Dvorkovich hat “Krieg” gesagt

Kriege sind das Schlimmste, was ein Mensch erleben kann – einschließlich dieses Krieges.“ Das hat jetzt FIDE-Präsident Arkady Dvorkovich, ein Russe, in einem Interview mit dem US-Magazin „Mother Jones“ gesagt. „Meine Gedanken sind bei der ukrainischen Zivilbevölkerung“, erklärt Dvorkovich. „Kriege töten nicht nur unbezahlbare Leben. Kriege töten Hoffnungen und Pläne, sie frieren Verbindungen ein oder zerstören sie.“

Es muss nicht einmal “Kein Krieg” auf den Botschaften Protestierender stehen. Der Schriftzug “Zwei Wörter” reicht schon, um abgeführt zu werden.

Den Krieg Krieg zu nennen, ist in Russland verboten. Denjenigen, die es trotzdem tun, drohen nach einem Duma-Beschluss vom 4. März empfindliche Geld- und/oder Haftstrafen. In Russland sitzt jetzt schon eine fünfstellige Zahl von Menschen, die gegen den Krieg protestiert haben, hinter Schloss und Riegel. Dvorkovich, der sich zum Zeitpunkt des russischen Überfalls auf die Ukraine in Afrika aufhielt, sagte im Interview, er sei zurück in Russland, in Sicherheit „bei meiner Familie und meinen Freunden“.

Ob diese Sicherheit weiter gegeben ist, nun, da er sein Schweigen gebrochen hat? „Dvorkovich riskiert Putins Rache“ titelt chess24 in einem Beitrag über die öffentliche Distanzierung des FIDE-Präsidenten vom Putin-Kreml, dem er zehn Jahre lang gedient hat. Während Dvorkovich den Krieg wiederholt als solchen bezeichnet, vermeidet er es, Vladimir Putin namentlich zu nennen.

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Dvorkovich war von 2012 bis 2018 Chef-Wirtschaftsberater von (Schatten-)Präsident Dmitri Medwedew, Vorsitzender des russischen Organisationskomitees der Fußball-WM und Vorsitzender der russischen Staatsbahnen. Von dieser Vergangenheit, so Mother Jones, „wendet er sich ab“. Dem Magazin sagte Dvorkovich: „Ich bin nicht mehr in staatliche Handelsunternehmen involviert. Es gibt einige nichtkommerzielle öffentliche Aktivitäten, an denen ich beteiligt bin, hauptsächlich in den Bereichen Bildung und Innovation.“

Was „Mother Jones“ nicht berichtet: Ob er sich nun abwendet oder nicht, eine exponierte Position hat Dvorkovich mit solchen „öffentlichen Aktivitäten“ in Russland weiterhin inne, und das bringt engen Kontakt und Zusammenarbeit mit sanktionierten Leuten mit sich.

Gratwanderung des kremlnahen Antikriegspräsidenten: Die infolge des Überfalls auf die Ukraine sanktionierten russischen Strippenzieher Viktor Vekselberg (l.) und Igor Shuvalov (M.) mit FIDE-Präsident und Skolkovo-Vorstand Arkady Dvorkovich (r.). | Foto via sk.ru

Eine Woche nach dem Überfall auf die Ukraine traf sich Dvorkovich mit seinen Kollegen vom Vorstand des Moskauer Innovationszentrums Skolkovo, das ein russisches Silicon Valley werden soll. Dort gab es einiges zu besprechen, etwa den Umstand, dass die US-Technik-Talentschmiede MIT dem Skolkovo die Zusammenarbeit gekündigt hat. Und natürlich die Frage, wie es angesichts all der Sanktionen nun mit russischer Hochtechnologie und Bildung weitergeht.

Neben Dvorkovich im Skolkovo-Vorstand:

Der russisch-ukrainische Oligarch Viktor Vekselberg. Ihm werfen die Amerikaner seine geschäftlichen Verbindungen mit russischen Staatsfirmen und dem russischen Technologiesektor vor, aber auch die Tatsache, dass er enge Beziehungen zu Putin und dem ehemaligen Präsidenten Dimitri Medwedew pflege. Die USA haben ein Flugzeug und eine Jacht von Vekselberg mit einem geschätzten Wert von insgesamt 180 Millionen Dollar blockiert und den geschäftlichen Verkehr mit dem 64-Jährigen eingeschränkt.

Der russische Politiker und Unternehmer Igor Shuvalov, dessen politische Karriere als Leiter von Putins Präsidialverwaltung (2003-2008) begann, und der, wie Dvorkovich, unter dem (Schatten-)Ministerpräsidenten Dmitri Medwedew höchste Regierungsämter bekleidete. Die britische Regierung hat jetzt aufgrund seiner „engen Verbindung zum Kreml“ Shuvalovs britisches Vermögen eingefroren und ihm die Einreise untersagt.    

Dvorkovich will FIDE-Präsident bleiben

Auch unter denjenigen, die Dvorkovichs Rücktritt als FIDE-Präsident fordern, dürfte schwerlich jemand zu finden sein, der die Verdienste des 49-Jährigen um den Schach-Weltverband und seine Liebe zum Schach bestreitet. Nachdem Dvorkovich einen erbittert ausgefochtenen Wahlkampf gewonnen und die FIDE-Spitze erklommen hatte, galt es zunächst, den Verband nach den Jahren unter Kirsan Iljumschinov finanziell zu retten, dann zu stabilisieren und professionalisieren und nicht zuletzt, die russische Dominanz abzumildern. Der Verband wollte und musste Kooperationen mit westlichen Unternehmen finden, ein Prozess, der fraglos eingeläutet, aber noch lange nicht abgeschlossen ist.

Eine Gratwanderung war Dvorkovichs Präsidentschaft immer schon. Als russischer FIDE-Präsident balanciert er zwischen dem ungebrochenen Anspruch der Schach-Großmacht Russland, im Schach das Sagen zu haben, und der Notwendigkeit, den Weltverband zu öffnen. Offenbar will er die angestoßenen Prozesse fortsetzen. „Mother Jones“ lässt durchblicken, und alle Beobachter bestätigen, dass Dvorkovich FIDE-Präsident bleiben will.

Mit seinen offenen öffentlichen Worten, die in Russland harsch geahndet werden könnten, mag sich Dvorkovich jetzt auf eine persönliche, existenzielle Gratwanderung begeben haben. Nach dem jüngsten Interview „braucht er die Position als FIDE-Präsident, um bis zum Sturz des Putin-Regimes nicht ins Gefängnis zu kommen“, sagt der russische Journalist Evgeny Surov gegenüber chess24.

Währenddessen in Kiew.

Die weitgehend ohne ihren Präsidenten agierenden FIDE-Verantwortlichen haben sich derweil in den Wochen nach dem Überfall auf die Ukraine ungebrochener Russland- und Putin-Nähe verdächtig gemacht. Von einem kompletten Bann russischer und belarussischer Spieler schreckt die FIDE unverändert zurück. Die meisten Sportorganisationen weltweit haben einen solchen Bann erlassen, beim Schach dürfen Russen und Weißrussen unter einer FIDE- oder neutralen Flagge außerhalb ihres Landes an Wettkämpfen teilnehmen.

Dass sich in der Führungsriege des russischen Schachverbands reihenweise sanktionierte Leute die Hand reichen, hat die FIDE zu keinem Zeitpunkt thematisiert. Auch die offensichtliche Frage nach der Position ihres Präsidenten hat die FIDE trotz des Drängens aus der Ukraine, trotz diverser Medien-Anfragen bislang ignoriert ebenso wie die nicht nur vom ukrainischen Verband vorgebrachte Forderung, umgehend eine Generalversammlung abzuhalten, um all die offenen Fragen zu klären.

“Persönlich verantwortlich”

Während sich die FIDE zurückhielt, gingen der nordische Schachverband, der niederländische Schachverband, der polnische und der englische weiter: Sie verboten jegliche russische und weißrussische Teilnahme. Der europäische Verband hat sogar den russischen und den weißrussischen und alle ihre Clubs bis auf Weiteres ausgeschlossen.

Die von der FIDE ignorierten, zentralen Forderungen des ukrainischen Schachverbands sind nicht vom Tisch: der Ausschluss russischer/weißrussischer Spieler und der Rücktritt von Dvorkovich. Als ehemaliger Putin-Assistent sei er “persönlich für die Gestaltung der aggressiven Außenpolitik Russlands verantwortlich”, heißt es in einer Mitteilung der Ukrainer.

Der Ukrainer Wassili Iwantschuk hat die Forderung seines Verbands bekräftigt, russische Spieler auszuschließen. Ex-Weltmeister Veselin Topalov sieht es ebenso: „Ich glaube, dass russische Schachspieler von allen internationalen Veranstaltungen ausgeschlossen werden sollten, nicht weil sie alle die russische Aggression unterstützen, sondern weil die Aggression auf diese Weise so schnell wie möglich gestoppt werden kann.“

Der einstige FIDE-Weltmeister Ruslan Ponomariov hält derweil einen Rücktritt des FIDE-Präsidenten für unvermeidlich: „Die FIDE muss sich ändern. Sie kann nicht von Russland mit schmutzigem russischen Geld gesteuert werden. Ich glaube, Dvorkovich sollte zurücktreten. Je früher das passiert, desto weniger Zeit verschwenden wir, um die Arbeit der FIDE zu normalisieren.“

Als erster gewichtiger internationaler Schachfunktionär hat sich jetzt Zurab Azmaiparashvili für Dvorkovich ausgesprochen. Der Georgier, anfällig für Eskapaden aller Art und eigentlich untragbar als europäischer Schach-Chef (eine andere Geschichte), war im Wahlkampf 2018 gegen Dvorkovich, hat aber seitdem als Mitglied des FIDE-Rats seine Meinung geändert. „Als Kreml-naher, aber lautstarker Antikriegs-FIDE-Präsident würde ich niemals mit Dvorkovich tauschen wollen“, sagte er gegenüber „Mother Jones“. „Das Unbehagen, das er empfindet, ist offensichtlich“, hat Azmaiparashvili beobachtet.

Eine erneute Präsidentschaftskandidatur Dvorkovichs würde Azmaiparashvili, dessen ECU-Amtsperiopde in diesem Jahr endet, jetzt unterstützen. „Wir alle haben gesehen, dass er als FIDE-Präsident eine wunderbare und effektive Arbeit leistet. Arkady liebt Schach, er ist ein fortschrittlich denkender und friedlicher Mensch.“, sagt Azmaiparashvili. „Meinen Respekt hat er.“

Gens una sumus: (von links) Zurab Azmaiparashvili, Arkady Dvorkovich und der einstige FIDE-Interimspräsident und Dvorkovich-Gegner Georgios Makropoulos beim europäischen Club-Cup 2018. Den gewann seinerzeit St. Petersburg, das heute nach dem jüngsten ECU-Beschluss nicht mitspielen dürfte. | Foto: Maria Emelianova/chess.com

Nachtrag, 15. März: Nach Erscheinen dieses Beitrags hat es eine weitere öffentliche Äußerung Arkady Dvorkovichs gegeben, diesmal auf russische Rezipienten gemünzt.

Wer würde dem widersprechen – gäbe es nicht den Kontext eines russischen Überfalls auf die Ukraine, der sich nach offizieller russischer Linie gegen die in der Ukraine herrschenden Nazis richtet.

Als Vorsitzender der Skolkovo-Stiftung hat Dvorkovich diese Erklärung abgegeben (maschinell übersetzt aus dem Russischen):

“Ich bin, wie alle Nachkriegskinder, mit Patriotismus aufgewachsen: in Erinnerung an diejenigen, die während des Großen Vaterländischen Krieges starben, und mit Hass auf den Nationalsozialismus. Ich bin aufrichtig stolz auf den Mut unserer Soldaten, die jederzeit ihre Heimat und Freiheit verteidigt haben.

Wir trauern gleichermaßen um alle Toten und Verletzten der seit 8 Jahren andauernden Feindseligkeiten. Ich dachte und denke immer noch, dass Kriege ein absolutes Übel sind. Die Worte des Liedes „Do Russians Want Wars“ sind für mich von großer Bedeutung. Aber die Hauptsache ist, dass schließlich ein starker Frieden und eine gerechtere Ordnung auf unserem Planeten errichtet werden, auf dem weder der Nazismus noch die Dominanz einiger Länder über andere Platz haben.

Heute lebt Russland weiterhin unter harten, aber sinnlosen Sanktionen. Aber wir werden uns dieser Herausforderung stellen. Wir sind bereit, mit technologischen Durchbrüchen und unserer eigenen Entwicklung darauf zu reagieren. Das war schon immer so.

Als ich in der Regierung arbeitete, habe ich alles getan, um sicherzustellen, dass Sanktionen kein Hindernis, sondern eine Gelegenheit sind, unsere eigene Wirtschaft aufzubauen. Und die Ergebnisse dieser Arbeit in vielen Sektoren haben es ermöglicht, das Sprungbrett für die Gewährleistung der nationalen Sicherheit zu schaffen, das wir heute haben – in der Landwirtschaft und im Bauwesen, in der Energie und Petrochemie, in der Infrastrukturentwicklung.

Ich kann ausländische Unternehmen, die den russischen Markt verlassen haben, nicht respektieren. Einige von ihnen verloren ihn für sehr lange Zeit, vielleicht für immer. Unsere Hauptaufgabe besteht darin, die technologische Abhängigkeit zu beseitigen. Dies gelingt nur durch Teamarbeit, in die alle führungsfähigen Personen einbezogen werden – jeder an seinem Platz.

Skolkovo war schon immer an der Spitze der Innovation in Russland und ist heute bereit, alle Anstrengungen zu unternehmen, um eine eigene wettbewerbsfähige Wirtschaft in unserem Land aufzubauen.”

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Gerald
Gerald
2 Jahre zuvor

Bitte immer versuchen, möglichst exakt zu zitieren. Es gibt im Internet Putin-Fans, die alles als Propaganda gegen Putin sehen wollen. Ein paar Fakten für diese Unverbesserlichen: 1) Putin ist durch und durch korrupt. Er hat ein monatliches Präsidentengehalt von umgerechnet 24.000 Euro, aber ein Vermögen von über 36 Milliarden Euro und einen Luxuslifestyle wie seine korrupten Oligarchen-Elite-Freunde z. B. eine Luxusyacht namens “Graceful”, die allein schon 87 Millionen Euro kostet und nicht über sein Gehalt finanzierbar wäre, aber über besagte Korruption mit seinen Oligarchen-Eliten. 2) Putin möchte aus der Ukraine einen Marionettenstaat wie Belarus machen. Schön einen zweiten Lukaschenko installieren,… Weiterlesen »

Last edited 2 Jahre zuvor by Gerald
acepoint
2 Jahre zuvor

Das hier ist von heute und klingt (ja, Google Translate) ein wenig anders:

«…Ich bin aufrichtig stolz auf den Mut unserer Soldaten, die jederzeit ihre Heimat und Freiheit verteidigt haben

…Heute lebt Russland weiterhin unter harten, aber sinnlosen Sanktionen. Aber wir werden uns dieser Herausforderung stellen…»

https://sk.ru/news/zayavlenie-predsedatelya-fonda-skolkovo-arkadiya-dvorkovicha/

Karlheinz Vogel
Karlheinz Vogel
2 Jahre zuvor

Die Verbindungen zu russischen Oligarchien sind näher als man denkt – so war der Bayerische Staatsminister für Wissenschaft und Kunst und frühere CSU Generalsekretär Markus Blume zwischen 2005 und 2008 als Sprecher und Berater für Vekselbergs Renova-Gruppe tätig:
https://live.nzz.ch/de/info/gaestearchiv/markus-blume
Immerhin geht er offen damit um, indem er diese Information auch bei seinem Wikipedia-Eintrag angibt:
https://de.wikipedia.org/wiki/Markus_Blume

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[…] WerbungDvorkovich hat “Krieg” gesagt […]

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[…] Selbst der eigentlich kremlnahe Fide-Präsident Arkady Dvorkovich gab kritische Töne von sich: „Die Fide hat ihre tiefe Besorgnis über die von Russland in der Ukraine gestartete Militäraktion ausgedrückt. Die Fide steht vereint gegen diesen Krieg und gegen alle Kriege und verurteilt den Gebrauch von militärischen Mitteln, um politische Probleme zu lösen.“ Gleichwohl ist eine Debatte darüber entbrannt, ob er Fide-Präsident bleiben kann. […]

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[…] die Wahrnehmung Dvorkovichs auch in Russland. Nach seinem Mother-Jones-Interview vom Kreml als „Verräter an der Heimat“ gebrandmarkt, sind trotzdem keine Signale zu vernehmen, die auf einen bevorstehenden Austausch […]

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[…] Dvorkovich hat “Krieg” gesagtErste Äußerungen nach fast einem Monat der Stille: Als Arkady Dvorkovich Mitte März dem US-Magazin “Mother Jones” ein bemerkenswertes Interview gab – und zwei Tage später eine Gegenerklärung, verbunden mit seinem Rücktritt als Vorsitzender der Stiftung der Hightech-Schmiede Skolkovo. […]

Simon
Simon
2 Jahre zuvor

Kann das Thema ehrlich gesagt nimmer hören. Dieser Krieg ist tausende Kilometer entfernt und hat nichts und zwar absolut nichts direkt mit Schach zu tun. Übrigens so viele Artikel hätte ich mir mal in den inzwischen 2 Jahren !! Pandemieeinschräkungen gewünscht über die unglaublichen Einschränkungen im Schachbereich und die Probleme bei der Jugendarbeit. Aber die ganzen zwei ´Jahre kam über ein Thema, was wirklich alle Schachspieler in Deutschland direkt trifft nicht so viele Artikel wie jetzt in zwei Wochen Krieg irgendwo in Osteuropa. Lauterbach hat uns ja erst wieder letztens gedroht, dass er die Einschränkungen die nächsten 20!! Jahre beibehalten… Weiterlesen »