Westfälischer Wasserfall

Der anhaltende Starkregen in Westfalen ist auch an den Dortmunder Schachtagen nicht spurlos vorübergezogen. Weil Regenwasser deutlich hörbar in den Turniersaal tropfte und sich nicht stoppen ließ, gab Rustam Kasimdzhanov seine Partie gegen Vincent Keymer in leicht schlechterer Stellung genervt auf. Zwei weitere Partien der verregneten dritten Runde endeten wegen dieser besonderen Umstände schnell remis.

Schon vor dem Wassereinbruch am Mittwochnachmittag hatten die Dortmunder Spielbedingungen in den Sozialen Medien amüsierte Debatten ausgelöst: die Stühle spartanisch, die Tische so schmal, dass den Akteuren kaum Raum bleibt, die Ellbogen aufzustützen. Mancher Beobachter der “Sparkassen Chess Trophy” fühlte sich an die Büroausstattung seines Beraters im lokalen Kreditinstitut erinnert.

Auftakt des No-Castling-Matches zwischen Vladimir Kramnik und Viswanathan Anand. Den Eröffnungszug macht Dirk Schaufelberger, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Dortmund. Hinten: Veranstaltungsleiter Carsten Hensel (l.), Turnierdirektor Andreas Jagodzinsky (r.). Fotos (2): Christian Lünig, Arbeitsblende/Dortmunder Schachtage

Vladimir Kramnik und Viswanathan Anand sitzen derweil wie BankSchachdirektoren, auf Drehsesseln weich gebettet, vor sich ein ausladender Schachtisch. Das Match der Exweltmeister im “No Castling Chess” begann parallel zum Start der dritten Runde, und die erste Partie endete regulär, unbeeinflusst vom Unwetter, das große Teile Westdeutschlands zum Katastrophengebiet machte: Anand gewann. Kramnik hatte sein Heil auf der h-Linie gesucht, dafür Anand das Zentrum überlassen. Es entstand eine scharfes, taktisches Gefecht, an dessen Ende der Inder triumphierte.

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Während drinnen die Großmeister brüteten, bahnte sich draußen an der Seitenwand das Regenwasser einen Weg in die Halle. An der Decke des Notausgangs sammelte sich das Nass, lief am grün-weißen Notausgang-Wegweiser hinab und tropfte in unmittelbarer Nähe des “Deutschland Grand Prix” auf den Hallenboden.

Leichte Geräuschkulisse? Der westfälische Wasserfall. | Fotos via @shredderchess

Wie laut es tropfte, darüber wird sich wahrscheinlich auch am Tag danach keine Einigkeit herstellen lassen. Die Veranstalter teilen mit, es sei “eine leichte Geräuschkulisse” entstanden. Dem Vernehmen nach fühlten sich mehrere Spieler irritiert – nicht nur wegen des tropfenden Wassers, auch angesichts der sofort einsetzenden, letztlich vergeblichen Versuche, den Wasserfall zu stoppen.

Rustam Kasimdzhanov.

Ein Spieler fühlte sich mehr gestört, als er bereit war hinzunehmen. Rustam Kasimdzhanov beschwerte sich laut einer Pressemitteilung aus Dortmund erst bei Schiedsrichter Andrzej Filipowicz, dann bei Turnierdirektor Andreas Jagodzinsky. Filipowicz teilte dem Caruana-Sekundanten schließlich mit: „Die Spielbedingungen sind einwandfrei und die Geräuschkulisse völlig akzeptabel.“

Kasimdzhanov sah das offensichtlich anders. Seine Partie gegen Vincent Keymer gab er verloren und verließ die Westfalenhallen. Schachtage-Sprecher Patrick Zelbel ging auf Anfrage dieser Seite schon gestern davon aus, dass “Kasim” am heutigen Donnerstag wieder am Brett sitzt (so geschah es) – und dass der Schaden an der Seitenwand sowie im Notausgang heute repariert ist.

Während der laufenden Partien war am Mittwoch eine Reparatur nicht möglich. Um nicht unter dem tropfenden Wegweiser fortwährend wischen zu müssen, ersonnen Veranstalter und Hallen-Mitarbeiter ein Provisorium: einen mit Handtüchern ausgelegten Eimer, in den es bis zum Ende der Runde munter tropfte.

Das Provisorium gegen den Wasserfall.

Ein Akteur fühlte sich in der Lage, trotz der irritierenden Umstände sein Ding durchzuziehen.

Zwei Schwarzpartien, zwei Punkte: Dmitrij Kollars führt in Dortmund.

Nach seinem Auftakt-Schwarzsieg über Vincent Keymer triumphierte Dmitrij Kollars in der dritten Runde mit den schwarzen Steinen über den Polen Mateusz Bartel. Mit 2,5 Punkten aus 3 Partien führt der junge Bremer nun das Feld an, punktgleich mit Pavel Eljanov.

Heute stehen beim “Deutschland Grand Prix” zwei weitere Runden an. Zur Liveübertragung.

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Karl Hackenmeier
Karl Hackenmeier
2 Jahre zuvor

Hätte man dieses Konstrukt nicht schon während der laufenden Partie hinkriegen können?

Weiß man, ob die Bestuhlung und die Tische im Laufe des Turniers ausgetauscht werden?
Das sieht doch sehr nach Zwei-Klassen-Gesellschaft aus in Dortmund.

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[…] Katastrophe, die weite Teile Westdeutschlands heimsuchte, zog auch am Dortmunder Schachturnier nicht spurlos vorüber. Vincent Keymer bescherte sie einen geschenkten halben Punkt in der dritten Runde – und sie […]

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Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
2 Jahre zuvor

Bei solch einer Katastrophe ist das befinden einiger Exzentriker eher nebensächlich. Was bilden sich der eine oder andere Sportler nur ein.
Viele tausend Menschen haben gerade ihr Leben, Existenz und Kapital verloren.
Da sitzen sie auf bequeme Sitz-Möbel im trocknen und sind von paar tropfen Wasser genervt.