Gegen Firouzja – oder gar nicht: Magnus Carlsen zur Schach-WM 2023

Für diejenigen, die erwarten, dass ich eine weitere Weltmeisterschaft spiele, ist die Chance, dass sie enttäuscht werden, sehr groß.” Das hat Magnus Carlsen jetzt in Dubai zu seinem Freund Magnus Barstad gesagt, der ihn für Unibet interviewte. Magnus Carlsen sieht nur unter einer Bedingung eine gute Chance für sein sechstes WM-Match: wenn Alireza Firouzja (18) der Herausforderer ist. Ansonsten will Carlsen seinen Titel, den er seit 2013 hält, freiwillig abgeben.

Fünffacher Weltmeister: Magnus Carlsen. | Foto: Eric Rosen/FIDE

Mit Schach aufzuhören, habe er keinesfalls vor, sagte Carlsen. “Es macht mir weiterhin viel Spaß.” Schon während des Matches gegen Ian Nepomniachtchi sei ihn ihm die Freude erwacht, nach Weihnachten die Schnellschach- und Blitz-WM zu spielen (und dort seine beiden Titel zu verteidigen).

Aber WM-Matches, so wie sie sind, wecken eben nicht die Freude des 31-Jährigen, der schon nach dem Match gegen Fabiano Caruana 2018 erklärt hatte, das ihm der Modus nicht zusagt. “Eigentlich war mir schon das ganze Jahr über klar, dass dieses WM-Match mein letztes sein sollte. Der Titel bedeutet mir nicht mehr so viel wie früher”, erklärte Carlsen.

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Endlich ein Rivale: Fürs Schach wäre es ein Segen, stünde Magnus Carlsen nicht einsam oben, sondern erwüchse ihm ein Rivale. Als vor eineinhalb Jahren Alireza Firouzjas endgültiger Aufstieg in die Weltklasse begann, haben wir auf eine jahrelange Rivalität zwischen dem iranischen Newcomer und dem norwegischen Platzhirsch spekuliert, an deren Ende der Jüngere dem Älteren den Titel entreißt. Nun könnte es sein, dass diese Rivalität zumindest als Teil des WM-Zyklus nicht zustande kommt.

Neues Ziel: Elo 2900

Allerdings räumte Carlsen ein, dass er ins Nachdenken geriet, während er das Grand Swiss in Riga verfolgte. Alireza Firouzja gewann und qualifizierte sich für das Kandidatenturnier. “Er könnte schon beim nächsten Match mein Gegner sein. Das wäre eine Riesenmotivation”, sagte Carlsen, der angab, die Aussicht, sich mit Firouzja zu messen, habe ihm schon bei der Motivation fürs Match gegen Nepomniachtchi geholfen.

Für den Fall, dass Carlsen den Titel abgibt, hat er schon ein neues Ziel ins Auge gefasst: Elo 2900. Derjenige mit der höchsten Elo jemals (2882) ist Carlsen jetzt schon, aber diese Grenze zu knacken, reizt ihn jetzt. “Bislang war 2900 nie mein Ziel, weil ich immer das Gefühl hatte, dass es sehr schwierig zu erreichen ist. Aber nach dem WM-Match stehe ich jetzt wieder bei 2865, ich bin nah genug dran, dass sich zumindest nicht unmöglich anfühlt.” Die 2900-Traumgrenze könne ein geeigneter Motivationsfaktor sein. “Wenn ich das wirklich packen will, muss ich in jede Partie alles reinlegen, es gibt keinen Raum für Fehler. Das ist etwas, das mich antreiben könnte.”

Schon im ausführlichen Interview nach dem Match gegen Fabiano Caruana hatte Magnus Carlsen angeregt, den WM-Modus zu ändern – oder zumindest den Modus, nach dem das Match um den Titel gespielt wird.

Dieser Antrieb fehlte im Match gegen Nepomniachtchi – und damit die Befriedigung, es gewonnen zu haben. Nach der ersten Niederlage des Russen war es zu glatt für Carlsen gelaufen, er war sich bald sicher: “Ich werde das gewinnen.” Und das ohne zu wissen, ob er überhaupt in Bestform war. “Ich war effizient und präzise, aber ob das mein Bestes war, weiß ich nicht. Was ich an Kreativität drauf habe, konnte ich nicht zeigen.”

Die bislang feststehenden sechs WM-Kandidaten 2022 (zwei weitere werden noch beim Grand Prix ab Anfang Februar ermittelt) werden Carlsens Absichtsbekundung mit Interesse zur Kenntnis genommen haben. Der erklärte Wille des Weltmeisters, seinen Titel nur gegen einen der acht Kandidaten zu verteidigen, wird dem Kräftemessen eine pikante Note verleihen: Erstmals in der Schachgeschichte wird nicht ganz klar sein, worum die Wettbewerber spielen.

Beim Wettstreit der potenziellen WM-Herausforderer in der zweiten Jahreshälfte 2022 (voraussichtlich in Spanien, dessen Verband sich bei der FIDE um die Ausrichtung beworben hat) sind mehrere kuriose Konstellationen denkbar, Konstellationen, die veranschaulichen, dass Carlsen sich besser erst nach dem gespielten Kandidatenturnier geäußert hätte, um dessen sportlichen Wert nicht zu gefährden:

  • Stellen wir uns vor, Alireza Firouzja wird Zweiter. Magnus’ Weierung, gegen jeden außer Firouzja zu spielen, würde dazu führen, dass dieser Firouzja als Zweiter ein WM-Match bekommt – aber eben nicht gegen den Weltmeister. Firouzja als Zweitplatzierter würde gegen den Gewinner des Kandidatenturniers um den Titel spielen, der vakant ist, sobald Carlsen erklärt, nicht anzutreten.
  • Stellen wir uns vor, Alireza Firouzja führt vor der letzten Runde des Kandidatenturniers. Ein Remis in der 14. Partie sichert ihm den Sieg, bei einer Niederlage wäre er Zweiter – und würde deswegen ein WM-Match gegen den leichteren Gegner bekommen.
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Amontillado
Amontillado
2 Jahre zuvor

Es war zu befürchten, aber enttäuscht bin ich von Carlsen dennoch. Dass der WM-Titel nur erlangt werden kann, indem man ihn dem Titelverteidiger persönlich im Zweikampf entreißt, ist für mich die wichtigste und schönste Tradition im Schach. Davon hat es bisher nur zwei Ausnahmen gegeben: Aljechin war als Titelträger gestorben, was man ihm schwerlich zum Vorwurf machen kann. Und Fischer, bei dem im Oberstübchen nicht alles ganz richtig verdrahtet war. Und nun könnte Carlsen der Dritte sein, weil … er keinen Bock hat? Er delegitimiert damit den Titel, denn natürlich wird es heißen: X mag ja Weltmeister sein, aber er… Weiterlesen »

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[…] schrieb Henrik Carlsen. Was klingt wie eine aktuelle Äußerung von Vater Carlsen zur Zukunft der WM-Matches und einer Titelverteidigung seines Sohns 2023, ist in Wirklichkeit längst Schachgeschichte. Ende […]

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[…] Ding Liren am 7. Juli 2022 als nächster WM-Herausforderer feststehen. Und das wiederum könnte den zaudernden, WM-Match-müden Titelverteidiger motivieren, noch einmal seinen Hut in den Ring zu werfen. Ein Match gegen die […]

schwichtd
schwichtd
2 Jahre zuvor

Wie so eine Schaltplatte mit Sprung… aber die Medien haben was zu schreiben und die Schachwelt freut sich, dass der Sport noch etwas länger im Gespräch bleibt. Tripple-Win-Situation also. Und dann in zwei Jahren nochmal von Vorne…