solche Hintergrundinformationen werden schon… Weiterlesen »