Wien ist raus aus der Verlosung, Stavanger auch, Monaco war nie drin. Gut ein Jahr vor dem WM-Kampf 2020 kann die FIDE keine Ausrichterstadt benennen, nicht einmal eine potenzielle. Bewerber gibt es noch gar nicht, nur Interessenten.
Trotzdem will der Schach-Weltverband am 1. November bekanntgeben, wo Magnus Carlsen seinen Titel verteidigen wird – eine kühne Ansage zwei Wochen vorher, ohne Bewerber an der Hand zu haben. „Die FIDE ist in Zeitnot“, meldete jetzt die norwegische Rundfunkgesellschaft NRK.
„Eine Großveranstaltung wie ein WM-Match benötigt viel Vorbereitungszeit. Eigentlich müsste jetzt schon die Ausschreibung für das Match 2022 laufen“, sagt Christian Hursky, Chef des Österreichischen Verbands, der 2020 sein 100-jähriges Bestehen feiert. Weil dieses Jubiläum ein toller Anlass wäre, die größte Schachveranstaltung der Welt nach Wien zu holen, wollte sich Hursky frühzeitig einen Vorsprung vor potenziellen Konkurrenten erarbeiten. Anfangs lief das gut, dann kann ihm die internationale Schachpolitik dazwischen.
Wie Agon die WM verlor
Schon im März 2018 traf sich Hursky in Berlin beim Kandidatenturnier mit FIDE- und Agon-Vertretern, um das Interesse der österreichischen Hauptstadt zu unterstreichen. Im September, drei Wochen vor der FIDE-Wahl, besuchten Agon-Chef Ilya Merenzon und der damalige FIDE-Schatzmeister Adrian Siegel Wien, um sich von der WM-Tauglichkeit der Stadt zu überzeugen. Damals lag Wien bestens im Rennen, gleichwohl deutete sich an, dass die Wiener als Co-Ausrichter erhebliche Mitteln würden auftreiben müssen, um das Match in ihrer Stadt möglich zu machen.
Dann die FIDE-Wahl: Arkady Dvorkovich triumphierte, und bei der „alten“ FIDE rollten reihenweise Köpfe – inklusive dem des Schatzmeisters, der gerade erst Wien inspiziert hatte. Und es zeigte sich, dass es dem neuen FIDE-Präsidenten wichtiger war, dem ungeliebten Schachveranstalter Agon/WorldChess die Zuständigkeit für die WM wegzunehmen, als frühzeitig eine Ausrichterstadt zu finden.
Vertraglich sind Agon und die FIDE zwar weiterhin Partner (angeblich bis 2026), aber die Merenzon-Firma operiert seit Oktober 2018 an der kurzen Leine und mit beschnittenen Kompetenzen. Aus dem WM-Zyklus mit World Cup, Grand Swiss, Grand Prix, Kandidatenturnier und WM-Match ist Agon allein die Grand-Prix-Serie geblieben, und selbst da scheint die FIDE im Detail hineinzuregieren.
Zumindest lässt sich ein Brief Dvorkovichs an den DSB-Präsidenten Ullrich Krause so interpretieren. Der DSB hatte gebeten, Krause den Vorsitz über die Schlichtungskommission beim Grand Prix in Hamburg zu überlassen. Ein Beobachter berichtet, dass es mehr als einer Nachfrage aus Deutschland bei der FIDE bedurfte, bis den DSB die Nachricht erreichte, dass Krause den Job bekommt. Und diese Nachricht kam aus dem Büro Dvorkovich in Moskau, unterzeichnet vom großen Schach-Chef höchstselbst.
Erst schied Wien aus, dann Stavanger
Hinsichtlich der WM 2020 startete die FIDE den Bewerbungsprozess unter eigener Aufsicht neu. Damit waren Hurskys Bemühungen hinfällig, allein schon, weil sich bis zu einer möglichen Zusage ein potenzieller Spielort im stark gefragten Wiener Museumsquartier nicht hätte reservieren lassen. „Die neuen Rahmenbedingungen waren für uns in so kurzer Zeit nicht erfüllbar“, erklärt Walter Kastner, Generalsekretär des ÖSB. Die Wiener beschlossen, sich gar nicht erst neu zu bewerben.
Aus Sicht der FIDE kann das Ausscheiden der Österreicher noch kein Beinbruch gewesen sein. Es gab ja zumindest die Bewerbung Stavangers, jener norwegischen Stadt, in der Jahr für Jahr unter exzellenten Bedingungen das Weltklasseturnier „Norway Chess“ stattfindet. Nur hatten die Organisatoren dort über ihren WM-Ambitionen den Umstand ignoriert, dass Magnus Carlsen gar kein Interesse hat, seinen Titel in seiner Heimat zu verteidigen.
Monaco: nur ein Gerücht
Wegen des öffentlichen Drucks würde der norwegische Superstar ein Match in Norwegen als Wettbewerbsnachteil sehen, ein durchaus bekanntes Problem, das monatelang stumm schwelte. Dann überwarf sich Carlsen mit dem norwegischen Schachverband, verkündete im Zuge dessen, er werde in Norwegen bestimmt kein WM-Match spielen, und den Schachfreunden aus Stavanger blieb nichts anderes, als ihre Bewerbung zurückzuziehen.
Also Monaco? Der Name des Fürstentums war erstmals als möglicher WM-Spielort öffentlich geworden, als Merenzon im September 2018 Wien besuchte. Aber als jetzt der norwegische Rundfunk der Frage nachging, ob es überhaupt noch WM-Bewerberstädte gibt, hörten sie aus Monaco: „Wir haben uns nie um das WM-Match 2020 bemüht.“ Im Nachhinein lässt sich trefflich spekulieren, ob Agon das Gerücht um eine Schach-WM in Monaco selbst gestreut hat, um den Bewerbungsprozess anzuheizen. Ins Beuteschema Merenzons würde das schillernde Fürstentum mit seiner hohen Celebrity- und Party-Dichte perfekt passen.
Zwei Bewerbungen in Kürze erwartet
FIDE-Öffentlichkeitsarbeiter David Llada bestätigt, dass es derzeit keine Bewerbung für das Match 2020 gibt. Aber er fügt hinzu, dass sich bei der FIDE drei Interessenten gemeldet hätten. Von zweien erwarte er in Kürze eine Bewerbung, und am 1. November schon wolle die FIDE den Austragungsort verkünden.
Selbst wenn sich das als zu optimistisch erweisen sollte, in Gefahr wird das WM-Match nicht geraten. Notfalls kann Arkadi Dvorkovich immer eine der in Sachen Schach bewährten russischen Großstädte aus dem Hut zaubern, sei es St. Petersburg, Moskau, Khanty Mansiysk oder Skolkovo. Aber wer weiß, vielleicht bewirbt sich ja eine von denen von sich aus?
Wenn gar nichts mehr gehen sollte – Bremen stände noch bereit!
Das Weserstadion bietet Platz für 40.000 Schachfans, es ist teilüberdacht, liegt naturnah an der Weser, und das Catering hat sich bereits in vielen Schachveranstaltungen bewährt.
Conrad, stell’ die Idee doch einfach mal in den Raum, sollte sich die FIDE bei Dir melden. Danke! 🙂
Fehlt bei den russischen Großstädten nicht Elista? Das hätte echt mal was, wenn Kirsan sich noch mal um die WM bewerben würde. Einfach mal dem Nachfolger den Finger gezeigt. 🙂
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