Horts irische Schachgeschichten

Vlastimil Hort hat so viele Schlachten geschlagen, eine Übersicht über seine sechs Dekaden umfassende (und längst nicht beendete) Karriere als Schachmeister würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

Wer Hort fragt, welche dieser ungezählten Schlachten er am liebsten vergessen würde, der bekommt unmittelbar eine Antwort. Das WM-Kandidaten-Viertelfinale 1977 in Reykjavik gegen Boris Spassky wurmt Hort bis heute. 7:7 stand es nach 14 von 16 Partien. In der 15. Partie hatte sich Hort eine Gewinnstellung herausgespielt – und verlor durch Zeitüberschreitung. Das Match ging 7,5:8,5 verloren.

Boris Spassky zog ins Halbfinale ein, besiegte Lajos Portisch, und unterlag im Finale schließlich Viktor Kortschnoi, der 1978 in einem unvergessenen WM-Match Anatoli Karpow unterlag. Zwischen diesen beiden ging es neben Schach auch um Joghurtbecher und Parapsychologie (wir haben das unlängst in diesem Beitrag noch einmal aufgewärmt).

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Ein Match zum Vergessen: Vlastimil Hort stand 1977 mit einem Bein im Kandidatenhalbfinale und unterlag Boris Spassky doch noch. | Foto: Isländischer Schachverband

So ein WM-Match voller Geschichten am Rande wäre ganz nach dem Geschmack von Vlastimil Hort. In den späten Jahren seiner Karriere hat er sich mehr und mehr als Schachgeschichtenerzähler etabliert, im Fernsehen an der Seite von Helmut Pfleger ebenso wie auf der ChessBase-Website, auf der er bis heute historische Schach-Anekdötchen für die Nachwelt erhält.

Motorschaden über Irland

Am Brett ist Vlastimil Hort, mittlerweile 76 Jahre alt, durchaus noch zu finden. In der NRW-Klasse spielt er für den Oberhausener Schachverein, und er nimmt gerne die regelmäßigen Einladungen zu Turnieren in die Schweiz an. Zuletzt hat er am Schachfestival Basel teilgenommen. Ende Februar tauchte er jetzt etwas überraschend beim Schachfestival in Bunratty auf. Das Turnier im Südwesten Irlands zeichnet unter anderem aus, dass es nicht Elo-gewertet wird, was den Bierkonsum der Spieler ankurbelt.

Ober Hort schon einmal in Irland gespielt hat? Wahrscheinlich nicht, aber er war schon einmal in Irland, sogar ganz in der Nähe von Bunratty, wenngleich nicht freiwillig. Das erfuhren die Teilnehmer zu Turnierbeginn, als sie Vlastimil Hort in einer kleinen Ansprache ins Jahr 1966 entführte. Seinerzeit war er mit dem Flugzeug auf dem Weg zur Schacholympiade auf Kuba, und ein Motorschaden zwang den Kapitän, in Irland zu landen. Hort versprach, bis zu seinem nächsten Irland-Besuch nicht wieder 54 Jahre vergehen zu lassen.

Um die Schacholympiade 1966 rankt sich die Frage, ob dort Bobby Fischer gegen Fidel Castro gespielt (und womöglich gar verloren) hat. Die Antwort: eher nicht, obwohl es so aussieht.

1966 sollte er nach dem unfreiwilligen Zwischenstopp noch auf Kuba ankommen, seine Tschechen wurden Sechster, die Sowjetunion gewann. Nicht mit von der Partie, auch das eine schöne Geschichte, war seinerzeit die Bundesrepublik Deutschland, die die Schacholympiade als einzige Nation boykottierte, offiziell aus “politischen Gründen”. Tatsächlich handelte es sich um eine Planungspanne.

Panne statt Politik: der westdeutsche Boykott 1966

Die Führungsriege des DSB um Präsident Emil Dähne war laut Wikipedia davon ausgegangen, dass der Westen, speziell die USA, eine Schacholympiade auf Kuba boykottieren würde. Darum hatte der DSB erst gar keine Mannschaft nominiert. Als sich herausstellte, dass alle anderen Nationen mitspielen, war es zu spät, noch eine westdeutsche Mannschaft zusammenzutrommeln und nach Kuba zu entsenden.

Berliner Verteidigung: Short gegen Hort beim Bunratty-Schachfestival. | Foto: Fiona Steil-Antoni.

In Bunratty sponnen sich die meisten Geschichten um das Aufeinandertreffen zweier ehemaliger WM-Kandidaten in der dritten Runde. “Short gegen Hort” reimte sich nicht nur sehr schön, es war auch eine schöne Partie, zu der Nigel Short anmerkte:

Ausführlicher Bericht aus Bunratty.

Vlastimil Hort hat Bobby Fischer die Gesundheit, vielleicht das Leben gerettet. Nachdem die beiden Pilze gesammelt hatten, bewahrte der Tscheche den Amerikaner davor, die giftigen Exemplare zu vertilgen. Diese und 63 weitere Geschichten erzählt Vlastimil Hort in seinem unlängst erschienenen Schach-Lesebuch “Meine Schachgeschichten”. Darin wird unter anderem die Frage beantwortet, warum David Bronstein bei einem Simultan 1946 keine von 35 Partien gewann. Oder warum der Autor bei einer Partie gegen Paul Keres vom Stuhl fiel.
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Werner Berger
Werner Berger
4 Jahre zuvor

Der DSB fehlte nicht aus politischen Gründen bei der Olympiade, sondern aus Sicherheitsbedenken. Klaus Darga hatte nach seiner Teilnahme am Capablanca-Mamorial in Havanna 1964 dem DBS einen Bericht über seine wegen verschiedener Pannen mehrfach unterbrochene Rückreise per Flug gesandt. Da der DSB die Gastgeber nicht brüskieren wollte, wurden Besetzungsschwierigkeiten vorgeschoben. Von “politischen Gründen” kann keine Rede sein. Der Wikipedia-Artikel stützt sich nicht auf zeitgenössische Quellen, sondern allein auf den Artikel eines Chessbase-Autors, der – ohne irgendwelche Quellen zu seiner Story anzugeben – an anderer Stelle ausführt, er “erzähle Episoden und Szenen, die manchmal fiktiv sind, aber durchaus so geschehen sein… Weiterlesen »