Mit Viswanathan Anand als Zugpferd: Dvorkovich will FIDE-Präsident bleiben

Als jetzt der russische Außenminister Sergey Lavrov Neu-Delhi besuchte, war er nicht der einzige prominente Russe mit einer politischen Mission in der indischen Hauptstadt. Während Lavrov Partnerschaftspflege betrieb und den Indern das eine oder andere Barrel russisches Öl zum Vorzugspreis anbot, eröffnete in der Nachbarschaft FIDE-Präsident Arkady Dvorkovich den Kampf um den Chefposten im Weltschach.

Ankunft in Chennai, dann Weiterreise nach Neu-Delhi.

Dvorkovich wird, wie erwartet, für eine zweite Amtszeit als FIDE-Präsident kandidieren. Das erklärte er in Neu-Delhi bei seinem ersten öffentlichen Auftritt seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Einen prominenten Unterstützer präsentierte Dvorkovich noch dazu: Exweltmeister Viswanathan Anand wird Teil seines Teams sein, ein Coup, der der bevorstehenden Kampagne des Amtsinhabers Schwung geben dürfte.

Die Entscheidung zu kandidieren ist umstritten. Einerseits hat Dvorkovich als FIDE-Präsident gute Arbeit geleistet, manche Weiche gestellt, um den Weltverband zu reformieren und professionalisieren. Andererseits trägt er als einstiges Mitglied der Kreml-Führungsriege Mitverantwortung für die Entwicklung Russlands zu einer Diktatur. Dvorkovich gilt zwar als vergleichsweise liberal und modern, aber, ob Krim oder Nawalny, zu öffentlicher Kritik am Abgleiten seiner Heimat in einen Unrechtsstaat hat er sich nie durchgerungen.

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Auf die gegenwärtige Krise, auch auf sein Abtauchen in den Wochen nach dem Überfall ging Dvorkovich in seiner von der FIDE verbreiteten Erklärung nicht ein: „Ich persönlich und das FIDE-Führungsteam haben mit Hingabe zum Wohle des Schachs auf der ganzen Welt gearbeitet“, sagte Dvorkovich. „Vor mir liegen noch wichtigere Aufgaben. Ich betrachte es als meine moralische Pflicht …, für die zweite Amtszeit kandidieren. Ich zähle auf die Unterstützung der Generalversammlung und der gesamten Schachgesellschaft.“

Eigentlich war Dvorkovich für drei Tage nach Indien gekommen, um den Vertrag für die Schacholympiade 2022 zu unterzeichnen und die Spielsäle zu inspizieren. Nachdem die FIDE dem geplanten Gastgeber Moskau am 25. Februar abgesagt hatte, war Indien kurzfristig eingesprungen. Der Nationenwettbewerb inklusive FIDE-Kongress mit tausenden Spielern, Betreuern und Funktionären soll vom 28. Juli bis 10. August 2022 in Chennai stattfinden. 

Der Kandidat und sein Wahlkampfhelfer: Arkady Dvorkovich und Viswanathan Anand in Neu-Delhi. | Foto: FIDE

Viswanathan Anand war während der Vertragsunterzeichnung anwesend. Der fünffache Weltmeister werde ein gewichtiger Teil seines FIDE-Führungsteams sein, erklärte Dvorkovich, der die Gelegenheit nutzte, seine allgemein erwartete Kandidatur offiziell zu machen. In welcher Rolle Anand eingebunden werden soll, ließ Dvorkovich offen.

„Ich sehe mich wirklich nicht als Funktionär“, sagte Anand später gegenüber ESPN. „Eher werde ich ein Berater sein. Der allgemeine Auftrag lautet, dass ich auf die Förderung des Schachs hinarbeiten und Feedback und Verbesserungsvorschläge geben werde.“ Berater der FIDE sei er auch schon in der Vergangenheit gewesen, erklärte Anand, „aber dieses wird natürlich eine formelle Rolle mit größerer Verantwortung sein“. Dvorkovich verfüge über ein „wunderbares Team, das viel für den Sport getan“ habe. „Ich bin bereit und entschlossen, mit diesem Team zusammenzuarbeiten.“

Während die FIDE-Führungsriege wenig Zweifel daran lässt, dass sie sich eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Dvorkovich wünscht, halten eine Reihe prominenter Schachspieler unter den gegebenen Umständen einen russischen FIDE-Präsidenten für unmöglich. Magnus Carlsens Teamchef Peter Heine Nielsen oder der dänische Großmeister und Coach Jacob Aagaard agieren in dieser Sache als vernehmbarste Lautsprecher.

Auch der ukrainische Schachverband und einige ukrainische Spitzenspieler haben neben ihrem Wunsch, Russland und Russen vollständig aus dem Turnierbetrieb auszuschließen, für einen Wechsel an der FIDE-Spitze plädiert. Allerdings offenbart sich international bei nationalen wie kontinentalen Verbänden wenig Unterstützung für das ukrainische Anliegen. Symptomatisch erscheint der Schlingerkurs des deutschen Verbands, der anfangs mutig eine Position nahe der ukrainischen verkündete und sich dann doch an die der FIDE heranrobbte, je näher der FIDE-Grand-Prix in Berlin rückte.

Schach und Russland, eine schwierige Beziehung: Am 15. März warnte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik Unternehmen vor dem Einsatz von Kaspersky-Software. Tags darauf kündigte unter anderem Fußball-Bundesligist Eintracht Frankfurt Kaspersky die Zusammenarbeit. Nicht so der Schachbund. Auf Schachdeutschland TV wird in den Grand-Prix-Übertragungen weiter für Kaspersky geworben, und die Moderatoren danken dem Karjakin-Sponsor in jeder Sendung explizit für die Unterstützung. Um anlässlich des Keymer-Grand-Prix Live-Bilder aus dem Spielsaal zu bekommen, war der DSB diese Streaming-Kooperation mit Veranstalter World Chess eingegangen. Jetzt sei man vertraglich verpflichtet, die Sponsoren zu nennen, teilt der Schachbund auf Anfrage dieser Seite mit. | via Schachdeutschland TV

Ambivalent ist die Wahrnehmung Dvorkovichs auch in Russland. Nach seinem Mother-Jones-Interview vom Kreml als „Verräter an der Heimat“ gebrandmarkt, sind trotzdem keine Signale zu vernehmen, die auf einen bevorstehenden Austausch der Personalie Dvorkovich schließen lassen.

Russische Kritik an seiner Amtsführung gab es durchaus, speziell, nachdem der Putin-Propagandist Sergey Karjakin für ein halbes Jahr gesperrt worden war. Was vielen Beobachtern angesichts der Karjakinschen Unsäglichkeiten nicht weit genug ging, verstanden in Russland viele als Schwäche eines FIDE-Präsidenten, der seinen Laden nicht im Griff hat, so dass es zu dieser Sperre kommen konnte. Der Präsident des Russischen Schachverbandes Andrey Filatov forderte, Dvorkovich solle diese Sache unter Kontrolle bringen, eine Forderung, der sich ein Kreml-Sprecher anschloss.

„Er ist in einer sehr, sehr schwierigen Lage. Ich möchte wirklich nicht in Dvorkovichs Haut stecken“, sagte dazu Daniil Dubov in seinem international vielbeachteten Spiegel-Interview.

Sergey Karjakin hat mit dem Kandidatenturnier-Sponsor Sima-Land, berüchtigt für seine Pro-Putin-Flashmobs, schnell einen neuen Unterstützer gefunden. Jetzt will er einen eigenen Schachverband aufmachen.

So schwierig die Lage des auch daheim in der Kritik stehenden Dvorkovich sein mag, sein Amt ist eines, das in Russland als wichtig geschätzt wird. Als vor vier Jahren dringend ein Nachfolger des unter US-Sanktionen stehenden Kirsan Iljumschinow gesucht wurde, um russische Kontinuität auf dem FIDE-Chefsessel herzustellen, zauberte Schachrussland den schachlich weitgehend unbeleckten Fußball-WM-Organisator Dvorkovich aus dem Hut, installierte ihn als Kandidaten und ließ ihm die Unterstützung zukommen, die der Newcomer brauchte, um sich gegen den etablierten Mitbewerber Georgios Makropoulos und die mit ihm verbundenen Beharrungskräfte durchzusetzen.

Jetzt könnte die russische Devise sein: Lieber einen in der heimischen Elite ungeliebten russischen FIDE-Präsidenten als gar keinen. Die Unterstützung von 2018 hat Dvorkovich diesmal nicht – braucht sie aber auch nicht. Mit pragmatischer Arbeit hat der 50-Jährige sich seinen vor vier Jahren neu sortierten Apparat und die internationalen Verbände gewogen gemacht. Ob Vizepräsident von Dvorkovichs Gnaden Nigel Short, Generalsekretär Emil Sutovsky oder Geschäftsführerin Dana Reizniece-Ozola: Sie alle haben mehr oder weniger deutlich zu Protokoll gegeben, dass das vor vier Jahren begonnene FIDE-Projekt mit Dvorkovich an der Spitze fortgeführt werden sollte. Aus den Verbänden – außer dem ukrainischen – hat dem bislang niemand widersprochen oder auch nur Bedenken geäußert.

Dazu kommt: Einen Gegenkandidaten gibt es nicht und damit niemanden aus Funktionärskreisen, der die Dvorkovich-Debatte zumindest anstößt. Je länger das so bleibt, desto besser die Chance für den Amtsinhaber auf weitere vier Jahre.

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Kommentator
Kommentator
2 Jahre zuvor

Schande über die FIDE und alle Unterstützer Dvorkovichs, Anand eingeschlossen. Da hätte man die Schacholympiade auch gleich in Russland belassen können.

Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
2 Jahre zuvor

Manchmal frage ich mich ob die FIDE ein Sportverband ist.
Der FIFA-Chef ist sogar im Land seiner Geldgeber gezogen und und lächelt immer schön brav wie ein Haushund der sein Leckerli bekommt in die Kamera.
Einige Spitzensportverbände kann man nicht ernst nehmen.

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[…] Mit Viswanathan Anand als Zugpferd: Dvorkovich will FIDE-Präsident bleiben […]

Claus Seyfried
2 Jahre zuvor

Da kann man ja mit Uwe Pfenning und einem beliebigen Helfer aus Württemberg dagegen kandidieren. Sorry Uwe, Spaß muss sein!