Angst essen Schachbund auf

Dem DSB steht eine Satzungsreform bevor, nach Möglichkeit kein Reförmchen, in dem einzelne Paragrafen modifiziert werden, sondern ein grundsätzlicher Satzungs-Neuanfang. „Ein gewaltiges Projekt“, sagte Ullrich Krause jetzt bei ChessBase TV. Eine Arbeitsgruppe, geleitet von DSB-Vizepräsident Sport Ralph Alt, hat sich dieses Projekts angenommen. Schon beim außerordentlichen Kongress im Oktober 2022 soll laut Krause die neue Satzung verabschiedet werden.

„Denkverbote“ gebe es nicht, sagte Krause, das betreffe auch die Frage, wer denn eigentlich Mitglied des DSB sein sollte. Gegenwärtig sind es im föderal aufgestellten DSB die Länder. Es könnten auch, wie in Frankreich oder Norwegen, die Vereine sein. Oder, wie in den USA, die Schachspieler.

Ralph Alt, Leiter der Arbeitsgruppe Satzungsreform. | Foto: Deutscher Schachbund

Anlass, die Verbandsmitgliedschaft in Deutschland am Beispiel Frankreichs oder der USA grundsätzlich neu auszurichten, gibt es. Die Länder, die in ihrem regionalen Beritt teils gute Arbeit leisten, haben sich zuletzt in Bundesbelangen oft als nutzlos oder, schlimmer, als Bremsklötze erwiesen.  

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Ein erstes Papier der Alt-Arbeitsgruppe sowie eines aus Württemberg zeigen jetzt schon, dass die Länder auch in Sachen Satzungsreform bremsen werden.  Es sind ja schließlich in erster Linie Ländervertreter, die jetzt die Satzungsreform bearbeiten. Und als solche werden sie sich nicht die Möglichkeit nehmen, auf Bundesebene mitzureden.

Nachzulesen ist diese Attitüde im Alt-Papier längst: Könnten Vereine sich beim Kongress selbst vertreten, heißt es, wäre der Einfluss der Landesverbände „unkalkulierbar eingeschränkt“. Eine Errungenschaft? Nicht aus Sicht der Funktionäre. Die Satzungsreform-Arbeitsgruppe bewertet eine solche Einschränkung allen Ernstes als „nachteilig“.

Im Schach hat keiner so viele Mitglieder wie er: Ralf Chadt-Rausch, Präsident des Schachbunds NRW. | Foto via DSB

Veranschaulichen wir am Beispiel konkreter Leute, wie falsch diese Einschätzung ist. Warum sollte Ralf Chadt-Rausch, Präsident des größten DSB-Mitglieds NRW, auf Bundesebene Einfluss haben? Die Zahl seiner Ideen, Impulse, korrigierenden Eingriffe, Initiativen für den DSB in den vergangenen Jahren (als sie bitter nötig gewesen wären): null. Wortmeldungen, die in Erinnerung geblieben sind: null (außer einer leeren Drohung).  

Warum ist Jan Werner, Präsident des Düsseldorfer SK, nicht beim DSB eingebunden? Als Teil des Kuhn-Tickets stand er bereit, Vizepräsident Verbandsentwicklung zu werden, erkennbar willens, zu steuern, zu gestalten, für die Sache zu streiten. Gewählt wurde er nicht, das passiert. Aber dass jemand selten Formidables danach auf DSB-Ebene verloren geht, würde nicht passieren, wäre der Düsseldorfer SK DSB-Mitglied.

Und warum sollten Vorzeigevereine wie der Elmshorner SC, der FC Bayern München, der SC Kreuzberg, der SC ML Kastellaun (diese Aufzählung ließe sich lange fortsetzen) nicht auf Bundesebene mitreden? Diese Vereine wachsen, teilweise rasant, sie sind sichtbar, beweglich, machen Angebote, sie setzen offenbar längst das um, was der beim Hauptausschuss als neuer Vizepräsident zu wählende “Mitgliederfänger” Gerhard Prill auf breiter Ebene einführen will.

Es vergeht kaum eine Woche, in der den mittlerweile mehr als 200 Mitgliedern des SC Kreuzberg kein neues Angebot einfällt. Eigentlich kann es sich kein Verband leisten, solchen Ideenschmieden keine Einfallschneisen zu ebnen.

Zum Problem, dass die Länder nicht aus eigenem Antrieb ihre Macht beschneiden werden, kommt der Umstand, dass beim Schach stets die in der Funktionärsgilde überrepräsentierten Juristen am Tisch sitzen. Es mag kühne Vertreter dieser Spezies geben, aber speziell beim Schach zeichnen sie Angst und Kleinmut aus, wie manches Beispiel der jüngeren Vergangenheit zeigt.

Sollen beim Schach Dinge geändert werden, wird es nicht lange dauern, bis jemand „rechtliche Bedenken“ äußert und im Zweifel eine noch so abstruse Eventualität konstruiert, um diese zu untermauern. Bei den Nicht-Juristen am Tisch kommt dann Furcht auf, etwas falsch zu machen, und dann ändern sie lieber nichts und machen so weiter wie immer, gedeckt vom immer wieder herangezogenen (Schein-)Argument „Rechtssicherheit“.

In Sachen Vereinsmitgliedschaft beim DSB liegen die Bedenken schon auf dem Tisch. Alts Arbeitsgruppe zur Vereinsmitgliedschaft: „Nachteilig ist, dass den Vereinen ein Austrittsrecht eingeräumt werden müsste, was vermutlich mangels Berührungspunkten vieler Vereine mit dem DSB auch genutzt würde.“

Willkommen in der Schachverwaltung.

Vor lauter Angst vor Austritten übersehen die Verfasser dieses Passus‘, dass eine Vereinsmitgliedschaft DER Berührungspunkt schlechthin wäre, in mancherlei Hinsicht segensreich, würde er nur mit Leben gefüllt. Dem auf allen Ebenen akuten Problem, dass den Funktionären der Nachwuchs ausgeht, ließe sich begegnen, wären die Vereine eingebunden. Und das speziell auf DSB-Ebene akute Problem, dass sich keine guten Leute finden (oder verloren gehen), würde sich von allein lösen.

DSB-Präsidenten und ihre Herausforderer gefallen sich vor Kongressen darin, „Wahlkampf“ zu sagen und sich in der Wichtigkeit zu suhlen, die dieser Begriff suggeriert. Wie „Wahlkampf“ im deutschen Schach aussieht? Er besteht ausschließlich darin, Ralf Chadt-Rausch und den bayerischen Präsidenten Peter Eberl zu umgarnen. Wer es schafft, sich die Stimmen dieser beiden und damit der größten Landesverbände zu sichern, der wird DSB-Präsident. Der Inhalt des „Wahlprogramm“ genannten Alibipapierchens, das die Kandidaten traditionell veröffentlichen, hat mit der Wahlentscheidung nichts zu tun – eine Folge der föderalen DSB-Struktur.

Soll der nationale Schachverband zum Mitmachen animieren oder ein isolierter Verwaltungszirkel von Schachbeamten sein? Ein Blick über die deutschen Grenzen nach Österreich und Frankreich.

Wie es anders und viel besser sein könnte, war im vergangenen Jahr während des Präsidentschaftswahlkampfs in Frankreich zu sehen. Weil in Frankreich die Vereine wählen, waren die Bewerber gezwungen, Vereine zu besuchen, an der Basis ihre Ideen vorzustellen und für sich zu werben. Nicht die Zahl der Telefonate mit Ralf Chadt-Rausch und Peter Eberl, sondern ein Wettstreit der Ideen und eine Reihe übers Land verteilter Debatten entschieden die Wahl beim französischen Verband.

DAS sind Berührungspunkte, aus denen sich Engagement und Personal generieren lässt.

Den Schachbund zu gesunden, erfordert den Mut, Dinge grundsätzlich zu ändern, möglichst viele Leute anzusprechen und zu Mitarbeit zu bewegen. Die Angst, mimimi, es könne ja jemand austreten, wird keinen DSB 2.0 gebären.

„Austritte mangels Berührungspunkte“? Hallo, Ralph Alt und der Rest der Arbeitsgruppe? Thema verfehlt, viel zu kurz gedacht, setzen, sechs,

Okay, fünf.

Immerhin hat die Arbeitsgruppe ein Thema identifiziert, das seit etwa zwei Jahren ein Megathema sein sollte: Die Schachverbände mit ihrem mehrheitlich schrumpfenden Mitgliederbestand befinden sich auf dem besten Weg, sich überflüssig zu machen. Ihr Spielbetrieb durchlebt seit mehr als zwei Jahren die schwerste Krise jemals. Seitdem er wieder läuft, zeigt sich: Ein wesentlicher Teil der Vereinsspieler will den Spielbetrieb in der gegenwärtigen Form nicht mehr.

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Berlin, Schönhauser Allee, 18 Bretter, jeden Tag. Warum sollten diese offenbar bestens unterhaltenen Leute einem Verein beitreten? Und warum sollten Vereinsspieler nicht austreten und sich die Mitgliedsgebühr sparen, wenn sie doch eh jeden Tag an der Schönhauser Allee spielen können? | Foto: Stranger Chess

Verbandsunabhängige Alternativen gibt es jetzt schon, sei es beim freien Schach-Treff, in der Hybrid-Liga, in den Lichess-Teams. Die Zahl dieser Alternativen steigt, und die Zahl der Leute, die sie wahrnehmen, auch.

In manchem Landesverband mag die Dringlichkeit des Problems noch nicht eingesickert sein: Den Verbänden muss schnell etwas anderes einfallen, als ihre Mitglieder zu zwingen, sonntags stundenlang durch die Gegend zu fahren, stundenlang rumzusitzen und stundenlang zurückzufahren. Alternative, flexible Spielangebote sind gefragt, sonst werden die Schachspieler von sich aus zu dem Schluss kommen, dass sie keine Verbandsmitgliedschaft brauchen.

Vereinssterben und -konzentration, dazu ungeliebter Spielbetrieb. Was tun?

Austrittsverhinderungsregelungen und DWZ-Lizenz-Blockaden mögen diese Tendenz kurzfristig verzögern. Mittelfristig sind sie der Anfang vom Ende.

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Thomas Richter
Thomas Richter
2 Jahre zuvor

Laut Conrad Schormann würde alles gut – oder jedenfalls besser, wenn statt Landesverbänden Vereine Mitglied des DSB wären. Ich verstehe nicht, warum das (zwangsläufig) der Fall wäre. “Die Länder, die in ihrem regionalen Beritt teils gute Arbeit leisten, haben sich zuletzt in Bundesbelangen oft als nutzlos oder, schlimmer, als Bremsklötze erwiesen.” – Meinung von Conrad Schormann, wäre das bei Vereinen anders? Wie viele Vereine würden “aktive” Mitglieder? Es gibt wohl viele, vor allem kleine Vereine, die mit “Interna” genug zu tun haben – da fehlen dann Zeit/Energie/Personen, um sich auch darüber hinaus zu engagieren. Und das ist keine Kritik. Wenn… Weiterlesen »

acepoint
2 Jahre zuvor

Interessanterweise versucht gerade der SBNRW (bzw. einige seiner Vorstandsmitglieder), den Einfluss der untergeordneten Verbände auf die Arbeit der eigenen NRW-Ebene zu minimieren. Aktuell wird darüber diskutiert, die sechs Verbandsvorsitzenden per Satzungsänderung aus dem Präsidium zu entfernen bzw. durch ein bis drei Proxys zu ersetzen. Begründung: die Verbandsvorsitzenden würden zu den Arbeitssitzungen zu häufig schlecht vorbereitete Stellvertreter schicken, was dann immer viel Zeit kosten würde. Ich bin zwar erst seit einem knappen Jahr dabei, habe aber in den bisherigen Sitzungen solches nicht erlebt. Eher das Gegenteil. Was dann in einem Fall schon einmal dazu geführt hat, dass die Abstimmung zu einem… Weiterlesen »

Gustaf Mossakowski
2 Jahre zuvor

Absolut unwichtig: die Öffentlichkeitsarbeit. Das auch schon heute einzige Referat ohne eigene Kommission. Wird im DSB-Papier exakt null (!) mal erwähnt, im SVW-Papier zwar einige Male, aber wohl überwiegend beim Hauptamt angesiedelt. Das andere wichtige Schlagwort, Digitalisierung, findet im DSB-Papier auch nicht statt (bösartig kann man anmerken, fehlende Digitalkompetenz wird im Titel des Papiers, »DSB-Briefkopf mit Adressfeld«, zum Ausdruck gebracht). Aber im Bereich der Digitalisierung plant man auch, statt die eigene Mitgliederverwaltung zu einer Schach-Plattform auszubauen, sich für viel Geld an eine kommerzielle Plattform anzuhängen. Natürlich ohne Schachspezifisches.

Silvio
Silvio
2 Jahre zuvor

Das eine tun, ohne das andere zu lassen: Die Landesverbände werden sich kaum durch Kommissionen und Vorschläge selbst entmachten – so ist es eben im organisierten Schach. Seit wann eigentlich? Gab es nicht auch eine Zeit, wo die Vereine direkt Mitglied waren, zumindest in den Landesorganisationen? Warum nicht dieser traditionellen Struktur eine zweite ergänzend zur Seite stellen? In der interessierte Vereine (die große Mehrzahl dürfte sich nämlich weit weg vom DSB fühlen), dazu “freie Gruppen”, Online-Gemeinschaften und stabile (!) Schulschachgemeinschaften direkt Mitglieder im DSB werden können. Auch ein Stimmen- und Einfluss-Scjlüssel sollte sich dazu finden lassen, wenn “man” möchte. Die… Weiterlesen »

Walter Rädler
Walter Rädler
2 Jahre zuvor

Frage: Soll der Präsident des DSB laut Arbeitsgruppe hauptberuflich oder nebenberuflich sein? Ich bin ehrlich gesagt hier ein Anhänger des Ehrenamtes.