Baden, Württemberg und das F-Wort

Gäbe es die Traditionalisten aus Südbaden nicht, die vom Bodensee zum Beispiel, womöglich wären die Schach-Landesverbände Württemberg und Baden längst vereint. Seit mehr als 20 Jahren beschäftigen sich Funktionäre auf beiden Seiten mit dem Gedanken, aus zwei Verbänden einen zu machen. Bislang ist das an regionalen Befindlichkeiten gescheitert, nun soll es Wirklichkeit werden. Die Präsidien der Schachverbände Baden und Württemberg haben in einer gemeinsamen Sitzung beschlossen, dass 2027 endgültig zusammenwachsen soll, was jetzt schon auf vielen Ebenen zusammenarbeitet und voneinander profitiert. Baden und Württemberg sollen fusionieren.

Die Idee gibt es schon lange, jetzt soll es passieren: Uwe Pfenning (links), Präsident des Schachverbands Baden, und Carsten Karthaus, Präsident des Schachverbands Württemberg, wollen, dass ihre Verbände 2027 fusionieren.

Was sich für Leute aus dem Norden wie eine überfällige Selbstverständlichkeit anhören mag, wäre historisch. Beileibe nicht nur im Schach war und ist das Zusammenwachsen im Südwesten eine geopolitisch heikle Angelegenheit. Nachdem 1952 aus den drei Nachkriegszonen Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Baden das Bundesland Baden-Württemberg geworden war, wollten sich insbesondere dessen badische Bewohner damit nicht abfinden. Noch 1970 musste eine von den „Altbadenern“ initiierte Volksabstimmung zeigen, dass die Mehrheit der Badener tatsächlich im neuen Bundesland leben will. Noch 2017, 65 Jahre nach der Gründung des Bundeslands, ging der Spiegel der Frage nach, “warum sich Badener und Schwaben so schwer miteinander tun” (für Abonnenten).

Eberhard Beikert, Präsident des Badischen Schachverbands von 1994 bis 2004, war seiner Zeit voraus. Schon angesichts der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen des Bundeslands war Beikert zu dem Schluss gekommen, „dass die Schachspieler der politischen Entwicklung folgen sollten“. Als Gast des Württembergischen Verbandstags 2003 sagte Beikert: „Nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.” In Württemberg stieß er auf offene Ohren.

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In seinem Heimatverband musste Beikert feststellen, dass diese Zeit nicht gekommen war. Sein Vorhaben, 2010 zum gemeinsamen 100-jährigen Bestehen der Schachverbände zu fusionieren, stieß auf heftigen Widerstand in Baden. Nicht einmal der schon damals gehegte Plan, eine gemeinsame Oberliga zu schaffen, ließ sich durchsetzen. Ein Jahr nach seinem Auftritt in Württemberg trat Beikert als badischer Schachpräsident ab. Letztlich sei Beikerts Präsidentschaft an dessen Fusionswunsch und dem Versuch, ihn zu verwirklichen, gescheitert, sagen heute Carsten Karthaus und Uwe Pfenning, die Schachpräsidenten in Württemberg und Baden.

In Württemberg durfte das F-Wort schon am 7. Juli 2003 auf der Titelseite des Mitteilungsblatts des Verbands stehen.

Karthaus sieht die regionalen Befindlichkeiten, an denen seinerzeit Beikert gescheitert ist, auch als solche der Generation vor ihm. “Für mich gab es nie etwas anderes als Baden-Württemberg.” Daher sollte es jetzt leichter sein zusammenzuführen, was sich vor Jahrzehnten spinnefeind gegenüberstand. Karthaus und Pfenning peilen das Jahr 2027 für die Fusion an, das Jahr, in dem das Bundesland sein 75-jähriges Bestehen feiern wird. Ob es zur Fusion kommt, ob Baden-Württembergs Schachspieler künftig in Jubiläumsjahren des Landes auch das Jubiläum der baden-württembergischen Schachvereinigung feiern können, müssen auf beiden Seiten die Verbandstage beschließen.

In Baden mag die Zeit dafür jetzt gekommen sein; aber ein Selbstläufer wird es nicht. Die regionalen Befindlichkeiten sind noch existent. Das zeigte sich 2021, als Karthaus und Pfenning verstärkte Zusammenarbeit beschlossen. Trotz beiderseitigen Fusionswunsches durfte das F-Wort nicht in diesem Beschluss stehen. Er wäre sonst auf badischer Seite nicht zustande gekommen.

2021 haben Badens und Württembergs Schachverband beschlossen, dass sie jetzt Freunde sind, der erste Schritt zur von beiden Präsidien angestrebten Fusion.

Obwohl vor 20 Jahren der erste Fusionsversuch gescheitert ist, arbeiten beide Verbände seitdem immer enger und immer vertraulicher zusammen – nicht zuletzt, weil es politisch so gewollt ist. Um einen Ansprechpartner zu haben statt zwei, hat das Land Baden-Württemberg seinen getrennten Sportverbänden auferlegt, ihren Leistungssport gemeinsam zu organisieren. Darum gibt es im baden-württembergischen Schach zwar getrennte Landesverbände, aber eine gemeinsame Leistungssportkommission.

Die gemeinsame Oberliga als höchste Spielklasse auf Landesebene wird voraussichtlich in diesem Jahr eingeführt. Dazu kommen eine ganze Reihe Veranstaltungen, die längst erfolgreich verbandsübergreifend ausgetragen werden: die Schnellschacheinzelmeisterschaft, die Senioreneinzelmeisterschaft, die Jugendbundesliga und die regionalen Jugendmannschaftsmeisterschaften. Auch im Trainings-, Ausbildungs- und Schiedsrichterbetrieb läuft vieles seit Jahren gemeinsam.

Die Offene Baden-Württembergische Seniorenmeisterschaft, hier im Kurhaus Bad Herrenalb, gilt als bestens besuchtes und beispielhaftes Erfolgsmodell, seitdem die beiden Verbände auch im Amateursport gemeinsame Sache machen. | Foto via schachfreunde-badherrenalb.de

Schritt für Schritt seien Zusammenarbeit und Vertrauen gewachsen, sagt Karthaus. Um die Gemeinsamkeit nun formal zu vollenden, „ist es jetzt unsere Aufgabe, die Leute und ihre Vereine mitzunehmen“. Der Beschluss von 2021, enger zusammenzuarbeiten, sei ja schon ein Anfang gewesen, ergänzt Pfenning. Der Soziologieprofessor kündigt eine ganze Reihe von Angeboten an, Workshops und Arbeitsgruppen, die den Mitgliedern dienen sollen, die Fusion und ihre Chancen zu erörtern. „Ich bin mir ja dessen bewusst, dass die alten Vorbehalte nicht plötzlich weg sind.“ Auch in Württemberg sollen nach dem Verbandstag an diesem Wochenende solche Angebote entstehen, damit die Mitglieder von Beginn an einbezogen sind und mitgestalten können.

Beiden Präsidenten sehen in erster Linie Chancen. Wer mit ihnen über den Fusionsplan spricht, hört oft das Wort „Synergie“, etwa im Zusammenhang mit IT, Mitgliederverwaltung oder Öffentlichkeitsarbeit. Diverse Funktionen, die auf beiden Seiten besetzt sind, könnte künftig ein Funktionär ausfüllen.

Parallel zum Fusionsprozess verschlankt der Württemberger Verband seine Struktur. Kreise und Bezirke sieht Karthaus als Relikt aus einer Zeit, als der Schachbetrieb per Postkarte abgewickelt wurde. „Früher brauchten wir diese organisatorischen Einheiten, heute nicht mehr.“

Karthaus glaubt allerdings nicht, dass demnächst ehrenamtlich Engagierte ohne Aufgabe dastehen. „Wir stehen ja vor immer neuen Herausforderungen, auch solchen, die die Politik uns stellt.“ Kinderschutz, Datenschutz, Inklusion – „dafür brauchen wir Personal. Es wird kaum weniger Posten geben, sondern die Arbeit wird sich anders verteilen.“

Das Problem, überhaupt Ehrenamtliche zu finden, spürt auf badischer Seite Uwe Pfenning am eigenen Leib. Eigentlich wäre der 65-Jährige geneigt, die Präsidentschaft in Baden einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger zu übergeben. „Aber es ist niemand in Sicht.“ Zwei, drei Jahre wolle er es nun noch machen, „aber ich fände es schön, wenn jemand Jüngeres das Werk vollendet“.

Als erster Schritt dahin soll jetzt ein baden-württembergisches Konzeptpapier entstehen, das den Ist-Zustand und den Zielzustand beschreibt. Die Mitarbeit daran wird allen Mitgliedern offenstehen. Baldmöglichst wollen die Verbände ihren Vereinen und Mitgliedern den Zielzustand vorstellen. Danach gilt es, Satzung und Struktur des neuen Verbands auszuarbeiten, so dass 2027 die Verbandstage die finale Entscheidung zu einer Fusion treffen können.

Den Vereinen auf beiden Seiten bietet sich bis dahin Gelegenheit, baden-württembergische Mittel zu bekommen, wenn sie Projekte vorantreiben, die der baden-württembergischen Freundschaft dienen. Schon 2021 hatten Baden und Württemberg 10.000 Euro für solche Projekte bereitgestellt. „Es gab auch welche, aber nicht in dem Maß, wie wir das erhofft hatten“, sagt Pfenning. Die Folge: Es ist noch eine Menge Geld übrig. Pfenning sieht die Zurückhaltung, sich aus dem Topf zu bedienen als „Indiz, dass wir noch üben müssen“.

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Klaus Zachmann
Klaus Zachmann
10 Monate zuvor

Dass an der Fusion jetzt schon so lange erfolglos rumgebastelt wird, zeigt doch eher, dass die Zeit 2003 noch lange nicht gekommen war. Letztlich gibt es keine zwingende Gründe für eine Fusion. Die Frage ist nur: Will man eine Fusion oder will man keine Fusion? Im Turnerbereich haben wir in RLP keinen Landesverband, als Rheinhessischer Turnerbund gehören wir dem DTB direkt an. Bisher ist mir auch nicht bekannt, dass irgendjemand daran etwas ändern möchte. Gleiches gilt auch für die Fusion der Schachverbände in BW. Man muss herausfinden was man will und dann entsprechend handeln. Im Turnerbereich ist man in BW… Weiterlesen »

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[…] Lange G’sichter uff de Alb. Kleiner Trost für Spraitbach: im Rennen sind mit Hechingen und Leinfelden zumindest zwei Clubs aus dem bald auch schachlich vereinten Baden-Württemberg. […]

Agan
Agan
10 Monate zuvor

Das Zitat “Nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist”, ist wohl auf Victor Hugo zurück zu führen, der geschrieben hat (übersetzt): “Man kann der Invasion von Armeen Widerstand leisten, aber keiner Invasion von Ideen”.
Das Zitat ist vielfach verändert und in verschiedenen Versionen, englisch französisch, deutsch, unzählige Male benutzt worden.
Zitieren ist oft Glückssache. So große Worte für die Fusion von zwei kleinen Schachverbänden halte ich für übertrieben und sollten besser mit dem Mantel des Schweigens überdeckt werden

Jim Knopf
Jim Knopf
10 Monate zuvor

Die beiden Landesverbände sollten einfach eine Excel-Tabelle anlegen. Der Rest ergibt sich dann wie von selbst.