Keine Normen, kein Titel für Schneider, Schulze, Klek&Co.: das “Masters”

Der Schachsport ist wahrscheinlich der einzige, der gezielt seine Deutsche Meisterschaft entwertet. Während in anderen Sportarten die Besten des Landes den Deutschen Meister ermitteln, der dem Sport als Aushängeschild dient, spielen beim Schach Amateure aus der zweiten Reihe um die Deutsche Meisterschaft, einen Titel, der nichts wert ist. Der eigentliche Deutsche Meister, der Beste des Landes, wird beim Schach im „Masters“ gekürt – und bekommt keinen Titel.

https://youtu.be/7pOEwkMH2uI
Unter anderem dank dieses Siegs über Matthias Blübaum hat Luis Engel zuletzt sensationell das “Masters” gewonnen. Was dieser Erfolg bedeutet, muss Leuten außerhalb der Schachblase umständlich erklärt werden. “Deutscher Meister Luis Engel” würde jeder verstehen.

Vermittelbar ist das nicht, Sinn ergibt das nicht, und die Lösung des Problems liegt auf der Hand, seitdem das „Masters“ etabliert ist: Dieses stärkste deutsche Turnier mit den besten deutschen Spielern sollte die „Deutschen Meisterschaft“ sein.

Jetzt, endlich, liegt für den Hauptausschuss Anfang Mai ein Antrag vor, die Turniere entsprechend ihrer Wertigkeit zu benennen: Das ehemalige „Masters“ soll künftig „Deutsche Meisterschaft“ heißen und die ehemalige Deutsche Meisterschaft soll zum „Kandidatenturnier“ werden.

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Dass das sinnvoll wäre, war zuletzt sogar ganz oben beim Schachbund eingesickert. Nachdem Ullrich Krause Ende 2021 in einem Interview noch gesagt hatte, er sehe in dieser Sache keinen Handlungsbedarf, hat er jetzt seine Meinung geändert. Unlängst in der Bundesspielkommission ließ Krause durchblicken, er unterstütze den Antrag zur Deutschen Meisterschaft. Allerdings ist er damit ziemlich allein.

Die “Nichtbefassung” ist wieder da

Während in anderen Sportarten eine überfällige Offensichtlichkeit wie dieser Antrag im Sinne des Sports schnell beschlossen würde, formiert sich im Schach Widerstand. Um die Sache geht es nicht, stattdessen um Pfründe, Eitelkeiten und Denkzettel.

Anstatt die Sache durchzuwinken, reklamieren die Länder „Diskussionsbedarf“ – und drohen mit einem Mittel, das aus unseligsten Fenner-Krause-Zeiten in Erinnerung ist: die „Nichtbefassung“. Sollte der Antrag tatsächlich auf den Tisch kommen, soll er mit einem „Antrag auf Nichtbefassung“ sogleich von selbigem gewischt werden.

Vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte in der sportlichen Bedeutungslosigkeit dümpelnden, latent unterfinanzierten Deutschen Meisterschaft hätten die im Hauptausschuss versammelten Landesschachverwaltungsleiter Anlass zur Dankbarkeit. Seitdem das „Masters“ etabliert ist, gibt es im Deutschen Schach endlich ein Turnier der Besten. Für die Sieger der aus den Ländern beschickten „Deutschen Meisterschaft“ gibt es seitdem tatsächlich etwas zu gewinnen: einen Platz in diesem Turnier der Besten nämlich, Wettbewerb mit den Großmeistern aus der nationalen Elite. Eine Chance, die die Landeskader bislang nie hatten.

Anstatt nun „Danke“ zu sagen und dem Turnier der Besten den Namen zu geben, den es verdient, wird eifrig an der Sache vorbei lamentiert. Anstatt sich im Sinne ihrer Kaderspieler zu bedanken, beschweren sich die Landesvertreter allen Ernstes, dass ihnen etwas weggenommen werden soll, der Deutsche Meistertitel nämlich. Diesen Titel hält aktuell der Drittligaspieler Jonas Rosner, die nationale Nummer 61, gewiss ein veritabler Schachmeister, aber als Aushängeschild des Sports auf nationaler Ebene untauglich. Und als Deutscher Meister, pardon, ein Witz.

Jonas Rosner, sogenannter Deutscher Meister. | Foto: Georgios Souleidis

„Danke“ würden auch die besten Schachspielerinnen Deutschlands sagen: Würde das „Masters“ der Frauen zur Deutschen Meisterschaft, würde die Regel greifen, dass bei nationalen Meisterschaften Titelnormen im Wettbewerb mit ausschließlich Spielern aus demselben Land erzielt werden können. Das Turnier wäre normfähig, Schulze, Schneider, Klek & Co. könnten beim Schachgipfel IM werden. Stattdessen argumentieren die Länder, dass der offenen Deutschen Meisterschaft die Normfähigkeit verloren ginge, würde sie zum Kandidatenturnier.

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Ohne Elisabeth Pähtz wird ab dem 22. April in Darmstadt das sogenannte Masters gespielt – und ohne die Chance für die Spielerinnen, Titelnormen zu erzielen. Diese Chance gibt es nur bei der sogenannten Deutschen Meisterschaft – theoretisch. In der Praxis ist sie dafür viel zu schwach besetzt. Die einfache Lösung des Problems wäre, das einzige deutsche Frauenturnier, das den Namen “Deutsche Meisterschaft” verdient, so zu nennen. Aber die für eine solche Änderung zuständigen Funktionäre sind am Lösen von Problemen offenbar nicht interessiert.

Den Wert einer Regeländerung für die Frauen kehren sie unter den Tisch, den Umstand, dass der Kongress den Ländern gerade Mittel beschert hat, um selbst Normturniere auszurichten, auch.

Normturniere wie das unlängst in Rosenheim können die Länder jetzt leichter ausrichten, weil sie dafür seit Neuestem vom DSB Mittel bekommen. Ein Anlass, nicht länger Schindluder mit der Deutschen Meisterschaft zu treiben, ist dieses Entgegenkommen offenbar nicht.

Ein anderes sogenanntes Argument der Länder ist, dass die Landesmeisterschaften entwertet würden, wenn sich deren Gewinner künftig nicht mehr für eine sogenannte Deutsche Meisterschaft qualifizieren. Wer sowas vorträgt, fasst sich besser schweigend an die eigene Nase. Tatsächlich bleiben in allen Ländern die besten Spieler ihren Landesmeisterschaften jetzt schon fern. Qualifikationsmöglichkeiten für ein weiterführendes Turnier, wie immer das heißen mag, sind kein Faktor.

Großmeister René Stern würde gerne Berliner Meister werden. Das ist der Grund, warum er an der Berliner Meisterschaft teilnimmt.

Wer will, dass gute Spieler an seiner Landesmeisterschaft teilnehmen, der soll sie gefälligst für gute Spieler attraktiv machen.

Unter den Ländern gibt es genau eines, das sich gezielt darum bemüht hat, diesen Weg zu gehen, indem es bei den besten Spielern gefragt hat, unter welchen Umständen sie mitspielen würden. Das Ergebnis: höherer Preisfonds (6.500 Euro), gediegener Spielort, mediale Begleitmusik – willkommen bei der Berliner Meisterschaft 2022, der stärksten seit langem. Erstaunlicherweise ist Berlin das Land, aus dem nun der Antrag kommt, die Deutsche Meisterschaft so zu nennen.     

Der angebliche „Diskussionsbedarf“ in den anderen Landesschachverwaltungen mag zum Teil einem auf die Landesgrenzen beschränkten Horizont geschuldet sein. Zum anderen, größeren Teil ist er vorgeschoben. Das hängt mit der Reizfigur zusammen, die den Antrag „Turnierordnung DEM DFEM“ gestellt hat.

Paul Meyer-Dunker.

Der Berliner Schachpräsident Paul Meyer-Dunker mit seiner öffentlichen Sichtbarkeit war den traditionell im Geheimen agierenden Landesschachpräsidenten nie geheuer. Als Meyer-Dunker dann auch noch beim DSB als Öffentlichkeitsarbeiter anheuerte, löste dieser vermeintliche Interessenkonflikt einen Proteststurm aus: Entweder Meyer-Dunker lasse sich künftig im Gremium der Landespräsidenten vertreten, oder die anderen Landespräsidenten treten aus dem Arbeitskreis der Landesverbände aus, so die Drohung.

Ein Sturm im Wasserglas. Als ob der traditionell geprägte Landesschachverwaltungsleiter seine gefühlte Wichtigkeit als Mitglied dieses Gremiums freiwillig aufgeben würde. Die Drohung erwies sich als leer, Meyer-Dunker callte den Bluff, blieb, und niemand trat aus.

An der Spitze manches Landesverbandes mag ob dieser Peinlichkeit das Gefühl nachwirken, vorgeführt worden zu sein, ja, sich mit einer leeren Drohung selbst vorgeführt zu haben. Nun bietet der Hauptausschuss Gelegenheit zur Revanche. Das Mittel der Wahl: Diskussionsbedarf vorschieben, Antrag auf Nichtbefassung stellen – willkommen in der Schachverwaltung.    

Eine einfache Frage, die seit Jahren auf der Agenda steht: “Soll das Masters künftig Deutsche Meisterschaft heißen?”. Zu einem “Ja” oder “Nein” konnte sich bei der Abstimmung in der Bundesspielkommission kaum jemand durchringen. Stattdessen produzierten die versammelten Schachverwalter ein weiteres Beispiel dafür, wie die Länder in nationalen Belangen oft nichts anderes sind als ein Klotz am Bein.
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Kommentator
Kommentator
2 Jahre zuvor

“Ohne Elisabeth Pähtz wird ab dem 22. April in Darmstadt das sogenannte Masters gespielt – und ohne die Chance für die Spielerinnen, IM-Normen zu erzielen.”
Dafür ist aber nicht nur der Status als Nicht-DEM verantwortlich, sondern auch die Tatsache, dass weder GM noch IM dabei sind… (es müssten mindestens 3 sein)

Verena Meier
Verena Meier
2 Jahre zuvor

Was spräche eigentlich dagegen, diese lächerliche Kopfgeburt (die spinnen die Deutschen ,-)) dahingehend aufzulösen, das ‘German Masters’ (samt Preisfonds versteht sich;-)) in die (bzw. dann eben DIE) ‘Deutsche Meisterschaft’ zu integrieren … also sozusagen ein Mix aus Einladungs- (DSB) und Qualifikationsturnier (Länder) und halt z.B. 9 Runden Schweizer System?

Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
2 Jahre zuvor

“Großmeister René Stern würde gerne Berliner Meister werden. Das ist der Grund, warum er an der Berliner Meisterschaft teilnimmt. Wer will, dass gute Spieler an seiner Landesmeisterschaft teilnehmen, der soll sie gefälligst für gute Spieler attraktiv machen”. Persönlich finde ich wenn Titelträger von kleinen Veranstaltungen wie Landes,-Bezirks oder Stadtmeisterschaften einfach wegbleiben was sie schon aus dem Grund tun da unattraktiv für den Geldbeutel. Finde ich gut eine kleine Nische für regionale Sportler kann dem Breitensport nur gut zu Gesicht stehen. Im moment bricht der Wahn aus alles für Profis attraktiv zu machen und den kleinen Schachsportler zum Beitragszahler zu qualifizieren.… Weiterlesen »

acepoint
2 Jahre zuvor

Da scheint die Tendenz (des AK?!) tatsächlich Richtung 3. Liga zu gehen. In Zeiten, wo den Bezirken die Mannschaften wegbrechen. Und «mein» Schachbund scheint auch nicht dazugelernt zu haben. Vor wenigen Jahren noch wurde eine NRW-Klasse mit vier Gruppen a 10 Mannschaften eingeführt (zur Ober- und NRW-Liga), jetzt ist man für eine weitere Liga darüber, die den SBNRW 8-10 Mannschaften – und weitere Schiedsrichter – kosten kann. Schon heute gibt es in den sechs Verbänden darunter einige Teams, die freiwillig auf den Aufstieg verzichten, weil sie die weiten Fahrten auf NRW-Ebene scheuen. Welches Ziel bzw. welchen Vorteil soll diese 3.… Weiterlesen »

Gerhard Lorscheid
Gerhard Lorscheid
2 Jahre zuvor

Der Hammer ist ja was Karthaus nun (für den DSB?) vorschlägt. Er ignoriert das aktuelle Meisterturnier völlig und will einen deutschen Meister im Stile der alten Weltmeister schaffen. Der Sieger des Kandidatenturniers fordert ihn in einem Match heraus. Spielen wir das Spiel einmal durch. Angenommen wir haben 10 Spieler im Kandidatenturnier, alle gleich stark wie der aktuelle Meister. Heute hätte im Kandidatenturnier jeder eine Chance von 10%. Mit der neuen Regel hat der Deutsche Meister eine Chance von 50%, die im Kandidatenturnier nur eine von 5%. In der Zeit wo man endlos viele Systeme mit gleichen Chancen auf die Beine… Weiterlesen »

Manfred Menacher
Manfred Menacher
2 Jahre zuvor

Es ist nach wie vor unerträglich wie manche Funktionäre die Entwicklung zum Besseren hemmen. Wichtigtuerei ist diesen Gestalten wichtiger als die Förderung des Schachsports.