“Mein Job war Hikarus Weißrepertoire”: Eröffnungsguru Niclas Huschenbeth

Lwiw wird beim Benefiz-Hybrid-Match am Freitag vier Großmeister aufbieten, Berlin einen. Der allerdings wird der stärkste aller Beteiligten sein: Niclas Huschenbeth, Elo 2593, seit Jahren einer der besten deutschen Spieler, wird seine Berliner im Match gegen die westukrainische Großmeisterriege anführen.

Das Match beginnt um 17 Uhr. Georgios Souleidis und Angelika Valkova werden ab 16.45 Uhr auf Valkovas Twitchkanal die Partien kommentieren und voraussichtlich mit dem einen oder anderen Spieler über seine Partie reden. Alle Spenden kommen der “Hilfe für Kinder aus der Ukraine” von UNICEF zugute.

Wir haben vorab mit Niclas Huschenbeth über seine Erwartungen gesprochen, über die vielfältigen Projekte des 30-Jährigen – und über seine Zusammenarbeit mit dem Weltklassegroßmeister Hikaru Nakamura. Es fehlte ja nicht viel, und Eröffnungsspezialist Huschenbeth wäre Sekundant im WM-Match 2023 gewesen.

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Niclas, ein Hybrid-Match, dein erstes. Was erwartest du?

Ich bin gespannt. Gut finde ich auf jeden Fall, dass wir am Brett spielen. Das wird sich ganz anders anfühlen als am Bildschirm. In den USA habe ich in einer Online-Liga mit langen Bedenkzeiten gespielt, stark besetzt, einer meiner Gegner war Wesley So. Aber trotz der starken Gegner, trotz des Schiedsrichters im Raum: Richtig ernst nehmen konnte ich das nicht. Jetzt freue ich mich aufs Brett – und bin neugierig, wie es sich anfühlt, wenn gegenüber niemand sitzt.

Was verbindest du mit dem Namen Volodymyr Vetoshko?

Oleg Romanishin aus dem gegnerischen Team kenne ich natürlich. Vetoshko ist mein Gegner, das weiß ich, ansonsten weiß ich nichts über ihn. Ich muss gestehen, ich werde mich nicht speziell auf das Match vorbereiten.

Eigentlich bist du immer sehr konkret vorbereitet.

Stimmt. Flexibilität in der Eröffnung, Überraschungen für den Gegner sind ganz wichtig im heutigen Spitzenschach. Insofern ist das zu 100 Prozent mein Ansatz. Eröffnungsvorbereitung würde ich als eine meiner Stärken sehen. Sie ist auch etwas, das mir besonders viel Freude bereitet.

Mit Weiß ziehst du immer 1.e4.

Aber danach! In meinen Systemen variiere ich stark, versuche, mir für jeden Gegner etwas zurechtzulegen. Was allerdings gar nicht so einfach ist, es sind ja fast alle Leute immer gut vorbereitet. Und dann musst du halt schauen, wo du jemanden erwischen, ihm Probleme bereiten kannst. Ob es dann funktioniert, ist auch Glückssache.

Mit Schwarz hast du neulich Vincent Keymer das Schara-Hennig-Gambit vorgesetzt.

Hätte ich mir das doch für jemand anderen aufgespart, sage ich im Nachhinein. Vincent war recht gut vorbereitet, es hat nur halb funktioniert.

“Hat nur halb funktioniert”: Niclas Huschenbeths Versuch, Vincent Keymer im Eröffnungsdschungel des Schara-Hennig-Gambits straucheln zu lassen.

Du bist Schachspieler, Unternehmer, Streamer/YouTuber. Woher nimmst du die Zeit für die Eröffnungsarbeit?

Dass ich für die Eröffnungsanalyse nicht genug Zeit habe, ist mir schon lange klar. Die Theorie wächst und wächst und wächst, es gibt so viel zu prüfen, so viele neue Ideen. Wenn du mitkommen willst, brauchst du Hilfe. Alleine ist das nicht zu schaffen. Ich arbeite deswegen schon länger mit einem Team von Sekundanten und Helfern, aktuell sind es mehr denn je. Außerdem versuche ich, Projekte miteinander zu verbinden. Auf meiner neuen Seite Modern Chess erscheinen nach und nach Eröffnungsrepertoires, die auf meiner Eröffnungsarbeit basieren.

Wie teilst du dir deinen beruflichen Dreiklang ein?

Das wechselt, je nachdem, was ansteht. Der YouTube-Teil ist gewiss der kleinste dieser drei. Ich mache einmal wöchentlich meinen Stream, das ist es eigentlich. Ich weiß, dass sich viele Zuschauer wünschen, ich würde mehr machen, am besten täglich wie Georgios, aber ich muss Aufwand und Ertrag kalkulieren. Wenn ich mich stattdessen auf einen neuen Kurs fokussiere, habe ich mehr davon – und die Kunden von Chessence oder Modern Chess auch. YouTube will ich natürlich nicht einschlafen lassen, dafür bereitet es mir nach wie vor zu viel Freude, aber die Plattform ist wie eine Raupe Nimmersatt. Du musst sie immer neu füttern, sonst verschwindest du von der Bildfläche.

Für Projekte neben dem Schach hast du wahrscheinlich keine Zeit.

Schach ist mein Job, ein zeitintensiver, deswegen ist sogar mein Masterstudium Psychologie lange nur im Hintergrund mitgelaufen. Jetzt will ich es zu Ende bringen, die Zeit ist günstig: wenig Turniere, wenig Reisen. Ende dieses Monats möchte ich meine Masterarbeit abgeben.

Wenn doch deine Zeit so knapp ist, warum mit Modern Chess eine zweite Trainingsplattform?

Das Einzige, was wir bei Chessence nicht abdecken, sind Eröffnungsrepertoires. Natürlich lehren wir ganz allgemein Eröffnungen, aber konkrete Repertoires wären zu individuell. Darum lag für mich auf der Hand, eine eigene Seite aufzumachen, auf der ich meine eigenen Varianten und Repertoires präsentiere. Im ersten Jahr sind nur zwei Kurse erschienen, noch ist nicht so viel passiert. Trotzdem: Dieses Projekt liegt mir am Herzen, ich will es vorantreiben. Es deckt sich mit meinen Vorlieben, und ich möchte gerne Leuten helfen, gut in die Partie zukommen.

Das Marketing dafür könntest du mit Storytelling rund um deine Partien verbinden: „Wie ich Vincent Keymer mit dem Schara-Hennig-Gambit in Schwierigkeiten brachte – das Repertoire“.

Etwas in der Art mache ich schon, indem ich meine Partien in Streams analysiere und meine Ideen zeige. Beim Kandidatenturnier war ich ja Sekundant von Hikaru Nakamura…

…was?

Ja, ich war für Hikarus Weißrepertoire zuständig. Als ich jetzt einen Teil dieses Repertoires gegen Nils Grandelius gespielt habe, habe ich daraus natürlich ein Video gemacht. Auf diese Weise sehen die Leute, wie viel Arbeit hinter meinen Eröffnungen steckt, und dass ich weiß, wovon ich rede, wenn es um Eröffnungen geht.

Huschenbeth spielt in der Bundesliga Nakamura-Kandidaten-Vorbereitung gegen die schwedische Nummer eins Nils Grandelius.

Wie bist du Nakamuras Sekundant geworden?

Ich fand ihn immer schon cool, ich war ein bisschen ein Fan von ihm. 2018 auf der Isle of Man haben wir einander kennengelernt. Er wartete mit seiner Freundin auf den Beginn der Siegerehrung, vor ihm ein Brett. Da habe ich meinen Mut zusammengenommen und gefragt, ob er Lust hat zu spielen. Wir haben ein paar Partien gespielt, ein wenig geredet, das war sehr nett. Es stellte sich heraus, dass auch er von mir schon gehört hatte. Später habe ich ihn auf Facebook gefragt, ob ich ihm eröffnungstechnisch helfen kann. Seit 2019 haben wir sporadisch zusammengearbeitet. Akut wurde es jetzt, als Hikaru Grand Prix und dann Kandidatenturnier gespielt hat. Beim Grand Prix habe ich noch nicht viel gemacht, aber als dann das Kandidatenturnier anstand, sagte er: „Du bist im Team. Dein Job ist mein Weißrepertoire.“ Wir haben einander noch in Berlin getroffen, Hikaru, sein Hauptsekundant Kris Littlejohn und ich. Wir haben dann einen Plan ausgearbeitet. Später hat mir Hikaru konkret gesagt, wo er Varianten und Ideen braucht.

„Ideen“. Das Wort fällt oft, wenn starke Großmeister über Eröffnungen reden.

Darum geht es im modernen Schach ganz wesentlich: frische Ideen finden. Und das habe ich mehrere Monate lang für ihn getan, extrem viel Arbeit. Ein paar Sachen hat er verwendet, das hat mich sehr gefreut, das war etwas Besonderes: Ich hatte direkten Einfluss auf das Geschehen beim wichtigsten Turnier des Schachs.

Und du hast wahrscheinlich mitgefiebert.

Ich war so nervös! Erstmal die Anspannung, ob tatsächlich aufs Brett kommt, was wir vorbereitet haben. Und dann die Furcht vor einem Loch in der Vorbereitung, das Bangen, ob alles funktioniert. Zum Beispiel die Weißpartie gegen Caruana, offener Spanier, meine Vorbereitung. Die beiden blitzen alles runter, und dann macht Caruana diesen Zug, den ich eigentlich als nicht so gut wahrgenommen hatte. Aber Nakamura spielt ohne großes Nachdenken eine Antwort, die nicht in unserer Datei stand. Er hatte etwas verwechselt, sein Zug wäre auf andere Züge Caruanas die richtige Antwort gewesen. Ich saß zu Hause vor dem Bildschirm, habe die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und gedacht: „Oh Mann, das gibt’s doch nicht.“ Am Ende zeigte sich, dass Caruana noch tiefer analysiert hatte als wir, und dass sein Zug gut gewesen war. Indem Hikaru etwas verwechselte, hat er letztlich vermieden, Caruana in die Vorbereitung zu laufen.

Ein Glück.

Ja, auf eine Weise. Ich hatte empfohlen, diese Variante anzusteuern, weil ich da gute Aussichten für Weiß sehe, was auch die praktischen Ergebnisse zeigen. Dass dann nicht genau das aufs Brett kam, was ich ausgearbeitet hatte, war tatsächlich Glück, weil Caruana darauf noch tiefer vorbereitet war. Und so habe ich als Zuschauer ein Wechselbad der Gefühle durchlebt: erst der Ärger darüber, dass Hikaru abweicht, dann die Erleichterung, weil es letztlich sogar gut gelaufen ist.

“Tausend Tode gestorben”: Kandidatenturnier 2022, Ding Liren gegen Hikaru Nakamura, und es geht um nicht weniger als die Antwort auf die Frage, wer 2023 um die Schachweltmeisterschaft spielen darf. | Foto: Stev Bonhage/FIDE

Bis zur letzten Runde des Kandidatenturniers stand für dich die Perspektive im Raum, Sekundant bei einem WM-Match zu sein.

Während der letzten Runde gegen Ding bin ich tausend Tode gestorben. Mit der Eröffnung hatte ich nichts zu tun, trotzdem. Wäre Hikaru Zweiter geworden, wäre ich beim WM-Match gegen Nepo wahrscheinlich Teil seines Teams geworden. Im Nachhinein ist es schon ein wenig bitter, dass es für Hikaru nicht ganz gereicht hat.

Deine Partie gegen Grandelius in der Bundesliga hast du schon erwähnt. Offenbar darfst du in deinen Partien verwenden, was für Nakamuras Kandidatenturnier vorbereitet war.

In anderen Fällen wäre das nicht selbstverständlich, aber hier ist es so. Für mich bedeutet diese Regelung einen weiteren Gewinn aus der Zusammenarbeit. Abgesprochen war, dass ich bis zum Ende des Kandidatenturniers nichts von der Vorbereitung verwenden darf. Hikaru hat gesagt, dass ich danach darüber verfügen kann. Der Hintergrund ist wahrscheinlich, dass er ja kaum noch am Brett spielt.

(Titelfoto: Thorstein Magnusson/Reykjavik Open)

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Michael Hassemer
1 Jahr zuvor

Weltklasseantwort auf die Frage, wie man Sekundant wird: “Ich fand ihn schon immer cool.”

Carl Magenstab
Carl Magenstab
1 Jahr zuvor

Da ist es wieder, das Wort Storytelling. Gruselig.