Als Ding-Liren-Fans der erste Stunde haben wir der Nummer drei der Welt intensivst die Daumen gedrückt: Möge er die belastenden Corona-Wochen in seiner Heimat und die folgende Quarantäne in Moskau ohne Folgen überstehen. Ganz uneigennützig war das nicht.
Würde Ding Liren außer Form in Jekaterinburg antreten, drohte das Szenario, dass der fabelhafte Fabi den anderen Teilnehmern davonläuft, so wie er es zuletzt in Wijk getan hat. Und mehr noch als einen Sieg Ding Lirens wünschen wir uns ein möglichst spannendes Kandidatenturnier, das bitte, bitte erst in der letzten Runde entschieden wird.
Nun sind 6 von 14 Runden gespielt, bei beiden Topfavoriten stottert der Schachmotor, und es droht jemand davonzulaufen, dem zuvor im Schatten Caruanas und Dings allenfalls eine Außenseiterchance eingeräumt worden war. Nach zwei Siegen am Stück steht Ian Nepomniachtchi bei 4,5/6. “Plus drei” könnten schon für den Turniersieg reichen. 2018 in Berlin hätten sie für Fabiano Caruana gereicht, seine “plus vier” wären nicht nötig gewesen.
“Gut fühle ich mich jedenfalls nicht”
Den zweiten Sieg am Stück hatte Nepomniachtchi gar nicht einmal angestrebt. Es ging ihm nicht gut, er wäre mit einem ereignislosen Remis einverstanden gewesen. Bis eben dank gezielter Vorbereitung auf Dings immer noch limitiertes Eröffnungsrepertoire eine Stellung auf dem Brett stand, die der Russe gefahrlos auf zwei Ergebnisse spielen konnte. Verlustgefahr bestand keine.
Krächzend und hustend führte Nepomniachtchi nach geschlagener Schlacht das Publikum durchs Geschehen. Sogleich stand die Frage im Raum, mit der sich wenige Tage zuvor Caruana konfrontiert sah: “Hat er den Corona?”
“Gut fühle ich mich jedenfalls nicht”, sagte Nepomniachtchi. Aber er habe zusätzlich zu den beiden obligatorischen täglichen Tests um einen weiteren gebeten, und der sei negativ ausgefallen. “Die Atmosphäre hier macht es schwierig, sich gesund zu fühlen”, sagte Nepomniachtchi, ein weiterer Seitenhieb eines Spielers in Richtung Organisation.
Warum die FIDE das Turnier durchzieht
Die Turnierleitung wird am heutigen Ruhetag wieder alle Spieler im zur Praxis umfunktionierten Zimmer 708 des Hyatt Jekaterinburg zum Fiebermessen und Rachencheck antreten lassen, jeden Spieler zu seiner fixen Zeit. Liegt bei keinem der acht Schachmeister die Körpertemperatur über 37,1 Grad Celsius, wird die Show am Mittwoch weitergehen.
Das bestätigte jetzt FIDE-Direktor Emil Sutovsky, der sich angesichts der lauter werdenden Kritik von Spielern und Beobachtern angehalten fühlte, der Öffentlichkeit noch einmal zu erklären, warum die FIDE ihr wichtigstes Turnier auch im Angesicht einer weltweiten Pandemie durchzieht:
Für das sich abzeichnende Problem, dass die Schachmeister und ihre Teams nach dem Ende des Turniers voraussichtlich auf unbestimmte Zeit in Russland gestrandet sein werden, kann Sutovsky noch keine Lösung anbieten. Anish Giris kühnen Vorschlag, die Spieler und ihre Zuarbeiter mit einem FIDE-Jet vor deren Haustür abzusetzen, kommentierte er nicht.
Kann MVL den Ausreißer einfangen?
Sportlich hat Nepomniachtchi jetzt einen Verfolger, den einzigen Spieler, der sich dem Anschein nach von den misslichen Begleitumständen weitgehend freimachen kann. Nachrücker Maxime Vachier-Lagrave ist in erster Linie froh, dabei zu sein, “eine Gelegenheit, auf die ich lange gewartet habe”. Nun liegt er als einer von zwei Spielern über 50 Prozent mit “plus eins” auf Rang zwei.
Am Mittwoch hat MVL Weiß gegen Nepomniachtchi, eine zentrale, potenziell eine vorentscheidende Partie. Wir prognostizieren einen Najdorf, und wir drücken MVL die Daumen, dass es ihm gelingt, den Ausreißer einzufangen. Sollte Nepomniachtchi diese Begegnung ungeschlagen überstehen, müssen wir uns mit dem Gedanken an ein WM-Match Carlsen-Nepomniachtchi vertraut machen.
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