Krause-Interview vor einem brisanten DSB-Kongress: “Wir brauchen Reformen.”

Der außerordentliche DSB-Kongress in Magdeburg verspricht eine aufregende Angelegenheit zu werden. Dem Vernehmen nach liegt eine Reihe brisanter Anträge schon auf dem Tisch oder ist in Arbeit. Zum Beispiel soll nach dem Willen einiger Länder Vizepräsident Boris Bruhn abgewählt und ersetzt werden.

Natürlich wird der Themenkomplex DSJ/Schulz auf der Tagesordnung stehen – und das gleich mehrfach. Die Schachjugend will sich in einen eingetragenen Verein verwandeln, dafür braucht sie eine Zweidrittelmehrheit. Für den Fall des Scheiterns wolle der DSB dem Kongress ein eigenes Modell vorlegen, nach dem er sich die DSJ einverleibt, heißt es. Und für den Fall, dass die Ära Jörg Schulz in Magdeburg tatsächlich endet, liegt ein weiterer Antrag eines Landesverbands vor, der zumindest sicherstellen soll, dass nicht das letzte Kreativ- und Gestaltungszentrum des organisierten Schachs auf Bundesebene endgültig aus- bzw. gleichgeschaltet wird: Nicht die DSB-Spitze, sondern ein vielfältiges Gremium solle künftig entscheiden, wer DSJ-Geschäftsführer wird. Ansonsten sei zu befürchten, Schulz werde durch einen willfährigen Untertan ersetzt.

77 Plätze für bis zu 220 Teilnehmer

So weit der Schach-Buschfunk in Sachen Kongress. Weil so viel auf dem Spiel steht, weil es brisant werden könnte, ist nicht unwahrscheinlich, dass eine Menge Leute anreisen, dass zum Beispiel Landesverbände mehr Jugendliche mitbringen als gewohnt, dass auch Gäste das Geschehen verfolgen wollen. Der Kongress wird bei der Abstimmung über oben genannte Anträge 220 Stimmen haben, bis zu 220 Delegierte plus Gäste könnten anreisen.

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Daran würde der außerordentliche Kongress scheitern, bevor er begonnen hat. 77 Plätze stehen zur Verfügung. “Eine Limitierung durch den vorgeschriebenen Mindestabstand”, erklärt DSB-Präsident Ullrich Krause im Interview in der neuesten Ausgabe in der Zeitschrift “Schach”. Was mit dem außerordentlichen Kongress passiert, wenn mehr als 77 Funktionäre vor der Tür stehen, erklärt er nicht.

Der größte Saal des Hotels, in dem 220 Funktionäre plus Gäste Abstand halten könnten, ist jedenfalls belegt. Dort spielen die Senioren am Tag des Kongresses ihre Meisterschaft, die der DSB am 22. Juli endgültig ins Gipfelprogramm aufgenommen hat.

Vizepräsident Boris Bruhn (links) sieht einem Abwahlantrag beim Kongress entgegen. Er und sein Vizepräsidentenkollege Hans-Jürgen Weyer sollten über ein relevantes Budget verfügen, erklärte jetzt DSB-Präsident Ullrich Krause. | Foto: Schachbund

In besagtem zwölfseitigen Interview mit Raj Tischbierek sagt Krause das eine oder andere Bemerkenswerte, eine Auswahl:

Neue Website noch im August

Erste Versuche, die Website in Zusammenarbeit mit einem DSJ-Webentwickler neu zu bauen, ließen diesen Entwickler verärgert und enttäuscht zurück. Nun hat der DSB die Entwicklung seiner neuen Seite anscheinend nicht ausgeschrieben, sondern laut Krause “ein Angebot” eingeholt und den Auftrag vergeben. Kosten: mehr als das DSB-Jahresbudget für Öffentlichkeitsarbeit (15.000 Euro). Nach Möglichkeit soll die neue Seite schon zum Magdeburger Gipfel live sein.

Ein Budget fürs Präsidium

Krause fordert ein eigenes Budget für das Präsidium, um es in einen handlungsfähigen Zustand zu versetzen. “Das Präsidium soll immer alle Angelegenheiten regeln, und das möglichst schnell, hat aber überhaupt keine Budgetverantwortung. Ich weiß nicht, warum das so ist, ich habe es so vorgefunden. Darüber sollten wir nachdenken”, sagt Krause drei Jahre nach seiner Wahl. Dass ehrenamtliche Referenten Budgets verantworten, wo professionelle Arbeit vonnöten wäre, hält er für “aus der Zeit gefallen”. Außerdem plädiert er für eine vierjährige statt einer zweijährigen Amtsperiode des Präsidiums.

Ein Gegenkandidat

Die beiden kommenden Abwahlanträge gegen einen Vizepräsidenten lassen jetzt schon vermuten, dass sich außerhalb der Krause-Fennerschen Kommandobrücke auf dem Tanker DSB eine Opposition formiert, um beim Kongress 2021 die Brücke zu entern. Krause rechnet fest damit, dass im kommenden Jahr ein Präsidentschafts-Gegenkandidat in den Ring steigt.

Eine Antwort aus Berlin?

In seiner Außendarstellung hat sich der DSB den Spitznamen “Die Schwarze Box” redlich verdient. Die Spitzenspieler werden nicht zu Zugpferden des Sports aufgebaut, die Funktionäre agieren im stillen Kämmerlein, und wenn doch mal etwas nach draußen geht, dann ist es meistens ungelenk, gelegentlich peinlich.

Nun scheint sich zumindest der Präsident der Erkenntnis zumindest anzunähern, dass man selbst steuern kann, wie man öffentlich dasteht. Im Falle von Kritik “haben wir bislang nicht öffentlich Position bezogen, sondern alles intern in unseren Gremien geklärt. Die Frage ist, ob man das nicht grundsätzlich ändern sollte”, sagt Krause.

DSB-Präsident Ullrich Krause. | Foto: Deutscher Schachbund

Den Boom einfangen

Anderes hat Krause grundsätzlich missverstanden: “Wir sollen alle, die mit Online-Schach anfangen, in die Vereine überführen. Wie, bitte schön, soll das funktionieren? Freie Online-Turniere entziehen sich unserem Einflussbereich.”

1. Falsch. 2. Erklären wir gerne noch einmal. 3. Falsch.

Nicht “alle” sollt Ihr überführen, lieber Ullrich, sondern für Sichtbarkeit dort sorgen, wo sich Leute außerhalb von Vereinsstrukturen für Schach interessieren. Wie das geht, hat nicht zuletzt die DSJ in den vergangenen Wochen mehrfach gezeigt, indem sie solche freien Online-Turniere selbst veranstaltet hat (so viel zum “Einflussbereich”), sie für alle geöffnet, Spitzenspieler dafür gewonnen und die Sache einem guten Zweck gewidmet hat. Bestimmt hat der eine oder andere Teilnehmer diese großartige Seite gefunden und sich nach einem Verein in der Nähe umgeschaut.

Vielleicht einfach mal (so wie neulich) über die Landesgrenzen gucken, in die USA, nach Frankreich oder England, wo die nationalen Verbände kampagnenfähig sind und ihre Zugpferde des Schachs gezielt bei solchen Veranstaltungen anspannen.

Kandidatenturnier: Fortsetzung in Deutschland?

Ullrich Krause: “Gut möglich, dass die FIDE bei nächster Gelegenheit wieder eine Großveranstaltung nach Deutschland vergibt. Aber die zweite Hälfte des Kandidatenturniers, nein.”

Hm. Sicher? Die offizielle FIDE-Linie ist tatsächlich, dass die zweite Hälfte des Kandidatenturniers in Jekaterinburg gespielt werden soll, wenn es irgendwie geht. Nur mehren sich die Anzeichen, dass es allein wegen Reisebestimmungen nicht gehen könnte. Aus zuverlässiger Quelle hören wir, dass sich die Verantwortlichen längst nach Alternativen umschauen und geneigt wären, einem erfahrenen Veranstalter außerhalb Russlands den Zuschlag zu geben. Natürlich haben wir diese Info sofort nach Karlsruhe/Baden-Baden durchgesteckt. Dort wirken sich allerdings die Vorbereitungen auf die Bundesliga-Meisterschaftsrunde 2020 kapazitätsmindernd aus.


Das vollständige Interview mit Ullrich Krause in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift “Schach”.

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Sachertorte
Sachertorte
3 Jahre zuvor

Ich finde es erschreckend, wie häufig Herrn Schormann unseriöser Journalismus vorgeworfen wird. Wenn jemand anderer Meinung ist als Herr Schormann, wird sofort das Totschlagargument “unseriös” ausgepackt. Was Sie Herr Schneider Ausgewogenheit nennen, ist nichts anderes als der Wunsch nach Verwässerung. Man kann nicht auf Probleme aufmerksam und die Dringlichkeit von deren Lösung verdeutlichen, indem man Probleme in Relation zu Dingen setzt, die nichts mit den Problemen zu tun haben. Schormann hat die für ihn wichtigen Erklärungen im Krauseinterview geprüft und sachlich kommentiert. Klar hätte er auch über darüber schreiben können, dass Krause seine Tochter nur einmal die Woche sieht. Dazu… Weiterlesen »

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Simon
Simon
3 Jahre zuvor

Den Boom Einfangen ? Ist die ein schlechter Scherz, ihr könnt froh sein, wenn nach dem Corona Chaos nur wenige fehlen.-Vermutlich wird die Abnahme aber deutlich drastischer sein. denn die Leute beschäftigen sich jetzt mit neuen Sachen

Also, wenn das so weitergeht, dass die Saison nicht zu ende gespielt wird, Vereine nicht öffnen wird da am Ende ein dicker Verlust stehen, aber ganz bestimmt kein neuer Schach Boom

acepoint
acepoint
3 Jahre zuvor

Hab mir heute wegen des Artikels und des Interviews extra am Bahnhofskiosk die aktuelle Printausgabe von «Schach» geholt. Mit der Onlinebestellung einer digitalen und damit schnell verfügbaren Version scheint der ExzelsiorVerlag ein wenig auf Kriegsfuß zu stehen oder will keine Spontanabonnenten. Bezahlung geht anscheinend nur per Überweisung, aber eine IBAN rückt der Verlag auch nach 36 Stunden nicht heraus. Aber das nur am Rande. @Bernd, ich habe mir mit großem Interesse gerade auch Deine Kommentare durchgelesen. Und ich fürchte, das hier ist der zweite Fall, bei dem wir bzw. ich mit einigen anderen Kommentatoren nicht zu 100% übereinstimmen ;-). Aber… Weiterlesen »

Last edited 3 Jahre zuvor by acepoint
Matthias Willsch
Matthias Willsch
3 Jahre zuvor

Ich finde es bemerkenswert, wie sich heute Nacht die Up- und Downvotes der ganzen Kommentare massiv verschoben haben. All die DSB-kritischen Kommentare erhielten über Nacht massive Upvotes und die anderen wurden entsprechend mit Downvotes bedacht. Wer hat denn da seine Truppen mobilisiert? Etwas kindisch, oder? Aber wer´s braucht…….

Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
3 Jahre zuvor

Unabhängig von der Person ist die Amtzeit eines Präsidenten viel zu kurz um konstruktive Arbeit zu verrichten. Sofort nach den Wahlen beginnt das Bashing aus allen Richtungen . Das heißt nach der Wahl ist zeitig wieder der Wahlkampf auf zu nehmen. Man verschleudert zu viel Energie um sich seiner loyalen Landespräsidenten (allein die Bezeichnung Präsident geht mir fast zu weit) zu versichern und Strategien entwickelt wie man sich gegenüber Landespräsidenten verhält die unabhängig von Person und Sache ihre Kolumnen schreiben und sich von dem eigenen LV feiern lassen. Persönlich habe ich mit Herrn Kraus einige mal im telefonischen Kontakt gestanden… Weiterlesen »

Gerhard Streich
Gerhard Streich
3 Jahre zuvor

Nachdem ich das Interview in voller Länge gelesen habe, möchte auch ich meinen Senf in kleiner Portion dazu abgeben: Conrad Schormann macht eine ausgezeichnete Arbeit. Hier und da an seiner Wortwahl herumzumäkeln, zeugt von Beckmesserei. Unsere Gesellschaft braucht mutige Journalisten wie ihn. Ullrich Krause empfehle ich, auf dem außerordentlichen Bundeskongress 2020 die Vertrauensfrage zu stellen.

Bernd Schneider
Bernd Schneider
3 Jahre zuvor

Eigentlich wollte ich Sachertorte ja beflissentlich ignorieren. Mache ich auch, aber wer sich im Schutze der Anonymität dazu hinreißen lässt, zu Gewalt aufzurufen, der sollte eigentlich von der Schachgemeinschaft zur Räson gebracht werden. Wer von den Schachfreunden hier bei “Ich glaube Schneider braucht einfach mal eine Tracht Prügel, um den Unterschied zu erkennen” auf den “finde ich gut”-Knopf geklickt hat, sollte vielleicht noch einmal in sich gehen. Hier geht auch mein Appell an Conrad Schormann, so etwas auf seiner Seite nicht zu dulden. Ich gehöre hier zu den Personen, die in der Angelegenheit “Präsidium Deutscher Schachbund” absolut keine Aktien haben.… Weiterlesen »

trackback

[…] 22. August gilt’s. Beim außerordentlichen DSB-Kongress in Magdeburg werden die Delegierten unter anderem entscheiden, ob die DSJ ein eingetragener Verein […]

trackback

[…] e.V.-Prozess nur still behindert. Jetzt torpedieren sie ihn offen, siehe die beiden jüngsten Krause-Interviews. Der vom DSB eingesetzte Verhandlungsführer Ingo Thorn, Vizepräsident des Bayerischen […]

Bend Schneider
Bend Schneider
3 Jahre zuvor

Ich empfand das Interview als sehr sachlich, infomativ und durchweg überzeugend. Warum Du permanent frontal auf die Entscheidungsträger des Deutschen Schachbund losgehst, entzieht sich meiner Kenntnis und darüber hinaus auch meinen Verständnis. Kritik ist natürlich sinnvoll und ausdrücklich erlaubt, aber scheinbar gab es im Interview auf 12 Seiten keinen einzigen Punkt der dir positiv aufgefallen ist. Falls ja, so hast du es diskret für dich behalten. Meiner Meinung nach funktioniert serlöser Journalismus anders. Auch in der Berichterstattung über den Fall Pähtz / Meier fehlte mir von dir ein wenig die Ausgewogenheit. Elisabeth handelt vielleicht nicht immer wie man es von… Weiterlesen »

Matthias Willsch
Matthias Willsch
3 Jahre zuvor

Ich lese hier immer sehr gern mit und kann die Kritik am DSB, die hier oft geäußert wird, auch meistens nachvollziehen Mir ist aber bewusst, dass Conrad dabei nicht ganz objektiv berichtet sondern eine gewisse Abneigung gegen den DSB hat und diese auch zeigen möchte. Die ständigen Sticheleien und Provokationen machen diese Seite aber auch aus und der Standardsatz, dass er den Pressesprecher des DSB um eine Stellungnahme gebeten, bisher aber keine Antwort erhalten habe, lässt mich jedesmal etwas schmunzeln. Gestern habe ich dann das Interview von Ulli Krause in „Schach“ gelesen und fand es richtig klasse! Er hat sehr… Weiterlesen »

Bernd Schneider
Bernd Schneider
3 Jahre zuvor

Lieber Schachfreund Schormann, eigentlich wollen wir doch alle das Gleiche. Wir möchten unserem Hobby frönen und dabei auf die phantastischen Strukturen zurückgreifen, die das deutsche Schach zu bieten hat. Für die Erhaltung (und ggf. Verbesserung / Modernisierung) der Strukturen benötigen wir Funktionäre, die sich zum Wohle der übrigen Schachspieler für unseren Sport engagieren. Es geht beim Zeugwart des Vereins los, dessen Arbeit wenig geschätzt wird. Dann hat jeder Verein einen 1. Vorsitzenden, der bei seiner Wahl direkt mal eine Lokalrunde ausgeben soll, statt von den einfachen Mitgliedern einen Schnaps  ausgegeben zu bekommen. Ohne den Bezirks- oder Verbandsspielleiter gäbe es keine… Weiterlesen »