Endspiel-Energieleistungen von Vincent Keymer und Josefine Heinemann haben den Nationalmannschaften bei der Europameisterschaft Punkte beschert, mit denen die meisten Beobachter und wahrscheinlich auch die Spielerinnen und Spieler nicht mehr gerechnet hatten. Die Männer retteten ein Unentschieden, die Frauen gewannen.
Mit dem hart erkämpften 2:2 gegen Rumänien haben die deutschen Männer die Tabellenführung verteidigt. Nach Punkten haben allerdings die Engländer aufgeschlossen. Am Samstag in der siebten Runde treffen beide aufeinander. Die Frauen haben die Niederlande 2,5:1,5 besiegt und bleiben oben dran. Sie spielen jetzt gegen Polen.
Der sechste Spieltag der Europameisterschaft der Mannschaften war für Vincent Keymer und Dinara Wagner auch ein Tag, an dem sie individuelle Meilensteine erreichten.
Nach fast zehn Jahren gilt seit heute nicht mehr Arkadij Naiditschs deutscher Elorekord von 2737, aufgestellt im Dezember 2013. Dank seines Sieges über Richard Rapport steht Vincent Keymer in der Live-Liste jetzt mit 2739,6 Elopunkten auf Rang 14, neuer deutscher Rekord und seine höchste Platzierung jemals.
Dinara Wagner ist dank ihres Siegs über Peng Zhaoqin jetzt auch nach Elo die deutsche Nummer eins. Elisabeth Pähtz muss diesen Platz nach fast 18 Jahren erstmals räumen. Schon im Juli 2005 hatte sie erstmals Ketino Kachiani-Gersinska vom Thron gestoßen. Im Oktober 2005 zog die gebürtige Georgierin noch einmal an ihr vorbei. Seit Januar 2006 steht Pähtz ununterbrochen vorne, oft mit mehr als 100 Punkten Abstand von der Zweitplatzierten. Nur 2017 wurde es knapp. Sarah Hoolt (heute Sarah Papp) rückte bis auf 20 Punkte heran.
Das dramatische Match der Männer gegen die hoch gehandelten Rumänen begann am ersten Brett mit einer Riesenchance, die ungenutzt verstrich:
Danach passierte lange nichts, das die Enginebalken schwanken ließ. Keymer blieb nach seinem verpassten Ausknipser gegen die Nummer zehn der Welt am Drücker. Sein Brett war das einzige, an dem die Deutschen auf den vollen Punkt drückten.
Nebenan erledigte Rasmus Svane in aller Souveränität seinen Job, nichts anbrennen zu lassen. Mit Schwarz gegen den 2700er Bogdan Deac hatte der Lübecker ein katalanisches Abspiel angesteuert, in dem der Mehrbauer des Rumänen allenfalls von symbolischer Bedeutung sein sollte. Trotzdem ließ ihn sein Gegner lange für den halben Punkt arbeiten.
Matthias Blübaums Partie ließ sich schärfer an. Aber das anfangs zweischneidige Ragosin-Gefecht gegen den ukrainischen Rumänen Kirill Shevchenko mündete bald in ein Turmendspiel, das objektiv zwar nahe am Ausgleich war, in dem aber eher Schwarz Fragen stellte und Weiß Antworten finden musste.
Am ehesten kritisch war es bei Dmitrij Kollars am vierten Brett. Liviu Dieter Nisipeanu, von 2014 bis 2022 Teil der deutschen Nationalmannschaft, wollte partout nicht den Beton anrühren und den halben Punkt sichern, wie er das jahrelang unter schwarz-rot-goldener Flagge getan hatte. Kollars stand unter leichtem, aber anhaltenden Druck.
Um die Zeitkontrolle herum wurde es für Kollars gegen die aktiven weißen Figuren immer schwieriger, die erforderlichen präzisen Züge zu finden. Während es bei Keymer auf ein extrem schwierig zu gewinnendes Endspiel mit Mehrqualität, aber nur noch jeweils einem Bauern hinauslief, entglitt Kollars seine Partie, und Deutschland lag zurück.
Keymer musste gewinnen, um der deutschen Mannschaft den Punkt zu retten. In einem Endspiel Turm plus Bauer gegen Springer plus Bauer kam ihm entgegen, dass Rapport nicht vermochte, die Remis-Aufstellung zu finden. Am Ende nutzte Keymer die Chance, in ein gewonnenes Bauernendspiel abzuwickeln.
Nach 85 Zügen hatte Keymer seiner Mannschaft den Punkt gerettet. Deutschland vs. Rumänien 2:2.
Das dramatische Match der Frauen begann ebenfalls mit einer Riesenchance. Jana Schneider hatte die französische Bastion ihrer Gegenspielerin nach 21 Zügen sturmreif geschossen.
Aber das musste noch kein schlechtes Omen sein. Elisabeth Pähtz lieferte sich mit Eline Roebers das erwartete unklare Gefecht in einem 3.f3-Caro-Kann. Pähtz sammelte zwei weiße Bauern ein, musste dafür ihre Dame hin- und herscheuchen lassen, aber zwei Bauern sind erst einmal zwei Bauern.
Dinara Wagner verwaltete derweil ihren katalanischen, moderat-stabilen Vorteil, Josefine Heinemann mit Schwarz war in ihrem italienischen Element schnell ohne Probleme. Während Schneider sich ins Remis fügen musste, gewann Wagner sogar recht bald.
Dann wurde es bei Pähtz kritisch:
Beim Stand von 1,5:1,5 verwaltete Josefine Heinemann ein Turmendspiel mit 4 vs. 4 Bauern, das kaum gewinnbar aussah. Selbst als ihre Gegnerin den Turm für einen einlaufenden Freibauern gegen musste, hätte das nicht reichen sollen, sie hätte ja ihrerseits einen Bauern durchbringen können. Das tat sie auch, aber auf suboptimale Weise, sodass der einlaufende Bauer sich in einen Springer verwandeln musste:
Schon zwei Züge später verlief sich der Springer entscheidend, anstatt bei seinem König zu bleiben. Heinemann nutzte die Chance, nach 70 Zügen war die Partie vorbei:
2,5:1,5 für Deutschland.
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“Nach fast zehn Jahren gilt seit heute nicht mehr Arkadij Naiditschs deutscher Elorekord von 2737, aufgestellt im Dezember 2013.” Das ist absoluter Unfug! (Selbiges gilt auch für die Aussage “Dinara Wagner ist dank ihres Siegs über Peng Zhaoqin jetzt auch nach Elo die deutsche Nummer eins.”) 2700chess.com ist ein gutes Hilfsmittel für die Frage “Was wäre, wenn Spieler X oder Spielerin Y in dieser Auswertungsperiode keine Partie mehr spielt?” – nicht mehr und nicht weniger. Die Listen haben keinen offiziellen Charakter und sind damit ungeeignet, um Elo-Rekorde oder Weltranglisten-Platzierungen zu feiern – hierfür sind ausschließlich die von der FIDE zum… Weiterlesen »