Freestyle: Willkommen im Club

Der Absichtserklärung ist jetzt eine offizielle gefolgt: Der weltweite Freestyle-Grand-Slam mit jährlich vier oder fünf Turnieren auf verschiedenen Kontinenten kommt, und die Preisgelder werden die höchsten sein, die im Schach zu gewinnen sind. Mitspielen darf, wer Mitglied des neu gegründeten „Freestyle Chess Players Club“ (FCPC) ist. Dafür ist eine Elozahl höher als 2725 erforderlich. Alle 25 zum Auftakt eingeladenen Spieler sind gemäß einer Freestyle-Pressemitteilung beigetreten.

Der „Freestyle Chess Grand Slam“ ist jetzt ein Sport-Franchise, eine kommerzielle Unternehmung, an deren Spitze Jan Henric Buettner und Magnus Carlsen stehen. Der Unternehmer und der Weltranglistenerste haben eine Dachgesellschaft gegründet, die „MJ Formats“, und eine Tochter, die „FCGST“. In der FCGS würden sämtliche Aktivitäten rund um die Grand-Slam-Tour gebündelt, erklärte Buettner auf Anfrage dieser Seite. Carlsen sei gleichberechtigter Gesellschafter, nicht nur Mitgestalter. Sportlich sei er als „G.O.A.T.“ bei allen Turnieren gesetzt.

Sportlich ist Magnus Carlsen gesetzt, geschäftlich ist er gleichberechtigter Gesellschafter. | Foto: Maria Emelianova/chess.com

Nach dem achtköpfigen Auftaktturnier im Februar 2024 in Weissenhaus werden künftige Wettbewerbe mit zehn Spielern ausgetragen. Es bleibt beim Modus einer Schnellschach-Vorrunde, gefolgt von einem klassischen K.o.-Turnier – mit dem Unterschied, dass die beiden Letztplatzierten der Vorrunde ausscheiden. Auf diese Weise ist die Vorrunde aufgewertet. Geplant sei, die beiden ausgeschiedenen Spieler als Kommentatoren oder im Rahmenprogramm einzubinden, sagt Freestyle-Grand-Slam-Turnierdirektor Sebastian Siebrecht auf Anfrage.

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Der Freestyle-Club ist ein erster Schritt auf dem Weg zum Ziel, den Freestyle-Grand-Slam zu einer exklusiven Serie zu machen, deren hoch dotierte Plätze unter den besten Spielern der Welt heiß begehrt sind – begehrter als Plätze in allen anderen Wettbewerben.

Mitglied des Clubs zu sein, bedeutet noch keine Eintrittskarte für eines der Turniere. Künftig sollen der Erste bis Dritte sowie der Fünfte eines jeden Turniers fürs nächste qualifiziert sein. Mindestens fünf, vielleicht alle sechs weiteren Spieler werden aus dem Kreis der Clubmitglieder ausgewählt. Neben der sportlichen Klasse wird „die individuelle Bedeutung für die jeweiligen regionalen Märkte, in denen das Turnier stattfindet“, entscheiden, wer den Zuschlag bekommt. Womöglich wird es vor Turnieren des Grand Slams eine offene Qualifikation geben, deren Sieger ebenfalls mitspielen darf.       

Neulich in Südhessen in der Bundesliga, demnächst in Indien beim Freestyle? Exweltmeister Viswanathan Anand und 960-Weltmeister Hikaru Nakamura. | Foto: Dinara Wagner/SC Viernheim

Neben der Bedingung Elo >2725 für die Mitgliedschaft im Freestyle-Club gibt es eine weitere: Der Spieler muss „international aktiv“ sein. Diese Regel führte dazu, dass zwei Spieler mit ausreichend hoher Elo nicht berücksichtigt wurden. Sergey Karjakin, der ausschließlich russische Propagandaturniere spielt, habe keine Einladung bekommen, bestätigten die Veranstalter auf Anfrage. Auch Exweltmeister Veselin Topalov, Elo 2727, aber kaum noch aktiv, ist nicht eingeladen. Exweltmeister Viswanathan Anand hingegen war eingeladen und hat akzeptiert. Womöglich wird er schon beim zweiten Freestyle-Turnier in seiner Heimat mit von der Partie sein.

Freestyle Chess geht, wie berichtet, vom 10. bis 17. November 2024 in Indien weiter. Die erste Station 2025 wird vom 7. bis 14. Februar wieder das Weissenhaus-Resort sein. Weitere Turniere des Grand Slams sind für Sommer, Herbst und Winter 2025 in New York, Cartagena/Kolumbien und Kapstadt/Südafrika sowie 2026 in Australien geplant. Nachdem das erste Turnier in Weissenhaus im Februar 2024 mit 200.000 Dollar dotiert war, soll das Preisgeld fürs Turnier in Indien auf 500.000, für Weissenhaus 2025 auf 750.000 und für jedes der folgenden Turniere auf 1 Million Dollar erhöht werden.

In seinem Begrüßungsschreiben an die 25 ersten FCPC-Mitglieder schrieb Buettner:

„Mein persönliches Ziel für den Freestyle Chess Grand Slam ist es, ihn kommerziell so erfolgreich zu machen, wie es ikonische Sportveranstaltungen wie die ATP im Tennis, die PGA im Golf und die Formel 1 im Motorsport heute schon sind. Dafür ist es für uns von zentraler Bedeutung, die Spieler in den Fokus rücken. Es ist mein aufrichtiger Wunsch, dass jedes unserer FCPC-Mitglieder als Profisportler beruflich erfolgreich ist, und das beinhaltet, dass wir auch individuelle Sponsorenverträge außerhalb des FCPC abschließen. Ausgehend von den Erfolgen der genannten renommierten Sportereignisse wissen wir, wie wichtig es ist, dafür auch in der Welt des Schachsports wiedererkennbare und einzigartige Persönlichkeiten aufzubauen. Unser Ziel ist es, eine Liga von Schachikonen zu schaffen, mit denen sich die jüngere Generation in verschiedenen internationalen Märkten identifizieren und die sie bewundern kann.“

Freestyle, das zum Auftakt nach eigenen Angaben eine „weltweite Medienreichweite von mehr als einer halben Milliarde“ erreicht hat, steht nun vor der Herausforderung der Distribution. Die Liveübertragung der Schachturniere allein kann nur eine Säule sein, zumal wenn sie in Ermangelung eigener Reichweite über Partner abgewickelt wird. Im Sinne der Verwertung darüber hinaus gilt es, wie berichtet, um den Grand Slam herum massentaugliche TV-Formate zu entwickeln. Das soll nun anlässlich des Turniers in Indien geschehen.

https://twitter.com/DanielRensch/status/1743474127934271528
Nicht nur beim Freestyle, auch in der Chefetage von chess.com liegt ein Fokus darauf, wie sich rund ums Schach ein erfolgreiches TV-Format stricken lässt.

So ein Hochglanz-TV-Format und sein kommerzieller Erfolg markiert die Make-or-Break-Frage, die nächste Stufe, die der Schachsport generell nehmen muss, um zu wachsen und neues Publikum zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund wird spannend zu verfolgen sein, wie sich das Verhältnis zwischen der Freestyle-Tour und chess.com entwickelt. Auch der US-Schachmonopolist (und als solcher Hauptsender für die Freestyle-Liveübertragungen) bastelt an TV-Formaten. Eine Netflix-Doku zu Carlsen vs. Niemann ist schon angekündigt.

In die Freestyle-Eloliste wird im November Bewegung kommen, und es werden weitere Spieler aufgenommen. Die Rangfolge repräsentiert die Platzierungen des Turniers in Weissenhaus 2024.

Der Freestyle-Grand-Slam und seine Keimzelle Weissenhaus werden vorerst FIDE-freie Zonen sein. Das Angebot des Weltverbands, das WM-Match 2024 in Weissenhaus auszurichten, hat, wie an dieser Stelle vorhergesagt, nicht gefruchtet. Es gebe keine Zusammenarbeit zwischen Weissenhaus und der FIDE, bestätigte Buettner jetzt auf Anfrage.

Allerdings laufen nach seinen Angaben Gespräche über eine Zusammenarbeit mit der FIDE im Rahmen der weltweiten Freestyle-Tour. „Die sind aber erst ganz am Anfang.“ Aus Sicht der FIDE stellt sich die Frage, was sie im Angesicht einer hoch dotierten weltweiten 960-Tour mit dem von ihr bislang stiefmütterlich betreuten Spiel machen soll. Sicher ist, der Freestyle-Champion wird der wahre 960-Weltmeister sein, ob er nun offiziell so heißt oder nicht.

Die FIDE hatte ihre für Februar 2024 geplante 960-WM abgesagt. Ein 960-Rating gibt es bei ihr nicht, während Weissenhaus schon mit dem ersten Turnier eine Freestyle-Elo eingeführt hat. Jetzt steht die FIDE vor der Frage, ob es nicht sinnvoll ist, den ohnehin nicht entwickelten 960-Komplex inklusive Weltmeistertitel abzugeben – und, wichtig, was sie dafür bekommt. Schon das Angebot an Schachneuling Buettner, das WM-Match auszurichten, ohne sich darum bewerben zu müssen, hat gezeigt, wie gerne die FIDE in Ostholstein einen Fuß in der Tür hätte.   

Jan Henric Buettner hilft jetzt Vincent Keymer bei seinem Sturm auf bzw. durch die Weltspitze. | Foto: Maria Emelianova/chess.com

Abseits seines globalen Freestyle-Grand-Slams hat sich Buettner jetzt der Spitzentalentförderung auf nationaler Ebene angenommen. Er hat eine Schachakademie für den besonders talentierten Nachwuchs gegründet.

Gerade zweieinhalb Monate ist es her, da bezeichnete Vincent Keymer vor einem Millionenpublikum die Nachwuchsförderung hierzulande als „nicht konkurrenzfähig“. Für den Zustand des in Selbstzufriedenheit verharrenden deutschen Schachs ist es bezeichnend, dass es nicht einmal einen kollektiven Aufschrei auslöst, wenn im ZDF-Sportstudio das Jahrhunderttalent unseres Sports Alarm schlägt. Für den Zustand des Journalismus rund ums deutsche Schach ist es bezeichnend, dass kein Berichterstatter (bis auf einen) Keymers Mahnung auch nur erwähnte.

Warum es in der Schachnation Deutschland nur einen Weltklassespieler gibt: als Vincent Keymer im ZDF Alarm schlug.

Keymer selbst hat, unvorstellbar eigentlich, seit Jahren vergeblich einen weiteren Sponsor gesucht. Auch das ist bezeichnend – für den Zustand der Marke Vincent Keymer, für die offenbar niemand zuständig ist, der sich zumindest rudimentär mit „Personal Branding“ befasst hat. Dass sich kein Unterstützer findet, war seit langem ein Anlass, sich an die eigene Nase zu fassen.

Tolle Nachricht für Vincent Keymer nach jahrelanger vergeblicher Sponsorensuche. Fragt sich nur, ob er überhaupt Weltmeister im Schach1 werden will bzw. ob sich das lohnt, wenn doch ab 2025 jedes Schach960-Grand-Slam-Turnier so hoch dotiert ist wie ein FIDE-WM-Kampf. (Spiegel-Bericht für Abonnenten)

Jetzt springt Buettner ein, um Keymers sportliche Chancen im Wettstreit mit den Abdusattorovs, Gukeshs, Praggs oder Firouzjas zu maximieren. Auch die kommenden Keymers finden im Fünf-Sterne-Resort Weissenhaus Unterschlupf.  Für eine Gruppe von Ausnahmetalenten stellt Buettner bis auf Weiteres einen sechsstelligen Betrag bereit, aus dem Reisekosten und Trainer bezahlt werden. Die Spieler und die Spielerin sind eingeladen, Weissenhaus für ihr Training zu benutzen.  

Wer für den Anfang Mitglied der Gruppe ist, steht schon fest: Leonardo Costa (16), Marius Deuer (15), Lisa Sickmann (13), Christian Glöckler (12), Hussain Besou (11) und Arian Alloussi (8). Zwei Mitglieder dieser Gruppe haben schon gute Nachrichten produziert: Marius Deuer mit seinem dritten Platz beim Open in Graz und Christian Glöckler, der jetzt in Bremen die zweite IM-Norm binnen eines Monats geschafft hat.

https://youtu.be/c3WtIQTnFPo
IM mit 12? Christian Glöckler fehlt noch eine Norm und etwas Elo.
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BaronvonSchöntau
BaronvonSchöntau
1 Monat zuvor

Da wollen wir nicht stören.

Uwe Böhm
Uwe Böhm
1 Monat zuvor

Ich vermisse eine kritische Auseinandersetzung mit den Pressemitteilungen. Da gilt ja offensichtlich “Klappern gehört zum Handwerk”. Wie soll denn eine Medienreichweite von 0,5 Mrd Menschen erreicht werden? Das sind über 5 % der Weltbevölkerung. Da müssten sich bezogen auf Deutschland über 4 Mio Menschen für Freestyle Schach interessieren. Das halte ich für völlig ausgeschlossen. Zunächst müsste man ja erst einmal die Regeln kennen. Sonst schaut man sich das doch nicht. Vergleiche mit der ATP im Tennis, der PGA im Golf oder der Formel 1 hinken doch. Wie hoch ist denn deren Medienreichweite? Sind das überhaupt 500 Mio Menschen? Die Regeln… Weiterlesen »

Daniel Hendrich
Daniel Hendrich
1 Monat zuvor

Wir gönnen es natürlich alle Herrn Schormann, dass er als Verkündungsorgan/Pressesprecher dieser Geschichte finanziell erstmal keinen Stress mehr haben wird 🙂
Der sportliche Wert usw. ist da höchstens viertrangig.

John
John
1 Monat zuvor

Wenn interessiert das außer diejenigen, die meinen sich bequem die Taschen voll machen zu können? Niemanden. Alle Unternehmungen bei denen so abartig mit den Geldscheinen gewedelt wird gehen früher oder später den Bach runter. Wen interessiert das irre Spektabel? Die Schachspieler? Sicher nicht. Das ist ekelhafte Vapoware die das Schach zerstört.

Matthias
Matthias
1 Monat zuvor

Gibts eigentlich außer mir noch jemanden, dem das langsam ein bisschen viel wird? Es gibt eine regelrechte Turnierschwämme, und irgendwie werden einzelne Partien dadurch auch ein wenig entwertet.
Viel Spaß mit dem “Grandslam”. Man muss sich ja auch nicht alles anschauen 😉

Schreiber G.
Schreiber G.
1 Monat zuvor

Das sind ja wirklich mal gute Nachrichten für den Schachsport in Deutschland und auch für Vincent Keymer! Es bleibt zu hoffen, dass das Engagement von langfristiger Natur sein wird! Was die „2725er- Marke“ anbetrifft, würde mich interessieren, was passiert wenn ein Spieler unter diese Marke rutscht? Das könnte z.B. auch Vincent mal passieren, da er als junger Spieler naturgemäß noch nicht so gefestigt ist!

Thomas Richter
Thomas Richter
1 Monat zuvor

Wer genau sind denn die (derzeit) glorreichen 25, d.h. welche Eloliste gilt aber offenbar auch nicht ganz? Die Pressemitteilung deutet an, dass es die tagesaktuelle Live-Liste ist – “die zehn besten Spieler der Welt hinter Magnus Carlsen, also Fabiano Caruana, Hikaru Nakamura, Nodirbek Abusattorov, …” (Abdusattorov ist offiziell noch Nummer 11). Dann wäre Keymer mit aktuell 2724,2 eigentlich außen vor (Prag lief bei ihm – im Gegensatz zu Abdusattorov – nicht nach Wunsch), ebenso Aronian mit 2722,5. Da Karjakin und Topalov nicht eingeladen wurden ist Aronian aber wohl noch unter den “korrigierten” besten 25. Was ist mit Radjabov? Auch eher… Weiterlesen »