Im Keller mit MVL

Zum ersten Mal seit der zweiten Runde steht Alexander Donchenko beim Tata Steel Chess nicht auf dem alleinigen letzten Platz. Nach einem ungefährdeten Schwarzremis gegen den bislang glänzend aufspielenden Jorden van Foreest steht Donchenko bei drei Punkten aus neun Partien, damit bleibt er zwar am Tabellenende, aber eben nicht allein.

WM-Kandidat Maxime Vachier-Lagrave hat nach einer Najdorf-Niederlage gegen Anish Giri mit ebenfalls 3/9 nun eine Hand an die rote Laterne gelegt, die bis dahin Donchenko alleine tragen musste. Heute treffen die deutsche und die französische Nummer eins aufeinander, Liveübertragung ab 14 Uhr hier.

Kein Durchkommen für Jorden van Foreest. Klick auf “Play” startet die kommentierte Partie.

Aus deutscher Sicht ist es gar nicht so einfach, angesichts eines sieglos am Tabellenende klebenden Landsmanns die Euphorie um Donchenkos Tata-Auftritt aufrecht zu erhalten. Also vergegenwärtigen wir uns noch einmal, mit wem er es in Wijk zu tun bekommt. Heute zum Beispiel, im Duell der Tabellenletzten, sitzt auf der anderen Seite des Brettes der führende des Kandidatenturniers, derjenige mit den besten Aussichten, der nächste WM-Herausforderer zu werden.

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Und wir vergegenwärtigen uns den Umstand, dass Alexander Donchenko in nur einer von neun Partien gewackelt hat, und das war keine der drei Verlustpartien. Die drei Nullen entstanden wegen a) eingestellt, b) Übermut und im dritten Fall daraus, dass Alexander sich sehenden Auges auf einen Messerkampf einließ, der so oder so hätte ausgehen können.

Was ist los mit MVL?

Wenn nun Monsieur Vacher-Lagrave beim Stand von “minus drei” und vier zu spielenden Partien sein Tata-Turnier noch erträglich gestalten will, muss er heute damit anfangen. Für ihn gilt, was für Anish Giri oder Magnus Carlsen galt: Weiß gegen einen nominellen Außenseiter und ein Superturnier-Greenhorn. Allerdings ist die Frage, ob MVL sich tatsächlich noch einmal zu einer Energieleistung aufraffen kann – oder im Angesicht des bisherigen Desasters in erster Linie hofft, dass es bald vorbei ist.

Im chess24-Livestream zur neunten Runde waren sich die Eröffnungsfachleute Peter Leko und Jan Gustafsson nicht einig, was mit dem Franzosen los ist. Leko mutmaßt, dass MVL gerade sein Repertoire fundamental umstellt, in die Richtung nämlich, die er zu Beginn der Carlsen-Tour angedeutet hatte: Mit 1.d2-d4 aufschlagen, und Slawisch gegen 1.d2-d4 spielen. Weil er gerade an anderen Sachen arbeite, basiere das, was er in Wijk spielt, auf dem Stand von vor einigen Monaten, so Leko.

Gustafsson dagegen hält es für kaum denkbar, dass MVL sich zur zweiten Hälfte des für ihn so wichtigen Kandidatenturniers von seinem 1.e2-e4-Aufschlag und vom Grünfeld-Inder, womöglich gar vom Najdorf trennen könnte. Die erstaunlich schwache Performance in Wijk sieht er eher in den pandemiebedingten Umständen begründet.

So oder so, wenn heute 1.e4 auf dem Brett steht, wird Donchenko sich einen Najdorf nach dem Remis gegen den Weltmeister auch gegen den führenden Najdorf-Experten trauen? Oder wird er nach den Versuchen gegen Grandelius und van Foreest nun zeigen wollen, dass er sich sein neues 1… e5 ungeachtet mangelnder Erfahrung selbst gegen einen WM-Kandidaten zutraut?

Für mit Abstand am meisten Aufsehen hat in der neunten Runde Fabiano Caruana gesorgt. Und das mit einem einzigen Zug:

Der scheint gegen alle Regeln zu verstoßen, fügte sich aber trefflich ins schwarze Konzept. Caruana ist nun Teil eines Führungstrios mit Anish Giri und Alireza Firouzja. Magnus Carlsen siegte gegen Nils Grandelius und wäre mit einem starken Endspurt zurück im Rennen.

Bericht und kommentierte Partie Wojtaszek-Caruana bei chess.com.

(Fotos © Jurriaan Hoefsmit – Tata Steel Chess Tournament 2021)

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