Der Live-Ticker zur Schach-WM 2021: Magnus Carlsen – Ian Nepomniachtchi 7,5:3,5 / Carlsen bleibt Weltmeister

Schach-WM 2021 in Dubai: Hier bist du stets auf dem neuesten Stand. Partiebeginn freitags bis sonntags, dienstags und mittwochs um 13.30 Uhr. Montag und Donnerstag sind Ruhetage.

Die Partien live verfolgen:

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10. Dezember, 7,5:3,5

Nach dem Match nahm sich Magnus Carlsen die Zeit, einen blinden und tauben Schachfan zu begrüßen, der aus Dänemark angereist war, um das Match zu verfolgen:

Eine Geste, die den dänischen Schachfreund sehr bewegte. “Einer der besten Tage meines Lebens” sei das gewesen, sagte Carsten Thorup anschließend.

Vor den Titel-Feierlichkeiten galt es, die Pressekonferenz zu absolvieren. Wir haben das Gesprochene mitgeschrieben und ein wenig neu sortiert:

Weltmeister Magnus Carlsen in der Pressekonferenz nach der 11. und letzten Partie des WM-Matches 2021. | Foto: Eric Rosen/FIDE

Magnus Carlsen in der Pressekonferenz:

Magnus, im Kontext deiner anderen WM-Matches: Wie siehst du dieses?

Ähnlich wie das erste gegen Anand. Ich war anfangs nervös, es lief unrund. Aber als der erste Sieg eingefahren war, hatte ich es unter Kontrolle. Ian konnte ab diesem Zeitpunkt nicht mehr sein bestes Schach zeigen, das war für die Dramaturgie des Matches schade. Aber das passiert manchmal. Wenn die Umstände dich überwältigen, hilft all die Vorbereitung nicht mehr. Dieses Match zeigt, dass auch vorherige, scheinbar knappe Matches ganz anders hätten laufen können, wenn in frühen Partien einige Nuancen anders gewesen wären, speziell das Match gegen Karjakin.

Du hast gesagt, dass die B-Note nicht zählt, es gehe hier nur ums Gewinnen.

Die sechste Partie war ein großartiger Kampf. Am Ende zeigte sich, dass dieser Kampf sogar über Gewinn und Verlust des Matches entschieden hat. Ab diesem Punkt war es für mich die beste Strategie, mit der Führung im Rücken einfach nur solide abzuwarten. Das kann unter den passenden Umständen der beste Weg zum Gewinn sein. Speziell mit Schwarz habe ich deutlich konservativer gespielt als vor drei Jahren im Match gegen Fabiano Caruana. Und auch generell mich an potenziellen Wendepunkten für den konservativen Weg entschieden. Im Nachhinein kann ich sagen, dass das ziemlich gut funktioniert hat.

Vor dem Match wurde ausgiebig diskutiert, warum du kurz vor einer WM so viel Bullet auf Lichess spielst. War das Teil deiner Vorbereitung?

In erster Linie war ich in den Wochen vor der Abreise erkältet, habe mich nicht so wohl gefühlt. Darum saß ich zu Hause und habe geblitzt und gebulletet. Aber es kann ja auch nicht schaden, vor einem WM-Match eine Menge Partien zu gewinnen und Selbstvertrauen zu sammeln.

Hat dein Unwohlsein deine Vorbereitung beeinflusst?

Ich war physisch nicht in bester Verfassung, das hat mich gestört. Aber schachlich war die Vorbereitung in Ordnung.

Du hast vor dem Match gesagt, du könnest ohne den Weltmeistertitel leben. Glaubst du, dass du den Titel eines Tages freiwillig abgeben wirst?

Sehr gute Frage. Ich kann sie noch nicht beantworten.

Kannst du dir vorstellen, dass in künftigen WM-Matches auch 960 oder Rapid gespielt wird?

Wie finden wir den besten Schachspieler der Welt in einem möglichst aufregenden sportlichen Format, das ist aus meiner Sicht die Frage, die beantwortet werden muss. Aktuell haben wir diese Antwort nicht. Ich bin offen für Ideen, das sage ich seit langem.

Alle Welt redet über Alireza Firouzja, der 2022 schon WM-Kandidat sein wird. Wird er auch dein nächster Herausforderer sein?

Seine Performances beim Grand Swiss und der Mannschaftseuropameisterschaft haben mich sehr beeindruckt. Mich motiviert das mehr als alles andere.

Wie wirst du diesen fünften WM-Sieg feiern?

Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Ich werde ja bald schon wieder mit der Rapid- und Blitz-WM beschäftigt sein, von der sich heute herausgestellt hat, dass sie stattfindet. Aber bestimmt ergibt sich vorher eine Gelegenheit.

Vor dem Match hast du gesagt, gemessen an Kasparovs Erfolgen seist du nicht der Beste jemals. Gilt das jetzt auch noch?

Ja, das gilt noch, bis dahin habe ich noch ein Stück zu gehen. Aber meine Karriere ist noch nicht beendet.


Der geschlagene Herausforderer: Ian Nepomniachtchi. | Foto: Eric Rosen/FIDE

Kurzinterview mit Ian Nepomniachtchi auf chess.com/in der Pressekonferenz direkt nach der Partie:

Ian, 23.g3, was war da los?

Sieht aus, als sei ich in so einer schlechten Verfassung, dass ich nicht einmal 24…Dxg4+ erwogen habe. Bis dahin war die Partie, wie viele andere in diesem Match, in Ordnung. Es ist hart zu punkten, wenn du so komische Züge spielst, die du normalerweise nicht einmal in einer Blitzpartie erwägen würdest. Sagen wir es so: Ohne die heutige Partie wäre meine Erfahrung nicht komplett. Und neue Erfahrungen zu machen, muss hart sein. Okay, hier war es ein bisschen zu hart.

Du hast Wochen und Monate harter Vorbereitung hinter dir. Kannst du etwas Positives mitnehmen?

Meine Sorge vor dem Match war die fehlende Erfahrung. Wie teile ich meine Energie ein, wann greife ich an, wann verteidige ich? Als es dann losgegangen war, hat mich die Strategie meines Gegners verwirrt. Er hat nie wirklich versucht, Druck auszuüben, nie versucht, etwas Greifbares zu bekommen. Ob Weiß oder Schwarz, er wollte einfach nur ausgeglichene Stellungen bekommen. Jetzt habe ich gelernt, dass das auch gar nicht nötig ist. Es reicht manchmal abzuwarten, bis dein Gegner den Job erledigt.

Die verlorene sechste Partie war ganz klar der Wendepunkt. Was ist mit dir passiert?

Ich weiß es nicht. Wüsste ich es, hätte ich es repariert. Das Level meiner Fehler ist kaum zu beschreiben. Ich werde mir jetzt Zeit nehmen, Kraft tanken und analysieren, was falsch gelaufen ist. Mit meinem Schach hat es wahrscheinlich nicht viel zu tun. Ich gehe stark davon aus, dass ich in den kommenden Wettbewerben besser performe.

Du bist für das Kandidatenturnier 2022 qualifiziert. Unternimmst du jetzt einen neuen Anlauf, um auf diese Bühne zurückzukehren?

Jetzt ist Zeit auszuruhen, nicht, über das Kandidatenturnier und weitere Pläne nachzudenken. Was mir hier passiert ist, ist mir in meiner gesamten Karriere nicht passiert. Natürlich habe ich hier und da auf dumme Weise Partien verloren, aber nicht so geballt. Das muss erstmal sacken. Aber ich glaube, dass ich keinen Grund habe, nicht an mein künftiges Schach hohe Erwartungen zu stellen. Es darf mir halt nur nicht passieren, dass ich in einem WM-Match schlechter spiele als in Blitzpartien.

Viele Leute haben dich unterstützt, du hast Fans gewonnen. Was möchtest du denen sagen?

Danke. Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung. Und ich möchte mich dafür entschuldigen, wie es am Ende gelaufen ist, auch bei meinem Team, das großartige Arbeit geleistet hat. Aber das ist halt eine Erfahrung, die konnte ich nur hier machen. Ich nehme das so an und werde stärker zurückkommen.

16.50: Magnus Carlsen bleibt Weltmeister. Er gewinnt das Match gegen Herausforderer Ian Nepomniachtchi nach 11 Partien mit 7,5:3,5.

16.25: Er hat es nicht im Angriff entschieden, aber Turmendspiel bekommen, das Ian Nepomniachtchi kaum halten wird. Es ist nicht zu früh für die Prognose, dass Harry, der schwarze h-Bauer, Magnus Carlsen heute die vierte WM-Titelverteidigung bescheren wird.

15.55: Magnus ist nervös. Er will es jetzt zumachen, aber findet den Knockout nicht.

15.40: Wieder so ein Schocker. Nepo schenkt auch diese Partie ab, ein taktischer Fehler, der geradewegs in eine Verluststellung führt.

15.15: Jetzt ist das böse “D-Wort” zum ersten Mal gefallen. “Drawish”, sagt Hou Yifan. Die beste Schachspielerin der Welt meint damit den Fall, dass sich die Bauernspannungen im Zentrum dergestalt auflösen, dass am Ende etwas symmetrisches ohne viel Leben darin auf dem Brett steht: drei gegen drei Bauern auf jedem Flügel, die e- und d-Linie abgeräumt. Noch sind wir nicht so weit.

15.00: Die Schachfreunde Caruana und Hess hatten eher g2-g3 erwartet, damit Schwarz keinen Gaul auf f4 einpflanzt. Danach vielleicht Kg2, h2-h4 und der Versuch, Spiel am Königsflügel zu initiieren. Nepo entscheidet sich für ein anderes Vorgehen: h2-h3 nebst Sf3-h2-g4. Fabiano Caruana ist davon nicht übermäßig angetan – und schilt Nepomniachtchi dafür, dass er zum wiederholten Male sehr schnell spielt, wo einiges zu bedenken wäre. “Ich verstehe das nicht”, sagt der WM-Herausforderer von 2018.

14.50: Breaking news. Die Rapid- und Blitz-WM wird nicht ausfallen, sie wird auch nicht, wie hier spekuliert, nach Dubai oder Spanien verlegt, sondern nach Polen. Vom 25. bis 31. Dezember in Warschau wird Magnus Carlsen die Gelegenheit haben, sein Titel-Triple zu verteidigen – vorausgesetzt, er verwandelt einen der kommenden Matchbälle gegen Ian Nepomniachtchi.

14.00: Wohin mit dem Springer auf a3? Die Maschinen wollten das bodenseeschachkindhafte Sb5 sehen. Nepo taucht 18 Minuten ab und stellt den Gaul lieber nach c2, gefolgt von einer Läufertauschofferte auf e3. Dort könnte sich nach vollzogenem Läufertausch der Springer einrichten – oder er bleibt auf c2 und hilft, den zentralen Vormarsch d3-d4 zu unterstützen. Es ist schwerblütig, geprägt von Nuancen und vielen Möglichkeiten für beide Seiten, es dürfte eine Partie werden. So weit, so vielversprechend.

13.35: Magnus Carlsen fasst schon wieder eine Figur an! Zitieren wir kurz aus den Schachregeln: “…Any other physical contact with a piece, except for clearly accidental contact, shall be considered to be intent.” Gilt allerdings nicht für jeden, die Partie läuft weiter. Daniel Rensch deutet es als gelungenen Move gegen all die Trolls, die feststellen, dass Schachspieler entweder “j’adoube” ankündigen oder mit der berührten Figur ziehen müssen. In der Bodenseeliga wäre das so, bei Weltmeisterschaften offenbar nicht, wie uns der Weltmeister hier demonstriert.

13.30: 1.e4, aber kein weiterer Anti-Marshall. Auf dem Brett steht der erste Italiener im Match.

13.00: Halbe Stunde noch. Erster Matchball Magnus.

11.55: “Falls ich vergessen haben sollte, was es bedeutet, Turnierschach zu spielen, so weiß ich es jetzt wieder: Aufregung, Lust, Angst, Triumph, Ärger, Mist, Mist, Mist. Da stehe ich total auf Remis, und dann versemmel ich das, weil ich unbedingt gewinnen will!” Warum Ulrich Stocks Dubai-Reportagen zuletzt in der Zeit so karg ausfielen, haben wir an dieser Stelle gestern berichtet: Der Reportergroßmeister hat an einem Schnellturnier teilgenommen. Während wir hier nur aufbereiten und weitergeben, was uns virtuell zufliegt, ist Stock tatsächlich ganz nahe dran. Anstatt über die WM berichtet er heute über sein eigenes Turnier im “Dubai Chess & Culture Club”, die Fahrt dahin und die Begegnungen währenddessen sowie danach. Pflichtlektüre.

10.15: Erstaunlich, dass der erste WM-Kampf in einem arabischen Land kaum der Verbreitung des Schachs im arabischen Raum dienen soll. Einen Posterboy hat das arabische Schach ja durchaus, Großmeister Salem Saleh, Elo 2690, Nummer 44 der Welt. Der eloquente, mehrsprachige 28-Jährige könnte seinen Landsleuten das königliche Spiel näherbringen, taucht aber in all den Streams und der Berichterstattung rund um die WM kaum auf. Und das, obwohl er jetzt sogar vor einer Reihe starker Großmeister mit 8,5/11 und einer 2800-Performance das Blitzturnier am Rande der WM gewonnen hat. Und obwohl erst 2018 beinahe das gesamte internationale Schach in arabischer Hand gewesen wäre. Stefan Löffler erinnert heute in der FAZ daran, dass 2018 fast Scheich Sultan Bin Kalifa aus der Herrscherfamilie Al Nahyan Präsident des Weltschachbunds FIDE geworden wäre. Aber letztlich gab der Scheich dem russischen Drängen nach, einen der ihren an die Spitze zu lassen, und der einstige stellvertretende russische Ministerpräsident Arkadi Dvorkovich enterte (gegen die Stimmen des DSB) den FIDE-Chefsessel. Dvorkovich erwirkte, dass die Emirate aus dem arabischen Boykott gegen Israel ausscheren. Im Gegenzug vergab Dvorkovich die WM nach Dubai, ein Land, in dem Homosexualität illegal ist und Opposition ins Gefängnis führt.

Salem Saleh, Elo 2690, Nummer 44 der Welt. | Foto: Eric Rosen/FIDE
Der Riesenspringer 1986 in Dubai, damals die größte Schachfigur der Welt (als solche mittlerweile abgelöst vom Riesenkönig in Saint Louis). | Foto: Gerhard Hund via Wikipedia

10.00: Der internationale Schachbetrieb läuft dank russischen Gelds, ihm fehlen über den Globus verteilte Unterstützer und Ausrichter. Und der internationale Schachbetrieb lässt sich viel zu oft von autoritären Staaten als Feigenblatt einspannen, das Repression und Menschenrechtsverletzungen verdecken soll. Das stellte jetzt vor dem Hintergrund der Schach-WM in Dubai der renommierte Coach und Großmeister Jacob Aagaard fest, als ihn Schachpodcaster Ben Johnson zu seinen WM-Eindrücken befragte. Aktuell dient das Schach dem arabischen Emirat Dubai als Feigenblatt, und das könnte sich noch fortsetzen, wenn, wie berichtet, die Schnellschach- und Blitz-WM Ende des Jahres kurzfristig nach Dubai verlegt wird. Ein schöner Anlass, die junge Geschichte des organisierten Schachs in Dubai unter die Lupe zu nehmen: 1976 erst hat sich dort ein Schachverband gegründet, der Zweck war ein politischer: Arabische Staaten planten eine Gegenveranstaltung zur Schacholympiade im israelischen Haifa, und die Emirate brauchten Verbände, um daran teilnehmen zu können. Zehn Jahre später richtete Dubai erstmals eine Großveranstaltung aus, eine, die ungleich spannender verlief als #CarlsenNepo. Bei der Schacholympiade 1986 gelang es der hochfavorisierten UdSSR mit Garri Kasparow und Artur Jussupow nicht, sich vom Feld abzusetzen. Die Engländer und die USA spielten weit über ihren Verhältnissen. Vor der letzten Runde coachten sowjetische Trainer heimlich die Spanier vor ihrem Match gegen Tabellenführer England. Spanien siegte sensationell 3,5:0,5, parallel besiegte die UdSSR gegen den sozialistischen Bruderstaat Polen mit 4:0 (Schiebung? Ein Gerücht, das sich nie belegen ließ.) und sicherte sich hauchdünn doch noch die Goldmedaille. Stefan Löffler erinnert am heutigen Freitag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung daran, dass Israel von dieser Schacholympiade ausgeschlossen war – mit dem Segen von Florencio Campomanes. Wichtiger als die Teilnahme Israels war dem damaligen FIDE-Präsidenten seine Wiederwahl. Für die standen eine Million Dollar aus Dubai bereit, dank derer “Campo” eine Rekordzahl von Teams und Funktionären aus Entwicklungsländern einfliegen ließ. Spieler und Funktionäre erlebten die luxuriöseste Schacholympiade jemals, im Gegenzug bekam Campomanes die nötigen Stimmen, um im Amt zu bleiben. Bis 1995 stand er an der FIDE-Spitze, dann übernahm Kirsan Iljumschinow.


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Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
2 Jahre zuvor

Warten wir auf die deutsche Hoffnung.

Gesine
Gesine
2 Jahre zuvor

Leider eine unfassbar schlechte Leistung des Herausforderers, sodass nur die unerträgliche Marketingmaschine der Online-Vertretungen des alten und neuen Weltmeisters von diesem WM-Kampf im Gedächtnis bleiben wird. Es ist zu befürchten, dass sich Nepos Leistungen lange nicht von diesem Desaster erholen werden.