Drei entschiedene Partien bei den Frauen, zwei bei den Männern. Die nach einem Beschluss des DSB-Kongresses vom Samstag voraussichtlich letzten “German Masters” (künftig: Deutsche Meisterschaft) haben nach der ersten Runde fünf Spitzenreiter. Mit Dinara Wagner liegt im Turnier der Frauen die klare Favoritin gleich zu Beginn an der Spitze, gleichauf mit Lara Schulze und Hanna Marie Klek. Bei den Männern führen Dennis Wagner und Christopher Noe.
Für die Eheleute Wagner begann die Runde mit einem Doppelsieg, der von Dennis eher glücklich (siehe weiter unten), der von Dinara nach Plan. Die Eröffnungsvorbereitung gegen die nominelle Turnieraußenseiterin Luisa Bashylina sei aufgegangen, das Konzept, eine möglichst komplexe Stellung aufs Brett zu bekommen auch, erzählte sie nach der Partie im Stream, den Klaus Bischoff an der Seite seiner Gattin Ingrid Lauterbach moderierte.
Anders als für fast alle Mitspieler:innen und Mitspieler wird das Masters nicht das letzte Turnier des Jahres für Dinara Wagner sein. Sie plant, nach Weihnachten zur Schnellschach- und Blitz-WM in Usbekistan zu fliegen. Wagner nimmt an, dass sie dort mit Vorjahres-Rapid-Vizeweltmeister Vincent Keymer eine kleine, zweiköpfige deutsche Delegation bilden wird.
Im Masters 2023 der Frauen muss sie sich als Favoritin in einer für alle Beteiligten wichtigen Standortbestimmung bewähren. Anders als bei den Männern, wo die Top sechs mittelfristig zementiert sind, ist bei den Frauen die Rangfolge an der Spitze ebenso wie die Besetzung der Nationalmannschaft offener.
Josefine Heinemann wird nach ihrem jüngsten Sprung auf 2360 Elo und den dritten Rang der deutschen Rangliste bestrebt sein, die nun in Sichtweite befindliche 2400-Marke und die jenseits davon thronenden Wagner und Elisabeth Pähtz nicht wieder aus den Augen zu verlieren. Pähtz, die nicht teilnimmt und im kommenden Jahr weitgehend pausieren will, hatte nach der EM sogar die Frage in den Raum gestellt, ob nicht einmal Heinemann das erste Brett der Nationalmannschaft hüten sollte,
Vor diesem Hintergrund war die Auftaktpaarung Sarah Papp vs. Josefine Heinemann interessant. Gut sechs Jahre ist es her, da wäre Sarah Papp (damals: Hoolt) beinahe gelungen, was Dinara Wagner während der EM für wenige Tage geschafft hat: Pähtz vom Thron stoßen. 2449, Papps Elo vom August 2017, dürfte das dritthöchste Rating einer Deutschen jemals sein. (Korrektur: Es ist das vierthöchste, siehe Kommentarspalte)
So interessant der Vergleich den Namen und den damit verbundenen Geschichten nach war, auf dem Brett war wenig los. Papp und Heinemann spielten ein korrektes, ereignisarmes Unentschieden.
Nach einer EM, bei der hinter dem Spitzentrio weder Hanna Marie Klek noch Jana Schneider überzeugt haben, dürften Lara Schulze und Fiona Sieber auf kommende Nominierungen spekulieren, vielleicht auch Melanie Lubbe als “Etablierte”. Beim Masters haben sie Gelegenheit, ihre Hackordnung zu klären – auch in dem Bewusstsein, dass mit Kateryna Dolzhykova, als “Deutsche Meisterin” 2023 für die Deutsche Meisterschaft 2024 qualifiziert, schon Ambition angemeldet hat.
Schulze hat nach einer Runde einen glänzenden Sieg über Lubbe auf der Habenseite, Klek einen sicher herausgespielten über Zoya Schleining, Schneider einen halben Punkt zu wenig. Im Turmendspiel am Ende einer Einbahnstraßenpartie ließ sie Fiona Sieber ins Remis entschlüpfen.
Die endgültige Besetzung des Männerfelds stand recht spät fest. Vorjahressieger Vincent Keymer hatte zwar intern früh zu verstehen gegeben, dass ihn das wichtigste Turnier seines Verbands nicht reizt, aber danach gesellten sich noch andere Wackelkandidaten dazu. Mit Dmitrij Kollars und Niclas Huschenbeth fehlen zwei weitere Spieler, die eigentlich in den Wettbewerb gehören.
So kam recht kurzfristig Daniel Fridman ins Turnier. Seit drei Wochen erst weiß er mit Sicherheit, er ist dabei – wenn er will. Aber ob er will, das war Fridman anfangs nicht vollständig klar. Das Masters überschneidet sich mit den Schnell- und Blitzschach-Europameisterschaften, wo Fridman im vergangenen Jahr Rapid-Bronze holte, “mein bestes Ergebnis seit langem”.
Andererseits fallen die Einladungen zu starken Rundenturnieren nicht vom Himmel. “Wenn ich jetzt wegen eines Blitz- und Rapid-Turniers auf das German Masters verzichte, dann kann ich auch ganz mit klassischem Schach aufhören. Das geht nicht”, erklärte Fridman im Stream auf Schachdeutschland TV.
Und so spielt Fridman mit – als Dark Horse. Der Spielstärke nach, die er abrufen kann, könnte er ganz oben landen. Andererseits verfügt der 47-Jährige nicht mehr über die Energie wie während seines Leistungszenits, als sein Elo bis auf 2670 geklettert war. Fridman wird mit seiner Kraft haushalten – und hatte insofern einen sehr guten Start. Die Schwarzpartie gegen Michael Prusikin war bald abmoderiert, das erste Remis des Tages.
Mit Matthias Blübaum und Rasmus Svane trafen gleich zu Beginn zwei Favoriten aufeinander. Blübaum kreierte eine Neuerung – nach der Partie. Seinen bisherigen Varianten der Selbstgeißelung (“grässlich”, “fürchterlich”, “lächerlich”) fügte er diese hinzu: “Der schlechteste Zug, der jemals gespielt wurde.”
Gemeint war das unschuldig aussehende 11.a3, nach dem Weiß tatsächlich schon um Ausgleich kämpft. Auf die Zugwiederholung, die bald aufs Millennium-Brett kam, ließ sich Blübaum gerne ein. Hinterher stellten die Kontrahenten gemeinsam fest, dass sich hier eine Geschichte aus der Bundesliga wiederholt hat: Dort saßen sie einander gerade erst beim Match Hamburg vs. Deizisau am ersten Brett gegenüber. Blübaum veranstaltete mit Weiß ein Experiment und war wenig später froh, mit einem halben Punkt davonzukommen.
Spannend wird zu sehen sein, wie sich Leonardo Costa (15) schlägt, der als “Deutscher Meister” für diese eigentliche Deutsche Meisterschaft qualifiziert ist. Nach Rosenheim kommt das Münchner Ausnahmetalent mit Rückenwind: erst der IM-Titel, danach WM-Bronze U16, jetzt der krönende Abschluss des Turnierjahres? Ein ungefährdetes Weißremis gegen Nationalspieler Alexander Donchenko sollte Costa die Gewissheit geben, dass er zumindest mithalten kann.
Eine GM-Norm gibt es weder für ihn noch für Christopher Noe, den anderen IM im Feld, zu holen. Dafür müsste diese Deutsche Meisterschaft tatsächlich eine sein, denn die FIDE erlaubt nur ein nationales Turnier pro Verband, bei dem Normen für internationale Titel erspielt werden können. Noe, dem trotz drei bislang erzielter Normen noch eine fehlt, hielt das nicht davon ab, den ersten Sieg des Tages im Turnier der Männer einzufahren, einen spektakulären, wenngleich mit gegnerischer Eröffnungshilfe erzielt.
Was genau in Jonas Rosenecks Vorbereitung schiefgegangen ist, lässt sich nicht erhellen, sicher ist, dass sein siebter Zug …cxd4 ein viel heißerer Kandidat auf den schlechtesten jemals gespielten ist als der elfte von Blübaum. Höllisch kompliziert blieb es trotzdem.
Hoffentlich schaut Roseneck nicht im Nachhinein den Stream. Er würde sehen, dass Noe geplant hatte, im 10. Zug seinen Vorteil wegzuschenken – wenn denn Schwarz das naheliegende 9…d3 spielt. Stattdessen kam 9…Sc6. In seiner Not ging Roseneck gegen den weißen König per Damenopfer All-in, aber ihm blieb schlicht nicht genug Material, um ernsthaft Schaden anzurichten.
Für den Mitfavoriten Frederik Svane, die neue deutsche Nummer drei, begann das Turnier mit einem Nackenschlag. Gegen den Ex-Prinzen Dennis Wagner hatte sich Svane einen Mehrbauern in einem Damenendspiel mit ungleichfarbigen Läufern erkämpft. Hartnäckig vergrößerte er seinen Vorteil Stück für Stück – dann dieses:
(Titelfoto: Anna Shtourman/FIDE)
Sarah Papp ist auf Platz 4 der ewigen Bestenliste. https://www.schachbund.de/elo-chronik-bestenliste-frauen.html