Nepo vs. Ding: Zwischen-WM im eurasischen Spannungsfeld

14 Partien, Preisfonds 2 Millionen Euro. Vom 7. April bis 1. Mai werden Ian Nepomniachtchi und Ding Liren, Nummer 2 und 3 der Welt, in der kasachischen Hauptstadt Astana klären, wer Magnus Carlsen als 17. Weltmeister der Schachgeschichte ablöst. Das hat der Weltschachverband FIDE jetzt bekanntgegeben – 78 Tage vor Beginn des Matches.

Höchste Eisenbahn: Jetzt steht fest, wo Ding Liren und Ian Nepomniachtchi ausfechten, wer Magnus Carlsens Nachfolger wird. | Grafik via FIDE

Diese nie dagewesene Kurzfristigkeit zeigt an, wie schwierig es war, einen Ort für den Wettkampf zu finden und die angepeilte Börse von mindestens 2 Millionen Euro aufzutreiben. Eine Reihe von Faktoren haben sich verzögernd ausgewirkt, beginnend mit dem, dass der beste und bekannteste Schachspieler der Welt nicht mehr Weltmeister sein möchte. Ein WM-Match ohne Magnus Carlsen ist der Öffentlichkeit ebenso schwer vermittelbar, wie es sein in der Weltrangliste hinter dem Norweger platzierter Nachfolger als Weltmeister sein wird. Wer immer gewinnen mag, er wird ein Legitimationsproblem haben.

Ein russisch-chinesisches WM-Match ist keine Premiere im Weltschach: Aleksandra Goryachkina versus Ju Wenjun wurde Anfang 2020 zur einen Hälfte in Shanghai und zur anderen in Wladiwostok gespielt. Diesmal waren die beiden Heimatländer der Kontrahenten als Ausrichtungsort kaum eine Option. Der anhaltende russische Krieg gegen die Ukraine seit dem russischen Überfall im Februar 2022 macht Russland als Austragungsort unmöglich. China wäre möglich gewesen, aber unter erheblichen Einschränkungen, etwa mit der Zeitverschiebung, die das europäische und amerikanische Publikum getroffen hätte. Dazu die Reisebeschränkungen für Besucher aus dem Ausland und die Covid-Welle, die China derzeit stärker trifft denn je.

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Während der russische Staat von weiten Teilen der Welt geächtet wird, versucht der russische WM-Finalist, sich durchzuschlängeln, ohne hier wie dort anzuecken. Direkt nach dem Überfall auf die Ukraine hat „Nepo“ seine Ablehnung deutlich gemacht, den vielzitierten offenen Brief an Putin unterschrieben; seitdem hält er sich mit Äußerungen zurück. Zuletzt reihte er sich in einem Podcast bei den vielen privilegierten Landsleuten ein, die stillschweigend hoffen, dass irgendwie von alleine alles wieder gut wird.

Trotz seiner Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen: Ian Nepomniachtchi ist Russe und wird es bleiben. Seinem Land, dessen Kultur und Seele fühlt er sich zu sehr verbunden, als dass er wie eine wachsende Zahl anderer russischer Schachmeister Russland den Rücken kehren würde. Das Angebot, bei der FIDE unter neutraler Flagge geführt zu werden, hat Nepomniachtchi abgelehnt. Mit seinem Kauf des World Chess Clubs in Moskau hat er sich in unmittelbarer Nähe des Roten Platzes ein zweites geschäftliches Standbein gebaut.

Nepomniachtchis Bekenntnis zu Russland bringt mit sich, dass sein WM-Match „im Westen“ kaum vorstellbar ist. In Warschau, Berlin, London, aber auch in Saint Louis oder New York dürfte sich kaum jemand finden, der Interesse daran hat, ein Match auszurichten, aus dem mit einiger Wahrscheinlichkeit („50 Prozent“ laut Nepo) ein russischer Weltmeister hervorgeht, dessen Sieg sogleich von der russischen Propagandamaschine verwertet würde.

Astana, Kasachstan also, ein Ort, mit dem Schachfans zumindest namentlich vertraut sind.  Die Schnellschach- und Blitzweltmeisterschaften 2012 fanden in Astana statt, ebenso die Mannschaftsweltmeisterschaften 2019 und zuletzt im vergangenen September der FIDE Grand Prix der Frauen. Auch die Rapid- und Blitz-WM 2022 wurde in Kasachstan gespielt, allerdings in der größten Stadt des Landes, Almaty, und unterstützt von demselben Unternehmen, das nun für den WM-Preisfonds aufkommt.

Der Grand Prix der Frauen im September 2022 mit Dinara Wagner war das jüngste internationale Turnier in Astana. Das nächste wird das WM-Match im April 2023 sein.

Zwar hatte es WM-Ambitionen in Mexiko gegeben, zwar lag ein argentinisches Angebot vor, aber mutmaßlich hatte die FIDE keine Alternative, die annähernd so viel Geld in dem WM-Pott spült wie der von der ukrainischen Regierung sanktionierte gebürtige Russe Timur Turlov mit seiner kasachischen „Freedom“-Finanzgruppe, die sich von der FIDE-PR trefflich als „an der NASDAQ notiertes, in den USA ansässiges Unternehmen mit kasachischen Wurzeln, das Finanzdienstleistungen anbietet“ verkaufen lässt.  

Der in Moskau geborene Milliardär Turlov hat nach dem russischen Überfall auf die Ukraine seine russische Staatsbürgerschaft aufgegeben und sein Russlandgeschäft verkauft. Er ist jetzt kasachischer Staatsbürger – und als solcher nicht nur unter ukrainische Sanktionen, auch in den Fokus der kasachischen Finanzaufsicht geraten. Einige seiner Firmen sollen an Kursmanipulationen beteiligt sein.

Kurz bevor die FIDE die WM-Vergabe verkündete, hat sich Turlov zum neuen Vorsitzenden des kasachischen Schachverbands wählen lassen. Zwei Stunden nach der WM-Verkündung der FIDE meldete sich Turlov als Hauptsponsor und oberster Schachspieler seines Landes zu Wort: „Wir sind stolz auf die Gelegenheit, die Weltmeisterschaft auszurichten. Für unseren Schachverband ist dies ein Großereignis, das noch mehr Aufmerksamkeit auf das Schach im Allgemeinen und auf das sportliche Potenzial unseres Landes lenken wird.“ Er wolle die kasachische Weltoffenheit betonen.  

FIDE-Präsident Arkady Dvorkovich führt nicht Turlovs Geld, sondern in erster Linie die Zeitverschiebung als Grund an, das Match nicht auf dem amerikanischen Kontinent zu veranstalten: „Chinesische Fans hätten in den frühen Morgenstunden aufstehen müssen.“ Nach der Vergabe an Kasachstan werden die Partien des Matches 2023 um 15 Uhr Ortszeit in Astana beginnen, 11 Uhr deutsche Zeit.

FIDE-Präsident Arkady Dvorkovich bei der ebenfalls von Turlov unterstützen Schnellschach- und Blitz-WM Ende 2022. | Foto: Lennart Ootes/FIDE

Geografisch ist Kasachstan eine naheliegende Wahl, zur einen Seite an Russland grenzend, zur anderen an China. Diese Sandwichlage zwischen den eurasischen Großmächten führt hier wie dort zu Spannungen. Noch Anfang 2022, als Proteste gegen die kasachische Regierung ausgebrochen waren, holte Präsident Qassym-Schomart Toqajew russische Soldaten ins Land und ließ auf seine protestierenden Landsleute schießen. Mehr als 200 Menschen starben, mehr als 4000 wurden verletzt.

Ein Jahr später schießen russische Soldaten in erster Linie auf Ukrainer, und die einstige Sowjetrepublik Kasachstan beginnt, sich von ihrer Schutz- und Ordnungsmacht zu emanzipieren. Derweil galt Kasachstan in den vergangenen Monaten als bevorzugtes Ziel und sicherer Hafen für russische Männer, die daheim der Einberufung entgehen wollen. Zehntausende ließen sich in Kasachstan nieder, darunter Schachgroßmeister Daniil Dubov. Um diesen Trend zu stoppen, hat Kasachstan jetzt die unbefristete Aufenthaltserlaubnis für eingereiste Russen aufgehoben.

Dvorkovich, der ehemalige stellvertretende Ministerpräsident Russlands, sieht den Austragungsort durch die rosarote Brille: „Ein florierendes Land mit einer blühenden Wirtschaft und einer privilegierten geografischen Lage, die es perfekt für die Ausrichtung machte.“ Ein chinesischer Spieler im WM-Finale biete jetzt die Gelegenheit, Schach in Asien voranzubringen: „Wir rechnen mit enormem Interesse aus China. Diese Chance müssen wir nutzen.“ 

Die Chance, diese sportlich kaum relevante Zwischen-WM zu nutzen, um überfällige Reformen am Modus zu testen, hat die FIDE schon verstreichen lassen. Das Format des Matches 2023 wird dasselbe sein wie 2021: 14 Partien, und wer zuerst bei 7,5 Punkten steht, ist Weltmeister. Sollte es nach 14 Partien 7:7 stehen, gibt es ein Stechen.

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Gerhard
Gerhard
1 Jahr zuvor

Der Schachsport geht mMn einer unsicheren Zukunft entgegen. Einerseits ist da der Boom des Onlineschach, der sich zumindest auf hohen Niveau stabilisieren wird. Andererseits gibt es rückläufige Tendenzen bei den Vereinen, die nur schwer zu stoppen sein werden. Mit jedem sterbenden Verein geht schließlich ein Stück Schachkultur verloren. Auch die zunehmende Politisierung des Schachs bereitet Sorge. Es täte dem Schachsport gut, sich so konsequent als möglich aus politischen Themen herauszuhalten, bevor diese wie ein Boomerang zurückkommen. Unabhängig davon steht das Match Nepo vs Ding unter keinem glücklichen Stern. Weder ist der jetzt feststehende Austragungsort ideal, um das Match einer breiten… Weiterlesen »

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[…] der Expo ebendort gekoppelt war. Dasselbe passierte ihnen beim vergangenen WM-Match, das die FIDE an Kasachstan und den dort ansässigen Schachmilliardär Timor Turlov […]

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[…] beim vergangenen WM-Match Nepo vs. Ding, das die FIDE an Kasachstan und den dort ansässigen Milliardär und Schachmäzen  Timor Turlov […]