Anish Giri muss sich darauf einstellen, auch in Zukunft von Magnus Carlsen auf Twitter dafür aufgezogen zu werden, dass ihm der ganz große Turniersieg fehlt. Beim Tata Steel Chess 2021 war er wieder nahe dran, hatte das Feld bis zur letzten Runde allein angeführt. Dann zog sein Landsmann Jorden van Foreest gleich – und gewann einen Blitz-Tiebreak, in dem Giri Chancen für mehrere Tiebreaks liegen ließ.
Eine ähnliche Erfahrung hat Giri schon 2018 gemacht. Mit „plus fünf“ landete er ganz oben, teilte sich den ersten Platz aber mit Magnus Carlsen. Im Tiebreak setzte sich der Norweger durch, der seine Performance 2021 zwar „beschämend“ fand, aber weiterhin derjenige Schachspieler ist, der Wijk an Zee öfter gewonnen hat als alle anderen: Sieben erste Plätze seit seinem ersten Sieg 2010, zwei mehr als Viswanathan Anand, der das Turnier fünf Mal gewonnen hat.
Dieses Mal standen die Tiebreak-Regeln in Wijk an Zee mehr im Fokus und nicht zuletzt im Zentrum der Kritik als in anderen Jahren, in denen das Turnier angesichts eines Gleichstands nach 13 Runden im Stechen entschieden werden musste. Das hing zum einen mit der Corona-Ausgangssperre in den Niederlanden zusammen, zum anderen mit einer Besonderheit eben dieser Regeln. Die besagen nämlich, dass ein Tiebreak stets von den beiden nach Wertung Erstplatzierten gespielt wird, unabhängig von der Zahl der punktgleichen Spieler an der Tabellenspitze.

Um wie Giri und van Foreest auf 8,5 Punkte zu kommen, musste Alireza Firouzja seine Letztrundenpartie gegen Radoslaw Wojtaszek gewinnen. Die Möglichkeit bestand auch nach sechs Stunden noch, Firozja war am Drücker, nur hatte sich längst herausgestellt, dass er bei einem Sieg Dritter wäre und somit keine Chance mehr auf den Tiebreak hatte. Ob Firouzja das während der laufenden Partie bewusst war, ist möglich, erscheint aber unwahrscheinlich.
Sechs Stunden hatte der 17-Jährige um die Chance gekämpft, das Turnier doch noch zu gewinnen, er hatte nach einem Übersehen Wojtaszeks gar eine Gewinnstellung auf dem Brett. Dann trat ein Schiedsrichter an eben dieses Brett heran und bedeutete den Spielern während der laufenden Partie, sie müssten nun mitsamt Brett umziehen. Der irritierte Firouzja reagierte darauf mit Protest.
Als die Partie schließlich weiterging, unterlief ihm bald ein Fehler, und die beiden Spieler einigten sich auf Remis. Firouzjas via Twitch zuschauender und kommentierender Bruder Mohammadreza konnte es kaum fassen:
Die Organisatoren waren im Verlauf dieser 13. und letzten Runde in Zeitnot geraten. In den Niederlanden nahte die Ausgangssperre, vorher sollte der Tiebreak gespielt sein. Also beschlossen sie, den Tiebreak während der noch laufenden Partie Firouzja-Wojtaszek zu beginnen. Und die musste ans andere Ende des coronasicheren Saals umziehen, möglichst weit weg vom abzusehenden Gehacke zwischen Giri und van Foreest.
Über dieser Episode steht die Frage, ob es Sinn ergibt, ein Turnier dieser Kategorie im Tiebreak oder gar Armageddon zu entscheiden. Georg Meier hat dazu eine klare Meinung:
Und wenn es schon ein Tiebreak sein muss, warum nur zwischen den ersten beiden? Bei den Schachfestivals in Gibraltar und Sitges zum Beispiel wird das anders gehandhabt, auch dort gibt es ein Stechen, aber zwischen allen punktgleichen Spielern.
Und Alexander Donchenko? Dem widerfuhr in der 13. Runde das, was schon vorher, spätestens nach dem Nackenschlag gegen MVL zu befürchten gewesen war: Donchenko brach ein. Mit Weiß gegen den Russen Andrei Esipenko in einer symmetrischen Stellung, in der nicht viel los war, büßte der 22-Jährige ohne Not erst einen Bauern ein, und dann ging es auch schnell den Bach runter.
Wir haben bisher jede Wijk-Partie Donchenkos an dieser Stelle kommentiert gezeigt. Kontinuität der Berichterstattung würde gebieten, auch diese zu zeigen. Aber es war halt nicht viel los, dann war es schnell vorbei. Darum präsentieren wir heute noch einmal Donchenkos Schwarz- und Kampfremis gegen Magnus Carlsen:
Die Partie steht für das, was Jan Gustafsson während der zwölften Runde zum Auftritt seines Landsmanns anmerkte: Donchenko habe keinerlei Grund, sich zu grämen.
Als Außenseiter in letzter Minute ins Feld gerutscht, wird der ehrgeizig-ambitionerte Gießener dennoch alles andere als zufrieden mit dem sein, was die Schlusstabelle zeigt:

Oder mit dem, was die Live-Eloliste anzeigt:

Mit knapp 2680 war Donchenko ins Turnier gegangen, mit knapp 2660 hat er es beendet. Jetzt ist er wieder deutlich die deutsche Nummer zwei hinter Matthias Blübaum (2670) und spürt gar den Atem des eigentlich abgeschlagenen Liviu Dieter Nisipeanu im Nacken.
Aber neben den 3,5/13 und den minus 20 Elo stehen eben auch die Partien. Wenn wir deren nackte Ergebnisse ignorieren, stellen wir fest, dass der deutsche Großmeister in keiner der 13 Partien gegen die Elite des Schachs überspielt worden ist. Zwei Mal (gegen Firouzja und MVL) stand er auf Gewinn. Eine Reihe der Niederlagen war unglücklicher Natur: Patzer, die ausgeglichene Stellungen unmittelbar in verlorene verwandelten.
Alexander Donchenko wird, wenn die nackten Zahlen verdaut sind, einiges finden, dass er beim nächsten Mal besser machen kann. Und er wird feststellen, dass er das Potenzial hat, auch in einem solchen Feld zu bestehen.
