Wer sich hinter den Kulissen des Spielbetriebs umhört, der hört oft den Begriff “Kirchweyhe”. Nicht wenige Funktionäre behaupten, die für die erste Liga beschlossenen und für die zweite Liga geplanten “Teilnahmevoraussetzungen” seien weniger entwickelt worden, um all den kranken Spitzenvereinen eine Zwangsgesundung zu verordnen, sondern in allererster Linie, um das Gespenst Kirchweyhe zu verscheuchen. “Vor denen haben die etablierten Vereine Angst”, heißt es.
Gemeint ist der Schachklub Kirchweyhe, der mit einer Riege von serbischen und kroatischen Legionären seit einiger Zeit durch die Ligen pflügt.
Sollte stimmen, was hinter den Kulissen erzählt wird, sollten die “Teilnahmevoraussetzungen” nur ein Vorwand sein, um Kirchweyhe zu verhindern, dann ist der Funktionärsfokus auf den Club aus dem Bremer Umland unfair. In den oberen Ligen des Schachs, angefangen in der ersten, finden sich einige zusammengekaufte, einem Verein künstlich übergestülpte Retortenmannschaften, die keine Identifikation auslösen, die weder dem Schach dienen noch ihrem Verein, sondern einzig dem Zweck, dem Mäzen Freude über gewonnene Schachmatches zu bescheren.
Hat der Mäzen irgendwann keine Lust mehr, hört er auf, sein Geld ist verpufft, und der Verein steht so da wie vorher. Ein Schicksal, das es im deutschen Schach schon oft gegeben hat, das aber Kirchweyhe nicht unbedingt ereilen wird: Dort wird im Unterschied zu anderswo das Geld nicht in seiner Gesamtheit für Elopunkte aus dem Fenster geworfen, sondern teilweise in eine schmucke Spielstätte investiert.
Die Schuld an der Retortenmannschaftskrankheit tragen übrigens die Vereine und ihre Mitglieder selbst. Es läge an ihnen, nicht an der Bundesliga, diese Krankheit zu kurieren. Kaum einmal offenbart sich ein Club, der von seinem Mäzen einfordert, zumindest einen kleinen Teil des Geldes nicht für eingeflogene Elopunkte zu verbrennen, sondern in etwas Nachhaltiges im Sinne des Vereins zu investieren. Wer solchen Clubs, dem mit seiner gegenwärtigen Altersstruktur kaum zukunftsfähigen SC Remagen-Sinzig etwa, nahelegt, das zu tun, erntet Unverständnis.
Wie dem auch sei, die Großmeisterriege des Schachklubs Kirchweyhe ist mittlerweile in der zweiten Bundesliga Nord angekommen, und auch dort gilt sie als Favorit auf den Aufstieg. Und so begab es sich, dass sich die Zweitvertretung des Hamburger SK am vorvergangenen Wochenende mit wenig Hoffnung auf Zählbares auf die Reise nach Lingen zum Liga-Auftaktmatch gegen Kirchweyhe begab.
Dann passierte das:
In Reihen der Hamburger war die Freude über den unerwarteten Außenseitersieg so groß, “ein spontan aufgesuchter Allerwelts-Imbiss, eher wegen Platzmangel in örtlichen Restaurants, mutierte zum Gourmet-Tempel. Coke Zero, Pizza, Döner, frittierte Pommes…Deutsche Gesellschaft für Ernährung, was willst du mehr?” – so die Worte von Georgios Souleidis, der den Sieg seiner Jungs und Mädchen auf der Website des HSK in lesenswerte Worte kleidete, garniert mit den Fotos eines nicht genannten Fotografen, den steife Knie daran gehindert haben mögen, die Spielenden auf Augenhöhe abzulichten.
Dank des Hamburger Überraschungssiegs ist nun klar, dass die Zweite Bundesliga Nord vor einer spannenden Saison steht. Am Ende mag Kirchweyhe trotzdem nach ganz oben durchmarschieren, aber ein Start-Ziel-Aufstieg kann es schon nicht mehr werden.
[…] Georgios Souleidis, Kirchweyhe und die Deutsche Gesellschaft für ErnährungJe näher der SK Kirchweyhe mit seinem streitfreudigen Vorkämpfer Peter Orantek der Schachbundesliga kam, desto eifriger beschäftigten sich die Funktionäre dort mit einem Punktekatalog für den Einsatz einheimischer und junger Spieler. Ob das zusammenhing? […]