Seit 2014 gibt es in Aserbaidschan das Gaschimow-Memorial, ein jährliches Superturnier in Gedenken an den aserbaidschanischen Großmeister Vushar Gaschimow, der Anfang 2014 27-jährig einem Gehirntumor erlag.
Am Brett war Gaschimow ein kreativer Draufgänger, ein Angreifer und kompromissloser Kämpfer. Leider spiegelte das Turnier diese Attitüde seines Namensgebers nicht wider. Speziell die einheimischen Spieler schoben ein Remis nach dem anderen, insbesondere, wenn sie einander gegenüber saßen.
Teimour Radjabow, der das Turnier mit 9 Remisen abschloss, brüskierte Zuschauer wie Organisatoren, indem er seine Kurzremisen als “professionell” rechtfertigte. Kein Wunder, dass der Organisator und Vizechef des aserbaidschanischen Verbands Mahir Mamedow hinterher ebenso stinksauer war, wie es Vugar Gaschimow gewesen wäre.
Weltmeister Magnus Carlsen war der einzige, der den viel zu früh gestorbenen 2.700-Großmeister würdigte, indem er sich aus dessen originellem Eröffnungsrepertoire bediente – und eine gehörige Prise Eigenbau hinzufügte. Das reichte, um den polnischen Supertheoretiker Radoslaw Wojtaszek aus dem Konzept zu bringen.
Carlsen, Magnus (2.843) – Wojtaszek, Radoslaw (2.744)
Shamkir Chess 2018, 5. Runde, Sizilianisch
1. e4 c5 2. Sc3 d6 3. d4 cxd4 4. Dxd4 Sc6
Eine Reminiszenz des Weltmeisters an Vugar Gashimow, der an dieser Stelle Lb5 spielte und damit unter anderem die Herren Grischuk und van Wely geschlagen hat.
5. Dd2 Sf6 6. b3
Aber das ist neu im offenen Sizilianer. Weiß finachettiert den Lc1, rochiert dann lang und setzt darauf, dass sein König in dieser Formation sicher sein wird.
6… e6 7. Lb2 a6 8. O-O-O b5 9. f3 h5
Will g4 stoppen, wie es der Schwarze in solchen Stellungen häufig tut. Aber in diesem Fall womöglich schon eine Überreaktion. Ein wesentlicher Unterschied zu “normalen” Sizilianisch-Stellungen ist, dass der Sf3 noch auf seinem Ausgangsfeld steht. Und das wirkt sich zugunsten des Weißen aus.
10. Sh3
Carlsen hat ein Loch auf g5 erspäht und schickt sofort seinen Springer aus, um dieses zu besetzen.
10… Le7 11. Sg5 h4
Damit Weiß den Springer nicht dauerhaft auf g5 einpflanzt. Aber wo soll der schwarze König jemals einen sicheren Hafen finden?
12. f4 Lb7 13. Kb1 Tc8 14. Le2 Dc7 15. The1
Schwarz hat alle sizilianischen Schemazüge gemacht, und nun steht er schlecht. Am Damenflügel geht es nicht weiter, und anderswo kann der Schwarze nicht viel anderes tun als stillhalten. “Ich wusste nicht, was ich machen soll”, gestand Wojtaszek nach der Partie.
15… Sh7
Verständlich, dass sich Schwarz entlasten und nach Möglichkeit …Lf6 spielen will. Aber 15…Sh7 sollte geradewegs zum Verlust führen.
16. Sxh7 Txh7
17. g4?!
(17. Sd5! ist für jeden Schachspieler, der mit Weiß gelegentlich einen offenen Sizilianer spielt, ein Kandidat, natürlich auch für Magnus Carlsen. “Aber ich konnte es nicht bis zum Ende durchrechnen und dachte, ich sollte auch nach einem normalen Zug gut genug stehen”, erklärte der Weltmeister nach der Partie – und ging hart mit sich ins Gericht: “Eine fürchterliche Entscheidung.” 17… exd5 18. exd5 Sd8 19. Lg4 (Diagramm) führt in ein arges Variantengestrüpp, das Rechner auf Neuronenbasis wahrscheinlich eher erfühlen müssen, weil sie es nicht komplett durchforsten können. Aber wenn sich Weiß vergegenwärtigt, dass Schwarz schon gegen eine simple Turmverdopplung auf der e-Linie fast hilflos ist, dann ahnt er, dass er auf Gewinn steht.)
17… hxg3 18. hxg3 Lf6
Mit einem eigenen Läufer, der auf der langen Diagonalen gegen c3 drückt, sieht es schon wieder ganz passabel für Schwarz aus.
19. Ld3 Th8 20. g4
Schreckt vor dem scheinbar natürlichen 20.Th1 zurück, um die gesplitteten schwarzen Türme zu erhalten. Zum zweiten Mal spielt Carlsen stattdessen in dieser Partie g4, und wieder ist es ein zweifelhafter Zug.
20… Sd4
Schwarz ist zurück im Spiel. …Sxb3 und …Sf3 drohen.
21. Te3
Deckt indirekt den Sc3.
21… Kf8
Nimmt das Abzugsschach Lxb5+ aus der Stellung und erneuert die Drohung …Sxb3.
22. Se2 Sxe2 23. Txe2 Lc3 24. Lxc3 Dxc3 25. De3
Trotz allem hat sich der Weiße angesichts der schwierigen schwarzen Königsstellung und der schlecht koordinierten Schwerfiguren seines Gegners einen kleinen Vorteil erhalten. Wenn Schwarz jetzt einfach stehenbleibt, folgt g5, Tf1, f5 und so weiter mit weißer Initiative. Schwarz fällt es weiterhin schwer, seinerseits am Damenflügel etwas Greifbares zu erreichen.
25… Tc5
Plant …a5-a4, aber das ist zu langsam und der Turm ansonsten deplatziert, wie Schwarz sofort zu spüren bekommt.
26. e5
26… dxe5
(26… Td5 27. Da7 und der Turm fehlt als Verteidiger am Damenflügel.)
27. fxe5 Th1
Darauf hatte sich Schwarz verlassen, zu Unrecht. (27… Tc7 leistet noch Widerstand.)
28. Txh1 Lxh1 29. Th2 Txe5
…Te1# wäre Matt, aber Weiß kommt dem Schwarzen zuvor. 32.g5+ gewinnt Haus und Hof, das hatte Wojtaszek zu Beginn der Abwicklung wahrscheinlich übersehen.
30. Th8+ Ke7 31. Da7+
und Schwarz gab auf wegen 31…Kf6 32. g5+! (das prosaische 32.Txh1 gewinnt auch).
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[…] der Pragmatiker (I): In Shamkir gegen Radoslaw Wojtaszek hätte Magnus Carlsen hier per 18.Sd5! forciert gewinnen können. Der Zug ist naheliegend für […]
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