Ein 15-Jähriger zehn Tage lang allein im Hotel? Vincenzo Costa muss sich keine Sorgen machen, dass sein Sohn in Rosenheim über die Stränge schlägt. Zwar wird Leonardo Costa abseits der Runden im Gasthaus Höhensteiger beim German Masters selten gesehen, allenfalls kurz bei der hastigen Nahrungsaufnahme, aber das hat damit zu tun, dass er vollauf mit Schach beschäftigt ist. “Ich esse hier sehr schnell, damit ich wieder zur Vorbereitung kann”, verriet der U16-WM-Dritte nach seinem Drittrundenremis gegen Matthias Blübaum.
Der jüngste Teilnehmer, nominell die Nummer neun des zehnköpfigen Feldes, hat sich erfolgreich ins Turnier gebissen. Nach dem respektablen Weißremis zum Auftakt gegen Alexander Donchenko und dem ordentlichen gegen Christopher Noe bestand Leonardo Costa in der dritten Runde die Reifeprüfung: Mit Schwarz ein Unentschieden gegen die nominelle Nummer eins Matthias Blübaum, der ihm noch vor eineinhalb Jahren in der Bundesliga einen Klassenunterschied aufgezeigt hatte.
Das gelang ihm diesmal nicht, und es lag nicht daran, dass er es nicht bis zum Ende versucht hätte. Costa, unter Druck geraten, verteidigte sich aktiv, erfindungsreich und präzise. Die technische Aufgabe zum Schluss, 2 vs. 3 Bauern an einem Flügel im Turmendspiel, bereitete ihm keine Schwierigkeiten mehr.
Mitfavorit Alexander Donchenko hat schon eine Lehre aus seinem Erstrundenremis gegen Costa gezogen: “Es wird bei diesem Turnier nicht leicht, Partien mit Schwarz zu gewinnen.” In der dritten Runde gelang es ihm doch. Donchenko war froh, dass Christopher Noe auf der anderen Seite des Millennium-Turnierbrettes eine gehaltvolle Partie spielen wollte, anstatt die Luft aus selbiger zu lassen.
Aber noch ist nicht klar, welcher der beiden Donchenkos in Rosenheim am Brett sitzt. Derjenige, der, einmal in Schwung gekommen, auf fast jedem Level unwiderstehlich ist, oder derjenige, bei dem alles passieren kann? Sicher ist nur, mit diesem Sieg hat der Nationalspieler Noe als Teil des Führungstrios an der Spitze abgelöst. Donchenko, Dennis Wagner und Rasmus Svane führen jetzt mit jeweils zwei Punkten.
Der zweite Tagessieg im Männerturnier gelang Michael Prusikin gegen Jonas Roseneck, dessen erstaunliche Eröffnungsstrategie aufging: Via Nimzo-Indisch begab er sich mit Schwarz in eine Karlsbad-Struktur – gegen denjenigen, der das Buch übers Damengambit geschrieben hat. Und das soll eine gute Idee sein?
Tatsächlich: Als sich Prusikin zwischen Minoritätsangriff und Botwinnik-Plan entscheiden musste, entschied er falsch (wenn stimmt, was der Computer sagt), und Schwarz stand mindestens prima. Nur musste danach immer noch fast eine komplette Schachpartie gespielt werden, und die entschied Großmeister Prusikin für sich.
Die vielleicht meisterwartete Partie der Runde verlief unspektakulär. Rasmus Svane verteidigte sich russisch gegen Frederik Svanes 1.e4. Es entstand eine symmetrische Position mit ein wenig Druck für den jüngeren Bruder. Die beiden kämpften, bis nur noch einige Bäuerlein geblieben waren, dann schlossen sie Frieden.
Im Masters der Frauen haben die beiden 100-Prozentigen an der Tabellenspitze erstmals Federn gelassen. Dinara Wagner gab sich mit Schwarz gegen Jana Schneider mit einem beiderseits respektvollen Abtasten im Najdorf und einem Friedensschluss bei vollem Brett zufrieden. Hanna Marie Klek und Josefine Heinemann ratterten 23 Züge Schottisch-Theorie herunter, Dauerschach, remis.
Die Friedfertigkeit der Führenden erlaubte Lara Schulze aufzuschließen. Kurz vor dem Ende eines starken Sizilianisch-Vortrags machte sie es sich gegen Fiona Sieber etwas schwerer als nötig. Das verlängerte zwar den Vortrag, änderte aber nicht das Ergebnis einer Einbahnstraßenpartie.
Von den drei bis dahin punktlosen Spielerinnen gelang es Zweien, etwas Zählbares ins Klassement zu schreiben. Luisa Bashylina gelang das sogar, nachdem sie einen vergifteten Bauern verspiesen hatte. Den danach eigentlich gefangenen Springer, der sich auf b2 bedient hatte, ließ Sarah Papp entkommen. Klaus Bischoff erklärte ihr hinterher, dass so etwas denen passiert, die sich nicht an die Uwe-Bönsch-Regel halten: “Die Dicksten zuerst schlagen.”
Zoya Schleining gelang der erste Sieg des Wettbewerbs in einer Partie, die sie gegen Melanie Lubbe im Endspiel ein zweites Mal gewinnen musste, nachdem der erhebliche Vorteil im frühen Mittelspiel versickert war. Lubbe trägt nun die rote Laterne.
[…] Costa (6,5/9, 2542) hat seinen schon beim Masters 2023 angedeuteten Leistungssprung in Karlsruhe bestätigt. Die Elo des 16-Jährigen nähert sich der 2500-Marke und sein […]