Deutsche Einzelmeisterschaften 2023

Die Deutsche Meisterin 2022 Lara Schulze musste sich schon vor dem gestrigen Auftakt der Meisterschaft 2023 in Ruit einige Gedanken machen. Ihrem Blog entnehmen wir zwei Fragen, vor denen sie stand: Soll sie wirklich zweimal im Verlauf des Wettbewerbs umziehen? Und, wahrscheinlich wichtiger, an welcher Deutschen Meisterschaft soll sie teilnehmen? Qualifiziert war Schulze für die offene ebenso wie die der Frauen.

Ursprünglich sollten die Deutschen Meisterschaften Teil des Schachgipfels 2023 in Braunschweig sein. Infolge der DSB-Finanzschmelze fiel der Gipfel aus. Dem Deutschen Schachbund ist es gelungen, für alle in Braunschweig geplanten Turniere andere Ausrichter zu finden. Vor kurzem etwa liefen in Viernheim die Deutschen Meisterschaften im Blitzschach.

Für seinen Auftaktsieg über Bundesligaspieler IM Nikolas Wachinger gewann die hessische Hochbegabung Christian Glöckler (11) den Preis für die beste Partie der ersten Runde.

Die „Masters“, die eigentlichen Deutschen Meisterschaften, werden, wie exklusiv von dieser Seite gemeldet, Ende des Jahres in Rosenheim stattfinden. Das im Vergleich dazu kaum zweitklassige Turnier, das „Deutsche Meisterschaft“ heißt, hat jetzt in Ruit bei Stuttgart begonnen, ausgerichtet vom Württembergischen Schachverband.

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Auch wenn die Deutschen Meisterschaften als solche ein Scherz sind, auch wenn dadurch der wichtigste Titel, den der Schachbund zu vergeben hat, beliebig wird, haben die Wettbewerbe doch zunehmend eine Funktion, die der sportlichen Substanz des deutschen Schachs dient: als Stahlbad für den Nachwuchs. Zahlreiche der größten deutschen Talente sind am Start. In Ruit bekommen sie die Gelegenheit, sich mit der zweiten Garde der besten deutschen Schachspieler zu messen.

Christof Bolay, Oberbürgermeister von Ostfildern, eröffnet die Deutsche Meisterschaft mit 1.d4, der topgesetzte Großmeister Daniel Fridman (l.) ist einverstanden. Christoph Dahl auf der anderen Seite des Brettes schaut skeptisch, er ahnt, was auf ihn zukommt. Unlängst beim World Cup war Fridman mit den weißen Steinen drauf und dran, dem 2700-Großmeister Nikita Vitiugov einen vollen Punkt abzuringen.

Das ist umso wichtiger, weil ein andere Deutsche Meisterschaft in dieser Hinsicht nicht mit der Zeit gegangen ist: Zwar werden ambitionierte Schachspielende immer jünger immer besser, zwar kommen IM- und GM-Normen immer früher, aber die Deutschen Jugendmeisterschaften haben sich nicht mitentwickelt. Für diejenigen Talente, die Schach als Leistungssport betreiben, sind die Deutschen Jugendmeisterschaften im Sinne von Wettbewerb auf Augenhöhe, auch im Sinne von Normchancen nicht attraktiv. Die Folge: Sie spielen nicht mit.

Den Deutschen Jugendmeisterschaften fehlt ein Jugend-Elitewettbewerb wie das „Masters“ für die Allerbesten, abgekoppelt von den regulären Meisterschaften in den Altersklassen. So ein Wettbewerb fehlt nicht erst seit diesem Jahr, aber nun, da sich in den jungen Jahrgängen mehr Ausnahmetalente denn je tummeln, fällt dieses Defizit Jahr für Jahr umso mehr auf.

Die Deutsche Schachjugend fühlt sich für die sportliche Entwicklung der Glöcklers und Deuers nicht zuständig. Gut also, dass solche Ausnahmejugendlichen vom Schachbund einen nationalen Wettbewerb serviert bekommen, an dem sie wachsen können, ein Wettbewerb, der Leonardo Costa (15) im August 2022 sogar den Deutschen Meistertitel beschert hat. Costa, an 24 gesetzt, siegte vor einer Reihe von GM und IM. Die für solche außergewöhnlichen Jungs weniger interessante Deutsche Meisterschaft U14 im Juni 2022 hatte er zugunsten eines Normturniers ausgelassen.

Mit 14 IM geworden, jetzt mit 15 in Biel zum ersten Mal an einer GM-Norm geschnuppert. Mit Marius Deuer ist ein weiterer Ausnahmebegabter des deutschen Schachs bei der Deutschen Meisterschaft in Ruit am Start.

Auch die Deutsche Meisterin Lara Schulze, dem Jugendalter noch nicht lange entwachsen, hätte die Deutsche Meisterschaft 2023 im Sinne von stärkstmöglichem Wettbewerb und als potenzielles Normturnier nutzen können. Als Siegerin der Bremer Meisterschaft hätte sie die offene Deutsche Meisterschaft in einem Feld mit fünf GM, fünf IM und zahlreichen FM mitspielen können. Stattdessen entschied sie sich für die Mission Titelverteidigung in der Frauenkonkurrenz.

Vor dem Start musste sie noch die Sache mit dem zweimaligen Umzug klären. Nach der Ankunft sollten Spielerinnen und Spieler in einem Hotel unterkommen, die folgenden sechs Nächte in der Sportschule Ruit (dem Austragungsort), danach wieder im Hotel. Schulzes Nachfragen führten zu der Antwort, sonntags habe die Sportschule geschlossen, daher keine Übernachtungsmöglichkeit.

Dazu Schulze: „Meiner Meinung nach kann in einer Sportschule, die sonntags schließt, keine Meisterschaft stattfinden, die zwei Sonntage beinhaltet, denn zweimaliges Umziehen während der Meisterschaft ist meines Erachtens nach ein absolutes No-Go. Ob überhaupt eine Sportschule, die den Fotos nach zu urteilen etwa den Standard einer besseren Jugendherberge hat, für die Ausrichtung einer Deutschen Meisterschaft das Richtige ist, bleibt eine weitere Frage.“

Die Deutsche Meisterin Lara Schulze will in Ruit ihren Titel verteidigen.

Womöglich hat sich das „No-Go“ ein wenig relativiert. Im DSB-Kurzinterview nach ihrem Auftaktsieg wirkt Schulze vergnügt, bekommt allerdings keine der angesichts ihres Blogeintrags naheliegenden Fragen gestellt, nicht einmal die spannende, warum sie sich für die eine und gegen die andere Meisterschaft entschieden hat.

Sicher dürfte sein, dass die Titelverteidigerin nach der zweiten Partie zufrieden ins Sportschulbett gefallen ist. Mit 2/2 gehört Schulze der fünfköpfigen Gruppe an, die das Turnier anführt.  

Christian Glöckler wird erst im November zwölf. Als Elfjähriger führt er nach seinem Sieg über Thilo Ehmann die Deutsche Meisterschaft der Erwachsenen mit zwei Punkten aus zwei Partien an.
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Werrataler
Werrataler
8 Monate zuvor

Die deutschen Jugendmeisterschaften haben doch den Zweck, den/die deutschen Meister der jeweiligen Altersklassen zu bestimmen. Dazu gehört nicht, für die Ausnahmetalente ein separates Superturnier zu veranstalten. In Analogie zum German Masters führt dies erst recht zu einer Abwertung der “richtigen” deutschen Meisterschaften. Es ist verständlich, dass wegen vielerlei (wohl hauptsächlich finanziellen) Gründen die Deutsche Meisterschaft für die besten deutschen Spieler unattraktiv ist, doch sollte dies im Jugendbereich (noch) kein Ausschlussgrund sein. Mag sein, dass für junge Ausnahmetalente dabei wenig sportliche Herausforderung gegeben ist. Dennoch sollte eine Deutsche (Jugend-)Meisterschaft eine größere Spielerbandbreite umfassen. Die Mehrzahl der Teilnehmer hat sich schließlich in… Weiterlesen »

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[…] Deutsche Einzelmeisterschaften 2023 […]

Thomas Richter
Thomas Richter
8 Monate zuvor

Ich weiß nicht, wer für Kadertraining zuständig ist, Schachbund oder Schachjugend – Christian Glöckler hatte von seiner schnellen Aufnahme in den Kader sicher profitiert, und sei es nur im Sinne von “Anerkennung seines Talents = zusätzliche Motivation”. Ausnahmetalente der jeweiligen Altersklasse können bei Jugendmeisterschaften wohl das machen, was sie nun quasi auch machen: Start in einer höheren Altersklasse. Schon in der U14 hätte Christian Glöckler mit Magnus Ermitsch, Hussain Besou und dem Ukrainer Artem Dyachuk drei etwa gleichwertige Konkurrenten gehabt (deutscher Meister wurde dann keiner dieser drei), wenn er als Supertalent bei der U18 mitspielen dürfte wäre er Nummer 10… Weiterlesen »

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[…] Deutsche Einzelmeisterschaften 2023Bericht zum Auftakt der Deutschen Meisterschaften […]

Malek
Malek
7 Monate zuvor

Ich finde die Ergebnisse der Deutschen Einzelschachmeisterschaft 2023 im Schach der Herren in Stuttgart nicht. Bitte um Hilfe. Herzlichen Dank.

Grüße von Karl-Martin Malek

Sensibelchen
Sensibelchen
8 Monate zuvor

“fühlt sich die Jugend nicht zuständig”
Ich dachte immer, Leistungssport und Trainingslizenzausbildung (zur Sicherung von Nebeneinkünften einiger Referenten/Funktionäre) wären Angelegenheit des anderen Verbandes (Bund und Land) und nicht seiner Jugendorganisationen. Daher wären solche Gefühe doch eine bürokratische Kompetenzüberschreitung, insbesondere wenn dafür auch noch Finanzmittel eingesetzt werden würden, oder habe ich das falsch verstanden?