Neue Weltrangliste: Comeback mit Hindernissen und eine offene Rechnung

Hikaru Nakamura ist kein aktiver Spieler mehr, der ehemalige Schachdeutsche Levon Aronian ist jetzt offiziell Schachamerikaner, und der Weltranglistendritte Ding Liren hat sich gerade noch für den Grand Prix qualifiziert (ab Februar in Berlin). Vincent Keymer ist nicht mehr nur die deutsche Nummer eins, sondern die neue Nummer eins im deutschsprachigen Raum. Elisabeth Pähtz steht wieder über 2500 und in Sichtweite der Top Ten der Welt. Das sind die wesentlichen Implikationen der Dezember-Eloliste der FIDE.

Die Top 10 der Welt. | via FIDE

Zwar hat der Weltverband den Zeitraum, ab dem ein Spieler als inaktiv gilt, pandemiebedingt auf zwei Jahre verlängert, trotzdem ist es nun passiert. Hikaru Nakamura, ehemaliger 2800er und WM-Kandidat, ist nicht mehr in der Elo-Liste vertreten. Eigentlich eine logische Entwicklung. Vor knapp eineinhalb Jahren sagte Nakamura, er habe als Schachstreamer seine Berufung gefunden – sein Abschied aus der Turnierszene.

Kommt er zurück? Zum Blitz- und Schnellschach bestimmt, beim Turnierschach erscheint das fraglich. Zwar hat Hikaru Nakamura angekündigt, am Grand Prix in Berlin teilzunehmen, aber dafür müsste er wahrscheinlich einen Freiplatz bekommen. | via Hikaru Namaura/Twitch

Jetzt hat Nakamura trotzdem angekündigt, dass er neben der Blitz- und Schnellschach-WM Ende des Jahres auch beim Grand Prix 2022 nach mehr als zweijähriger Pause am Brett sitzt. Das sagte er während seiner jüngsten Streams.

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Das Reglement sagt etwas anderes: Nach Rating qualifiziert sind Spieler anhand der Dezember-Liste. Und in der steht Nakamura nach zwei inaktiven Jahren nicht. Womöglich geht der US-Großmeister davon aus, als ehemaliger WM-Kandidat und eines der global bekanntesten Schachgesichter einen der beiden Freiplätze zu bekommen.

3:1 besiegte Ding Liren seinen Landsmann Lu Shanglei – und ist dank dieser vier Partien für den Grand Prix qualifiziert. Allerdings reichte das 3:1 nicht ganz, um wieder über 2800 zu klettern und Alireza Firouzja vom zweiten Platz der Weltrangliste zu verdrängen. | Foto: Liang Ziming

Der Chinese Ding Liren, Nummer drei der Welt, hat eine Regelfeinheit umgangen, die ihn den Grand-Prix-Platz hätte kosten können: Um per Rating qualifiziert zu sein, brauchte er neun gewertete Partien in diesem Jahr. Er hatte aber nur sieben (Kandidatenturnier). Mutmaßlich deshalb hat Ding Liren unlängst in China einen kurzen Wettkampf gegen seinen Landsmann Lu Shanglei gespielt.

Der einstige Wahlberliner Levon Aronian wird unter US-Flagge am Grand Prix in seiner ehemaligen Heimatstadt teilnehmen – wenn er eine offene Rechnung von 55.000 Dollar begleicht. Zwar wird er jetzt offiziell als US-Amerikaner geführt, aber noch ist die an die FIDE zu entrichtende Gebühr von 5.000 Dollar sowie die Ablösesumme von 50.000 Dollar an den armenischen Verband zu zahlen. Bleiben diese zu leistenden Zahlungen offen (und die Föderationen einigen sich nicht anderweitig), darf er erst ab dem 8. November 2023 unter US-Flagge an internationalen Meisterschaften teilnehmen.

Im Februar machte Levon Aronian seinen Wechsel offiziell, verbunden mit schweren Vorwürfen gegen die Chefetage des armenischen Verbands. Mittlerweile hat Aronian ein Haus in der US-Schachhauptstadt Saint Louis bezogen und seinen 39. Geburtstag schon in seiner neuen Heimat gefeiert.
Levon Aronian. | Foto: FIDE

Der US-Verband teilt mit, Aronian werde für alle anfallenden Gebühren selbst aufkommen. Allerdings ist nicht ganz klar, ob sich das auf die Blitz- und Schnellschach-WM bezieht oder auf sämtliche Gebühren im Zusammenhang mit seinem Wechsel. Die US-Offiziellen wollen per Eilantrag an die FIDE möglich machen, dass Aronian schon in drei Wochen als US-Amerikaner um den Blitz- und Schnellschach-Titel spielt.

Vorbehaltlich möglicher Absagen von Spielern steht mit der Dezember-Elo-Liste jetzt bis auf die beiden Freiplätze das Feld der Grand-Prix-Serie fest:

InviteeQualifying methodRating (December 2021)
Ding LirenRating2799
Levon AronianRating2772
Anish GiriRating2772
Wesley SoRating2772
Shakhriyar MamedyarovRating2767
Alexander GrischukRating2765
Richárd RapportRating2763
Maxime Vachier-LagraveGrand Swiss2761
Leinier DomínguezRating2752
Nikita VitiugovRating2731
Wei YiRating2729
Vidit GujrathiWorld Cup2727
Dmitry AndreikinRating2724
Yu YangyiGrand Swiss2713
Sam ShanklandWorld Cup2708
Alexei ShirovGrand Swiss2704
Vladimir FedoseevWorld Cup2704
Alexandr PredkeGrand Swiss2682
Grigoriy OparinGrand Swiss2681
Vincent KeymerGrand Swiss2664
Amin TabatabaeiWorld Cup2643
Étienne BacrotWorld Cup2642
via Wikipedia

Jeder Teilnehmer wird zwei der drei Grand-Prix-Turniere spielen. In jedem dieser Turniere wird das Feld in Vierergruppen unterteilt, diese Gruppen spielen ein doppelrundiges Rundenturnier. Die vier Sieger der Gruppen bestreiten das Halbfinale, gefolgt vom Finale. Die beiden erfolgreichsten Grand-Prix-Teilnehmer qualifizieren sich fürs Kandidatenturnier 2022, dessen fünf andere Teilnehmer schon feststehen (dazu kommt der Verlierer des WM-Matches 2021):

2021 World Championship runner-up Magnus Carlsen or
Ian Nepomniachtchi
Candidate nominated by FIDE Teimour Radjabov
The top two finishers at the Chess World Cup 2021 Jan-Krzysztof Duda (winner)
Sergey Karjakin (runner-up)
The top two finishers in the FIDE Grand Swiss Tournament 2021 Alireza Firouzja (winner)
Fabiano Caruana (runner-up)
via Wikipedia

An den Namen, die jeden Schachkenner mit der Zunge schnalzen lassen, lässt sich ablesen, in welcher Liga Vincent Keymer jetzt erstmals mitspielt – und das als Nummer eins im deutschsprachigen Raum. Während Keymer mit 2664 ein neues Rating-Hoch erklommen hat, geht der Trend der langjährigen österreichischen Nummer eins Markus Ragger in die entgegengesetzte Richtung. Der einstige 2700er Ragger steht jetzt bei 2653, damit ist er gerade noch in den Top 100 der Welt.

https://youtu.be/MTAPLy-VYvM
Wer binnen weniger Wochen zwei Mal gegen die tschechische Nummer eins David Navara gewinnt, der hat sich redlich eine erste Gelegenheit verdient, im Kreis der Weltklasse mitzuspielen, vielleicht sogar nach den Sternen zu greifen.

Die deutschen Top 10 offenbaren die eine oder andere Verschiebung:

Bild
via Schachbund

Jan Gustafsson, derzeit wahrscheinlich als Magnus Carlsens WM-Helfer eingespannt, ist mit seiner offenbar bei 2643 einbetonierten Zahl wieder auf Rang drei vorgerückt. Das hängt zusammen mit dem Elo-Sinkflug zweier Spieler, die beide schon die deutsche Nummer eins waren: Matthias Blübaum und Alexander Donchenko werden einen neuen Anlauf nehmen auszuloten, was jenseits der 2650 für sie drin ist. Speziell Donchenko bekommt jetzt seine eher missratene Team-Europameisterschaft nominell zu spüren, während sich Rasmus Svane dank einer starken EM auf Rang fünf vorgeschoben hat.

Auch bei den Frauen gab es Bewegung:

Bild
via Schachbund

Josefine Heinemann ist nach einer starken Europameisterschaft auf 2369 Elo geklettert, ihr bisheriger Höchstwert, der sie auf Platz zwei der deutschen Rangliste und erstmals in die Top 100 der Welt gehievt hat. Hanna Marie Klek ist derweil aus dem Elo-Loch geklettert. Als deutsche Nummer drei nähert sie sich ihrem 2376-Peak aus dem Januar 2017.

Ansonsten offenbart die Dezember-Liste die Notwendigkeit eines Intensiv-Förderprogramms für die besten jungen Spielerinnen, das mittelfristig das obige Bild zu einem harmonischen machen soll. Nach Elisabeth Pähtz’ starken Leistungen zuletzt, speziell beim Grand Swiss, klafft zwischen Rang eins und zwei eine umso größere Lücke, und von den Teens und jungen Twens ist mit Ausnahme von Heinemann in den Top 10 nichts zu sehen.

U20-Europameisterin Lara Schulze hat unlängst im Gespräch mit dieser Seite angekündigt, dass sie gedenkt, das zu ändern (und mit diesem Vorhaben ist sie wahrscheinlich nicht allein). 2400 Elo seien das Ziel:

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Carl Samson
Carl Samson
2 Jahre zuvor

Hat die FIDE eigentlich schon die GM-Normen von Eli Pähtz geprüft? Noch steht sie als IM drin.

Gerald
Gerald
2 Jahre zuvor

Jetzt kann man erahnen, ab welcher Zuschauerzahl eine Streamerkarriere lukrativer ist als eine Schachprofikarriere.

Kommentator
Kommentator
2 Jahre zuvor

“und von den Teens und jungen Twens ist mit Ausnahme von Heinemann in den Top 10 nichts zu sehen.”
Es kann ja nicht überall so laufen wie in Albanien, wo gerade eine Elfjährige die nationale Frauenmeisterschaft gewonnen hat (https://chess-results.com/tnr594635.aspx?lan=0&art=4&turdet=YES)…

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[…] Ob sich diese Frage stellen wird, werden wir in zwei Wochen wissen. Schon jetzt, seitdem die Dezember-Weltrangliste der FIDE veröffentlicht ist, wissen wir, dass beim Grand Prix 2022 die potenziellen WM-Kandidaten […]

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[…] Folge dieses Verzichts ist Nakamura wegen Inaktivität aus der Weltrangliste gestrichen. Zum Kreis der Favoriten zählt der WM-Kandidat von 2016 beim Grand Prix 2021 eher nicht. Aber er […]

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[…] ■ Eine Minuten vor Beginn der fünften Runde war alles präpariert. Die Spieler saßen an den Brettern, die Schiedsrichter standen bereit und DSB-Präsident Ullrich Krause wartete neben Vincent Keymer darauf, den symbolischen Eröffnungszug auszuführen. Nur Levon Aronian fehlte. Sekunden, bevor er wegen Nichterscheinens genullt worden wäre, betrat der US-Armenier den Saal, den er nach dieser Zitterpartie zum Auftakt als großer Gewinner verlassen sollte. Die heutige sechste Runde kann Aronian entspannt laufen lassen. Als Gruppensieger und erster Halbfinalist steht er fest – und mehr als das. Aronian ist jetzt die neue Nummer vier der Welt – und die neue Nummer… Weiterlesen »

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[…] hätte das gedacht: Der in der Weltrangliste wegen Inaktivität nicht mehr präsente Hikaru Namura spielte auf allerhöchstem Level mit, als wäre er nie weg gewesen. | Foto: World […]