“…dann steigt Niedersachsen aus”: Schachgipfel, FIDE, DSB – Michael S. Langer im Gespräch

■ Erstmals seit ihrer Premiere 2019 wird die große, zentrale Veranstaltung des deutschen Schachs 2023 nicht in Magdeburg stattfinden. Seit Monaten ist klar, dass der niedersächsische Schachverband in diesem und vor allem im kommenden Jahr, dem seines 100-jährigen Bestehens, Gastgeber des Schachgipfels sein soll. Aber jetzt wackelt der Gipfel in Braunschweig, weil dessen herausragende Wettbewerbe auf der Kippe stehen, die sogenannten Masters’. Und ein Gipfel ohne Masters, das geht nicht. “Nicht zu trennen” sei das eine vom anderen, sagt Michael S. Langer, Präsident des niedersächsischen Schachverbands.

Hintergrund der Gipfelkrise ist eine Terminkollision: Vom 21. bis 30. Juli ist der Schachgipfel inklusive “Masters” geplant, vom 29. Juli bis 26. August (noch nicht offiziell von der FIDE bestätigt) der World Cup in Baku/Aserbaidschan, für den jetzt schon Daniel Fridman, Niclas Huschenbeth, Rasmus Svane, Vincent Keymer und Europameister Matthias Blübaum qualifiziert sind. Würde dieses Quintett dem deutschen Schachgipfel fernbleiben, könnte das eine Absage desselben zur Folge haben.

Langer beschäftigt nicht nur diese nationale Schach-Baustelle. International verfolgt er mit Sorge die Irrwege des Weltverbands FIDE. Zuletzt hat Langer mehrfach gefordert, der Deutsche Verband als größter westlicher der Welt möge sich erkennbar positionieren – oder gemeinsam mit anderen aus der FIDE austreten. Zeit für ein Interview.

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Michael, du hast recht unverblümt gefordert, der DSB solle aus der FIDE austreten.

Twitter dient aus meiner Sicht dazu, gelegentlich provokant zu sein oder zu überspitzen. Nein, der DSB sollte sich nicht aus der FIDE verabschieden. Aber ich würde schon gerne eine vernehmbare, konstruktive Opposition erleben, die maßgeblich von Deutschland mitgestaltet wird. Darum geht es mir. Ich hatte auf eine Reaktion vom DSB gehofft, aber es kam keine.

DSB-Präsident Ullrich Krause hat durchblicken lassen, dass er konstruktive Opposition nicht einmal als Option wahrnimmt. Entweder auf der Sachebene zusammenarbeiten oder sich aus der FIDE zurückziehen, gibt er als die beiden möglichen Alternativen für den DSB. Und er sagt, gegen die FIDE zu kämpfen, binde zu viele Kapazitäten.

Nach meinem Verständnis sind Opposition und Kritik ein wichtiger Teil von Mitarbeit. Bestimmt würde eine Mitarbeit im internationalen Schach, wie ich sie angemessen fände, einen gewissen Aufwand bedeuten. Nach meiner Auffassung wäre es das wert. Ich finde es wichtig, einen Gegenpol zu den FIDE-Auswüchsen zu definieren. Das haben wir früher so gehandhabt, nicht immer erfolgreich, und das sollte in der gegenwärtigen Lage erst recht so sein: eine Haltung entwickeln, sie zeigen und andere mitnehmen oder damit konfrontieren.

Im DSB-Konzert der regional geprägten Schachbeamten erlebe ich dich als einen der ganz Wenigen mit einem Interesse für nationale und internationale Belange. Fühlst du dich im DSB allein mit deiner Forderung, international nicht stillschweigend mitzulaufen?

Schon als weitgehend einsamer Rufer. Landespräsidenten, die öffentlich wahrnehmbar eine Haltung zeigen, gibt es eigentlich nur zwei: Paul Meyer-Dunker und mich. Ich vermute allerdings, dass es zu dem, was wir gerade erleben, durchaus verschiedene Meinungen gibt. Es kommuniziert sie nur niemand. Auch intern oder auf persönlicher Ebene erfahre ich über Niedersachsen heraus nur wenig Feedback. Wer den Kongress in Ulm erlebt hat, weiß ja, dass sich eine große Mehrheit der Delegierten am liebsten gar nicht mit der FIDE beschäftigen wollte.

FIDE-Anwalt Aleksandr Martynov reißt einen Witz über die ausradierte Stadt Mariupol, seine Mitdiskutanten lachen mit.

Du könntest dich ja im Mai als DSB-Präsident zur Wahl stellen, um die von dir geforderte Haltung selbst einzubringen. Die gleiche Frage wie vor jedem DSB-Kongress: Hast du vor zu kandidieren?

Die gleiche Antwort wie in den vergangenen Jahren: Ich habe unheimlich viele andere Aufgaben. Zur Arbeit im Niedersächsischen Schachverband auch auf Bezirks- und Vereinsebene, der CSA und dem Landessportbund Niedersachsen hat sich jetzt noch meine zudem sehr spannende Arbeit im norddeutschen Rundfunkrat gesellt.

Ein derart vernetzter, auch außerhalb des Schach-Tellerrands tätiger DSB-Präsident, das wäre doch toll.

Vielen Dank (lacht). Aber im Moment sehe ich, um es mit Ullrich Krause zu sagen, keine Kapazitäten, die ich für den DSB binden könnte. Außerdem bin ich nicht nur ausgelastet, mir bereiten all meine Aufgaben große Freude.

Ihr organisiert in diesem Jahr den Schachgipfel in Niedersachsen – und steht vor einem Terminkonflikt: Die „Masters“ kollidieren mit dem World Cup, und das könnte dazu führen, dass die besten deutschen Spieler wegbleiben. Vor diesem Hintergrund: Wird es die Spitzenturniere geben? Wird es überhaupt einen Gipfel geben?

Darüber reden wir als NSV gerade mit allen zuständigen Referenten des DSB, mit Aktivensprecherin und -sprecher, dem Sportdirektor, der Geschäftsführerin, dem Vizepräsidenten Sport. Wir suchen eine Lösung, die uns erlaubt, die Veranstaltung ein wenig zu straffen und vorzuverlegen, sodass wir das „German Masters“ in Braunschweig unterbekommen. Bis zum 26. Januar ist mir ein vorläufiges Teilnehmerfeld unter diesen Bedingungen zugesagt.

Michael S. Langer geht davon aus, dass sich ein Kompromiss findet, der ihm erlaubt, als niedersächsischer Schachpräsident Gipfel-Gastgeber zu sein. | Fotos: Schachbund, NDR

Wäre es eine Option, die Spitzenturniere und den Rest des Schachgipfels separat zu veranstalten?

Ich habe es schon beim Kongress in Ulm gesagt: Die Masters‘ müssen Teil des Gipfels sein, das ist nicht zu trennen.

Warum dann nicht die gesamte Veranstaltung um ein paar Wochen verschieben?

Das ist nicht mehr möglich. Wir sind ja nicht die einzigen, die in den Braunschweiger Hallen und Hotels Veranstaltungen planen.

Die Masters‘ und der World Cup sind schon in vergangenen Jahren kollidiert. Wie konnte das wieder passieren?

Als es 2022 um die Terminplanung für 2023 ging, waren die handelnden Personen nicht dieselben wie jetzt, zumindest in der DSB-Geschäftsstelle. Die DSB-Spitze hat uns einen Zeitkorridor vorgegeben, innerhalb dessen wir in Braunschweig die Halle buchen und Hotels reservieren sollten. Dass ein Termin Ende Juli/Anfang August kritisch sein könnte, war damals wahrscheinlich schon klar. Ich sehe diese aktuelle Überschneidung übrigens gar nicht als Megadrama, es handelt sich im Wesentlichen um World-Cup-Anreisetage. Spieltage fallen nicht übereinander. Wir suchen jetzt einen Kompromiss, der den Ablauf entzerrt.

Rasmus Svane schrieb mit seinem im Armageddon verlorenen Match gegen den Bulgaren Ivan Cheparinov eines der World-Cup-Dramen 2021. | Foto: Eric Rosen/FIDE

Profis werden es sich trotzdem kaum leisten können, mit hängender Zunge und unvorbereitet beim bestdotierten Wettbewerb des Jahres anzutreten.

Das Problem sehe ich natürlich, ideal ist es nicht. Aber im Moment bedarf es aufgrund der im vergangenen Jahr erfolgten Planung Kompromisse von beiden Seiten. Wir machen auch Kompromisse, indem wir höhere Kosten in Kauf nehmen und für zwei oder drei Tage vor dem ursprünglichen Termin ein Ausweichspiellokal organisieren.

Euer Schachgipfel 2023 soll auch eine Generalprobe für den Schachgipfel 2024 zum 100-jährigen niedersächsischen Jubiläum sein. Wie verhindert Ihr, dass sich das Problem im kommenden Jahr wiederholt?

DSB-Sportdirektor Kevin Högy hat als Datum für den Gipfel 2024 schon den Mai anvisiert. Aber den Gipfel 2024 in Braunschweig gibt es nur, wenn der in 2023 erfolgreich durchgeführt wurde.

Und wenn jetzt Vincent Keymer, Matthias Blübaum, Rasmus Svane, Niclas Huschenbeth, Elisabeth Pähtz, Dinara Wagner wegen des World Cups den Gipfel 2023 absagen?

Das wäre der Worst Case. Für einen erfolgreichen Gipfel brauchen wir ein werthaltiges German Masters. Nur damit bekommen wir ausreichend Mittel, um die Veranstaltung zu finanzieren, von der Braunschweiger Sportförderung oder der Lotto-Sportstiftung etwa. Insofern sind wir auf ein gewisses Entgegenkommen der Spielerinnen und Spieler angewiesen. Gibt es das, werden wir einen Kompromiss finden. Gibt es das nicht, steigt Niedersachsen aus. Ich gehe aber fest davon aus, dass es nicht dazu kommt.

Das jährliche Turnier der besten Deutschen wäre werthaltiger, wenn es nicht einen beliebigen, sondern den logischen, naheliegenden Namen trüge: Deutsche Meisterschaft. Wie sieht es damit für die 2023er-Auflage aus? Können wir endlich das „Masters“ beerdigen und die Deutsche Meisterschaft auch so nennen?

Da kann ich allenfalls das Prinzip Hoffnung heranziehen. Würde beim Kongress in Mai ein entsprechender Antrag gestellt und würde dieser Antrag durchgehen, ich fände das gut. Niedersachsen hat das Anliegen ja schon beim vergangenen Kongress unterstützt.

Gibt es diesen Antrag?

Meines Wissens noch nicht. Aber wir liebäugeln damit, ihn zu stellen.

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LKLKLK
LKLKLK
1 Jahr zuvor

Aus diesseitiger Sicht ist die FIDE (‘Gens Una Sumus’) eine völkerverbindende (Geht dieses Wort noch?) und integrative Institution, die am besten nicht ‘moralisch’ kommt.So die sog. realpolitische Sicht.

Vergleiche bspw. mit :
Wann genau ziehen demokratisch denkende und agierende Verbände endlich Konsequenzen und gehen so mit der FIDE um, wie es moralisch notwendig ist? Auch wenn nur 10 Verbände austreten, wäre es bemerkbar’ [Michael S. Langer, auf oder bei “Twitter”]
Mit freundlichen Grüßen
LK

Kommentator
Kommentator
1 Jahr zuvor

Mich hätte ja eher interessiert, was die niedersächischen Schachfreunde davon halten, dass nach der Ligareform die Landesverbände Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zusammen nur noch einen Aufstiegsplatz zur 2. Liga haben – das sind im Extremfall über 600 km Anfahrt zu einem Wettkampf (von der niederländischen zur polnischen Grenze oder umgekehrt).

Schlacht bei Dennewitz
Schlacht bei Dennewitz
1 Jahr zuvor

“Aber wir liebäugeln damit, ihn zu stellen.” Was kann denn bei diesem Thema (ernsthaft) dagegen sprechen? Ich weiss, es gab hier schon die “Argumente”, die ich bewusst in “” setze. Für einen solchen riesigen Verband, mit einem solchen Potential innerhalb der Mitglieder nicht nur wegen der Anzahl, ist das ganze Thema verdammt – vorsichtig formuliert – schade.

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[…] “…dann steigt Niedersachsen aus”: Schachgipfel, FIDE, DSB – Michael S. Lange… […]

Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
1 Jahr zuvor

Hauptsache man hat darüber gesprochen, Wenn die Prinzengarde kommt ist ja auch was. Will nur sagen, du kannst beim DSB-Kongress nicht Maßstäbe wie “was könnte dagegen sprechen” anlegen. Was fürs deutsche Schach gut wäre, zählt dort nicht, sondern allenfalls, wie es der Hobbyspieler aus dem Nachbardorf des Delegierten am liebsten hätte. Das Thema “Deutsche Meisterschaft” berührt den fundamentalen Konstruktionsfehler des DSB, in dessen höchstem Gremium zur großen Mehrheit Leute sitzen, deren Interessen denen des DSB zuwiderlaufen. Ich fände für das deutsche Schach wäre gut wenn bei der deutschen Mannschaftsmeisterschaft mindestens 4-5 Spieler am Start sind die auch einen deutschen Meister-Titel… Weiterlesen »

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[…] die gesamte Veranstaltung. Wir mussten warten, bis uns der DSB ein starkes Masters-Feld zusichert. Darüber haben wir ja vor kurzem gesprochen. Wenn ich nicht sicher weiß, dass die Veranstaltung in der gewünschten Form stattfindet, kann ich […]