“Wir verlieren eine Menge Geld. Noch.” – Magnus’ Tourdirektor Arne Horvei im Interview

Ich musste erst einmal googeln, was die Schacholympiade ist”, sagt Arne Horvei über seinen Einstieg in die Schachszene. Beinahe zehn Jahre ist das her, Horvei war Angestellter bei einer Kommunikationsagentur, die die Schacholympiade nach Norwegen holen sollte. “In der Folge habe ich mit Magnus Carlsens Manager Espen Agdestein an manchem Projekt gearbeitet.”

Vor sechs Jahren wechselte Horvei vollständig ins Team Magnus: Management des Champions, Entwicklung der Play-Magnus-Gruppe, ihrer Produkte und diverser Veranstaltungen. Jetzt ist der Marketing- und Kommunikationsfachmann Arne Horvei Direktor der Champions Chess Tour, des Flagschiffs der Firmengruppe seines Chefs.

Das folgende Gespräch mit Arne Horvei entstammt einer vom Schreiber dieser Zeilen moderierten Session der ChessTech2020, an der manch anderer der Zukunft zugewandter Schachfreund teilgenommen hat, aus Deutschland zum Beispiel Berlins Schach-Vizepräsident Paul Meyer-Dunker. Wir haben das Gesprochene im Sinne eines roten Fadens sortiert und in Interviewform neu aufbereitet.

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Champions-Chess-Tour-Turnierdirektor Arne Horvei (r.) mit seinem Chef Magnus Carlsen (M.) und der einstigen Play-Magnus-Geschäftsführerin (bis 2019) Kate Murphy. | Foto: Play Magnus

Arne, Schach-Marketing, ein dankbarer Job?

Schach wird von Millionen Menschen gespielt, es steckt voller positiver Elemente: kritisches Denken, Problemlösung, seine segensreiche Wirkung auf Kinder, der kulturelle und künstlerische Aspekt. Außerdem all die Persönlichkeiten. Damit lässt sich arbeiten. Trotzdem hat es unser Spiel über viele Jahrzehnte hinweg nicht vollbracht, sich zu kommerzialisieren.

Wie kommt das?

Ein gewisses Verständnis habe ich dafür: Wenn man jahrelang eine Sache auf die immer gleiche Weise gemacht hat, dann ist es enorm schwierig, dazu auf Abstand zu gehen, die Sache objektiv zu betrachten und sich zu fragen: Was tue ich hier eigentlich? Wo ist Innovationsbedarf? Wie kann ich mein Produkt verbessern, um es für neues Publikum und Sponsoren attraktiv zu machen? Wie kann ich die Gemeinschaft um mich herum erweitern und stärker an mich binden? Solche Fragen müssen aber gestellt werden, und die Antworten liefern die Basis, um besser zu werden.

Wenn du über Schach und seine Chancen sprichst, wen sprichst du an?

Föderationen, Ligen, Unternehmen und die großen Turniere müssen die Führung übernehmen. Aber im Prinzip sehe ich jeden auf seinem Level im Rahmen seiner Möglichkeiten aufgefordert. Wer einen kleinen Schritt nach dem anderen macht, der kommt voran.

Als Turnierdirektor der Champions Chess Tour beackerst du das Online-Feld. Schach, ein eSport?

Schach hat alle Elemente, um digital viel populärer zu werden, und es ist wichtig, dass es all das nutzt und auf dem aufbaut, was eSport groß gemacht hat. Zugleich ist Schach viel mehr als ein eSport. Geschichte, Kunst, Kultur, das geht weit darüber hinaus, was sich in einen eSport-Rahmen pressen ließe.

Die Tour ist ein neues Produkt. Wo liegt zu Beginn euer Fokus?

Unmittelbar ist für uns wichtig, dass das Publikum der Champions Chess Tour wächst. Wir wollen die existente Schachszene erreichen und uns zugleich eine ganz neue Zielgruppe erschließen: die, die kein hohes Rating haben, keine Theorie kennen, Leute, die den mentalen Wettkampf in all seiner Intensität aufregend finden. Diesen Leuten wollen wir einen Zugang geben, ihnen aufzeigen, was passiert, obwohl sie nicht viel mehr wissen als die Regeln.

Darum bekommen diese Leute eine Extra-Show, in der die Einstiegshürde so niedrig wie möglich liegt.

Was Peter Leko und Tania Sachdev in ihrer Show für Vereinsspieler erzählen, sind böhmische Dörfer für Anfänger und Neulinge. Andererseits ist für Vereinsspieler viel zu grundsätzlich, was David Howell und Jovanka Houska machen, fast ohne Fachsprache und Varianten. Darum gibt es mehrere Shows. David und Jovanka machen übrigens einen großartigen Job, die Sprache zu vereinfachen.

Keine einfache Aufgabe wahrscheinlich.

Ich ahne, wie schwierig das für die beiden ist, die ja jahrelang untereinander Schach gesprochen haben. David und Jovanka vermeiden zum Beispiel, die Felder beim Namen zu nennen. Oder „Königsflügel“ und „Damenflügel“ zu sagen. Der Bauer e2 heißt bei uns „Der Bauer vor dem weißen König“, das ist das Level, auf dem wir anfangen.

“Machen einen großartigen Job”: David Howell (l.) und Jovanka Houska (M.).

Anfangen?

Nach und nach werden wir ein wenig anziehen, den Menschen aufzeigen und ihr Interesse dafür wecken, dass da noch viel mehr ist. Was bedeutet Mittelspiel? Warum heißt Grünfeld-Indisch Grünfeld-Indisch, welche Geschichte steckt dahinter? Zugleich wollen wir die Sprache aber stets auf einem Level halten, der für alle zugänglich ist.

Ihr habt Übertragungsrechte an Eurosport veräußert, wahrscheinlich ein wesentlicher Teil eures Plans, Geld mit der Champions Chess Tour zu verdienen.

Medienrechte sind ein zentrales Element hinsichtlich der Umsätze der Tour, sie bringen Geld. Aber wir sind weit davon entfernt, schon in dieser ersten Serie Geld zu verdienen. Tatsächlich verlieren wir mit der Champions Chess Tour eine Menge Geld, wir sehen sie als langfristiges Investment. In der Zukunft werden die Medienrechte noch mehr ein Schlüsselelement sein. Wir sind überzeugt, dass Schach als Unterhaltungsprogramm, wie wir es präsentieren, für internationale wie nationale Sender immer interessanter wird. Wir sehen es ja in Norwegen. Dort ist Schach Teil des TV-Programms für den Mainstream.

Nur dort.

Darum orientieren wir uns bei unserer internationalen Arbeit am norwegischen Modell. Wir wissen ja von dort, dass es funktioniert. Wir haben Erfahrung damit, erfolgreich eine neue Zielgruppe von Anfängern und Newcomern mit hochwertigen Produktionen anzusprechen – Produktionen, die an Übertragungen anderer Sportarten orientiert sind, die das Drama, die Intensität und die Geschichten transportieren, ohne sich in Fachsprache zu verlieren.

Siehst du in deiner Glaskugel anderswo als in Norwegen nationale TV-Schach-Produktionen?

Wenn nationalen TV-Sendern auffällt, dass Schach im TV funktioniert, werden sie versuchen, eigene Programme um ihre Spitzenspieler aufzubauen. Dann stehen wir mit unserer Erfahrung aus der Champions Chess Tour bereit zu helfen.

Ihr könnt nicht endlos in die Champions Chess Tour und ins Wachstum der Play-Magnus-Gruppe investieren, irgendwann muss profitabel sein, was ihr tut. Welchen Zeitrahmen habt ihr euch gesteckt?

„Profitabel“ lässt sich unterschiedlich definieren. Profitabel als Tour? Als Gruppe? Für den Moment wollen wir erstmal wachsen und immer mehr Leute mit unseren Produkten erreichen. In zwei, drei Jahren erwarten wir als Gruppe schwarze Zahlen.

“Böhmische Dörfer für Neulinge”: Peter Leko analysiert in der Show für Vereinsspieler.

Verstehen Schachgroßmeister Mainstream-Schach-TV?

Jedenfalls müssen sie an Bord sein, dem Publikum greifbar erscheinen. Das ist in der Tat einfacher gesagt als getan. Schachspieler sind es gewohnt, zum Turnier zu reisen, zu spielen, abzureisen. Damit sind sie aufgewachsen. Jetzt müssen sie umlernen und verstehen, dass es fürs Spiel, aber auch für die Spieler als individuelle Marken wichtig ist, einen Teil ihrer Zeit für die Kommunikation mit dem Publikum einzusetzen. Das gilt auch und im Besonderen für die Zeit direkt nach der Partie, auch und im Besonderen nach verlorenen Partien. Die Stimme des Spielers, der noch unter dem Eindruck des Geschehenen steht, ist essenziell wichtig, um das Drama auf dem Brett fürs Publikum aufzubereiten.

Die meisten der besten deutschen Großmeister glauben, dass ihr Job allein darin besteht, Schach zu spielen. Und so weit, wie du verlangst, sind noch nicht einmal die Elitespieler. WM-Kandidat Ian Nepomniachtchi hat unlängst getweetet, Spieler sollten nach Niederlangen nicht interviewt werden.

Es gibt nichts mental Härteres, als beim Schach zu verlieren. In anderen Sportarten kannst du es auf den Schiedsrichter schieben, aufs Wetter, auf die Mitspieler. Im Schach bist du selbst schuld, keine Ausreden. Darüber zu sprechen, dass dein Gehirn seinen Job nicht erledigt hat, ist schwierig. Zumal in einer Sprache, die beim allgemeinen Publikum ankommt. Ich verstehe das. Aber wir können die Enttäuschung des Verlierers nicht verstecken. Interesse am Schach generieren wir außerhalb der Schachblase nur, wenn die Menschen etwas für die Spieler empfinden. Die Fans brauchen Spieler, zu denen sie halten, und solche, die sie als Widersacher ihrer Lieblinge sehen, die „bad guys“. Nur wenn das Schach Geschichten erzählt und Emotionen weckt, wächst das Interesse des Publikums.

Schult Ihr die Spieler?

Schon. Sie sind es ja gewohnt, unter ihresgleichen in Varianten zu sprechen. Nun sollen sie dem Journalisten und seinem breiten Publikum allgemeinverständlich erklären, was gut oder schlecht gelaufen ist, wie sich die Partie angefühlt hat und so weiter. Das müssen sie lernen. Der Beste der Welt darin ist übrigens Magnus Carlsen, weil er es mehr als jeder andere gewohnt ist, mit Mainstream-Medien zu reden. Magnus kann erst dem TV fürs TV-Publikum erzählen, wie die Partie für ihn als fühlenden Menschen war, und direkt danach mit dem Schachreporter in die Analyse abtauchen. Er versteht genau, mit wem und vor welchem Publikum er redet.

Wir fangen gerade erst an, trotzdem: Hat die Vermarktung des Schachs Grenzen? Sollten wir irgendwo rote Linien ziehen?

Die Spieler müssen ihre Partien unter idealen Umständen spielen können, in der Umgebung, die sie als Spitzensportler verdienen. Sobald diese Umgebung beeinträchtigt würde, sähe ich den Punkt gekommen, an dem ich eine rote Linie ziehen würde. Was drumherum passiert und wie wir das gestalten, ist nur von den Grenzen unserer Fantasie beschränkt.

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Stefan Meyer
Stefan Meyer
3 Jahre zuvor

Tolle und interessante Einsichten in die Play-Magnus-Gruppe! “Ich musste erst einmal googeln, was die Schacholympiade ist…” Das ist typisch. Häufig braucht es Impulse von außen, damit verkrustete Strukturen aufgebrochen werden können. “Trotzdem hat es unser Spiel über viele Jahrzehnte hinweg nicht vollbracht, sich zu kommerzialisieren.” Bei dem Reizwort Kommerzialisierung kann ich förmlich die ganzen Aufschreie schon hören (Erfahrung aus den Kommentaren zu früheren Beiträgen). Deswegen sollte hierzu angemerkt werden, dass eine Kommerzialisierung lediglich den ganz kleinen Bereich der absoluten Leistungsspitze betreffen würde und kaum den allgemeinen Amateurbereich. Trotzdem könnte das Breitenschach ungemein davon profitieren – allein schon durch das gestiegene… Weiterlesen »

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[…] etwa hat aus diesem Grund zwei Sendungen ersonnen, wie er unlängst im Gespräch mit dieser Seite erklärte: eine Sendung fürs breite TV-Publikum, Schach als Mensch ärgere dich nicht, und eine für Meister […]

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[…] Mit seinem eigenen Genre macht der analog geprägte Stock vor, wie sich mit nur einem Beitrag eine Herausforderung der digitalen Zeit meistern lässt: der Spagat zwischen allgemeinem und Fachpublikum. Schachsender brauchen dafür zwei Streams, wenn nicht mehr, wie unlängst Carlsens Tourdirektor Arne Horvei im Gespräch mit dieser Seite ausgeführt hat. […]