Im Kurzinterview nach den Runden beim Tata Steel Chess erzählt Magnus Carlsen wiederholt die gleiche Geschichte: “Ich hatte ein wenig Druck, aber mein Gegener hat sich gut verteidigt, und so wurde es halt remis.” Diese Geschichte erzählte er jetzt auch nach dem Remis in der fünften Runde gegen Alexander Donchenko.
Die deutsche Nummer eins hat die schwerstmögliche Aufgabe im Schach, Schwarz gegen Carlsen, gemeistert. Am heutigen Freitag geht es gegen den iranischen Wunderknaben Alireza Firouzja, Liveübertragung ab 14 Uhr hier.
Wie gestern berichtet, war die Partie am Donnerstag an der niederländischen Küste schon die zweite zwischen Carlsen und Donchenko. Anders als bei der ersten notierte diesmal Magnus Carlsen regelkonform seinen Namen und den des Gegners auf dem Partieformular, bevor er mit 1.e4 den Kampf begann. Vor zwei Jahren in Porto Carras hatte er das anders gehalten:
Nachdem Carlsen in den Runden zuvor mit den Regelwächtern des Europacups wegen vermeintlicher Verstöße gegen die Kleiderordnung aneinandergeraten war, gab er nach – unwillig. Carlsen erschien trotz sommerlicher Temperaturen in einer langen, ordentlichen Hose zur Partie – und schrieb: “Absolutely No Shorts Allowed.”
Derlei Nebenschauplätze gibt es in Wijk an Zee nicht. Bei einem Superturnier gilt es, ordentlich angezogen am Brett zu erscheinen, niemand würde das in Frage stellen. Wenn überhaupt, dann stellte sich in den ersten beiden Runden die Frage, ob der von heute auf morgen eingeladene Alexander Donchenko im Besitz eines Sakkos ist, um sich superturnierkonform zu kleiden. Der 22-Jährige aus Gießen hatte ja nie zuvor an einem Wettbewerb dieses Kalibers teilgenommen.
Seit der dritten Runde ist diese Frage beantwortet. Donchenko trägt jetzt Sakko und weißes Hemd.
In dieser Montur ist er ungeschlagen. Das Remis am Donnerstag gegen den Weltmeister “hätte ich leichter bekommen können, wäre ich nicht unter Druck geraten”, erklärte Donchenko. “Die ersten 30 Züge habe ich gut gespielt. Als dann die Zeit knapp wurde, wurde es kritisch, ich musste einen Weg zu finden, die Balance zu halten. Letztlich habe ich mir das Leben ein bisschen schwerer gemacht, als es notwendig gewesen wäre.”
Um die Balance zu halten, war Donchenko gezwungen, mit noch einer Minute Bedenkzeit auf der Uhr gegen eine Leitlinie des Schachs zu verstoßen: Verändere nicht kurz vor der Zeitkontrolle den Charakter der Stellung.
Nur war an dieser Stelle energisches Gegenspiel mit 39… a5! erforderlich, um die Stellung im Gleichgewicht zu halten.
Dann, tief im Endspiel, wurde es noch einmal kritisch.
“Ich musste viel rechnen”, berichtete Donchenko. “Für 47…Ta2 habe ich ungefähr eine halbe Stunde gebraucht, 47…e4 war die Alternative. Das war die Stelle, an der ich herausfinden musste, welche Abwicklung zum Remis führt. Es gibt nach 47… e4 einige forcierte Varianten, in einigen von denen muss ich eine Figur geben, aber ich glaube, dass das eher die harmlosen Varianten sind.”
“Was ich gespielt habe, sah zumindest gefährlich für mich aus. Wenn da an einer Stelle etwas schiefgegangen wäre, wäre die Partie von jetzt auf gleich nicht mehr zu retten gewesen”, sagt Donchenko zu seiner Entscheidung 47… Te2.
(Titelfoto © Jurriaan Hoefsmit – Tata Steel Chess Tournament 2021)