“Das deutsche Schach ist nicht nur Vincent”: Bundestrainer Jan Gustafsson

Genugtuung einerseits, Enttäuschung andererseits. Der zweite Platz der Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft, hauchdünn hinter Serbien, bereitet Jan Gustafsson auch Wochen später noch gemischte Gefühle. Aber sein Blick geht schon nach vorne. Neun Monate bis zur nächsten Herausforderung für den Bundestrainer und seinen Deutschlandvierer: Bei der Schacholympiade 2024 im Konzert aller großen Schachnationen zu glänzen, wäre eine der wichtigsten Herausforderungen, die das kommende Jahr mit sich bringt.

Jan Gustafsson (rechts) und seine Nationalspieler mit dem EM-Pokal, der “nur” ein silberner war.

Noch ist nicht beschlossen, dass der 44-Jährige seine Garde der Hochbegabten 2024 erneut ins Gefecht führt. Gustafssons Vertrag als Bundestrainer beim Deutschen Schachbund läuft im Februar aus. “Wir werden bei Gelegenheit reden, ob es weitergeht”, sagt Gustafsson, der nicht verheimlicht, dass er nicht nur Coach, auch Fan seiner Mannschaft ist. Als solcher hält er sich öffentlich allerdings zurück, “um nicht die Grenze zwischen Bundestrainer und Fan zu verwischen”.

Im Interview spricht Gustafsson über seine Nationalspieler, wie er sie einschätzt und welche Rätsel sie ihm aufgeben, über den Endspurt ins Kandidatenturnier, an dem sich Vincent Keymer nicht beteiligen wollte, Alireza Firouzja umso mehr, und über seine gelegentliche Sorge, zu viele Hüte zu tragen.

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Jan, direkt nach dem zweiten Platz bei der Europameisterschaft hast du gesagt, du seist in erster Linie enttäuscht, dass ihr nicht gewonnen habt. Wie sieht es aus der Distanz aus? Überwiegt jetzt die Freude über ein starkes Turnier?

Ich spüre beides, die Genugtuung über die Leistung, auch die Enttäuschung, dass diese Leistung nicht mit Gold belohnt worden ist. 15:3 Punkte, da kann man nicht meckern. Die Mannschaft hat das super gemacht, ich bin absolut zufrieden. Aber wenn du so nahe dran bist, willst du natürlich gewinnen.

Ziehst du Lehren aus dem Turnier? Wenn morgen wieder EM wäre, würdest du etwas anders machen?

Im Nachhinein findest du immer 1000 Sachen, die du ein bisschen besser machen kannst. Aber nichts Wesentliches, am Ergebnis gibt es ja nichts auszusetzen aus meiner Perspektive. Beim nächsten Mal wäre wichtig, dass wir versuchen, nicht alle krank zu werden. Darauf habe ich leider nur begrenzt Einfluss.

Mehr Vitamine für die Nationalspieler!

Ja, vielleicht. Unter den Umständen bei der EM ließen sich Krankheiten kaum vermeiden: draußen regnerisches Wetter, drinnen 200 Leute in einen Saal gepfercht, einige von denen schon krank. Dass es dann jeden von uns erwischt hat, war problematisch. Andererseits hat es die Aufstellung leichter gemacht. Wer halbwegs einsatzfähig war, spielte.

Bundestrainer im Schach sei dem Zeitaufwand nach wahrscheinlich etwa eine Fünftel- bis Viertel-Stelle, hast du zu Beginn deines Engagements gesagt. Hat sich das bestätigt?

Schwierig zu berechnen, aber es kommt ungefähr hin. Direkt vor einem Wettbewerb wie der EM liegt der volle Fokus darauf, währenddessen sowieso. Abseits solcher Turniere will ich allen Spielern helfen, noch besser im Schach zu werden. Wir halten Kontakt, schließen uns gelegentlich kurz, versuchen mal hier, mal da, eine Begegnung zu arrangieren. Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich das noch intensivieren sollte. Es könnte die Spieler auch nerven, wenn ständig der Bundestrainer anruft und fragt, was das Schwarzrepertoire macht.

Ist dein Job befristet?

Auf ein Jahr, bis Februar. Wir werden bei Gelegenheit reden, ob und wie es weitergeht.

Als Zuschauer von „Janistan TV“ nehme ich wahr, dass du nicht nur Coach der Mannschaft bist, auch deren Fan.

Deswegen fand ich die Gelegenheit, Bundestrainer zu werden, so spannend. Ich wüsste nicht, wann wir in Deutschland zuletzt so eine Generation hatten, mit der wir wirklich etwas reißen können, und da meine ich alle, nicht nur Vincent. Aber ich halte mich öffentlich als Fan eigentlich zurück. Ich möchte nicht zu sehr die Grenze verwischen zwischen einerseits Fanboy, andererseits Bundestrainer, der Leute aufstellt oder eben nicht.

Janistan TV: Der Bundestrainer zieht Bilanz.

Aufstellen ist doch nicht so problematisch? Die ersten vier werden eh nach Elo aufgestellt, und du hast diese sechs Spieler als Fundus, aus dem du auf Jahre hinaus schöpfst.

Wahrscheinlich, aber wer weiß? Schau dir Dennis Wagner an, der hat zuletzt gut gespielt, das Masters gewonnen. Dennis ist nicht weit entfernt, und von meiner Seite aus ist die Tür offen. Unser jetziges Sextett sehe ich jedenfalls als Einheit, zu der auch derjenige gehört, der nicht spielt. Deshalb war es mir ein Anliegen, dass Frederik mit zur EM fährt. Für ihn sollte das ein Zeichen sein, er gehört dazu, außerdem eine Gelegenheit, EM-Atmosphäre zu schnuppern. Und ich war mir sicher, dass er als Sekundant und Zuarbeiter eine wichtige Hilfe sein wird.

Wie weit guckst du über den Tellerrand deines Sextetts und der Wagners und Huschenbeths dahinter? Während wir jetzt über eine selten hoffnungsvolle Generation sprechen, steht die nächste ja schon in den Startlöchern. Deuer, Costa, Glöckler, Besou, ich könnte noch ein paar andere nennen. Hast du auf die auch ein Auge?

Am Rande, als Schachfan. Ich registriere, wenn jemand gute Ergebnisse hat, Medaillen gewinnt oder in der U12-Weltrangliste oben anklopft. Aber das bedeutet nicht, dass ich mir Gedanken mache, welchen dieser Jungs wir in ein paar Jahren in die Nationalmannschaft einbauen könnten. Mein Fokus liegt auf dem Hier und Jetzt. Fürs deutsche Schach ist es toll, dass große Talente nachkommen. Aber für detaillierte Einschätzungen des Nachwuchses bin ich der falsche Ansprechpartner.

Hussain Besou, seinerzeit elf Jahre jung, führt seinen ersten Zug als Nationalspieler aus – beim Mitropa-Cup, wo traditionell eine Nachwuchsmannschaft für Deutschland spielt. Noch macht sich Bundestrainer Jan Gustafsson keine Gedanken darüber, ob und wann er Besou, Glöckler und Co. in die “richtige” Nationalmannschaft einbaut.

Sprechen wir über die sechs aus dem Hier und Jetzt. Als vor einiger Zeit klar wurde, dass auch Frederik sehr stark wird, dachte ich „Super fürs deutsche Schach, ein zweiter Rasmus“. Die Erkenntnis, dass es sich bei Frederik um einen ganz anderen Spieler handelt, ist nur langsam eingesickert. Wie kann das passieren: im selben Haus aufgewachsen, dasselbe Umfeld, derselbe Trainer, und dann kommen zwei ganz unterschiedliche Spielertypen heraus?

Stimmt, grundverschieden, im Stil und in der Herangehensweise. Sie arbeiten auch nicht besonders viel zusammen. Wie das kommt, Nature vs. Nurture, mir fehlt die Weisheit, so etwas zu beantworten. Ich weiß es nicht.

Vielleicht hat der erste Svane-Coach Sergej Salov mit dem einen Bruder vor allem Tals Attacken studiert, mit dem anderen vor allem Capablancas Endspiele? | Foto: privat

Matthias steht nach Elo etwa da, wo er vor ein paar Jahren schon war, aber mein Eindruck ist, dass er als Schachspieler kompletter geworden ist, universeller.

Nach Elo ist da noch ein Sprung drin. Matthias hat diese Fähigkeit, sehr starke Leute zu überspielen. Er muss nicht aus der Eröffnung gewinnen, er braucht nur eine Stellung, und dann kann er gegen fast jeden Druck machen und gewinnen. Bei der EM war er mit zwei Schwarzsiegen ein Riesenfaktor für unser gutes Ergebnis.  Sicher ist er ein Riesentalent, was nach meinem Eindruck manchmal ein wenig untergeht. Ich habe Matthias jetzt noch besser kennengelernt und weiß, dass er ein besonderer Spieler ist. Vielleicht kann ich ein wenig helfen, dass ihm noch ein Sprung gelingt. Da ist mehr drin.  

Weiß Dmitrij, wie gut er ist?

Dmitrij ist bestimmt der freundlichste Mensch der Welt. In seinem Schach äußert sich das gar nicht einmal, am Brett ist er schon sehr aggressiv. Aber, ja, vielleicht glaubt er nicht immer daran, dass er wirklich so gut ist. Vor Dmitrijs Werdegang habe ich jedenfalls großen Respekt. Er hatte weniger Hilfe, weniger Schachumfeld als viele andere und hat sich trotzdem bis auf 2650 hochgearbeitet, eine beeindruckende Leistung. Auch bei ihm glaube ich: Es ist noch mehr drin.

“Großen Respekt vor seinem Werdegang”: Dmitrij Kollars.

Woher kommen die Schwankungen bei Alexander?

Daraus werde ich auch nicht schlau. Hoch auf fast 2700, dann runter auf 2600, dann wieder hoch. Sicher diagnostizieren kann ich bei Alexander nur das Riesenpotenzial. Guck dir diese Ergebnisse an: die französische Liga aufgemischt, in Wijk durch das B-Turnier marschiert. Wenn es bei Alexander läuft, ist er kaum zu stoppen. Ich kenne nicht viele Leute, die erst auf absolutem Top-Niveau spielen, dann plötzlich abfallen und wenig später wieder da sind. „Muss stabiler werden“ wäre mir als Antwort zu simpel, er macht das ja nicht absichtlich, wenn die Kurve nach unten zeigt. Wahrscheinlich hat es auch damit zu tun, dass es bei ihm keine Kompromisse gibt. Ich verstehe Alexander nicht vollständig, aber bestimmt gut genug, um zu sagen, dass sich auch an ihm aufzeigen lässt, dass das deutsche Schach nicht nur aus Vincent besteht. Dahinter kommen viele außergewöhnliche Spieler.

Alexander spielt im Januar das „Tata Steel Chess“. Deine Prognose?

Drei Wochen Kälte, Wind und Regen in Wijk an Zee ist nicht jedermanns Sache. Wenn es schlecht läuft, kann das ein sehr langes Turnier werden. Aber ich glaube, Alex fühlt sich da recht wohl. Hoffen wir, dass er für dieses Turnier wieder einen Upswing erwischt, nachdem das Grand Swiss nicht so gut war. Schachlich kann er absolut mitspielen. Viel hängt bei solchen Wettbewerben vom Start ab. Kann ja passieren, dass du zum Anfang zweimal gegen Top-Leute verlierst, es regnet, es ist kalt, und dann hast du am dritten Tag Schwarz gegen Caruana. Schwierig. Andererseits: Wenn es von Beginn an läuft, kann das gerade bei jemandem, der so kompromisslos spielt wie Alex, ein Riesenturnier werden. Ich bin sehr gespannt.

Am 13. Januar beginnt das Superturnier in Wijk an Zee. Alexander Donchenko ist Teil des Weltklassefelds in der A-Gruppe.

Über Vincent hast du 2022 in Chennai ganz lakonisch gesagt, er sei nun einmal ziemlich gut im Schach. Das gilt wahrscheinlich mehr denn je.

Vincent war für mich immer Teil der Gruppe der kommenden Superstars des Schachs. Das hat sich nicht geändert. 

“Kommender Superstar des Schachs”: Der Bundestrainer und seine Nummer eins. | Foto: Paul Meyer-Dunker/DSB

Vincent hatte eine kleine Chance, sich per Rating für das Kandidatenturnier zu qualifizieren. Den dafür notwendigen Wettkampf, den er im Dezember noch hätte spielen müssen, hätte ihm sein Unterstützerkreis organisiert. Aber anders als Parham Maghsoodloo, der nach Indien gefahren ist, hat Vincent entschieden, es nicht zu versuchen. Hat er dich dazu konsultiert?

Auf diese Entscheidung hatte ich keinen Einfluss.

Hast du eine Meinung dazu?

Ich sehe zwei Lager unter den Topspielern. Die einen spielen ihren Turnierplan herunter, wie sie ihn geplant hatten, und dann sollen die Würfel fallen, wie sie fallen. Die anderen sagen, ich versuche jetzt nochmal alles, um jede Chance zu nutzen. Das sind persönliche Entscheidungen. Ich würde Vincent eher nicht raten, Ende Dezember noch ein Match gegen mich zu spielen, selbst wenn er damit im Idealfall noch das Kandidatenturnier erreichen könnte.

Gustafssons Angebot an die Kandidaten-Kandidaten, noch kurzfristig ein Match gegen einen alten, schwachen 2618-Großmeister zu spielen, war nicht ganz ernst gemeint.

Was hältst du von Alireza Firouzjas kurzfristiger Serie von Mini-Matches gegen klar schlechtere Gegner?

Das ist schon etwas anderes als das Turnier in Indien. Legitim ist es wahrscheinlich trotzdem. Aber ich kann mir vorstellen, dass Alireza damit sein Image beschädigt, insofern weiß ich nicht, ob es schlau war, diese Matches zu spielen, nur weil die Regeln sie zulassen. Es sieht schon komisch aus, und naturgemäß brodelt drumherum die Gerüchteküche. Ich bin eher im Lager derjenigen, die sagen, spielt eure regulären Turniere, und am Ende qualifizieren sich die Besten. Andererseits finde ich es schwierig, daraus einen Vorwurf zu konstruieren, dass jemand alles versucht, was möglich und legitim ist.  

Gibt es noch eine schachliche Zusammenarbeit zwischen dir und Magnus Carlsen?

Das war immer nur für WM-Matches. Die spielt er jetzt nicht mehr.

Ihr wart einander auch geschäftlich verbunden, du als Mitgründer von chess24, Magnus als Gesicht der Play-Magnus-Gruppe, die 2019 chess24 übernommen hat. Vor einigen Tagen hat chess.com das Aus von chess24 verkündet. Ein trauriger Tag für dich?

Chess24 war ein langer Prozess. Mental bin ich da schon lange raus. Natürlich war es ein wenig traurig, diese Nachricht zu lesen, aber besonders berührt hat es mich nicht. Diese Zeit ist vorbei.

Wir haben schon über den Bundestrainer, den Sekundanten, den Streamer Jan Gustafsson gesprochen. Wenn dich jemand fragt, was du beruflich machst, was sagst du?

Genau definieren kann ich es nicht. Ich frage mich stattdessen, ob es ein Problem ist, dass ich zu viele Hüte aufhabe. Hier ist noch einer: Autor. Gerade arbeite ich an einem 1.e4-Chessable-Kurs…

…1.e4? Aber du bist d4-Spieler?

Wer ambitioniert Schach spielt, sollte beide Züge können. Im Sinne von „ambitioniert“ bin ich ja eigentlich gar kein Spieler mehr. Wenn ich Schach arbeite, dann eher für andere, und da habe ich zuletzt einige interessante 1.e4-Ideen entdeckt, aus denen ich jetzt einen Kurs mache. Aber ich möchte zurück zu den Hüten, weil das etwas ist, das sich für mich anfühlt, als müsste ich das klären. Irgendwie bin ich immer beschäftigt, aber ich weiß gar nicht genau, was ich eigentlich mache.

Deine Hüte passen dir doch. Du tust, was du magst und worin du sehr gut bist. Wo ist das Problem?

Hm, ja, meine kleine innere Unzufriedenheit mag einfach in meinem Wesen begründet sein. Ich mag die Schachwelt, bewege mich gern in ihr, und wenn es dort etwas für mich zu tun gibt, freut mich das.

Den Hut Spieler hast du nicht vollständig abgelegt. Als Bundesligaspieler bist du von Baden-Baden nach Deizisau gewechselt. Was steckt dahinter?

Zu alt, zu schwach. (Lacht) Nein, auch wegen meiner vielen Hüte habe ich für Baden-Baden nicht viel gespielt. Ich war zwar nicht zwingend Teil der Stammbesetzung, aber es war für die Baden-Badener auch nicht so leicht, mit mir zu planen. Bei Deizisau ist das ein bisschen entspannter. Ich kann spielen, wenn ich möchte. Und ich persönlich möchte durchaus weiter Bundesliga spielen, vielleicht nicht ganz so regelmäßig, aber wenn, dann will ich auch vernünftige Leistungen abliefern.

“Will in der Bundesliga vernünftige Leistungen abliefern” – dieses war eine: Jan Gustafssons Glanzsieg über Spartak Grigorian im Match Baden-Baden vs. Werder Bremen.

Bleibt das Thailand-Open das einzige Einzelturnier, an dem du regelmäßig teilnimmst?

2024, mal gucken. Das letzte Mal lief nicht so gut, da habe ich um die 25 Elo verloren. Aber eigentlich, wenn es stattfindet, bin ich dabei. Im April soll es wieder so weit sein. Vorher muss ich unbedingt ein wenig Taktiktraining machen.

Der fünfte Hut wäre der des Influencers. Hier kam neulich eine E-Mail an, darin stand, du seist jetzt Teil des „Creator Rosters“ der Esport- und Gaming-Agentur „Build a Rocket“.

Vorher war ich bei einer anderen Agentur, ganz neu ist das nicht. Um richtig Influencer zu sein, müsste ich eigentlich mehr Präsenz zeigen auf Twitch, YouTube und in den Sozialen Medien, was bei mir eher auf Sparflamme läuft. Ich werde ja nur aktiv, wenn ich mal ein paar Tage in Hamburg bin und nichts anderes zu tun habe. Im Prinzip gehört die Partnerschaft mit einer Agentur zum Twitch-Game. In meinem Fall war das jetzt keine gigantische finanzielle Entscheidung, aber eine, die dazu führt, dass Leute, die mit mir kooperieren wollen, einen Ansprechpartner haben.

Sowas bräuchten deine sechs Nationalspieler auch. Wäre deine Website von vor 15 Jahren mit ihrem kleinen Blog noch online, sie wäre besser als die heutige von Vincent Keymer. Ist die Selbstvermarktung der Spieler nicht auch etwas, wo unser medienaffiner Bundestrainer eingreifen könnte oder sogar sollte?

Da bin ich zwiegespalten. In der Sache, ja, da sehe ich Defizite. Aber soll ich als Bundestrainer wirklich die Spieler in meine Quatsch-Social-Media-Streamingwelt drängen? Ich will ja vor allem, dass sie sich auf Schach konzentrieren und besser werden. Andererseits: Wenn du als Schachspieler Geld verdienen willst, ist es gut, wenn Turnierveranstalter oder Ausrichter von Simultanveranstaltungen dich wahrnehmen und leicht erreichen können. Da muss jeder Schachprofi für sich die richtige Balance finden. Ich sehe auch, dass die Mannschaft, die wir jetzt haben, sich eher auf der anonymen Seite bewegt und damit nicht viel zu tun haben will. Vincent ist ein etwas anderer Fall, nicht nur, weil er sich, glaube ich, ein wenig mehr als die anderen für solche Themen interessiert. Er wird bald sportlich so groß sein, er wird Leute haben, die sich darum kümmern.  

2024 steht vor der Tür. Welche Fixpunkte im kommenden Jahr siehst du, was sind deine Pläne?

Dieses Jahr war so voll, zum Planen des nächsten bin ich noch nicht gekommen. Ich muss mit dem Schachbund reden, ob ich Bundestrainer bleibe. Wenn ja, dann wird die Schacholympiade 2024 ein Highlight. Da haben wir 2022 eher nicht brilliert. Es diesmal besser zu machen, wäre ein großes Ziel. Abseits davon muss ich mal schauen. Sekundantenarbeit, Streaminggeschichten, mein Chessable-Kurs. Und, wichtig, ich brauche Urlaub! Den deutschen Winter mag ich nicht, deswegen werde ich versuchen, im Januar irgendwohin zu fahren und über die Zukunft nachzudenken.

(Titelfoto: Paul Meyer-Dunker/DSB)

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Olaf Steffens
4 Monate zuvor

Tolles Interview, spannende Punkte. Danke dafür an Jan, und an die Perlen!

ebayer
ebayer
4 Monate zuvor

Jan ist so ein kluger Kopf, ein starker Bundesliga-Schachspieler, Vater, Streamer, Bundestrainer, Unternehmer… ich habe massiv Respekt vor dem Hutmacher…..schön, dass es solche Menschen gibt!

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[…] “Das deutsche Schach ist nicht nur Vincent”: Bundestrainer Jan GustafssonBundestrainer Jan Gustafsson im Interview unter anderem zum EM-Silber der Nationalmannschaft. […]