“Auf meinem Handy bin ich ein Monster”: Levy Rozman aka GothamChess

How to play the Queen’s Gambit.” Allzu viel Arbeit hatte IM Levy Rozman nicht in dieses Video für Anfänger gesteckt, aufgenommen mit einer Möhre von Kamera am 31. August 2020. Einige Wochen später, am 23. Oktober 2020, veröffentlichte Netflix die Serie, die zufällig so hieß, wie Rozmans Video – und zur erfolgreichsten Netflix-Miniserie jemals werden sollte. Wer den Trailer dazu auf YouTube anschaute, der stieß unweigerlich auf das Video des IM aus New York. Das war der Anfang.

“Schachlehrer des Internets”: Levy Rozman im Gespräch mit der Welt.

Gälte es heute, den bekanntesten Schachspieler der Welt zu küren, Levy Rozman käme mindestens in die engere Wahl. Als “Schachlehrer des Internets” firmiert der 27-Jährige mittlerweile. Wer ihn anschreiben oder anrufen will, muss sich erst einmal an seine Agentur wenden. Unter dem Namen “GothamChess” versorgt Rozman auf diversen Social-Media-Plattformen ein Millionengefolge mit Schachinhalten. Allein auf YouTube haben mehr als vier Millionen Menschen seinen Kanal abonniert.

“Warum gerade die junge Altersgruppe?” Levy Rothman in den US-Nachrichten.

Etwa doppelt so viele Menschen schauen täglich “PBS NewsHour”, die Traditionsnachrichtensendung des Public Broadcasting Service, in etwa das US-Gegenstück zum öffentlichen Rundfunk hierzulande. Dort war Levy Rozman jetzt zu Gast, um die Fragen von Moderator John Yang rund ums königliche Spiel zu beantworten. Wir haben zugehört, übersetzt, ein wenig redaktionell bearbeitet:

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Levy, wie sind Sie zum Schach gekommen? Wie fing es an, was war der Reiz?

Meine Mutter und mein Vater stammen aus der ehemaligen Sowjetunion. Schach ist dort in der Kultur verankert. Als ich fünf war, wollten meine Eltern, mich für den außerschulischen Unterricht anmelden. Aber wo? Meine Mutter sagte Schach. Mein Vater sagte Kunst, ich sei zu verrückt für Schach. Es stellte sich heraus, dass meine Mutter richtig gelegen hatte, denn ich war bald völlig besessen von dem Spiel. Vom Kunstunterricht bin ich weggelaufen, ich habe mich auf dem Spielplatz in den Kriechröhren versteckt. Mein erstes Schachturnier habe ich mit sieben gespielt – und bin dabeigeblieben.

Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für die Popularität des Schachspiels? „Queen’s Gambit“, klar, aber das ist ja schon etwas her.

Wie viel Zeit haben wir? (Lacht) Ich sehe drei Booms, beginnend mit dem Queen’s Gambit Ende 2020. Als die Serie lief, hatte ich schon beschlossen, hauptberuflich auf Schach zu setzen: Videos und Streams in erster Linie. Eine große Sache war das nicht – bis das „Queen’s Gambit“ kam. Binnen 48 Stunden stieg die Zahl meiner Aufrufe auf YouTube von etwa 70.000 auf 1 Million. Und das ging so weiter. Wer den Trailer zum Queen’s Gambit sah, der sah in der Seitenleiste ein Video von mir: „How to play the Queen’s Gambit“, das ich mit einer ganz einfachen Kamera aufgenommen hatte, über das ich nie viel nachgedacht hatte. Das ist einfach explodiert.

“Das ist einfach explodiert”: “How to play the Queen’s Gambit”, das Video, mit dem alles anfing.

Später, im Jahr 2022, gab es den Carlsen-Niemann-Skandal, über den man einen Roman schreiben könnte. Aktuell erreichen vor allem Kurzinhalte das jüngere Publikum: TikTok, YouTube-Shorts, Instagram-Reels, mundgerechte Sachen. Sie können jetzt einfach auf Ihrem Telefon scrollen und in 30 Sekunden etwas über Schach lernen. Und das dann gegen Ihre Freunde ausprobieren.

Die gesamte Schachkultur und hat sich völlig verändert, auch die Sicht anderer auf Schachspieler. Früher war es mir peinlich, Schachtrophäen mit in die Schule zu bringen, ich hatte Sorge, deswegen gehänselt zu werden. Das ist heute ganz anders. Auf dem Weg hierher zum Flughafen hat mich eine Gruppe Siebtklässler erkannt. Ich habe noch nie so aufgeregte Kinder gesehen.

Warum gerade diese Altersgruppe? Wie kommt das?

Das ist nur eine Altersgruppe, die Schach seit kurzem erreicht. In den vergangenen Jahren haben viele Erwachsene zum Schach gefunden, die es in der Kindheit gelernt, aber dann 30, 40 Jahre nicht gespielt haben. Jetzt spielen sie wieder und vertiefen darüber nicht selten ihre Verbindung zu einem Verwandten, sei es Vater, Großvater oder Großmutter. Schach verbindet Generationen.

Das junge Publikum genießt das Spielen an sich. Schach ist anders, Schach ist mehr, es geht nicht darum, Knöpfe auf einem Controller zu drücken und vielleicht kleine Tricks anzuwenden. Es gab nie eine bessere Zeit, Schach zu lernen, als jetzt, ob im Internet oder aus Büchern. Früher war es viel schwieriger, an Informationen zu kommen. Heute schaust du dir eine Minute lang etwas an, wendest es an – und bist plötzlich der Schlaue in deiner Gruppe mit einem Vorsprung vor den anderen. Bis die dann auch etwas anschauen und es anwenden.

Papa Rozman mit Klein-Levy.

Ich kenne Leute, die lieber auf ihrem Handy gegeneinander spielen, selbst wenn im Raum ein Brett aufgebaut ist. Wie kommt das?

Erstmal nehme ich an, dass Schach auch ein Mikrokosmos der allgemeinen Gesellschaft ist. Wir fühlen uns heute mit unseren Telefonen ein bisschen zu wohl. Das geht mir nicht anders. Ich spiele viel mehr Schach auf meinem Handy als am Brett unter Freunden oder bei Turnieren. Schnelle Partien, drei Minuten, eine Minute.

Auf meinem Handy bin ich ein Monster! Am Brett? Eher nicht. Wenn mir jemand gegenübersitzt, kommt Psychologie ins Spiel, die Nerven, die Felder sehen anders aus. Viele Leute haben in den vergangenen drei Jahren online angefangen, nicht bei ihrem örtlichen Club. Insofern fällt es schwer, die online erworbene Schachfähigkeit ins wahre Leben zu übertragen. Aber es gibt so viele Clubs, Kneipen, Bibliotheken, Schulen, in denen Schach gespielt wird, das wird sich entwickeln.

Joe Burrow, Quarterback der Cincinnati Bengals, baute zum Super Bowl ein Schachbrett neben seinem Spind auf. Er sagt, Schach helfe ihm, die Verteidigung beim Football besser zu verstehen. Auf welche Bereiche des Lebens lässt sich Schach übertragen?

Diese Analogien halte ich für leicht übertrieben. Aber ja, Schach kann nützlich sein. Viele Spitzensportler zum Beispiel mögen Schach und das aus gutem Grund. Es bringt sie ins Denken: Wenn er dies tut, tue ich das, aber was mache ich, wenn er dann so und so reagiert? Diese Art des Vorausdenkens kann auf anderen Feldern helfen, zum Beispiel im Boxring. Vielleicht auch, um eine Verteidigung beim Football oder Basketball auszuhebeln. Leider kenne ich mich damit nicht so gut aus.

Ihr Buch trägt den Untertitel „The Ultimate Guide for Beginners and Beyond“. Wer würde Ihrer Meinung nach am meisten von dem Buch profitieren – ein Anfänger oder jemand, der schon etwas weiter ist?

“Die Revolution auf Papier fortsetzen”: Levy Rozmans Schachbuch für Anfänger und leicht Fortgeschrittene.

In den vergangenen Jahren bin ich wahrscheinlich 1000-mal gefragt worden, ob ich ein Schachbuch empfehlen kann. Die Leute wissen, dass es alles online gibt, all diese Videos, aber sie wollen einfach nur ein gutes Buch. Die perfekte Antwort habe ich nicht. Vielleicht gibt es keines, vielleicht mehrere, je nachdem. Jedenfalls habe ich beschlossen, dieses Buch zu schreiben. Sie können es 15 Minuten vor dem Schlafengehen lesen, während Sie entspannt auf der Couch liegen. Sie benötigen kein Brett, um darauf Züge auszuführen. Das Buch nimmt Sie an der Hand und führt Sie durch alles, was beim Schach wichtig ist. Ich wollte ein anderes Buch machen als die, die auch ich früher gekauft habe, die nicht leicht zu lesen waren und ohne Brett schon gar nicht, weil zwischen einem Diagramm und dem nächsten sechs Züge liegen. Sowas macht es sehr schwierig für Ungeübte.

Schach hat eine Revolution bei Online- und digitalen Inhalten erlebt. Meine Idee war, diese Revolution auf Papier fortzusetzen. Ich verdumme das Thema nicht. Ich bereite es zugänglicher und frischer auf als bisher.

Ein Quickie: Als Vincent Keymer auf Levy Rozman traf, ging das ganz schön schnell.

(Titelfoto: Night)

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Martin
8 Monate zuvor

Rechtschreibfehler:
“Das geht mir nichts anders.”
Mirgefällt was du tust. Danke Konrad

Dr. Wille
Dr. Wille
8 Monate zuvor

““Auf meinem Handy bin ich ein Monster”” – Auf dem missglückten Foto leider auch.

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[…] “Auf meinem Handy bin ich ein Monster”: Levy Rozman aka GothamChess […]

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[…] Nakamura meldete sich Levy „GothamChess“ Rozman zu Wort, „erschüttert“ angesichts der Absage: „Innerlich bin ich ein bisschen […]

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[…] der FAZ sagte Nakamura, er halte es für sehr wahrscheinlich, dass er und sein Streamerkollege Levy Rozman mehr mit ihrer Schacharbeit verdienen als Magnus Carlsen mit seiner. Er sei stolz […]

Jonny
Jonny
8 Monate zuvor

Als intensiver twitch, youtube und kick Schach Konsument, muss ich leider sagen, dass es aus meiner Sicht ganz wenige Kompetente und ertragbare Anbieter gibt. Levy und fast die ganze chess.com-Gang gehört nicht dazu. Auch bei den Top-Publizisten wird vor der Kamera gefressen und gerülpst, irgendwelche Themen durchgenuddelt damit es Klicks gibt oder Serien produziert mit praktisch Null Unterhaltungswert.
Zum Glück gibt es paar Ausnahmen. Im deutschen Bereich ist das Jan und die Schachglatzen. Dann kommt lange nichts mehr brauchbares.
Am Ende bleibt: Hauptsache nicht die Botez Puppen, oder Aggro Levy.