Spielergewerkschaft ACP am Ende

Die „Schachprofi-Gewerkschaft“ ACP hat sich 20 Jahre nach ihrer Gründung aufgelöst, fast unbemerkt von der internationalen Schachszene und ohne, dass ihr jemand öffentlich nachgetrauert hätte. Nach der letzten Mitteilung der „Association of Chess Professionals“ haben sich in den vergangenen Jahren immer weniger Leute gefunden, die bereit waren, sich für die Belange von Profis und rund ums professionelle Schach arbeitenden Menschen einzusetzen.

Zuletzt wollten nur noch zwei Mitglieder im Vorstand mitarbeiten statt der von der Satzung geforderten elf. So kam es zur letzten Abstimmung, der über die Auflösung, an der sich sieben Mitglieder beteiligten. Drei stimmten gegen die Auflösung, vier dafür.

Opfer des eigenen Erfolgs? GM Alex Colovic, Vorsitzender der laut eigenem Beschluss aufzulösenden ACP. | Foto: John Saunders/Gibraltar Chess

Die stark gestiegene Nachfrage nach Unterricht und Training sei der Hauptgrund für das zurückgegangene Engagement, erklärte der letzte ACP-Vorsitzende Alex Colovic der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Printausgabe). Die meisten Profis seien ausgelastet und verdienten besser denn je, sagte der mazedonische Großmeister, der als Grund für fehlendes Engagement außerdem die im Schach besonders ausgeprägte Mentalität des stillen Einzelkämpfers aufführte.

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Auch die gestiegenen Möglichkeiten, online Preisgelder zu gewinnen, mögen eine Rolle spielen. Zum Beispiel bietet die mit 2,5 Millionen Dollar dotierte „Champions Chess Tour“ auf chess.com, die allen GM offensteht, etwa den gleichen Preisfond wie das bestdotierte Turnier der FIDE am Brett, der World Cup. Solche Einnahmequellen für professionelle Schachspieler gibt es erst seit den 2020er-Jahren.

Colovic erklärt überdies, dass die ACP zum Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden ist. Viele ihrer zentralen Forderungen seien mittlerweile erfüllt, was auch eine Folge des Wechsels des ehemaligen ACP-Vorsitzenden Emil Sutovsky zur FIDE ist. Sutovsky organisierte 2018 den Wahlkampf des angehenden FIDE-Präsidenten Arkady Dvorkovich. Nach dessen Wahl wurde Sutovsky sein Generaldirektor – und trat als ACP-Chef zurück. 2019 wurde Colovic gewählt.

Früher Schachgewerkschaftsvorsitzender, jetzt Schachboss: FIDE-Generalsekretär Emil Sutovsky. | Foto: Anna Shtourman/FIDE

Unter dem in der öffentlichen Wahrnehmung umstrittenen Sutovsky hat die FIDE die Zahl der Wettbewerbe für Frauen und die damit verbundenen Preisgelder angehoben. Der WM-Zyklus steht nicht länger ausschließlich dem kleinen Kreis der Elitegroßmeister offen, und in materielle Not geratene Profis im Rentenalter können vom Weltverband Zuwendungen bekommen – klassische Forderungen einer Schachspielergewerkschaft, die nun weitgehend erfüllt sind.

Themen, die zu bearbeiten wären, gebe es trotzdem genug, sagte Colovic der FAZ. Aber der personell und finanziell ausgebluteten ACP hätten die Ressourcen gefehlt, um sie zu bearbeiten oder ihren verbliebenen Mitgliedern als Serviceleistungen Seminare anzubieten. Colovic sagt, er habe nicht die FIDE um Geld bitten wollen. Selbst wenn sich die ACP auf diese Weise hätte retten lassen, sie wäre nicht mehr unabhängig und schon gar kein Gegengewicht zur FIDE gewesen.

Als solches und in fundamentaler Opposition zum FIDE-Präsidenten Florencio Campomanes hatte Garri Kasparow 1986 die Vorgängerorganisation GMA (Grandmaster Association) gegründet. Die GMA sollte Spitzenspieler vertreten und Einfluss auf die FIDE nehmen. Unter Kasparow fand die GMA Sponsoren, warb die meisten Spitzengroßmeister als Mitglieder an und organisierte eine Reihe hochdotierter Wettbewerbe.

Der Stern der GMA sank, je näher der WM-Kampf 1993 zwischen Kasparow und Nigel Short rückte. Für dessen Ausrichtung hatte die FIDE lediglich zwei „Billigangebote“ sowie ein hochdotiertes, zwielichtiges des später als Betrüger verurteilten serbischen „Bankiers“ Jezdimir Vasiljević. Kasparow überließ die GMA ihrem Schicksal und gründete stattdessen die PCA (Professional Chess Association), die das Match unabhängig organisieren und vermarkten sollte – der Beginn der Spaltung im Weltschach, die 13 Jahren dauern sollte.

Anno 2023 bleibt auf internationaler Ebene als Spielervertretung eine Athletenkommission, die die FIDE vor zwei Jahren eingerichtet hat, um eine Auflage für die Anerkennung durch das IOC zu erfüllen. „Aktivitäten oder gar Forderungen dieser Athletenkommission sind allerdings nicht bekannt“, schreibt die FAZ, deren Frage, was die Athletenkommission eigentlich macht, unbeantwortet blieb.

National gibt es im DSB traditionell die Aktivensprecher:innen, die nach außen Fragen rund um die Nationalkader beantworten (wie zuletzt Sarah Papp gegenüber der Süddeutschen Zeitung zu Einschnitten im Leistungssport), und die intern am ehesten diejenigen sind, die die Belange der Profis vertreten und als Schnittstelle zur Verwaltung fungieren. In der jüngeren Vergangenheit ist Aktivensprecher und Nationalspieler Rasmus Svane mehrfach als jemand aufgefallen, der an Gremiensitzungen nicht nur teilnimmt, sondern das Wort erhebt.

Naheliegend ist, dass in der Spitze von Schachverbänden diejenigen vertreten sein sollten, die sich mit Schach auskennen. Im deutschen Schach bleibt die Mitsprache derjeningen, die spielen können und im Schach am besten vernetzt sind, dennoch limitiert. Als Svane jetzt vor dem DSB-Kongress begründete, warum ein Spielervertreter beratend dem Präsidium des Deutschen Schachbunds angehören sollte, bekam er höflichen Applaus, niemand widersprach. Dann lehnten die Delegierten den Antrag knapp ab. Schachprofis bleiben in Deutschland weiter außen vor, wenn das Schachpräsidium tagt.

Rasmus Svane wird auch künftig Zeit für Schach haben, wenn das DSB-Präsidium tagt. Der Antrag, Schachkenntnis in dieses Präsidium zu transferieren, ist jetzt beim DSB-Kongress knapp gescheitert.
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Ekpah
Ekpah
10 Monate zuvor

Es braucht sicherlich keinen Beschluss einer Mitgliederversammlung, um einen Aktivensprecher beratend an Präsidiums- oder Vorstandssitzungen teilnehmen zu lassen. Das kann die Spitze des Schachbunds selbst entscheiden. Eine einfache Einladung der Vorsitzenden sollte genügen. Wäre ein gutes Zeichen Richtung Aktive!

Kommentator
Kommentator
10 Monate zuvor

Siehe § 29 Absatz 4 der DSB-Satzung:

“Der Präsident und diejenigen Vizepräsidenten, die einen Präsidialausschuss leiten, haben das Recht, Gäste zu den Sitzungen des Präsidiums hinzu zu laden.”

Thorsten
Thorsten
9 Monate zuvor

Es gibt zahlreiche relevante und vor allem größere Gruppen, die ebenfalls keinen ständigen Sitz im Präsidium haben. Aktive – in DSB-Definition nur Kaderspieler – haben einen Bundestrainer, einen Sportdirektor und einen Vizepräsidenten Sport als denkbare Ansprechpartner und können sich mit ihren Belangen sicherlich jederzeit Gehör verschaffen.

trackback

[…] Vachier-Lagrave findet, dass es an den Spielern ist, steuernd einzugreifen. Wenige Monate nach der Selbstauflösung der Spielergewerkschaft ACP fordert der französische Großmeister, Spieler müssten sich zusammenschließen, um […]

Ludger Keitlinghaus
Ludger Keitlinghaus
10 Monate zuvor

Denkbarerweise ist ein Schach-Profitum, das sich an Antritts- und Preisgeldern orientiert, “out of time”, stattdessen dominieren sozusagen im Web sog. Influencer, was nicht schlecht sein muss, auch für das Schachspiel nicht, ich nenne beispielhaft Zwei, die mir positiv aufgefallen sind : -> https://www.youtube.com/c/AGADMATOR/videos (mit angeblich 1,3 Millionen Youtube-Abonnennten, die “Beschaurate” liegt niedriger, ich empfehle den “Agadmator” insgesamt) -> https://www.youtube.com/@BotezLive/featured (Alexandra Botez muss “jetzt” nicht so-o gut Schach spielen können, ebenfalls sog. 1,3 Millionen “Follower”, Abonnierende) Der “Agadmator” und Botez sind gut für das Schach, vielleicht auch Looky hier machen : -> https://www.youtube.com/watch?v=6TR0Pclgcfc MFG LK (der auch ein wenig Poker spielen… Weiterlesen »