206 Spieler, 103 Spielerinnen, 2×3 Plätze fürs Kandidatenturnier, 2,5 Millionen Dollar Preisgeld. Der World Cup ist das größte, aufregendste Turnier, das der Schachkalender alle zwei Jahre zu bieten hat. Am Sonntag, 30. Juli, geht es in Baku/Aserbaidschan wieder los, diesmal mit einer neunköpfigen deutschen Delegation. So viele schwarz-rot-goldene Flaggen standen beim World Cup noch nie auf den Tischen.
Die Partien beginnen täglich um 13 Uhr deutscher Zeit. Gespielt werden Zwei-Partien-Matches und im Fall eines 1:1 ein Schnellschach-, dann ein Blitzschach-Stechen, bis es einen Sieger gibt.
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“Pragg haut Nakamura raus”:
Bericht zum Tiebreak der 4. Runde
|| Runde 4, Tiebreak, 11. August
Svane ausgeschieden
■ Von allen Spielern und Spielerinnen, die an diesem Freitag zum Tiebreak angetreten waren, saßen am Ende nur noch diese beiden da: Rasmus Svane ist im “sudden death” gegen Wang Hao ausgeschieden. Sieben Tiebreakpartien spielten die beiden, in denen zwar Svane eher derjenige war, der sich öfter Druck und etwas mehr Chancen herausspielte, der aber keine der für ihn günstigen Partien gewann. Inklusive klassischer Partien reihten die beiden Großmeister rekordverdächtige acht Unentschieden aneinander, bevor in der ersten 3+2-Blitzpartie die Entscheidung fiel. Wang Hao trifft im Achtelfinale auf Gukesh.
Keymer ausgeschieden
■ Vincent Keymer hat Magnus Carlsen im Tiebreak einen großen Kampf geliefert, dem Schnellschach-Weltmeister manch frustrierenden Moment beschert, aber am Ende hat es nicht gereicht. 1:1 endeten die beiden 25+10-Schnellpartien, in denen es Keymer mit äußerster Zähigkeit gelang, zwei Endspiele am Rande der Hoffnungslosigkeit ins Remis zu führen. Auch die erste 10+10-Partie endete remis. In der zweiten gelang es Carlsen, in ein Damenendspiel mit zwei Mehrbauern abzuwickeln, das nicht zu halten war. Carlsen trifft im Achtelfinale auf einen anderen Giganten des Spiels, den Ukrainer Wasyl Iwantschuk, der sich im Tiebreak gegen den Türken Vahap Sanal durchsetzte.
Pähtz im Viertelfinale!
■ Elisabeth Pähtz‘ Entscheidung, das Match gegen Weltmeisterin Ju Wenjun in den Tiebreak zu führen, hat sich als goldrichtig erwiesen. Nachdem Pähtz die erste 25+10-Partie mit Schwarz komfortabel remisiert hatte, gewann sie die zweite mit Weiß. In einem Jobava-London-System tappte Ju Wenjun in eine “bekannte Falle” (Kommentator Daniel Naroditsky), die ihr schon in der Eröffnung erhebliche Probleme bescherte. Pähtz hielt die Daumenschrauben angezogen und brachte die Partie im Doppelturmendspiel nach Hause. Im Viertelfinale trifft Pähtz auf ihre Freundin Anna Muzychuk, die sich gegen ihre Schwester Mariya durchgesetzt hat.
Weltmeister gegen Vizeweltmeister
■ “Was tue ich eigentlich hier, dieses Spiel spielen, das mich stresst und das ich langweilig finde?” Aus Vincent Keymers Perspektive ist es besonders bitter, nach einer solchen Partie noch so eine Aussage des Gegners hören zu müssen. Heute darf Magnus Carlsen ein Spiel spielen, das ihm Freude bereitet: Schnellschach. Darin ist er sogar Weltmeister. Ihm gegenüber: der Vizeweltmeister. Das sollte interessant werden.
|| Runde 4, 2. Partie, 10. August
Keymer: Tiebreak
■ Hoffen wir, dass Vincent Keymer heute Nacht vor dem Tiebreak gegen Magnus Carlsen gut schläft. Leider ist die Chance, dass ihm in einem unruhigen Traum diese Stellung erscheint, nicht gerade klein:
Zwar eine versteckte und alles andere als offensichtliche Taktik, aber auch keine superschwierige. Was für eine Chance! Dass Magnus Carlsen fehlgreift wie in der ersten Partie, ist schon selten genug. Im Match gegen Keymer sollte es ihm tatsächlich in zwei aufeinanderfolgenden Partien passieren. In der heutigen Partie nahm Keymer einmal auf c3, prima, und dann, nach 18 Sekunden – noch einmal: 17…Dxc3?. Er hatte gar nicht gewittert, dass hier taktisch etwas gehen könnte. Damit war die Chance verpasst – zur großen, unübersehbaren Erleichterung auf der anderen Seite des Brettes. Es folgte ein bekanntes Szenario. Magnus Carlsen spielte und spielte und spielte eine ausgeglichene Stellung, die Keymer anfangs perfekt im Gleichgewicht hielt.
Dann, kurz vor der Zeitkontrolle, der Durchbruch im Zentrum: 34.e5!. Objektiv nach Maschinenmaßstäben war es immer noch ausgeglichen, aber in der menschlichen Praxis schlug sich Keymer nun mit einer zerdepperten Struktur und unzureichend koordinierten Figuren herum. Diese Probleme führten zu enormem Zeitverbrauch, und der wiederum zu Ungenauigkeiten, je heikler die Lage wurde. Und dann war es schließlich vorbei. Ein Trost: Es sei eine “unmenschliche, nicht zu bewältigende Aufgabe” gewesen, so etwas über die Distanz erfolgreich gegen Carlsen zu verteidigen, erklärte der auf chess24 kommentierende Keymer-Coach Peter Leko.
Svane und Pähtz: Tiebreak
■ Der Auftritt von Elisabeth Pähtz und Rasmus Svane dauerte wenige Minuten. Beide geben ihre Weißpartien schnell remis und verschieben die Entscheidung auf morgen in den Tiebreak.
Es rauscht im Blätterwald
■ Als neulich Hussain Besou im Mitropa-Cup für Deutschland spielte, ging die Schlagzeile vom “elfjährigen Nationalspieler” durch alle Medien, und hunderttausende Menschen (mindestens) haben Schach wahrgenommen. Von alleine passiert so etwas nicht. Auf Seiten des Schachs bedarf es Leuten, die das Schlagzeilenpotenzial dieser Geschichte sehen und diese Geschichte dann in die richtigen Kanäle geben, auf dass sie sich verbreitet.
Nach Vincent Keymers Sieg über Magnus Carlsen, seinem ersten!, beim World Cup rauscht es wieder im Blätterwald. Der dpa und dem SID war der Sieg eine Meldung wert, die lief über die Redaktionsticker, und nun lesen wir überall vom neuesten Triumph unseres Hoffnungsträgers. Auch das ist nicht von allein passiert. Es bedarf Leuten, die die Geschichte sehen und die Agenturen triggern, sodass sie tätig werden etc. etc.
In der #Schachverwaltung hat sich wahrscheinlich noch nicht einmal herumgesprochen, dass der Blätterwald heute im Wesentlichen ein digitaler ist. Und es besteht kaum eine Chance, dass irgendein Schachbeamter die im Sinne unseres Sports und unseres Spiels erbrachte handwerkliche Leistung hinter den Schlagzeilen sieht, geschweige denn sie anerkennt und würdigt. Darum machen wir das heute. Hallo, DSB-Öffentlichkeitsteam, liest hier jemand mit? Guter Job! Respekt!
Vier Felder sind frei
■ Alte Leute erinnern sich: “…du musst dich entscheiden, drei Felder sind frei”, hieß es damals bei Michael Schanze im Kinderfernsehen. Diese Entscheidung war oft schon schwierig genug – aber nichts gegen die, die gestern Elisabeth Pähtz unter Zeitdruck im 38. Zug treffen musste. Sogar vier Felder waren für ihren König frei, aber drei von denen zu betreten, würde unmittelbar zum Verlust führen. Nur eines der freien Felder ist das richtige. Hättest du den König aufs richtige gezogen? Klicke aufs Diagramm und finde es heraus.
Die 100-Prozent-Bilanz des niederländischen Wundermädchens Eline Roebers ist nicht mehr. Aber sie war ganz nahe dran. Gegen die Inderin Harika Dronavalli, eine Spielerin von internationaler Spitzenklasse, schien Roebers abermals einem ganzen Punkt entgegenzusegeln, doch sie traf auf hartnäckigen, erfindungsreichen Widerstand, der bis ins Bauernendspiel nicht nachließ. Noch nach 58.f7 hätte Dronavalli scheitern können, aber sie fand den richtigen Weg und rettete den halben Punkt. Hättest du das Bauernendspiel auch gehalten? Klicke aufs Diagramm und finde es heraus.
Huschenbeth blickt zurück
■ Aller Ehren wert, wie Niclas Huschenbeth aus dem World Cup ausgeschieden ist – und gleichermaßen unglücklich wie unnötig. Den Chancen nach hätte sich der 31-Jährige gegen die tschechische Nummer eins David Navara durchsetzen müssen. Jetzt hat Niclas Huschenbeth für sein Twitch- und YouTube-Publikum sein World-Cup-Abenteuer Revue passieren lassen:
|| Runde 4, 1. Partie, 9. August
Keymer schlägt Carlsen!
■ Gewinnstellungen gegen Magnus Carlsen hatte Vincent Keymer schon so einige. Diese zum Beispiel in der Champions Chess Tour Ende 2022 ausgangs einer strategisch auf allerhöchstem Level geführten Partie…
…mit einem Schönheitsfehler. Vincent hat ihn zwar überspielt, nach allen Regeln der Kunst zerlegt sogar, aber am Ende nicht den Deckel draufgemacht. Wie so oft. Mit Sicherheit kann er es nicht sagen, aber Keymer glaubt, dass er bis zum heutigen Tage noch gar keine Partie gegen Magnus Carlsen gewonnen hatte, nicht einmal beim Bullet. “Umso schöner, dass es jetzt hier beim World Cup geklappt hat”, erklärte der 18-Jährige, der an diesem 9. August im Weltklassefeld von Baku zum Helden des Tages avancierte: Sieg gegen die Nummer eins der Welt. Eigentlich war es eine ausgeglichene Partie gewesen, in der eher Keymer gefordert war, dafür zu sorgen, dass das Pendel nicht zugunsten des Norwegers ausschlägt. Aber dann unterlief Carlsen dieser eine Fehler, der eine ausgeglichenes, ruhiges Endspiel in ein sehr schwieriges, wenn nicht sogar verlorenes verwandelte.
Kein Grund, sich zurückzulehnen. Carlsen muss die Partie morgen gewinnen, will er nicht ausscheiden, und Keymer weiß, was auf ihn zukommt: “Magnus wird alles reinlegen, was er hat.” Sein Gegenmittel: “Solide sein.”
Auch die anderen beiden im World Cup verbliebenen Deutschen schlugen sich prächtig. Elisabeth Pähtz Schwarz-Eröffnung gegen Weltmeisterin Ju Wenjun sah erst danach aus, als wolle sie eine chinesischen Einbahnstraßenfahrt gegen ihre gedrückte Bastion provozieren, aber dann organisierte Pähtz Gegenverkehr. Als sie schon darüber nachdenken konnte, vielleicht mehr zu wollen als den halben Punkt, erspielte sich die 38-Jährige mit einem Scheinbauernopfer mindestens vollen Ausgleich, nahm aber auch einen Teil der Dynamik aus der Stellung. Das Endspiel führte sie bequem zum Remis.
Rasmus Svane untermauerte gegen Wang Hao, WM-Kandidat 2022, seinen Ruf als Eröffnungsfuchs. Seinen offenen Spanier hatte Svane besser und tiefer vorbereitet als der Chinese, wie sich sehr bald am Zeitverbrauch ablesen ließ. Früh ergab sich ein Endspiel, in dem Wang Hao feststellen musste, dass er nicht viel hat. Am Ende war es der Elofavorit, der genaue Züge machen musste, um nicht in Gefahr zu geraten.
Wie sich Carlsen auf Keymer vorbereitet hat
■ Auf Magnus Carlsen kommt jetzt mit Vincent Keymer der erste Gegner zu, der ihm gefährlich werden kann, und es wird sich zeigen, ob der Exweltmeister sich noch einmal zu Glanztaten im klassischen Schach aufrafft, um das einzige Turnier zu gewinnen, das in seiner Sammlung fehlt: der World Cup. An den beiden Tagen vor dem Match vermittelte Carlsen nicht den Eindruck von jemandem, der Stunde um Stunde im Analysekämmerlein verbringt, um sich vorzubereiten. Am Montag hat Carlsen Golf gespielt, am Dienstag hat er geblitzt: Beim Titled Tuesday wurde Carlsen mit 9/11 geteilter Sieger.
Elisabeth Pähtz hat sich derweil kulinarisch auf ihr Match gegen Weltmeisterin Ju Wenjun vorbereitet: mit aserischen Schaschliks, die nicht wie in Mitteleuropa an runden, sondern an flachen Grillspießen (Schampur genannt) zubereitet werden. DIe flache Form verhindert, dass sich die Spieße von allein drehen können. Wann sie gewendet werden, obliegt allein der Grillmeisterin.
Wie Rasmus Svane ins 1/16-Finale kam
■ Alle reden von Keymer vs. Carlsen und Pähtz vs. Ju, da ist es nur konsequent, wenn wir heute mit Rasmus Svane einsteigen. Und mit Josefine Heinemann. Wer Partien deutscher Kaderspielerinnen und -spieler vorgeführt bekommen möchte (und der Perlen überdrüssig ist?), der findet bei Josefine einiges, das anderswo nicht abgebildet ist, obwohl es das wert wäre. Zum Beispiel die entscheidende, sehenswerte und nicht ganz einfache Partie, die Rasmus Svane den Einzug ins 1/16-Finale bescherte:
|| Ruhetag, 8. August
World-Cup-Taktiken
■ Einiges los auf den Brettern in Baku. Hier eine kleine Auswahl der besten Taktiken aus den beiden World Cups, ausgesiebt von unseren Freunden von chesspuzzle.net. Falls du lösen willst: einfach aufs Brett klicken!
Eline Roebers!
■ Tiebreaks? Sowas braucht Eline Roebers nicht. Von allen 48 Spielern und Spielerinnen, die noch im World Cup sind, ist die 17-Jährige aus den Niederlanden die einzige mit einer 100-Prozent-Bilanz. Alle sechs klassischen Partien hat sie gewonnen, einige davon im charakteristischen Roebers-Stil, der im Wesentlichen darin besteht, sich mit allem, was sie hat, und ohne Scheu vor Opfern auf des Gegners Bastion zu stürzen. Ob sie dieses Rezept auch im Achtelfinale gegen die 2500 Elo schwere, international erfahrene Harika Dronavalli durchzieht? Dass sie überhaupt so weit kommt, damit hatte Roebers offenbar nicht gerechnet. Sie ist für ein Rundenturnier in ihrer Heimat gemeldet, das am 10. August beginnt – und dessen Organisatoren sich nun nach einem Ersatz umschauen müssen. Eline Roebers bleibt vorerst in Baku.
Fatale Damentäusche
■ Sich mit einem Damentausch ins Endspiel hangeln – und dann herausfinden, dass diese Entscheidung der Anfang vom Ende war. Die Dramaturgie von Elisabeth Pähtz filigranem Endspielsieg am Sonntag sollte sich am Montag in mehreren Tiebreak-Matches wiederholen.
In der ersten Schnellpartie zwischen Mustafa Yilmaz und Fabiano Caruana etwa musste sich der Türke unter erheblichem Zeitdruck eines fürchterlichen Angriffs erwehren – und hielt wider Erwarten stand. Aber dann nahm Caruana ganz cool die Damen vom Brett, das bis dahin in Flammen gestanden hatte. Nun stand dort ein Endspiel und dank eines entfernten Freibauern eine technische Aufgabe für Caruana, die der Weltranglistendritte bewältigte. Der ausgeschiedene Yilmaz, in Anspielung auf den starken Vortrag der gesamten türkischen Delegation, hofft nun auf “mehr Anerkennung” für Sportler und Athleten in seinem Heimatland. Einer seiner Landsleute ist ja sogar noch im Rennen: Vahap Sanal, einziger Spieler unter 2600 Elo im 1/16-Finale, trifft jetzt auf den Publikumsfavoriten Wassyl Iwantschuk.
Dass Iwantschuk noch im Rennen ist, verdankt er – einem Damentausch des Chinesen Wei Yi, der sich als Anfang vom Ende entpuppte. Dessen Landsmann Wang Hao wiederum profitierte von einem solchen Szenario. Als David Howell gegen Wang Hao die Damen tauschte, sollte ihn das in letzter Konsequenz die erste Schnellpartie kosten. Den Rückstand vermochte er in der zweiten nicht aufzuholen. Wang Hao trifft jetzt auf Rasmus Svane.
|| Runde 3, Tiebreak, 7. August
Veni, Vidi, Vidit
■ “Wie viele Leben hat der?”, mag sich Vidit im Lauf des Matches gegen Matthias Blübaum gefragt haben, so oft kam der deutsche Großmeister zurück, drehte oder rettete schwierige Stellungen. Nach einem 1:1 in den klassischen Partien und drei unentschiedenen Schnellschach- und Blitz-Minimatches hätte Blübaum im sudden death beinahe auch das Turmendspiel mit gefühlt einem halben Dutzend Bauern weniger gerettet. Die Engine zeigte zwischenzeitlich 0,00, aber die Zeit auf der Uhr war zu knapp, um es präzise herunterzuspielen. Am Ende eines äußerst engen Matches zieht Vidit in die vierte Runde ein. Blübaum kann sich über 10.000 Dollar Preisgeld freuen.
Mit dem Ende des Tiebreaks steht der Viertrundengegner von Rasmus Svane fest: Wang Hao setzte sich gegen David Howell durch und trifft nun auf den deutschen Großmeister. Der Chinese, WM-Kandidat 2022, Elo 2699, wird nominell als (leichter) Favorit in dieses Match gehen.
Eine Frage der Technik
■ Favoritin war Elisabeth Pähtz gegen Bibisara Assaubayeva eher nicht. Umso schöner, dass sie sich durchgesetzt hat, was Schachfans den Viertrundenleckerbissen gegen Weltmeisterin Ju Wenjun beschert, einer von zwei Leckerbissen aus deutscher Perspektive. Allerdings werden wir uns gedulden müssen. Heute ist erst einmal Tiebreak (Daumendrücken für Matthias Blübaum!), am Dienstag ist spielfrei. Reichlich Zeit also, noch einmal Pähtz’ filigranen Schwarzsieg über Assaubayeva zu genießen.
|| Runde 3, Partie 2, 6. August
Keymer, Svane und Pähtz sind weiter
■ Vincent Keymer hat die vierte Runde des World Cups erreicht – und wie! Der 18-Jährige holte mehr als den halben Punkt, den er zum Weiterkommen brauchte. Amin Tabatabaeis Königsinder erwies sich als zahnlos. Früh war ein Endspiel erreicht, in dem Tabatabaei eine Qualität für Bauern und Aktivität gab, aber nie mehr hatte als Kompensation. Nach einer Ungenauigkeit in dem Bestreben, Spiel zu finden, kippte die Partie bald zugunsten Keymers, der jetzt zwei freie Tage nutzen kann, um sich auf seinen Viertrundengegner Magnus Carlsen vorzubereiten.
Rasmus Svane erzielte sicher das zum Weiterkommen benötigte Remis. Der Lübecker begann die Partie mit einer Überraschung: 1.e4, gefolgt von einem Alapin-Sizilianer, der seinen Zweck erfüllte. Es war nicht viel los, Gewinnchancen waren für beide Seiten auch mit der Lupe kaum zu sehen. Auf der anderen Seite des Brettes fügte sich Janyio Tin bald ins Unvermeidliche: remis. Svane trifft in der vierten Runde auf den Sieger des Tiebreaks zwischen David Howell und Wang Hao.
Elisabeth Pähtz spielte mit den schwarzen Steinen eine starke technische. Die Karlsbad- wandelte sich früh in eine Isolani-Struktur, in der es bei vollem Ausgleich den Anschein hatte, als habe Pähtz nichts dagegen, in die Verlängerung zu gehen. Aber ein falscher Abtausch von Bibisara Assaubayeva bescherte der Kasachin ein schwieriges Doppelspringerendspiel, in dem eine Reihe kleiner Vorteile für Schwarz sprachen. Pähtz schob die Angelegenheit sicher nach Hause. In der vierten Runde trifft sie auf Weltmeisterin Ju Wenjun.
Matthias Blübaum muss gegen Vidit in die Verlängerung. Hatte Blübaum mit Weiß noch hart und lange um den halben Punkt kämpfen müssen, ließ er mit Schwarz den Inder flugs an seinem Franzosen abprallen. Beim Stande von 1:1 werden die beiden morgen ihren Tiebreak austragen, der einzige Tiebreak mit deutscher Beteiligung. Der Sieger wird in der vierten Runde auf den Gewinner des Tiebreaks zwischen Yu Yangyi und Etienne Bacrot treffen.
Alexander Donchenko ist ausgeschieden. Nach der bitteren Schwarzniederlage vom Vortag in einer eigentlich glänzend angelegten Partie gelang ihm heute der Sieg auf Bestellung gegen die iranische Nummer eins Parham Maghsoodloo nicht. Donchenko bekam die umkämpfte, unkonventionelle Stellung, die er wahrscheinlich angestrebt hatte, und erspielte sich ein wenig Druck und gewisse Chancen. “Plus eins”, sagte die Engine zwischenzeitlich, trotzdem ergab sich nichts Greifbares. Maghsoodloo entkam in ein Turmendspiel mit ungleichfarbigen Läufern, in dem der weiße Vorteil von symbolischer Natur war. Nach 90 Zügen stellte Donchenko die Gewinnversuche ein.
|| Runde 3, Partie 1, 5. August
Keymer und Svane triumphieren
■ Vincent Keymer steht mit mehr als einem Bein in der vierten Runde, Rasmus Svane auch! Mit den schwarzen Steinen standen beide anfangs gedrückt, der eine weniger, der andere mehr. Beide holten aus ihrer zwischenzeitlich heiklen Partie den vollen Punkt. Svane glänzte mit zwei taktischen Schüssen: Der erste, 33…Tb3!, brachte ihn zurück in die Partie, der zweite, 41…Tdd5!!, stellte den vollen Punkt sicher:
Womöglich war Svane gar nicht froh darüber, dass er nicht gegen den Weltranglisten-13. Shakhriyar Mamedyarov spielen musste, sondern gegen den Underdog, der das aserische Schachschwergewicht ausgeschaltet hatte. Jingyao Tin aus Singapur gilt in seiner Heimat als aufgehender Stern und potenzieller Weltklassemann. Ende 2022 hat der 23-Jährige in Europa eine Duftmarke hinterlassen, als er beim stark besetzen Open in Il Ellobregat (Spanien) geteilter Erster wurde. Tin schlug unter anderem Hans Niemann schlug und ließ neben Dutzenden anderen Großmeistern die versammelten deutschen Kaderspieler hinter sich ließ – inklusive Rasmus Svane. Wir haben seinerzeit berichtet:
Ein anderer aus dem Trio, das in Il Ellobregat den Sieg einheimste: der Iraner Amin Tabtabaei, den sein jüngster Eloaufstieg bis auf 2696 getragen hat, also in genau die Region, in der sich Vincent Keymer während der vergangenen Monate bewegte. In der dritten Runde des World Cups trafen beide aufeinander. Keymers Hoffnung, “den Schwung aus dem ersten Match mitnehmen” zu können, wurde wahr. Der Schwarzsieg war kein plötzlicher wie der von Svane, sondern ein nach und nach herausgespielter.
Nachdem sich der 18-Jährige befreit hatte, stand ein etwas angenehmeres Endspiel auf dem Brett, und das wurde immer besser, bis es gewonnen war – mit der kleinen Hürde, dass Keymer ganz am Ende zeigen musste, ob er Dame vs. Turm beherrscht. Kein Problem – allein schon, weil Keymers Trainer Peter Leko derjenige gewesen war, der 1993 die Gewinnstrategie ausgearbeitet hat, nachdem er daran gescheitert war, das Endspiel gegen eine Vier-Steine-Tablebase zum Sieg zu führen.
Die bittere Partie der dritten Runde spielte sich auf dem Brett von Alexander Donchenko ab. Die Frage, ob ihm der bis ins sudden death gespielte Tiebreak des Vortags in den Neuronen steckt, beantwortete der Gießener, indem er mit den schwarzen Steinen sogleich das Kommando übernahm. Donchenko kam schon mit Vorteil aus der Eröffnung. Zwar ließ er die eine oder andere Gelegenheit liegen, kräftig auszuteilen, trotzdem kontrollierte er zwei Drittel des Brettes und die Partie. Die Versuche von Parham Maghsoodloo, am Königsflügel gegenzuhalten, hätten nicht mehr als ein Strohfeuer sein sollen. Aber ein Überseher Donchenkos wendete das Blatt zugunsten der iranischen Nummer eins. Die eine gute Nachricht: Donchenko steckt solche Nackenschläge weg, das hat er in Wijk 2021 wieder und wieder gezeigt. Die andere: Maghsoodloo ist ein Spieler, der Chancen sucht und gibt. Donchenko muss ihn jetzt auf Bestellung schlagen, um einen Tiebreak zu erzwingen.
Matthias Blübaums London-System gegen Vidit blieb stumpf. Aus der Eröffnung holte Blübaum nicht viel heraus, das Geschehen bewegte sich bis ins Endspiel im Gleichgewicht. Dann ließ Blübaum mehr und mehr Aktivität zu. Sein Freibauer am Damenflügel entpuppte sich als Schwächling und fiel um, und es galt 3 vs 4 Bauern am Königsflügel in passiver Stellung zu verteidigen. Dass Blübaum gegen den 2720er Vidit den halben Punkt rettete, wo indischen Schachfans schon einen ganzen eingeplant hatten, sollte ihm Mut für die morgige Schlacht mit den schwarzen Steinen machen. Auf der anderen Seite sitzt nur ein Mensch.
Elisabeth Pähtz traf auf die nominell etwa gleichwertige Kasachin Bibisara Assaubayeva. Die Partie zwischen zwei der zentralen Darstellerinnen des Grand-Prix-Dramas von Delhi verlief dramenfrei, ereignisarm und mündete bald in eine Punkteiteilung.
Handschlag?
“Let the games begin!”
— International Chess Federation (@FIDE_chess) August 5, 2023
The moment when all chess players make the exact same move: the handshake!
📷 Stev Bonhage pic.twitter.com/TPUolt3u3E
■ “Der Moment, in dem alle Spieler den gleichen Zug ausführen: den Handschlag”, twittert der Schach-Weltverband FIDE – und hat damit nicht ganz recht. Manche Handschlagverweigerungsepisode ist in die Schachgeschichte eingegangen, etwa die, als 2001 Garri Kasparow Alexei Schirow vor der Partie nicht die Hand reichen mochte. Oder die, als 2008 Frederik-Svane-Besieger Ivan Cheparinov in Wijk an Zee Nigel Short den Handschlag verweigerte. Oder natürlich die ewige Fehde der Schachfreunde Vladimir Kramnik und Veselin Topalov, die seit ihrem Toiletgate-WM-Kampf diese gute Sitte ignorieren. Beim World Cup 2023 könnten weitere Episoden folgen. Nach dem Hin und Her um die Einladung von Wassyl Iwantschuk hat der ukrainische Schachverband seinen Spielerinnen und Spielern unter anderem empfohlen, Russen den Handschlag zu verweigern.
“Ich bin ein Vater”
■ “Ich bin jetzt ein Vater, ich kann mich nicht in Gefahr bringen”, sagt Levon Aronian zur Frage, warum er (wie alle anderen Armenier und Armenierinnen) beim World Cup fehlt. Anstatt in Baku am Brett zu sitzen, war Aronian zu Gast im “Perpetual Chess Podcast”. Unter anderem geht es um sein Angebot, den World Cup hybrid (aus dem FIDE-Büro in der Schweiz) mitzuspielen. Das anzunehmen oder nicht, habe an den Ausrichtern gelegen, sagte er im Gespräch mit Gastgeber Ben Johnson. So lange zwischen Aserbaidschan und Armenien kein Frieden einkehre, so lange gegen Armenier gehetzt werde und die Situation in Bergkarabach sei, wie sie sei, so lange sieht sich Aronian außerstande, nach Aserbaidschan zu reisen. Im Podcast von gut einer Stunde geht es noch um andere Reisen: die in die USA etwa, wo Aronian mit seiner Familie lebt, oder die nach Dubai zur Global Chess League.
Zu fünft in der dritten Runde
■ Ein Rückblick auf den Tiebreak, eine Vorschau auf die Fünftrundenmatches und eine Partie von Matthias Blübaum, der seinen Tiebreak gegen David Paravyan vergleichweise glatt und souverän gewann:
Fünf freie Felder sind es aber nur, wenn man f7 zulässt.
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… und heute bitte ein Remis.
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