EM: osteuropäische Wegweiser

Die in der dritten EM-Runde begonnene Osteuropa-Tour der deutschen Nationalmannschaften geht in der vierten Runde weiter. Nach dem umkämpften 1,5:2,5 der Herren gegen Aserbaidschan sowie dem 0,5:3,5 der Damen gegen das russische Über-Team spielen die Deutschen am heutigen Montag gegen Armenien (Herren) sowie Aserbaidschan (Damen).

Beide deutschen Teams stehen jetzt nach zwei Siegen und einer Niederlage bei 4:2 Punkten. Nach dem Abschluss des ersten Turnierdrittels können die heutigen Begegnungen als Wegweiser dienen, ob es beiden jungen Mannschaften schon gelingt, oben mitzuspielen, oder ob vorerst eher das Mittelfeld das Maß der Dinge ist.

Bei den Herren bekommt heute Vincent Keymer ein schönes Geschenk: An seinem 17. Geburtstag wird er erstmals am zweiten Brett der Nationalmannschaft spielen. Keymer&Co. werden auf ein ebenfalls ausgeglichen besetztes, nominell etwa auf Augenhöhe befindliches Team treffen, dem unlängst seine eindeutige Nummer eins Levon Aronian abhanden gekommen ist:

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Auch die Damen sollten gegen Aserbaidschan etwa auf Augenhöhe sein. Vor zwei Jahren hat die neu formierte, stark verjüngte deutsche Mannschaft einen Trainingswettkampf gegen die Aseri klar verloren. Heute bekommt sie die Gelegenheit zu zeigen, dass sich die Kräfteverhältnisse verschoben haben. Um 15 Uhr geht’s los.

Liveübertragung

(chess.com)
Herren
Damen

(chess24)
Herren
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Paarungen via chess-results.com

Oben halten, unten punkten. So lautet das Rezept, nach dem eine ausgeglichen besetzte Mannschaft wie die deutsche auch gegen Top-Teams Zählbares holen kann. Damit das Rezept aufgeht, bedarf es eines entscheidenden Utensils. Und ausgerechnet das war den Deutschen während der dritten Runde der Europameisterschaft abhanden gekommen.

Liviu Dieter Nisipeanu und Elisabeth Pähtz, jeweils mit Schwarz gegen die Weltklassegroßmeister Shakh Mamedyarov und Aleksandra Goryachkina, kamen gar nicht erst dazu, Beton anzumischen. An beiden Spitzenbrettern lief die Eröffnung nicht gut, beide mussten früh improvisieren. Bei Nisipeanu sah es eine Zeit lang aus, als würde er trotzdem auf Touren kommen, Gegenspiel finden und seinerseits den einen oder anderen Stich setzen, bevor sich die Dinge dann doch zu Gunsten des einstigen WM-Kandidaten wendeten. Elisabeth Pähtz hingegen konnte eine glatte Niederlage nicht verhindern.

Bei den Herren war der Kampf trotz der Niederlage ganz oben noch lange nicht vorbei. Zwar fand Alexander Donchenko gegen den Remisfachmann Teimour Radjabov trotz der weißen Steine keinen Vorteil, aber Matthias Blübaum drückte gegen Nijat Asabov, und bei Vincent Keymer erschien es lange gänzlich unklar, wie sein Duell mit dem aserischen Schlachtross Rauf Mamedov ausgehen mag. Nicht nur durch die schwarz-rot-goldene Brille betrachtet, erschien ein 2,5:1,5 für Almaniya zumindest möglich.

Deutschland-Aserbaidschan, alles noch drin: Die beiden ersten Bretter sind abgeräumt, Matthias Blübaum (l.) und Vincent Keymer kämpfen darum, den 0,5:1,5 stehenden Kampf zu drehen. Im Video: ein Blick auf den Stand der Dinge, nachdem ein Drittel des Wettbewerbs absolviert ist. | Foto: Paul Meyer-Dunker/Schachbund

Wer jemals ein Turmendspiel auf dem Brett hatte, das nach der Partie die Engine/Tablebase für gewonnen erklärt, der weiß, wie weit und wie schwierig zu finden der Weg von einem theoretisch gewonnenen Turmendspiel zu einem vollen Punkt ist. Matthias Blübaum vermochte diesen Weg nach einem 65-zügigen Kampf nicht zu finden.

Zwar gelang es Vincent Keymer den zwischenzeitlich drohenden Verlust abzuwenden und sich in ein Dauerschach zu retten. Aber nach 97 Zügen forcierte auch Blübaum den unvermeidlichen Friedensschluss, indem er ein Patt aufs Brett stellte. Damit war einerseits die knappe Niederlage besiegelt, andererseits ein Zeichen gesetzt: diese deutsche Mannschaft ist keine Laufkundschaft, auch nicht für Weltklassetruppen wie die aus Aserbaidschan mit ihren beiden Top-Ten-Großmeistern an den Spitzenbrettern.

So weit sind die Frauen noch nicht. Russland war schlicht eine Nummer zu groß, eine Erfahrung, die im Verlauf dieser Europameisterschaft womöglich alle anderen Gegnerinnen der Russinnen ebenfalls machen werden. Und Josefine Heinemanns solides Remis gegen Kateryna Lagno, Elo 2550, Nummer fünf der Welt, war ebenfalls ein Zeichen: diese deutsche Mannschaft besteht nicht nur aus einer Spielerin, die gegen Weltklasse punkten kann.

Sportdirektor Kevin Högy berichtet über die dritte Runde.

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[…] nun 5:3 Punkten stehen die Deutschen nach dem 2:2 gegen Armenien da, wo sie gestern schon standen: am Scheideweg. Heute ein Sieg gegen Rumänien, und wir können dem weiteren Gang der Dinge nach […]

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[…] 7:5 Punkten, und es offenbart sich, dass der unlängst auf dieser Seite erschienene Beitrag “osteuropäische Wegweiser” verfrüht […]