Klage gegen Carlsen: Hans Niemann will 100 Millionen Dollar (mindestens)

Hans Moke Niemann verklagt Magnus Carlsen, die Play-Magnus-Gruppe, chess.com, chess.com-Chef Daniel Rensch und Hikaru Nakamura auf nicht weniger als 100 Millionen Dollar Schadensersatz. In der am 20. Oktober beim Eastern Missouri District Court eingereichten Klage “Niemann v. Carlsen” steht, die Beklagten hätten sich abgesprochen, um ihn, Niemann, des Betrugs zu bezichtigen und ihn gemeinsam „auf eine schwarze Liste“ zu setzen. Der US-Großmeister, der sich zu dem Fall seit seiner emotionalen Verteidigungsrede Anfang September nicht mehr geäußert hatte, sieht sich als Opfer einer Verleumdungskampagne.

Der Schriftsatz listet auf, in welchem Maße Turnierorganisatoren Niemann gemieden haben, seitdem Magnus Carlsen verkündet hat, nicht mehr gegen ihn spielen zu wollen. Unter anderem die Verhandlungen mit den Organisatoren des Schachfestivals in Wijk an Zee für den Januar 2023 seien über der Affäre gescheitert. Mittlerweile könne Niemann nicht einmal mehr als Schachlehrer arbeiten.

In Prag sind Vincent Keymer und Hans Moke Niemann Mitte Juni aufeinandergetroffen. Später in diesem Jahr sollten sie in Deutschland einen vom DSB organisierten Wettkampf spielen. Dann erhob Magnus Carlsen Betrugsvorwürfe gegen Niemann, und Keymer sagte nach Niemanns Darstellung das Match ab.

Auch das deutsche Jahrhunderttalent Vincent Keymer und, indirekt, der Deutsche Schachbund kommen in Niemanns Schreiben vor. Der DSB wollte in diesem Jahr sein Vorhaben umsetzen, Keymer in Deutschland ein Match gegen einen Spieler der erweiterten Weltspitze zu organisieren. Ursprünglich war ein Vergleich mit der langjährigen englischen Nummer eins Michael Adams vorgesehen. Dann legten sich die Verantwortlichen des Verbands darauf fest, Keymer gegen den amerikanischen Aufsteiger Niemann in den Ring zu schicken. Aber wegen der Betrugsvorwürfe gegen Niemann habe Keymer jetzt das Match verweigert.

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Niemanns Klage betont die finanziellen Beziehungen zwischen den Beklagten. Nach seiner Darstellung arbeiten Carlsen und chess.com zusammen, eine Folge des geplanten (und derzeit infrage stehenden) Zusammenschlusses der Play-Magnus-Gruppe mit dem US-Unternehmen, der, so Niemann, zu einem Monopol führen werde. Carlsen wie chess.com bedienten sich des Schach-Influencers Nakamura, um die Vorwürfe zu verstärken. Nakamura habe „in Absprache mit Carlsen und Chess.com stundenlange Videos veröffentlicht, die Carlsens falsche Betrugsvorwürfe verstärken und untermauern sollen“.

Auch der 72-seitige “Hans-Niemann-Report” von chess.com zu Hans Niemann, veröffentlicht vor Beginn der US-Meisterschaft, kommt vor. Die Erkenntnisse von chess.com über das Ausmaß seines Betrugs seien falsch, heißt es. Vor allem aber richtet sich Niemanns juristisches Manöver gegen den Vorwurf Carlsens, bei der Partie zwischen den beiden während des Sinquefield Cups Anfang September habe Niemann betrogen.

Nach Darstellung von Niemanns Anwälten hat Niemanns spöttisches Interview nach seinem Sieg über Carlsen einen Ausraster Carlsens ausgelöst. „Ich konnte sehen, dass es ihm peinlich ist, gegen einen Idioten wie mich zu verlieren. Er tat mir leid“, hatte Niemann gesagt.

Im Video: Was die Anwälte von chess.com sagen, was Vincent Keymer damit zu tun hat und einige Highlights aus Hans Moke Niemanns Klageschrift.

Dazu heißt es nun: „Carlsen rächte sich bösartig und heimtückisch an Niemann, indem er ihn fälschlicherweise und ohne jeglichen Beweis beschuldigte, während ihrer persönlichen Partie betrogen zu haben.“ Carlsen habe verlangt, Niemann vom Sinquefield Cup auszuschließen. Als die Organisatoren dieser „korrupten und feigen“ Forderung nicht nachkamen, habe Carlsen selbst das Turnier verlassen. „Ein beispielloser Akt für einen Spitzenschachprofi, geschweige denn für den amtierenden Weltmeister.“

Carlsen setzte seinen Mourinho-Tweet ab, gab in seiner Tour nach einem Zug gegen Niemann auf, veröffentlichte seine Erklärung, dazu die Dlugy-Andeutung. Hans Niemanns New Yorker Anwälte Terrence und Darren Oved sehen ihren Mandanten jetzt im Mittelpunkt des größten Schachskandals der Geschichte.

„Das ist kein Spiel“, erklärten die Juristen laut einem Bericht des Wall Street Journals. „Die Beklagten haben Niemanns Leben zerstört, nur weil er das Talent, die Hingabe und die Kühnheit hatte, den sogenannten König des Schachs zu besiegen. Wir werden die Angeklagten voll zur Rechenschaft ziehen und die Wahrheit aufdecken.“

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Mario Schmidt
Mario Schmidt
1 Jahr zuvor

100 Mio.? Ist klar. Ich hoffe, es endet nicht in einem Vergleich, in dem Niemann dann als Multimillionär rausgeht, aber der Fall nicht weiter beleuchtet wird. Es soll am Ende des Tages schon die Wahrheit auf den Tisch kommen und wenn Niemann entgegen seinen Aussagen tatsächlich über 100 mal Online betrogen hat, dann ist das auch schon genug, damit seine Reputation am Boden ist. Nach meiner Einschätzung funktionieren die Anti-Cheating-Tools auf den Online-Plattformen recht gut, deshalb glaube ich Niemanns Version nicht.

Taktikfuchs2000
1 Jahr zuvor

Bis wir ein Ergebnis zu sehen kriegen, wird es vermutlich Jahre dauern. Interessant finde ich die teilweise evident falschen Behauptungen in der Klageschrift. Carlsen kommuniziere mit der Welt mittels eines von chesscom finanzierten Streams? Carlsen hat das letzte Mal im Dezember 2021 gestreamt und meines Wissens noch nie in seinem Leben ein Turnier auf chesscom. Immer nur Lichess oder Chess24. Ein Motiv für Carlsens Handeln sei: Durch die Niederlage gegen Niemann sei es für Carlsen unmöglich geworden, jemals 2900 zu erreichen. Ähm okay, warum? Carlsen werden beinahe rufmordend persönliche Eigenschaften unterstellt (Feigheit und Korruptheit). Weder gibt es einen Beleg für… Weiterlesen »

Daniel Hendrich
Daniel Hendrich
1 Jahr zuvor

Was Carlsen da angezettelt hat, ist eine Rufmordkampagne erster Ordnung. Dass sich Niemann jetzt mit diesen Mitteln wehrt, ist sein gutes Recht.

Thomas Richter
Thomas Richter
1 Jahr zuvor

Mich würden auch die Beweggründe von Keymer interessieren, wobei er sich dazu wohl nicht öffentlich äußern wird. Ich sehe drei Möglichkeiten: 1) Er glaubt oder befürchtet, dass Niemann tatsächlich auch am Brett schummelt. 2) Er will nicht _diese_, auch internationale Aufmerksamkeit für ein Trainingsmatch. 3) Er befürchtet Konsequenzen auch für sich, wenn er beim Boykott gegen Niemann nicht mitmacht und Niemann dadurch “legitimiert”. Für letzteres gibt es einen Präzedenzfall: Karjakins Sperre ist abgelaufen, danach spielte er ein (von westlichen Medien ignoriertes) Turnier in Moskau und andere Teilnehmer traf der Twitter-Bannstrahl des Carlsen-Lagers. IM Atle Gronn (wer auch immer das ist,… Weiterlesen »

Matthias Ruf
1 Jahr zuvor

Erinnert mich an den Poker-Star Mike Postle, der eine Klage einreichte, um 330 Millionen Dollar wegen Verleumdung von anderen Spielern zu erhalten. Die Einschüchterung nützte allerdings nichts, denn am Ende ging der Betrüger mit dem Smartphone auf dem Schoß bankrott.

Frank
Frank
1 Jahr zuvor

Glaube nicht, dass Niemann damit was erreicht. Was interessant sein könnte für die Schachgemeinde ist vielleicht ein genauerer Einblick in das Geschäftsgebaren von chess.com und PlayMagnus und auch die Geschichte mit den “klaren Beweisen”, die chess.com gegen Niemann haben will bezüglich erweitertem Cheating. Damit sind Rensch und Co. bisher noch nicht herausgerückt. Am Ende wird Hans vermutlich kein Geld bekommen, aber die Allgemeinheit eine Liste von Titelträgern, die auch gecheated haben.

Kai Henne
Kai Henne
1 Jahr zuvor

Jedenfalls ist für die nächsten beiden Jahre für Unterhaltungswert gesorgt. Hat jemand eine Idee, warum er Rensch verklagt und nicht chess.com? Weiß man schon, wer die Klage finanziert?

Last edited 1 Jahr zuvor by Kai Henne
Kai Henne
Kai Henne
1 Jahr zuvor

Es haben sich mittlerweile mehrere amerikanische Anwälte ziemlich ähnlich zu der Klage geäußert. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts wird bezweifelt. Die Klage sei über weite Strecken zu unsubstantiiert.
Hikaru durfte sich wohl so äußern, wie er es getan hat. Magnus bekommt vielleicht ein Problem, vielleicht auch nicht. Chess.com hat die schlechteste Position aller Beklagten, weil Sie sich sehr ausführlich und anscheinend ohne anwaltliche Beratung geäußert haben.

Ludger Keitlinghaus
Ludger Keitlinghaus
1 Jahr zuvor

Mir ist nicht klar, was an Calsens Aussagen und Verhalten einen derartigen Prozess erfolgsversprechend machen könnte; in den Staaten wird das Recht auf freie Meinungsäußerung sehr hoch gehalten, anders als anderswo, und Magnus Carlsen hat wohl gegen Niemann agitiert, aber er hielt sich wohl hinreichend bedeckt, so dass eine Schadensersatzklage ganz vermutlich nicht erfolgreich sein wird. Ansonsten sind in den Staaten Anwälte oft am Klage-Erfolg prozentual beteiligt, insofern wird es wohl weiter gehen, es geht ja auch ums Renommee, das der Anwälte und um das von Hans Moke Niemann. Vielen Dank für die Berichterstattung. Ich finde es gut, dass dieser… Weiterlesen »

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[…] davon. Als „dumm“ bezeichnete Rechtsanwalt Gretarsson gegenüber dem norwegischen Rundfunk die Klage von Hans Niemann gegen unter anderem Magnus Carlsen. Die Summe von 100 Millionen Dollar, die […]

Carlo
Carlo
1 Jahr zuvor

Auch der Automobilkonzern VW hat betrogen. Sogar mit Folgen für Umwelt und Klima. Warum sperrt man seine Produkte nicht lebenslänglich vom Straßenverkehr aus? Warum heißt es hier nicht: ‘Wer einmal lügt…’? Ich finde gut, dass ein Gericht, das möglichst wenig Ahnung vom Schach hat, sich unvoreingenommen dieser Sache annimmt und nicht in Ehrfurcht vor Carlsen in Demut erstarrt und ebenso Niemann umfassend durchprüft. Damit muss Niemann ja nun rechnen, dass unabhängige, neutrale Gutachter sämtliches Partien-Material untersuchen und ein Eigentor wird er nicht schießen wollen. Jedenfalls gefällt mir, dass Schach nach dem ‘Damengambit’ wieder den Weg in die bürgerliche Presse gefunden… Weiterlesen »

Matthias
Matthias
1 Jahr zuvor

Es ist Nicht-Schachspielern nicht einfach zu vermitteln, warum im Schach online schummeln nicht so schlimm ist. Und hier hat Nieman den Betrug ja bereits zugegeben. Eine Sperre – online wie offline wäre normal. Der Fide ist das aber wurscht, und daher befinden wir uns in der Lage, in der wir jetzt sind. Großmeister mit hoher Twitch Fangemeinde relativieren den Betrug mit der Aussage, dass es ja eine Menge anderer Großmeister gäbe, die auch nicht besser wären… Carlsen hat ja selbst gar nicht viel getan. Er ist von einem Turnier zurückgetreten, er hat eine Online Partie nach 2 Zügen aufgegeben, er… Weiterlesen »

Klaus Zachmann
Klaus Zachmann
1 Jahr zuvor

Ich würde sagen, einfach abwarten, jetzt hat die Justiz das Wort.

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[…] Klage gegen Carlsen: Hans Niemann will 100 Millionen Dollar (mindestens) […]

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[…] Juni hatte Richterin Audrey Fleissig vom Bezirksgericht Missouri Niemanns 100-Millionen-Klage in allen Anklagepunkten zurückgewiesen. Zum Vorwurf der Verleumdung befand sie, dafür sei ihr […]

Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
1 Jahr zuvor

Sportindustrie, Lebensmittelindustrie, PKW-Industrie, Bauunternehmen, Pharmaindustrie, Pflegedienste, Schönheitschirurgen, Anlagenberater, Olympia(Zerstörung Flora und Fauna mit den Sportstättenbau),Städteplaner, Apotheken, Schlachtbetriebe/Fleischindustrie, Politiker und alle die Rechnungen schreiben verklagen, den falschen trieft man nicht man muss nur den richtigen Richter oder Richterin antreffen.

CAPTN HIRNI
CAPTN HIRNI
1 Jahr zuvor

Ich drücke Niemann die Daumen. Dennoch befürchte ich, dass er sich mit dieser Aktion, so berechtigt sie sein mag, zu weit aus dem Fenster gelehnt hat und ihm das irgendwann auf die Füße fällt. Er hätte nicht gleich noch Nakamura & Co. mitverklagen müssen. Das war des Guten zu viel. Da wird das Imperium zurückschlagen. Auch die Entschädigungssummen sind weit überzogen und die reißerische, bisweilen unseriöse Sprache der Anklageschrift macht es auch nicht besser. Es bleib der Wunsch offen, dass Carlsen mit seinen unsportlichen Aktionen nicht ohne weiteres davonkommt, nur weil er der „König“ ist. Es bleibt spannend.

eisenherz
eisenherz
1 Jahr zuvor

Niemann, ein US-amerikanischer Staatsbürger, der wird von US-Bürgern, von ausländischen Personen und juristischen Vereinigungen, ohne einen Beweis, des Betruges bezichtigt. Warum soll die Klage von Niemann nicht vor einem US-Gericht zugelassen und verhandelt werden können? Ausländische Konzerne wie z.b. VW und andere sind auch von US-Gerichten zu vielen Milliaden Dollar verklagt und verurteilt worden. Und jeder Anklagepunkt, mit jeweils 100 Milliarden, wird am Ende mit einem Vergleich enden, vielleicht 20 Millionen Dollar. Verdient haben dann beide, die Anwälte von Niemann und Niemann selber und Tourniere weiterspielen kann Niemann trotz alledem. Denn welcher Veranstalter wird es wagen, unbegründet Niemann nicht zuzulassen?… Weiterlesen »

Obst
Obst
1 Jahr zuvor

Ich jedenfalls drücke Niemann die Daumen. Eric Hansen hätte er gleich mitverklagen sollen, er hat das mit den Analperlen aufgebracht. Seitdem heißt Niemann in den Bild-Überschriften “Der Analperlenbetrüger”. Es ist schlimm, was manch einer, sei es besoffen oder bekifft, so streamt.

Aljechina
Aljechina
1 Jahr zuvor

Hurra, das Imperium schlägt zurück! Übrigens spricht nichts dagegen, gegen Taube oder Tauben Schach zu spielen, ich tu das erklecklich oft, hab da aber nicht gern Weiß (auf dem Kopf). Hänschen’s Lesart ist zufälligerweise auch genau meine, Magnus war wegen des Sieger-Interviews angepisst (und neidet ihm vermutlich obendrein noch die Jugend und die Wuschelhaare und dass er kein unübles Kinn hat …) und den Rest kennen wir! Ich finde, der Noch-Weltmeister hätte lieber einen dieser Kriegstreiberjungs mobben sollen. Zumal online dem Betrug (insbesondere bei allem was kein Blitzschach ist) eh Tür und Tor geöffnet ist. Wie naiv kann man sein,… Weiterlesen »