Deutschlands neues Elitequintett

Der schachliche Aufstieg der Svane-Brüder spiegelt sich nun auch in den Nationalkadern 2022, die die Kommission Leistungssport jetzt festgelegt hat. Rasmus Svane ist erstmals im auf vier Spieler erweiterten, besonders intensiv geförderten A-Kader der Herren vertreten (gemeinsam mit Matthias Blübaum, Alexander Donchenko und dem dort ebenfalls neuen, aber zu erwartenden Vincent Keymer). U16-Weltmeister Frederik Svane, einst als Sechsjähriger Deutschlands jüngster Spieler mit Elozahl, ist in den B-Kader aufgestiegen – und damit nominell erstmals ein Kandidat für die Nationalmannschaft.

Sein älterer Bruder ist dort längst Stammspieler. Auf die Frage nach seinem Leistungspotenzial hat Rasmus Svane Anfang des Jahres im Gespräch mit dieser Seite (in aller Bescheidenheit?) gesagt, er habe Potenzial für 2650 Elo. Elf Monate später trennen den 24-Jährigen noch 13 Punkte von dieser Marke, nachdem er bei der Mannschaftseuropameisterschaft mit einer 2700+-Performance der Leistungsträger des deutschen Teams gewesen war.

Wie es einst anfing: Rasmus Svane (r.) beim Training mit Sergej Salov am heimischen Küchentisch in Lübeck, Klein-Frederik schaut zu. | Foto: privat

“Über die Nominierung für den A-Kader freue ich mich natürlich sehr”, sagt Svane auf Anfrage dieser Seite. Die Kommission Leistungssport hat neben dem sportlichen Aufschwung des für den Hamburger SK spielenden Lübeckers seinen erkennbaren Willen honoriert, ein kompletterer Schachspieler zu werden. Svane beschreibt seine Entwicklung so:

Werbung

“Ich arbeite daran, mit beiden Farben mein Eröffnungsrepertoire zu erweitern. Nicht unbedingt nur zuletzt, das ist ein stetiger Prozess, der nach und nach voranschreitet. Je besser man wird, desto wichtiger ist es, viele verschiedene Eröffnungen zur Verfügung zu haben und praktisch jeden Stellungstyp ordentlich spielen zu können. Spezifisch gegen 1.e4 spiele ich seit Anfang 2019 regelmäßig auch 1…e5. Vorher habe ich nur Französisch und Caro-Kann gespielt, ich denke aber, dass man ab einem gewissen Niveau nur mit den beiden Eröffnungen langfristig Probleme bekommt. 1…e5 und 1…c5 sind einfach aus theoretischer Sicht die besseren ersten Züge.”

Rasmus Svane

Nicht mehr im A-Kader vertreten ist Liviu Dieter Nisipeanu, da, so Leistungssportreferent Gerald Hertneck, “der A-Kader verjüngt und mehr Gewicht auf die Entwicklungsmöglichkeiten der Spieler gelegt wird”. Nisipeanu (45) ist jetzt Teil des B-Kaders, aus dem Georg Meier nach seinem Wechsel zur uruguayischen Föderation herausgefallen ist. Im Nationalkader der Frauen bildet weiterhin unverändert allein Elisabeth Pähtz den A-Kader.

https://youtu.be/Hgd2WGsvPVY
Die neuen A-Kader: (v.l.) Alexander Donchenko, Matthias Blübaum, Elisabeth Pähtz, Vincent Keymer, Rasmus Svane. | via Deutscher Schachbund

Die Powerboys

In den vergangenen Monaten stand immer wieder zur Debatte, das Prinzenprogramm neu aufzulegen, aus dem die gegenwärtigen A-Kader (außer Vincent Keymer) hervorgegangen sind.

Stattdessen gibt es jetzt ein Sonderprogramm für besonders talentierte Nachwuchsspieler. Die C-Kader Leonardo Costa (Elo 2393) und Marius Deuer (Elo 2356), beide 13 Jahre alt und unter den Weltbesten ihrer Altersklasse, kommen als Erste in den Genuss dieses Programms. Beide werden gezielt einzeln gefördert. Mindestziel ist der Vorstoß in die deutsche Nationalmannschaft, angepeilt ist sogar die Weltspitze.

Die Weltbesten des Jahrgangs 2008. | Screenshot via FIDE

Auch für die noch jüngeren Jahrgänge gibt es jetzt ein Förderprogramm in der Gruppe. Die zehn- bzw. elfjährigen Laertes Neuhoff, Hussain Besou, Alexis Buchinger und Christian Glöckler sind die ersten Ausnahmetalente, die davon profitieren sollen. Angesiedelt sind beide Programme bei Bundesnachwuchstrainer Bernd Vökler.

Der Ehrenkodex

Seit mittlerweile eineinhalb Jahren steht im Raum, dass ein “Ehrenkodex” die Kaderspieler verpflichten soll, sich abseits des Brettes wie Botschafter ihres Sports und ihres Verbands zu verhalten.

Die Debatte darum hält an. Aus dem “Ehrenkodex” ist in der Zwischenzeit ein “Ethikcode” geworden, der laut DSB-Mitteilung kontrovers diskutiert worden ist. Statt eines Codes sollen nun zwei Gremien eingeführt werden, eines, das schlichtet, und eines, das entscheidet, sollte es rund um den Leistungssport zwischen Spielern/Funktionären gekracht haben. Damit wäre das Kompetenzvakuum aus der Welt, das sich in der monatelang ergebnislos durch die Instanzen wandernden und derweil eskalierenden Sache Pähtz vs. Meier vs. DSB offenbart hat.

Ob nun zusätzlich noch Spieler und Funktionäre ein Dokument unterschreiben sollen, eine “Ethikerklärung”, die sie verpflichtet, sich wie zivilisierte Leute zu benehmen, ist offen. Wer die Konzeption Leistungssport des DSB liest, stellt fest, dass der Verband von seinen Spielern längst “Fairness”, “angemessenes Verhalten” oder “Teamfähigkeit” einfordert. Allerdings hat die oben zitierte Angelegenheit auch offenbart, dass es keine Konsequenzen hat, wenn Spielerinnen gegen diese Gebote verstoßen.

Die Konzeption Leistungssport

Wer die Komposition der Nationalkader mit den dafür in der Konzeption und ihren Anlagen festgeschriebenen Bedingungen abgleicht, stellt fest: Das passt nicht zusammen. In der Anlage 2 zum Beispiel…

…ist für A- und B-Kader ein Höchstalter von 40 (die B-Kader Daniel Fridman und Nisipeanu sind 45) und für den A-Kader eine Mindestelo von 2650 festgeschrieben (bis auf Keymer liegen alle A-Kader-Spieler darunter).

In der Konzeption selbst wiederum gilt für den A-Kader sogar eine Mindestelo von 2700, und es gelten weitere, strenge Kriterien, die für Russland, die USA oder China passend erscheinen, mit dem gegenwärtigen Leistungsvermögen der besten deutschen Spieler aber nicht zu vereinbaren sind:

Immerhin: Ginge es strikt nach dem, was auf dem Papier steht, wäre Vincent Keymer nach Elo zwar zu schlecht für den A-Kader, aber als Zweiter der Europameisterschäft wäre er nach einigen Jahren trotzdem der Erste, der wieder in den Genuss der damit verbundenen Boni käme.

Gerald Hertneck. | Foto: Hartmut Metz

Zur Ü40-Fraktion in den Nationalkadern und der 2650-/2700-Grenze teilt Hertneck auf Anfrage dieser Seite mit, dass die Vorgaben aus der Konzeption nicht generell starr eingehalten, sondern in Einzelfällen flexibel ausgelegt werden – im Sinne der Spieler:innen, die intensiver gefördert werden, je höher ihre Kaderzugehörigkeit ist.

Das Höchstalter von 40 Jahren für den B-Kader habe der DOSB zwischenzeitlich aufgehoben, sagt Hertneck. Im kommenden Jahr werde die Konzeption für den DSB-Leistungssport fortgeschrieben und angepasst. Die 2700-Grenze auf 2650 zu senken, “um eine realistische Vorgabe zu setzen”, sei eine Überlegung wert.

2.4 8 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

6 Comments
Most Voted
Newest Oldest
Inline Feedbacks
View all comments
Uwe Winkler
Uwe Winkler
2 Jahre zuvor

Warum kommt die weibliche Schachnachwuchförderung immer zu kurz? Auf der einen Seite wird kritisiert, dass es bei den weiblichen Spielern eine große Lücke nach E.Pähtz gibt, so dass man hier etwas tun sollte, auf der anderen Seite wird im Artikel der Ruf nach einer (männlichen) neuen “Prinzengruppe” laut, wo bleibt der LAUTE SCHREI nach einer “PRINZESSINEN-GRUPPE”!!!!

Walter Rädler
Walter Rädler
2 Jahre zuvor

Der Deutsche Schachbund hat mit Gerald Hertneck einen sehr guten LEistungssportreferenten. Rochade_Europa_Krulich.pdf (schachstiftung-muenchen.de) Die Powergirls gibt es schon.

trackback

[…] Schormann hat nicht nur den Aufstieg von Rasmus Svane in den A-Kader gewürdigt, sondern auch das Interview, das Rasmus den „Lübecker Nachrichten“ vot seinem […]

trackback

[…] zu den weltbesten Spielern ihrer Altersklasse. Die Leistungssportkommission des DSB hatte unlängst beschlossen, diesen beiden Ausnahmetalenten eine individuelle Sonderförderung zukommen zu lassen. Beide sollen […]