Im zwölften Zug die lange Rochade im Gligoric-System gegen Königsindisch – eine seltene Idee. Kein Wunder, dass Dinara Wagner und Melanie Lubbe schon im 13. Zug von bekannten Vorbildern abwichen. Aber das hieß lange nicht, dass Wagners Vorbereitung am Ende war. Noch im 20. Zug navigierte sie in ihr bekanntem Terrain, das sie vorab ausgekundschaftet und als günstig eingeschätzt hatte. “So schwierig war das nicht”, erklärte Wagner nach der Partie. Lubbe spiele stets Königsindisch. Das mache es leichter, sich gezielt etwas zurechtzulegen und in aller Tiefe zu präparieren.


Nach Wagners Weißsieg in der vierten Runde steht in den German Masters 2023 erstmals jemand allein an der Tabellenspitze. Mit 3,5 Punkten aus 4 Partien liegt die Heidelbergerin in Front, verfolgt von Hanna Marie Klek und Jana Schneider mit jeweils 3 Punkten. Während Klek mit Schwarz gegen Fiona Sieber nicht mehr tun konnte, als das Gleichgewicht zu halten, triumphierte Schneider in einem taktischen Handgemenge über Sarah Papp.

Auch in Schneiders Partie stand das Ergebnis intensiver Vorbereitung auf dem Millennium-Turnierbrett. Den größen Teil dieser Vorbereitung hatte die Psychologiestudentin schon vor Monaten absolviert, als sie einen Fritztrainer mit Weißrezepten für die Vorstoßvariante der französischen Verteidigung erarbeitete.

“Auf der DVD empfehle ich diese Springer-b3-Idee”, erzählte Schneider. Sie habe lange gewartet, sie aufs Brett zu bekommen. Am Donnerstag, 14. Dezember 2023, war es so weit. Über b3-c1-d3 wanderte besagter Springer bis nach f4, um von dort aus das Duo der schwarzen Zentralbauern aufs Korn zu nehmen.

Lara Schulze hat ihre vorerst kurze Visite in der Spitzengruppe beendet, Luisa Bashylina ihren Aufenthalt in unmittelbarer Nähe des Tabellenendes. In einem komplizierten Mittelspiel verlor Schulze den Faden, überließ der 17-Jährigen erst die Initiative, dann zwangsweise Material.
Turnierseniorin Zoya Schleining hat nach einem Fehlstart mit 0/2 ins Turnier gefunden. Nach ihrem Drittrundensieg triumphierte die 62-Jährige in der vierten Runde mit Schwarz über Josefine Heinemann, die keinen Zugriff fand und mitansehen musste, wie ihre Lage immer kritischer wurde. Die deutsche Nummer 3 und Nakamurabesiegerin wird mit ihrem siebten Platz im Klassement und 1,5/4 überhaupt nicht zufrieden sein.

Im Feld der Männer ist aus dem Führungstrio ein -quintett geworden. Nachdem Leonardo Costa sich, wie gestern berichtet, mit drei Auftaktremis ins Turnier gebissen hatte, biss er in der vierten Runde richtig zu. Leidtragender war – sein Ex-Trainer, derjenige, der “Leo” gerade noch zu WM-Bronze gecoacht hat: Michael Prusikin.
Leonardo sei stabiler geworden, habe starke Nerven und könne sich gut auf den Gegner einstellen, lobte Prusikin nach der U16-WM. In der vierten Runde konnte er sich im direkten Vergleich von diesen Qualitäten überzeugen. Dabei hatte er entgegen seiner Gewohnheit Russisch gespielt, um der bekannt intensiven Costa-Vorbereitung aus dem Weg zu gehen. “Darauf war ich tatsächlich nicht vorbereitet”, erklärte Costa nach der Partie. “Aber ich kannte mein Zeug.”
Prusikin stand schon ausgangs der Eröffnung unter Druck. Zwar gelang es ihm, die Damen zu tauschen, aber damit ergab sich ein Endspiel, in dem sich ihm mehr konkrete Probleme stellten, als er lösen konnte. Bis tief ins Turmendspiel verteidigte Prusikin seine Stellung. Zu retten war sie nicht. Nach 54 Zügen hatte Costa seinen ersten Sieg im Turnier eingefahren.
In der fünften Runde erwartet ihn der nächste großmeisterliche Brocken: Schwarz gegen Frederik Svane. “Das wird heftig”, ahnt Costa.
Auch Matthias Blübaum hat mit einem Sieg das bis dahin führende Trio eingeholt. Am Ende eines undurchsichtigen Gefechts triumphierte der Turnierfavorit mit den schwarzen Steinen über Christopher Noe, der im Verlauf einer wechselhaften Partie alles andere als zurückgesteckt hatte.

Blübaum und Costa teilen sich jetzt die Führung mit Rasmus Svane, Dennis Wagner und Alexander Donchenko, die jeweils die Punkte teilten (Svane und Wagner untereinander).

[…] Friedfertigkeit in der fünften Runde hatte für Wagner zur Folge, dass ihre alleinige Tabellenführung nur für einen Tag währte. Hanna Marie Klek schloss dank eines Sieges über Luisa Bashylina zu ihr […]