Das Wunder von Willingen revisited (II): “Elfmeter verwandelt er immer.”

Seit gut zwei Jahren spielt Markus Albert Schach. Erst gerät er eher zufällig nach Willingen zur Deutschen Meisterschaft U14 – und gewinnt sie sensationell. Als Deutscher Meister durfte er an der Qualifikation für die Vorrunde zur online ausgespielten U14-Weltmeisterschaft teilnehmen. Und setzte sich auch dort durch.

Ab dem kommenden Montag greift der junge Spieler vom SC Ansbach 1855 erstmals nach den Sternen: Markus Albert ist eines der 19 deutschen Talente, die gegen die besten Nachwuchsspieler anderer europäischer Länder um die Qualifikation für die WM-Endrunde kämpfen werden. Bei dieser Endrunde wird sich ein 20. Talent dazugesellen: Als Weltranglistenvierter U16 ist Vincent Keymer für die Endrunde der U16-WM gesetzt.

Die Creme des deutschen Jugendschachs bei der Qualifikation für die in diesem Jahr online ausgespielte WM-Vorrunde, Markus Albert mittendrin. | Screenshot via Deutsche Schachjugend

Niemand war so nahe am am “Wunder von Willingen” wie Max Hess, der als Trainer des Bayerischen Landesverbands Markus Albert durch die Deutsche U14-Meisterschaft gecoacht hat. Weil Markus’ Erfolg so erstaunlich war, weil er mehr Debatten und medialen Widerhall ausgelöst hat als jeder andere in Willingen vergebene Titel, haben wir gemeinsam mit Max Hess das Turnier Runde für Runde nachgespielt. Die sieben kommentierten Partien sind ab sofort Bestandteil der BodenseeBase für Abonnenten unseres Newsletters.

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Heute der zweite Teil unseres Rückblicks auf Markus Alberts U14-Meisterschaft:

Strategie kann Markus, wie wir gerade anhand der ersten und zweiten Partie gesehen haben?

Stimmt schon, aber Lavieren liegt ihm nicht so, Markus will lieber angreifen. Und es ist ja wichtig, dass sich der Spieler mit dem wohlfühlt, was er auf dem Brett hat. Da mag ich als Coach nicht reinregieren.

Und er stand ja auch nach drei Partien mit 3/3 da.

Als einer von zwei Spielern. In der vierten Runde die erste Partie am ersten Brett, und die wurde ein Highlight unseres Turniers, nachdem unsere Vorbereitung geglückt war.

Die Partie mit dem Springeropfer auf e6, das viele Beobachter erstaunt hat.

Ja, dazu gibt es eine Geschichte, das sehen wir jetzt.

(Klick auf einen Zug öffnet das Diagramm zum Nachspielen)

Eine Hinrichtung!

Wenn Markus einen Elfmeter aufgelegt bekommt, dann verwandelt er den. Zwar macht er gelegentlich Fehler, wie wir schon gesehen haben, aber Chancen, die sich ihm bieten, nutzt er ganz konsequent.

Max Hess | Foto: DSB

Die fünfte Runde war von einem Corona-Fall überschattet.

Ob Corona im Spiel war, ist gar nicht so klar. Ein Spieler war krank, der Arzt kam, hat ihm Tabletten verschrieben, und dann ging es auch schon besser. Aber die Hotelleitung hat angeordnet, dass nun alle in Quarantäne sind, die mit ihm auf dem Zimmer waren. Davon war auch Markus betroffen. Die Spieler kamen über Nacht in Einzelzimmer, mussten ihre Partien der fünften Runde in einem abgetrennten Raum austragen und wurden während der Partie getestet.

Das war die Partie, die Markus verloren hat.

Ja, aber ich glaube nicht, dass das an den Umständen lag. Markus hat mir gesagt, dass ihm die Umstände nicht viel ausgemacht haben. Aus meiner Sicht lag es einfach daran, dass der Gegner es geschafft hat, den Ball flach zu halten. Es war eine Stellung auf dem Brett, mit der Markus nicht gut zurechtkam, in der sich offenbarte, dass er noch ein wenig unerfahren ist und die eine oder andere strategische Schwäche hat.

Bis dahin waren euch die Gegner immer in die Vorbereitung gelaufen.

Hier nicht. 1.b3 war eine Überraschung.

Und auch ansonsten eine sehr ordentliche Partie des Weißen.

Ja. Für einen U14-Spieler eine saubere strategische Leistung.

Wie war die Stimmung nach der ersten Niederlage im Turnier?

Markus hätte natürlich lieber gewonnen. Aber niedergeschlagen war er nicht.

Als nächstes wartete Leonardo Costa, einer der ganz großen Namen im deutschen Jugendschach.

Und der wartete am selben Tag, es war eine Doppelrunde. Vor dieser Partie haben Leonardos Coach Michael Prusikin und ich vereinbart, dass wir unsere Jungs nicht vorbereiten. Leonardo kommt ja auch aus Bayern, und es wäre komisch, wenn die Trainer eines Landesverbands versuchen, einander auszupräparieren. Aber den beiden Jungs stand es natürlich frei, sich auf die Partie vorzubereiten.

Markus Albert während der Deutschen U14-Meisterschaft. | Foto: Deutsche Schachjugend

Ist eine Deutsche Jugendmeisterschaft auch ein Wettkampf zwischen Trainern?

Aus meiner Perspektive spielt das keine Rolle. Viele der Trainer aus anderen Ländern kannte ich gar nicht, und bei dieser Meisterschaft gab es wegen der Hygienebestimmungen wenig soziale Kontakte. Okay, wenn da jemand wäre, den ich gut kenne, es wäre schon eine schöne Herausforderung, ihn oder sie auszukochen (lacht). Aber so eine Konstellation hat sich nicht ergeben.

Mein Eindruck ist, dass es auch unter Coaches einige Konkurrenz gibt.

Aber hier geht’s um die Spieler. Die stehen bei einer Deutschen Meisterschaft genug unter Druck. Für den Trainer sollte zählen, dass sein Schützling so gut spielt wie möglich. Da gilt es oft, Druck rauszunehmen, ein wenig zu beruhigen. Für den persönlichen Ehrgeiz des Betreuers ist da kein Platz.

Das Turnier war auf der Zielgeraden, Markus vorne dabei. Musstest du ihn beruhigen?

Gar nicht, das hat sich durchs Turnier gezogen. In Sachen Mentalität musste ich ihn weder in die eine noch die andere Richtung steuern. Markus ist sehr stabil, der zieht sein Ding durch, und er spielt gerne. Auf die Partie gegen Leonardo hat er sich in erster Linie sehr gefreut. Markus wusste, da kommt jemand, der ist sehr gut, und sich mit solchen Leuten zu messen, bereitet ihm Freude.

Das war nicht der Leonardo Costa, den Leser dieser Seite kennen.

Nicht sein bester Tag, das stimmt wohl. Züge wie Sxg6 machen es einem leicht. Aber auch wenn der Widerstand nicht so groß war: starke Partie von Markus, wie aus einem Guss!

Vor der letzten Runde waren vier Spieler punktgleich mit 5/6.

Und die anderen haben remis gespielt. Scharfe Partien zwar, aber sie wurden halt remis. Und damit war der Weg frei.

24. Dc1, sehr schön.

Bemerkenswerte Diagnose des bayerischen Refe-
renten für Leistungssport in der Fränkischen
Landeszeitung. Endspielkenntnisse
spielten in keiner der sieben Partien eine Rolle.

Markus hat die Angriffsoptionen gesehen und dass notfalls die Dame auf g3 sicher steht und von dort aus den weißen Angriff anführt. Auch wenn die potenzielle Verdoppelung der schwarzen Türme auf der e-Linie gefährlich aussehen mag: Markus guckt konkret auf die Stellung, und wenn er Lösungen für sich findet, dann lässt er sich auf Sachen ein, auch wenn sie gefährlich für ihn aussehen. Er ist sehr objektiv.

Zusammenfassend: keine Eintagsfliege. Der Bursche kann spielen.

Sehe ich auch so.

Wie siehst du Markus‘ Perspektive? Er ist als Superspätstarter rasant auf ein riesiges Niveau gekommen. Ist dir etwas Ähnliches schon einmal begegnet?

Nein. Ein Talent wie Markus durfte ich noch nie betreuen. Wenn ich ihn mit irgendjemandem vergleichen sollte, fällt mir nur Max Berchtenbreiter ein. Der ist damals als Jugendlicher so ähnlich hochgeschossen, hat allerdings viel früher angefangen. Aber die Art, sich zu verbessern ist ähnlich: Bücher lesen und viel blitzen. Außerdem erkennt man jetzt schon in Markus’ Partien seine “Handschrift”, beim jungen Max Berchtenbreiter war das auch so, dass er früh einen eigenen Stil entwickelt hat. Max ist natürlich längst ein erfahrener Spieler. Unter den Jugendlichen, die ich kenne, sehe ich niemanden mit einem ähnlichen Weg. Vor zwei Turnieren hatte Markus noch 1600. Wahnsinn.

Wie geht das weiter, wohin führt das?

Das kann ich nicht einschätzen. Ich bin gespannt.

Siegerehrung: Markus Albert ganz oben auf dem Treppchen. | Foto: Deutsche Schachjugend
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