Sergey Karjakin wird für sechs Monate von allen Wettbewerben ausgeschlossen. Das ist das Ergebnis des Verfahrens vor der Ethik- und Disziplinarkommission des Weltverbands FIDE, dem sich Karjakin stellen musste. Karjakin wird das Urteil nicht anfechten. Damit verliert der auf der ukrainischen Krim geborene einstige WM-Herausforderer seinen Platz im Kandidatenturnier 2022 (16. Juni bis 7. Juli).
Die am Montagmittag bekanntgegebene Entscheidung ist die Folge einer ganzen Reihe von öffentlichen Äußerungen, in denen Karjakin den Krieg gegen die Ukraine gutheißt, Putin-Propaganda verbreitet, die Opfer des Krieges verhöhnt. Den vorläufig letzten Teil dieser laufenden Reihe bekamen Schachfreunde am Montagmorgen zu sehen. Karjakin forderte seine einstigen Landsleute auf zu kapitulieren. „Wenn Sie sich auf die Seite des Regimes in Kiew stellen … sagen Sie nicht, dass Sie nicht gewarnt worden sind“, so die Worte Karjakins auf seinem Telegram-Kanal.
Vor dem FIDE-Bann hatten längst eine Reihe von Turnierveranstaltern den Putin-Propagandist im Spitzenschach zur unerwünschten Person erklärt. Weder bei der Grand Chess Tour noch beim Norway Chess und London Chess Classic soll Karjakin wieder mitwirken. Auch chess.com will die gegenwärtige Nummer 18 der Welt nicht auf seinem Server sehen.
Die Kommission, Yolander Persaud (Guinea), Ravindra Dongre (Indien) und der Vorsitzende Johan Sigeman (Schweden), hat Karjakin einstimmig für schuldig befunden, gegen den Ethikkodex der FIDE verstoßen zu haben. Den ebenfalls den russischen Überfall befürwortende Großmeister Sergey Shipov befand sie für nicht schuldig.
In einem zehnseitigen Dokument begründet die Kommission ihre Entscheidung. Unter anderem erläutern die Funktionäre, dass die Öffentlichkeitswirksamkeit von Äußerungen ein Faktor für die Entscheidung ist. Die Einlassungen des Weltklassespielers Karjakin hätten eine beträchtliche Zahl von Reaktionen ausgelöst, während Shipov weit weniger sichtbar sei.
Die Kommission stellt fest, dass die Äußerungen von Sergey Karjakin “das Ansehen des Schachs und der FIDE geschädigt haben“. Die Wahrscheinlichkeit, dass er sich obendrein selbst geschadet habe, sei beträchtlich. Shipovs Aussagen seien weniger provokativ gewesen als die von Karjakin.
Auf seinem Telegram-Kanal teilte Karjakin unmittelbar nach der Entscheidung mit:
Eine erwartete, aber nicht weniger beschämende Entscheidung der FIDE. Alle Sportarten wurden mit Füßen getreten, das Grundprinzip, dass der Sport sich aus der Politik heraushalten sollte, wurde mit Füßen getreten.
Ich habe mich gegen stärkste Konkurrenz über den World Cup fürs Kandidatenturnier qualifiziert. Würde ich das gewinnen, würde ich um die Weltmeisterschaft spielen. Leider hat die FIDE nicht mich, sondern sich selbst blamiert. Die internationalen Sportfunktionäre, die russische Olympioniken in den letzten Jahren mit oder ohne Grund gesperrt haben, wirken jetzt auch im Schach, das immer weit von dieser Gesetzlosigkeit entfernt war.
Ich bin Patriot und Sportler, der den Präsidenten Russlands, das Volk und die Armee unterstützt hat. Ich würde wieder genauso handeln und bereue nichts. Vielen Dank an meine Fans, von denen ich Unterstützung aus der ganzen Welt erhalte! Das Leben wird die Dinge so fügen, wie sie sich gehören.
Sergey Karjakin auf Telegram
Gegenüber der russischen Agentur Tass erklärte Karjakin außerdem, dass er keine Berufung einlegen wird. “Ich sehe keinen Sinn darin, Berufung einzulegen – jedes Gericht wird sich auf die Seite Europas stellen. Und die FIDE ist eine internationale Sportorganisation, die es wie alle anderen tut.”
Auch im Hinblick auf die offene FIDE-Präsidenten-Frage spielte Karjakin die Wir-gegen-die-Ost-gegen-West-Karte. Zufälligerweise werde die FIDE noch von einem Russen geführt. “Ich denke, das dauert nicht mehr lange.”
Diesen letzten Passus wird Andrey Filatov, Chef des russischen Schachverbands (mit einigen sanktionierten Leuten im Aufsichtsrat), nicht gerne gesehen haben. Filatov hat FIDE-Präsident Arkady Dvorkovich aufgefordert, den Fall Karjakin zur Chefsache zu machen. Der Russische Schachverband werde bald Berufung einlegen kündigte Filatov an. “Wir lehnen die Diskriminierung von Athleten nach allen Kriterien ab und werden für ihre Rechte kämpfen.”
Mit dem Ausscheiden Karjakins aus dem Kandidatenturnier 2022 beginnt die Suche nach einem Nachrücker. Der würde sich per Elo qualifizieren. Aber dem Chinesen Ding Liren, der nach Elozahl erster Nachrücker wäre, fehlen 26 gewertete Partien. Die müsste er bis Ende April spielen, ohne signifikant Rating zu verlieren – extrem unwahrscheinlich.
Die (nach Richard Rapport) besten Aussichten, ins Kandidatenturnier zu kommen, hat (siehe Beitrag oben) derzeit Levon Aronian. Beim morgen in Berlin beginnenden Grand Prix hat er eine gute Chance, sich per Grand Prix zu qualifizieren. Und sollte das nicht gelingen, wäre er nach Elo an der Reihe. Allerdings zeigt die Spitze der Weltrangliste ein knappes Bild, die potenziellen Elo-Nachrücker trennen wenige Punkte.
Vor diesem Hintergrund könnte die Schachbundesliga zum Kandidatenmacher werden. Bis auf Wesley So sind in der Bundesliga mit Levon Aronian, Richard Rapport (falls er doch noch im Grand Prix scheitert), Anish Giri, Shakhriyar Mamedyarov all diejenigen gemeldet, die berechtigte Hoffnung hegen, per Elozahl noch ins Kandidatenturnier zu kommen. Am 9./10. und 30. April in der 3.,4. und 5. Runde der Schachbundesliga würde sich ihnen die mutmaßlich letzte Chance eröffnen, ihre Elozahl zu steigern, bevor für die entscheidende Mai-Eloliste abgerechnet wird.
Schade um den Schachspieler, davon wird er sich vermutlich nicht mehr erholen. Menschlich aber richtig und notwendig. Entweder komplett brain washed oder, abseits des Schachs, komplett davon befreit.
[…] der Sperre von Sergey Karjakin und dem damit verbundenen Ausscheiden aus dem Kandidatenturnier 2022, das Mitte […]
Früher hatte ich Mitgefühl für Sergey , wenn er stotternd Interviews gab – hab selbst als Kind gestottert und weiss, wie sich das anfühlt. Schon seit geraumer Zeit – auch schon vor dem Krieg in der Ukraine – wurden seine (z.B. Anti Carlsen) Tweets immer kindischer, da war mehr als einmal Fremdschämen angesagt. Aber als geborener Ukrainer und promimenter Schachspieler angesichts dieses brutalen Vernichtungskrieges derart menschenverachtende Statements abzusetzen, hat absolut nichts mehr mit freier Meinungsäusserung zu tun. Nach seinem gekauften “jüngster Großmeister aller Zeiten” hat er sich jetzt wirklich (mit)schuldig gemacht und das ist durch absolut nichts zu entschuldigen. IMO… Weiterlesen »
Hallo, Din Liren ist plötzlich wieder voll im Rennen. Derzeit spielt er ein Turnier in Hanghzou. Dort schafft er 12 der 26 benötigten Partien. Dann fehlen noch 14 bis Ende April. Er könnte es also schaffen.
[…] für Ding, doch noch WM-Kandidat 2022 zu werden, eröffnete sich, als die FIDE Sergey Karjakin für sechs Monate sperrte und ihn damit praktisch aus dem Kandidatenturnier strich. Der Nachrückerplatz wird laut Reglement […]
Haben wir jetzt neuerdings die Pflicht eine Einheitsmeinung zu vertreten?So wie ich das sehe hat er niemand beleidigt,sein Standpunkt ist halt komplett anders als es uns unsere “wertvollen” Medien vermitteln wollen.