Carlsen drin, Karjakin draußen, Wagner hofft: World Cup 2023

Magnus Carlsen gilt als großer Befürworter von K.o.-Wettbewerben. Umso erstaunlicher ist es, dass der fünffache Weltmeister das größte K.o.-Turnier im Schach noch nie gewonnen hat, den World Cup. Im Juli/August 2023 in Aserbaidschan wird er einen neuen Anlauf unternehmen. Der Norweger steht auf der jetzt von der FIDE veröffentlichten vorläufigen Teilnehmerliste ihres mit 2,5 Millionen Dollar dotierten Leuchtturmwettbewerbs. Die drei Erstplatzierten der beiden World Cups qualifizieren sich fürs Kandidatenturnier 2024 in Kanada.

Auf seinem Weg zum World-Cup-Sieg 2021 kegelte Jan-Krzysztof Duda (r.) im Halbfinale Magnus Carlsen aus dem Wettbewerb. Dass Duda überhaupt ins Halbfinale kam, verdankte er einem Chauffeurdienst von Magnus Carlsen, nachdem er vor dem Viertelfinale den Bus zum Spielsaal verpasst hatte (siehe dieser Bericht). | Foto: FIDE

Einige Elitegroßmeister fehlen, allen voran Weltmeister Ding Liren. Auch die nach seinem Sieg beim Norway Chess neue Nummer zwei der Welt Hikaru Nakamura wird nicht Teil des 206-köpfigen Feldes des offenen World Cups sein. Außerdem fehlen: Alireza Firouzja, Richard Rapport, Viswanathan Anand.

Hikaru Nakamura, Nummer zwei der Welt, nimmt nicht am World Cup 2023 teil.

Von den jungen Wilden des Spitzenschachs werden in Baku einige einen Anlauf im WM-Zyklus unternehmen, sei es Gukesh, Vincent Keymer, Nodirbek Abdusattorov oder Praggnanandhaa. Die nicht qualifizierten Arjun Erigaisi und Hans Niemann allerdings fehlen (noch?) auf der Liste der 144 Spieler, die die FIDE jetzt veröffentlicht hat.

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Die deutsche Delegation im offenen Turnier wird so groß sein wie nie zuvor: Vincent Keymer, Matthias Blübaum, Alexander Donchenko, Rasmus Svane, Frederik Svane, Niclas Huschenbeth sowie Daniel Fridman sind dank starker Leistungen bei den beiden vergangenen Europameisterschaften qualifiziert. Dazu kommt Dmitrij Kollars, der den Freiplatz des deutschen Verbands erhält.

Nach dem Grand Prix 2022 wird der World Cup 2023 Vincent Keymers zweiter Anlauf in einem WM-Zyklus sein.

Im 103-köpfigen Feld des World Cups der Frauen, in dem die Weltspitze (außer Hou Yifan) fast vollzählig vertreten ist, hält einzig die vom DSB nominierte Elisabeth Pähtz die deutsche Fahne hoch. Bislang sind 73 Teilnehmerinnen bekannt. Dass unter den 30 noch zu verkündenden Spielerinnen mit Dinara Wagner auch die deutsche Nummer zwei sein wird, ist möglich.

DSB-Sportdirektor Kevin Högy hat bei der FIDE nach Wagners Triumph beim Grand Prix auf Zypern einen Freiplatzantrag für den World Cup gestellt. Sollte der abgelehnt werden, wäre ihre Teilnahme allerdings sehr unwahrscheinlich. Sie müsste dann eine Wildcard von FIDE-Präsident Arkady Dvorkovich bekommen, oder es müssten mehrere per Europameisterschaft qualifizierte Spielerinnen absagen, sodass Wagner nachrückt.

Ob der DSB-Freiplatzantrag für Dinara Wagner durchgeht, ist offen.

Levon Aronian, der den World Cup 2005 und 2017 gewonnen hat, wird fehlen. Der 40-jährige Armenier, der jetzt die USA vertritt, fürchtet wegen des Konflikts seines Heimatlandes mit dem Gastgeberland um seine Sicherheit. Auf seine Bitte, hybrid von einem anderen Ort aus mitzuspielen, hat die FIDE zumindest öffentlich nicht reagiert.

Nicht nur Aronian wird fehlen, es wird in Aserbaidschan keine Armenierin und kein Armenier mit von der Partie sein. „Schade, dass sie nicht kommen“, sagte dazu FIDE-Generalsekretär Emil Sutovsky auf Twitter. Aserbaidschan habe alle Sicherheitsgarantien gegeben, außerdem zeichne sich ein Friedensvertrag ab. In vergangenen Jahren hätten die Armenier in Aserbaidschan gespielt, ohne dass es zu Konflikten gekommen sei.

Der Weltranglistenelfte Sergey Karjakin hat seine Einladung der FIDE zum World Cup genutzt, um sich erst als Z-Patriot zu inszenieren und sie dann öffentlichkeitswirksam abzulehnen. Auf der Liste der Qualifizierten stand der Russe dank seiner World-Cup-Finalteilnahme 2021, die ihm einen Platz im 2023er-Wettbewerb garantierte. Da außerdem seine halbjährige Sperre abgelaufen war, hätte er mitspielen können.

Die Ethikkommission der FIDE hat Karjakin im vergangenen Jahr für ein halbes Jahr gesperrt, nachdem er unter anderem den russischen Überfall auf die Ukraine gepriesen, ukrainische Kriegsopfer verhöhnt und eine Solidaritätsadresse an Vladimir Putin gesandt hatte. Seine Sperre kommentierte Karjakin seinerzeit im Interview mit dem russischen Portal Sport Express mit drastischen Worten: “Natürlich hat sich die FIDE-Spitze mit der sechsmonatigen Sperre für mich unfair verhalten”, klagte er. “Sie haben mich wie ein Schwein behandelt. Sie haben mir meinen rechtmäßig erworbenen Platz im Kandidatenturnier weggenommen. Das ist eine Schande.”

Sergey Karjakin beim World Cup 2015, ebenfalls in Baku, den er gewann. 2016 forderte Karjakin Magnus Carlsen zum WM-Match. “Karjakin ist nützlich, um FIDE-Präsident Dvorkovich zivilisiert aussehen zu lassen”, urteilt heute Carlsen-Coach und FIDE-Kritiker Peter Heine Nielsen. | Foto: FIDE

Durch Karjakins Sperre gelangte der Chinese Ding Liren ins Kandidatenturnier, das er als Zweiter beendete. Da Magnus Carlsen seinen Weltmeistertitel nicht verteidigte, war Ding Liren damit für das WM-Match gegen den Kandidatenturniersieger Ian Nepomniachtchi qualifiziert. Daraus ging der Chinese als neuer Weltmeister und Carlsen-Nachfolger hervor.

Karjakin hat nach Ablauf seiner Sperre nur in Russland gespielt, unter anderem bei zwei hochdotierten Turnieren in Moskau. Speziell westliche Turnierausrichter haben mit ihm gebrochen. Würde er eingeladen, könnte er den FIDE-Statuten nach durchaus spielen, da im Schach seit dem Überfall auf die Ukraine die Regelung gilt, dass Russen und Weißrussen als neutrale Athleten ohne Flagge und Hymne an Einzelwettbewerben teilnehmen können. Nur russische Mannschaften sind vom Wettbewerb ausgeschlossen.

Z-Turnier in Moskau: Sergey Karjakin unter anderem mit dem Deutschen Meister (Mannschaft) Paco Vallejo (3.v.l.) und Dortmund-Dauergast Vladimir Kramnik. Anders als Karjakin werden Kateryna Lagno und Aleksandra Goryachkina (2. und 4. v.l.) am World Cup teilnehmen. “Ich war überrascht, als die FIDE diesen Spielerinnen nicht nur die Teilnahme an offiziellen FIDE-Veranstaltungen erlaubte, sondern sie sogar als Vorbilder förderte, zu denen Jugendliche aufschauen können”, schrieb jetzt Großmeisterin Irina Bulmaga in einem vielbeachteten Beitrag über die kremlfreundliche FIDE: “Schweigen, Heuchelei und Ekel“. | Foto via Peter Heine Nielsen/Twitter

Anfangs repräsentierte die Regelung im Schach eine Ausnahme im internationalen Sport, in dem die meisten Verbände Russen und Weißrussen sperrten. Ende März 2023 erließ das Internationale Olympische Komitee (IOC) eine umstrittene Empfehlung, die es aussehen ließ, als folge das IOC der FIDE: Sportlerinnen und Sportler aus Russland und Belarus, die den Krieg nicht „aktiv unterstützen“, sollten ab sofort wieder unter neutraler Flagge und unter Auflagen starten dürfen. Ob dies auch für die Olympischen Spiele 2024 gilt, ist offen und wird kontrovers debattiert.

Als Karjakin jetzt die FIDE-Einladung zum World Cup erhielt, postete er auf Telegram ein Video, in dem er betonte, nicht an Wettbewerben teilnehmen zu wollen, bei denen er weder die Flagge seines Landes sehen noch dessen Hymne hören würde. Gleichwohl befragte er sein Publikum, wie es die Angelegenheit sieht. 90 Prozent der Befragten stimmten für „Nicht spielen“, und Karjakin sagte ab. In der Folge erschienen in Russland einige Beiträge, die Karjakins „patriotisch“ gefärbte Absage priesen.

Peter Heine Nielsen.

Nicht erst seitdem Karjakin in der vergangenen Woche in einem russischen Video an der Front beim Schach mit russischen Soldaten zu sehen war, steht die Frage im Raum, warum Putins Propagandagroßmeister nicht längst wieder gesperrt ist. Carlsen-Trainer und FIDE-Kritiker Peter Heine Nielsen findet, dass Karjakin erst gar keine Bühne hätte bekommen sollen, auf der er seine World-Cup-Absage hätte inszenieren können.

Da Karjakin seit Monaten fortsetzt, wofür er 2022 gesperrt worden ist, hat Nielsen „Leute aus dem FIDE-Rat und dem FIDE-Vorstand aufgefordert, Karjakin erneut zu sanktionieren“, sagte Nielsen gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Erfolg habe er nicht gehabt, niemand habe auf seinen Vorstoß auch nur reagiert. Nielsens Aufruf an die Mitgliedsverbände der FIDE, sich für ein neuerliches Verfahren gegen Karjakin einzusetzen, fruchtete ebenfalls nicht.   

Nielsen hält es für „offensichtlich, dass es eine Entscheidung innerhalb der FIDE gibt, kein Verfahren gegen Karjakin einzuleiten, obwohl er immer wieder gegen dieselben Regeln verstößt“. Die Indifferenz gegenüber dem 33-Jährigen erklärt Nielsen so: „Karjakin ist unglaublich nützlich, wenn es darum geht, den russischen FIDE-Präsidenten Arkady Dvorkovich zivilisiert aussehen zu lassen.“ Mit Karjakins Sperre 2022 habe die FIDE den Eindruck erweckt, auf russische Propagandaumtriebe zu reagieren, obwohl sie in Wirklichkeit im internationalen Sportvergleich die geringsten Sanktionen gegen russische Spielerinnen und Spieler verhängt habe.

ECU- und FIDE-Funktionär George Mastrokoukos glaubt, dass sich die FIDE selbst bloßgestellt hat, indem sie Karjakin einlud, was Kreml-Medien die willkommene Gelegenheit gegeben habe, Karjakins Weigerung teilzunehmen als moralischen Sieg zu feiern „Das war nicht nur so abgesprochen, es war Teil von Putins Propaganda, internationale Sanktionen lächerlich zu machen.“ Dass sich kein Mitgliedsverband in dieser Angelegenheit regt, führt Mastrokokous auf das in der FIDE verbreitete System von Gefälligkeiten und Abhängigkeiten zurück. Auf Twitter schreibt er, selbst für ein kleines oder mittleres Auskommen seien im Schach viele Leute bereit, ihre Integrität zu opfern.

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Thomas Richter
Thomas Richter
10 Monate zuvor

Zu Dinara Wagner: auf welcher Grundlage hat Kevin Högy einen “Freiplatzantrag” gestellt? Ich meine nicht den sportlichen Erfolg sondern dass es diese Prozedur offenbar gar nicht gibt.
Es gibt einen Platz für “organizer nominee” (wohl eine lokale Spielerin) und – anscheinend unabhängig von nicht vorgesehenen “Freiplätzen” – zwei FIDE Presidential Nominees. Das könnten nun die beiden Spielerinnen sein, die als Außenseiterinnen Damenturniere gewonnen haben – nach Dinara Wagner auch Anna Zatonskih beim Cairns Cup. Dvorkovich kann sich aber auch anders entscheiden. Beim letzten Weltcup wurden zwei unbekannte und vergleichsweise schwache Afrikanerinnen (aus Algerien und Südafrika) von ihm “eingeladen”.

Julius
Julius
10 Monate zuvor

Ist Karjakin nicht schon für das Kandidatenturnier qualifiziert, so wie letztes mal Radjabov ?
Da ist es dann natürlich einfach abzusagen.

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Jindrich Goldbaum
Jindrich Goldbaum
6 Monate zuvor

Dass man diesen Karjakin wieder mitspielen lässt, ist eine Schande für die Schachwelt und für den gesamten Sport. Er verherrlicht öffentlich das faschistische Putin-Regime und nach einem halben Jahr tut man so, als ob nichts gewesen wäre. Schande, Schande, Schande.

Ludger Keitlinghaus
Ludger Keitlinghaus
10 Monate zuvor

Ich glaube nicht, dass die FIDE politisch werden sollte,
sie hat per ihrem “Gens Una Sumus” die Aufgabe sich politisch bestmöglich heraus zu halten.Hier gilt es insbesondere auch die sog. integrative Kraft der Demokratie zu wahren, einlandend, nicht aufzwingend.
Oder einfach sozusagen die Schweinehaftigkeit des Schachspiels. [1]

MFG
LK (der “besondere Spezialoperationen meinend” nicht gut findet, wie klar sein könnte)

[1]
Es geht da schon “jeder gegen jeden” und so ganz nett ist das Schachspiel i.p. Bemessenheit im Erfolg ja auch nicht.