Kollektiv im Aufwind

Polen mag ein gutes Pflaster für Alexander Donchenko sein. Nachdem er Anfang Januar beim Open in Krakau mit einer 2800-Performance das Feld um einen Punkt distanziert hatte, klopfte Donchenko erstmals an den Top 50 der Welt an.

Seinerzeit ereilte ihn nach einer Serie starker Vorstellungen eine kurzfristige Einladung zum Superturnier in Wijk an Zee. Dort, im Kreis der Elite, zeigte Donchenko zwar, dass er mithalten kann, nur spiegelten die Ergebnisse seine Klasse nicht. Donchenko wurde Letzter und büßte etwa 20 Elo ein. Nach einer Pause dann die World-Cup-Qualifikation in Magdeburg, und auch die verlief unglücklich. Der World Cup findet ohne Alexander Donchenko statt, und aus dem angehenden 2700er war ein 2650er geworden.

Jetzt schlägt das Pendel wieder zur anderen Seite aus. Den deutschen Mannschaftspokal für die SF Deizisau holte Alexander Donchenko mit zwei Siegen am ersten Brett fast im Alleingang, darunter ein Sieg über Caruana-Sekundant und Exweltmeister Rustam Kasindzhanov.

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https://youtu.be/609o2GwVne0
Das ist die Stellung, in der Rustam Kasimdzhanov (Weiß), Spitzenbrett der OSG Baden-Baden, seinem Deizisauer Pendant Alexander Donchenko remis angeboten hatte. Nach einem Blick auf die anderen Bretter, auf denen es eher nicht günstig aussah, lehnte Donchenko ab, zog …Ld8 und gewann ein fein geführtes Endspiel.
Spitzenstand in Warschau.

Mit derartigem Rückenwind ist er nun wieder nach Polen gefahren, nach Warschau statt nach Krakau dieses Mal. World Cup spielen darf er ja nicht, also spielt Donchenko das Najdorf Memorial in Warschau, ein starkes, aber nicht superstark besetztes Open, bei dem er als einziger 2600er die Setzliste anführt. Und nach vier Runden auch die Tabelle mit 4/4.

Mit im Feld in Warschau ist Christopher Noe. Der mit 2527 Elo stärkste deutsche IM steht nach 4 Runden bei 3,5 Punkten. Die fünfte Runde beginnt am heutigen Mittwoch um 17 Uhr, Liveübertragung hier.

Und so fügt es sich, dass wir nach einer viel zu langen Pause die Spitzenkönner unter unseren Landsleuten vollzählig versammelt wieder am Brett sehen, sei es in Sotschi, in Dortmund, in Warschau – oder in Benasque. Dort ist jetzt Liviu Dieter Nisipeanu durchs Feld gepflügt wie in besten Zeiten.

https://twitter.com/ChessifyMe/status/1415248554000588809

Seine Spiellaune und die seiner Kollegen können wir aus der Elo-Live-Liste ablesen:

Bei Nisipeanu fehlt noch der Schlussrundensieg aus Benasque. Wahrscheinlich steht er bei 2671, drei Punkte hinter Matthias Blübaum. | Screenshot via 2700chess

Matthias Blübaum brachte fünf Elopunkte aus der französischen Liga mit, seine Landsleute Liviu Dieter Nisipeanu, Alexander Donchenko und Arkadij Naiditsch feiern derweil zweistellige Zuwächse. Und das wiederum führt unterhalb, aber in Reichweite der Top 50 zu der spannenden Konstellation, dass keine elf Elopunkte die vier führenden deutschen Schachspieler voneinander trennen.

Donchenko hat jetzt in Warschau noch fünf Gelegenheiten, Boden gut zu machen, Blübaum greift am morgigen Donnerstag mit seinem Match gegen den Ungarn Viktor Erdos (Elo 2614) in den World Cup ein. Nisipeanu und Naiditsch haben vorerst Pause – die mutmaßlich nicht von langer Dauer sein wird.

Bei diesem Quartett wird es nicht bleiben. Mittelfristig wird mindestens einer, womöglich zwei weitere junge deutsche Großmeister in den Top 100 mitmischen, vielleicht sogar die Top 50 anpeilen. Nachdem Dmitrij Kollars unlängst Mitglied des 2600-Clubs geworden ist, hat er jetzt den “Deutschland Grand Prix” in Dortmund mit einem Paukenschlag eröffnet: Schwarzsieg über Vincent Keymer:

Bekannt ist YouTube als Videoplattform, es ist aber auch die zweitgrößte Suchmaschine der Welt. Und in der werden manche Begriffe (“Vincent Keymer” zum Beispiel) viel häufiger gesucht/vorgeschlagen/angeklickt als andere (“Dmitrij Kollars” zum Beispiel). Und so geschah es, dass beim großen Griechen der große Sieger der ersten Runde in Dortmund bestenfalls eine Nebenrolle spielt. Aber die Partie zwischen Vincent Keymer und Dmitrij Kollars ist sehr schön kommentiert.

Und, wer weiß, vielleicht schwingt sich ja auch noch einmal Daniel Fridman zur Olympiaform von 2018 auf. Sein Auftaktsieg in Dortmund geriet jedenfalls beeindruckend, wie er anschließend selbst erklärte:

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Philipp Müller
2 Jahre zuvor

Vergiss mir den Arik Braun (2609) nicht, welcher morgen und übermorgen den Boris Gelfand runterziehen kann. Entweder kommen die Deutschen durch ELO-Zuwachs nach oben oder die anderen wegen ELO-Verlust nach unten.
https://chess24.com/de/watch/live-tournaments/sochi-fide-world-cup-2021/2/54/1

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[…] Bodensee (@Bodenseeperlen) July 25, 2021 Liviu Dieter Nisipeanu knüpft in Pardubice dort an, wo er in Benasque aufgehört hat. 3/3 zum […]

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[…] vier Wochen ist es her, da haben wir an dieser Stelle festgestellt, unsere Jungs seien “kollektiv im Aufwind“. Der eine dominierte ein Open in Spanien, der andere die französische Liga, der nächste […]