Vor dem World Cup stand fest, dass Fabiano Caruana und Ding Liren für das Kandidatenturnier 2020 qualifiziert sind. Dazu sollten sich nun die beiden World-Cup-Finalisten gesellen, sodass Anfang Oktober vier der acht Kandidaten feststehen würden.
Stattdessen sind es drei. Der World Cup hat zu dem kuriosen Ergebnis geführt, dass mit Anish Giri ein Kandidat gefunden wurde, der in der dritten Runde ausgeschieden war. Der eine Finalist, Ding Liren, war schon vor Beginn des World Cups Kandidat. Der andere, Teimour Radjabov, ist bestenfalls ein Wackelkandidat. Der Aseri spielt Schach allenfalls noch semiprofessionell, und er sagt, dass er noch nicht weiß, ob er nächstes Jahr in Jekaterinenburg antreten wird.
Caruana als WM-Herausforderer 2018 stand von Beginn an als erster Kandidat fest. Im Lauf des Jahres 2019 kristallisierte sich heraus, dass aufgrund seines konstant hohen Ratings von über 2800 Ding Liren der zweite Kandidat sein würde. Ginge es nur um das Kandidatenturnier, Ding hätte den World Cup gar nicht spielen müssen.
Als er dort das Halbfinale erreicht hatte, traf er auf seinen Landsmann Yu Yangyi. Sogleich sprossen Theorien, dass nun der eine Chinese dem anderen den Weg zum WM-Match Ende 2020 bahnen könne. Ding hätte erst das World-Cup-Halbfinale verlieren müssen, Yu wäre Kandidat gewesen. Im Kandidatenturnier würde Yu Ding zwei Punkte zuschustern können, was Ding mit einiger Wahrscheinlichkeit reichen würde, um das Turnier zu gewinnen, wenn es ansonsten normal läuft.
Der untadelige Sportsmann Ding besiegte den untadeligen Sportsmann Yu im Halbfinale des World Cups, und damit hatten sich derartige Spekulationen erledigt. Aber es bleibt der Umstand, dass die Konstellation eine unglückliche war, eben weil sie solche Spekulationen gebar. Und wer erinnert sich nicht an Bobby Fischer und die Sowjets?
Halbfinale wichtiger als das Finale
Von der FIDE war dazu bislang kein Wort zu vernehmen. Der Vorschlag, das Halbfinale in solchen Fällen neu zu paaren, um Matches zwischen Landsleuten zu vermeiden, steht ebenso unbeantwortet im Raum wie der Vorschlag, im Halbfinale vier und im Finale zwei klassische Partien zu spielen. Beides würde Sinn ergeben angesichts eines Turniers, dessen wichtigste Entscheidungen im Halbfinale fallen.
Dings Kandidatenstatus hat sich nicht geändert, aber er gilt nun als Qualifikant via World Cup. Dadurch wurde der Rating-Spot frei, und der wird an Anish Giri gehen – außer Maxime Vachier-Lagrave gewinnt bis November 27 Elo. Was extrem unwahrscheinlich ist.
Die Alternativchance, dass Anish Giri bis November massiv Rating verliert, besteht jedenfalls nicht: Kaum hatte Ding das Finale des World Cups erreicht, zog Giri seine Teilnahme am Grand Swiss im Oktober auf der Isle of Man zurück. Wir dürfen das als Vorsichtsmaßnahme interpretieren, mit der Giri seinen Ratingvorsprung auf MVL konservieren will.
Zieht Radjabov zurück, ist MVL drin
Kaum einem Spieler gönnt die Schach-Fangemeinde die Teilnahme am Kandidatenturnier so sehr wie dem Franzosen, der nun beim World Cup das undankbare Match um Platz drei spielen muss. Verdient hätte er es sowieso, und er wäre einfach mal an der Reihe. Und er ist ja auch noch nicht raus aus dem Kandidaten-Rennen.
Sollte Remiskönig Teimour Radjabov das Kandidatenturnier absagen, würde sich ein Hintertürchen für MVL öffnen. Laut Reglement rückt der Spieler mit dem besten Durchschnittselo der vergangenen Monate nach. Das wäre, Stand jetzt, MVL (hauchdünn vor Mamedyarov), für den obendrein weiterhin die Chance besteht, sich per Grand Prix zu qualifizieren. Dafür wird er ab dem 5. November in Hamburg eine exzellente Leistung abliefern müssen. Am Grand Swiss auf der Isle of Man, dessen Sieger ebenfalls Kandidat wird, nimmt MVL nicht teil.
Zuallerletzt bliebe noch die Hoffnung auf die Wildcard fürs Kandidatenturnier. Allerdings ist abzusehen, dass für ein Kandidatenturnier in Russland ein Russe die Wildcard bekommt. Auch das eine heikle Angelegenheit. Geht es nach Rating, wäre Ian Nepomniachtchi der erste Anwärter auf einen Platz im Elitefeld. Geht es nach Kreml-Nähe, wäre der in Russland bis zum Rande der Peinlichkeit vermarktete Sergej Karjakin an der Reihe. Und geht es danach, wen die Fans am liebsten sehen würden, hätte Alexander Grischuk kaum Konkurrenz zu fürchten.
Eine Wildcard für Karjakin ist angesichts neuer strenger Regeln nahezu ausgeschlossen – Voraussetzung ist ja im Schnitt top10 (derzeit ist er weit davon entfernt) oder Platz 3 beim Weltcup (hat er nicht geschafft) oder Platz 3 in der GP-Serie (wird er auch nicht schaffen) oder, letzte Chance, Platz 2 beim Grand Swiss. Wenn Nepomniachtchi sich über die GP-Serie qualifiziert, Grischuk aus der top10 herausfällt und niemand anders die Voraussetzungen erfüllt (möglich wäre ein “ziemlich gutes” Ergebnis auf der Isle of Man für Gibraltar-Sieger Artemiev), dann müssten die Russen einen Ausländer nominieren. Zu Radjabov: Alles was Conrad Schormann über ihn schreibt… Weiterlesen »
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