Markus Albert spielt seit zwei Jahren Schach. Zur Deutschen Meisterschaft U14 kam er nur als Nachrücker, weil jemand anderes krankheitsbedingt ausfiel. Mit einer DWZ von gut 1700 zählte Markus Albert im Feld der größten Talente des deutschen Schachs zu denen, die sich hinten in der Tabelle würden einordnen müssen.
Dann legte er eine Performance von 2380 hin. Markus Albert vom SC Ansbach 1855 gewann den Titel vor Konkurrenten, die sein Turniercoach Max Hess anfangs als “übermächtig” angesehen hatte. Aber dann sah Hess von Partie zu Partie, dass das, was sein Schützling spielt, weit jenseits von 1700 ist.
“Sensation” ist ein ausgelutschter, überstrapazierter Begriff, aber hier passt er. Der Titel für Markus Albert bei der Deutschen Meisterschaft U14 war eine Sensation. Wie kam es dazu? Eine Eintagsfliege oder die Geburt einer Schachhoffnung?
Wir sind das Turnier gemeinsam mit Max Hess durchgegangen. Der 23-jährige Mathematikstudent hat als Trainer der bayerischen Spieler Markus Albert durch das Turnier gecoacht. Was er dabei erlebte, teilt er im Gespräch mit dieser Seite.
Max, Glückwunsch erstmal. Du bist Dritter bei der Deutschen Meisterschaft geworden. Nicht so schlecht, oder?
Dieses Jahr ist super gelaufen. Lange war ich zwischen 2300 und 2400 herumgekrebst, jetzt bei der Deutschen habe ich meine erste IM-Norm gemacht und stehe schon bei 2440. Bald kommt hoffentlich der IM-Titel. Leider gibt es gerade keine Turniere, bei denen ich Normen machen könnte.
Eigentlich wollte ich mir dir über Coaching sprechen, aber du bist unverändert ein ambitionierter Spieler.
Klar. Den IM-Titel sehe ich jetzt eher als Durchgangsstation, auch wenn ich ihn noch gar nicht habe. Mein Fernziel lautet Großmeistertitel.
Und der Trainer Max Hess?
Ein paar Privatschüler betreue ich schon seit längerem. 2018 bei der Deutschen Ländermeisterschaft wurde ich gefragt, ob ich als Trainer für die Bayern mitkommen will. Das hat gut geklappt, und ich war 2019 und dieses Jahr bei der Deutschen als Trainer für die bayerischen Teilnehmer dabei. Aber Coaching sehe ich eher als etwas, das mir Freude bereitet, wenn es sich ergibt. Nebenberuflicher Schachtrainer bin ich nicht.
Wie finden Spieler und die vom Land gestellten Trainer bei der Deutschen Meisterschaft zueinander? Wahrscheinlich war ja nicht klar, dass du Markus Albert betreust.
Wir haben einen Trainerpool, die Kinder geben Präferenzen an. Dann gibt es noch Trainer, die eh feste Schüler haben, Michael Prusikin zum Beispiel. Der coacht dann bei der Meisterschaft diejenigen, die er ohnehin betreut.
Dann wusstest du gar nicht viel über deine Schützlinge bei der Deutschen Meisterschaft? Stärken, Schwächen, Repertoire und so weiter.
Vieles davon ergibt sich im Lauf des Turniers. Außerdem hatten wir Vorbereitungslehrgänge, auch ich habe einige von denen geleitet. Markus war aber nicht dabei, der ist ja als Nachrücker ins Turnier gerutscht, nachdem ein Spieler coronabedingt abgesagt hatte. Das war ein Schützling von mir, und als der ausfiel, war klar, dass ich Markus betreue.
DWZ gut 1700, spielt erst seit zwei Jahren, wahrscheinlich hast du nicht viel erwartet.
Den Markus hatte ich schon im Blick, er war mir mit seinem Vereinstrainer René Rieber bei der Bayerischen Meisterschaft aufgefallen – als Kuriosum im positiven Sinne. Dort hat er schon oberhalb seiner 1600 gespielt, die er da noch hatte, aber nicht so sensationell wie jetzt in Willingen. Man merkte ihm an, dass er noch nicht viel Turnierfahrung hat. Auf seinem Brett habe ich oft abseitige Gambits oder andere Sachen abseits des Mainstreams gesehen. Eine Woche später war Bayerische Schnellschachmeisterschaft. Drei Freunde von mir haben dort mitgespielt, starke Spieler, alle drei besser als 2000. Und alle drei haben gegen Markus verloren. Insofern war ich gespannt, was auf mich zukommt.
Was habt ihr in Willingen gemacht?
Markus hat immer Lust auf Schach, er brennt, das zeichnet ihn aus. Er konnte gar nicht genug von Vorbereitung und Analyse bekommen, das zog sich durch das Turnier. Ich hatte ihn natürlich gefragt, was er so spielt, und habe festgestellt, dass er viele Sachen kennt. Darunter viel Obskures, das er wahrscheinlich per Lichess-Eröffnungsbuch aufgeschnappt hat. Markus spielt ja sehr viel online. Dann stellte sich heraus, dass er sich mit seinem Vereinstrainer viele alte Partien angeschaut hat, Paul Morphy und so, offene Stellungen, in denen Leute in 20 Zügen zerstört werden. Offene Spiele und Opfer, so sah seine schachliche Ausbildung aus. Wahrscheinlich ist deswegen 1.e4 e5 das Größte für Markus. Hat er aber im Turnier nicht bekommen.
Wer trotzdem eine 2380 spielt, kann wahrscheinlich mehr als 1.e4 e5, Opfer auf f7 und Matt.
Und ob! Positionell ist Markus erstaunlich gut. Ich bin, auch vor dem Hintergrund seiner Ausbildung im Verein, gar nicht sicher, woher das kommt, wahrscheinlich ist es das außergewöhnliche Talent. Leute, die erst seit zwei Jahren Schach spielen, machen normalerweise viele antipositionelle Sachen, die kannst du kaum angucken, so weh tut das. Markus nicht. Stattdessen übersieht er manchmal Taktisches, Konkretes, aber positionell-strategisch ist es immer gesund, was er spielt. Markus hat ein erstaunliches Grundverständnis. Das sehen wir jetzt gleich in der ersten Partie gegen Magnus Ermitsch, wahrscheinlich die positionell beste Partie des Turniers. Und das gegen jemanden, den ich vor der Partie als fast übermächtig eingeschätzt hatte.
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Spätestens hier wusstest du, dein Junge kann spielen.
Die Partie habe ich online verfolgt, ich durfte ja nicht in den Spielsaal. Und ich habe erstaunt zur Kenntnis genommen, dass Markus erst bequem steht und seinen Vorteil immer weiter ausbaut. Das konnte ich kaum glauben angesichts dieses Gegners. Auch als es vorbei war, war ich mir alles andere als sicher, dass das jetzt so weitergeht.
In der zweiten Runde war Markus gegen Kevin Haack noch mehr Außenseiter als in der ersten.
Ja, Schwarz gegen jemanden mit über 2200, das sollte schwierig werden, dachte ich.
Ist es für Markus ein Faktor, wenn er sieht, dass der Junge auf der anderen Seite des Brettes nominell 500 Punkte besser ist als er?
Überhaupt nicht, Angst vor großen Namen oder hohen Zahlen hat er gar nicht. Er hat auch nach der Partie nicht gejubelt, weil er nun einen 2200er geschlagen hatte. Nach dieser Partie hat er mir eine WhatsApp-Nachricht geschrieben, darin stand: „Bin fertig.“ Mehr nicht. Und im Verlauf des Turniers hat er die Elo seiner Gegner nicht einmal erwähnt. Das spielt für ihn keine Rolle, erstaunlich. Und auch die Turniersituation generell hat ihn nicht beeindruckt. Markus hat immer nur an die nächste Partie gedacht. Oder auch an die nächste Blitz-Session auf Lichess zwischen den Runden …
… eine schwierigere Partie für Markus. Vielleicht hat er nicht super gespielt, aber er ist nicht eingebrochen, obwohl er unter Druck stand. Stark.
In der dritten Runde ging es gegen die Caro-Kann-Verteidigung.
Darauf mussten wir uns öfter vorbereiten. Markus wollte gegen die klassische Hauptvariante unbedingt irgendetwas Aggressives mit Sh3 spielen. Also haben wir uns etwas ausgeguckt.
Da wollte Markus nach Angriff fischen, obwohl objektiv nichts mehr los war.
Naja. Es war halt ausgeglichen. Die Eröffnung kann viel schlimmer ausgehen. Er wollte diese Variante spielen, die für Weiß objektiv nicht viel hergibt, die er aber kannte. Wir hatten uns das angeschaut und wussten, dass eine symmetrische, ausgeglichene Stellung herauskommt, wenn Schwarz sich ordentlich verteidigt.
Es sollte ja noch einmal Caro-Kann aufs Brett kommen.
Ja, in der letzten Runde, das sehen wir später. Da habe ich versucht, ihm die Abtauschvariante schmackhaft zu machen, aber das wollte er nicht. Das war ihm zu strategisch.
Strategie kann er doch, wie wir gerade anhand der ersten und zweiten Partie gesehen haben?
(wird fortgesetzt)
[…] Das Wunder von Willingen revisited (I): „Markus brennt, das zeichnet ihn aus.“ […]
By the way, Der Schachtrainer Max Hess hat gute Verbindungen zum Bodensee. Er hat in den vergangenen Jahren viele Turniere mit zwei jungen, aufstrebenden Schachspielern aus dem Schachbezirk Bodensee besucht, einer davon war Andreas Ciolek aus Singen, der bereits in einem anderen Artikel auf dieser Seite erwähnt wurde. Zudem wurde Hess offener Engener Stadtmeister 2014 (Schachhappening). Nur als ergänzende Info mit regionalem Bezug…
[…] Markus Albert aus Ansbach, den vor einem halben Jahr niemand kannte, der aus dem Nichts auftauchte, Deutscher Meister wurde und jetzt gar seine erste Weltmeisterschaft (online) gespielt hat. Sreyas Payyappat kam vor […]
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[…] zeigen wir drei Kurzpartien, verbunden mit einer Frage: Was war mit Markus Albert los? Nach Deutscher U14-Meisterschaft und Weltmeisterschaft ist er mit seinem SC Ansbach in der vierten DSOL-Liga angetreten. Die Bilanz: […]