Beth Harmon – und danach?

Zeitlich hätte das prima gepasst. Vor dem Weihnachtsfest schauen wir uns “Das Damengambit” an, dann Feiertage und Silvester, und zum Beginn des neuen Jahres begeben wir uns ins Kino, wo mit der “Schachnovelle” gleich die nächste Schach-Hochglanzproduktion anläuft. Aber deren Start, ursprünglich geplant für Januar, ist jetzt in den September 2021 verschoben worden.

Also warten wir erst einmal auf die für Mai angekündigte deutsche Übersetzung der Damengambit-Romanvorlage. Und wir verfolgen die Spekulation über eine mögliche zweite Staffel der weltweit erfolgreichsten Netflix-Miniserie jemals.

Darf sie noch Weltmeisterin werden? Beth Harmon, US-Meisterin 1967 und Gewinnerin des Moskauer Einladungsturniers 1968. | Foto: Netflix

Die Frage, ob die Geschichte der Beth Harmon weitergeht, steht im Raum, seitdem “The Queen’s Gambit” die Spitze der Netflix-Charts stürmte. Sie lässt sich, Stand jetzt, mit einem klaren “Jein” beantworten.

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  • Dagegen spricht, dass Walter Tevis‘ Romanvorlage nun filmisch bis zum Ende nacherzählt ist. Die Serie war stets als geschlossene Miniserie auf Basis des Romans angelegt, eine Fortsetzung nicht vorgesehen. “Wir haben Beth an einem guten Ort zurückgelassen”, sagte Hauptdarstellerin Anya Taylor-Joy in einem ihrer zahllosen Interviews über den Serienerfolg.
  • Dafür spricht eben dieser Erfolg. “The Queen’s Gambit” war eine kommerzielle Produktion, deren Erfolg beim Publikum die Erwartungen bei weitem übertroffen hat. Nun wäre es in Erwartung weiterer Zahltage nicht die erste Serie, die über die Romanvorlage hinaus weitergeführt wird. Bislang halten sich alle Verantwortlichen dazu bedeckt. Ein “Nein” war bislang nicht zu vernehmen, ein “Ja” auch nicht.

Allemal kann die Geschichte der Elizabeth Harmon weitererzählt werden – auf mehreren Ebenen. Eine wahre Geschichte ist es nicht, aber die Protagonistin basiert im Wesentlichen auf zwei der Wirklichkeit entnommenen Vorbildern, deren Schicksale Stoff für einen neuen Plot hergeben.

Zum einen zog Walter Tevis sich selbst als Vorbild für Beth heran. Tevis würde bestätigen, dass der Kampf gegen den Teufel Alkohol und andere Dämonen sich nicht mit einem Turniersieg gewinnen lässt, sondern ein Leben lang gekämpft werden muss. Zum anderen basiert Beth auf Bobby Fischer – und der sollte 1972 Weltmeister werden. Beth müsste nach jetzigem Stand ihre Schachkarriere “nur” als US-Meisterin 1967 (dem Jahr, als Bobby Fischer US-Meister wurde) und Gewinnerin des Moskauer Einladungsturniers 1968 beenden.

Es sind nicht nur drei weitere Szenen. Das “Damengambit” ist voll mit Bobby-Fischer-Referenzen.

In mehr als 60 Millionen Netflix-Haushalten weltweit ist die Serie gesehen worden. Das löste nicht nur eine zweite Welle der Schachbegeisterung aus, auch das fast vergessene Buch rückte in den Fokus. Fast 40 Jahre nach seinem Erscheinen wurde Walter Tevis’ Roman in den USA zum Bestseller. Jetzt hat der Diogenes-Verlag mitgeteilt, dass die deutsche Übersetzung am 26. Mai erscheinen soll. Sie lässt sich bereits vorbestellen.

Sicher wird die Romanübersetzung besser als die schachlich misslungene deutsche Synchronisation der Serie. Synchronregisseur Dirk Müller hat leider versäumt, jemanden hinzuzuziehen, der sich mit Schach auskennt.

Stefan Zweigs Rechtsanwalt Werner von Basil, der Kunstschätze vor den Nazis gerettet hat, wird in der Neuverfilmung der Schachnovelle voraussichtlich “Bartok” heißen, dargestellt von Oliver Masucci. | Foto: Studiocanal/Walker+Worm-Film/Julia Terjung

Die Kinoproduktion “Die Schachnovelle” ist kein Resultat des Damengambit-Erfolgs. Tatsächlich ist der Film schon seit Mitte 2020 fertig. Er basiert auf Stefan Zweigs wunderbarer Novelle gleichen Namens von 1941 mit den zentralen Protagonisten Werner von Basil, Rechtsanwalt und Vermögensverwalter, sowie Mirko Centovic, Schachweltmeister. Vor dem Hintergrund des Nazi-Terrors gipfelt Zweigs Werk in einem Kampf, den diese beiden gegensätzlichen Charaktere am Brett ausfechten – bis letztlich von Basils Gebrochenheit dem Ringen ein Ende setzt.

In Isolationshaft hatte von Basil mit Hilfe eines Schachbuchs dem Wahnsinn getrotzt. Während einer schicksalhaften Atlantik-Überfahrt, bei der er dem Schachweltmeister begegnet, offenbart sich von Basils Genie ebenso wie das Trauma, das er als Folge der psychischen Folger erlitten hat.

Wie mag Regisseur Philipp Stölzl die ausgefeilte psychologische Dramaturgie filmisch umgesetzt haben? Stölzl ist nach Gerd Oswald der Zweite, der sich an einer Verfilmung von Zweigs großer Erzählung versucht. 1960 erschien Oswalds Schachnovelle mit Curd Jürgens und Mario Adorf in den Hauptrollen.

Das werden doch nicht Plastikbretter und -uhren sein? Szene aus der 2020er-Verfilmung der Schachnovelle. | Foto: Studiocanal/Walker+Worm-Film

Stölzls Film ist in Wien, Berlin und München gedreht worden. Trailer oder Details über die Produktion sind noch nicht bekannt. Gleichwohl gibt es ein Indiz, dass die Macher des Films ebenso wie die der Serie Wert auf schachliche Authentizität gelegt haben. Dieses Indiz finden wir auf der Website des Berliner Vereins Schachfreunde Siemensstadt. Dort hieß es im März:

“… vor einiger Zeit gab es eine Anfrage an die Berliner Schachvereine, ob man historisch passende Schachuhren (etwa aus den 1930er-Jahren) zur Verfügung stellen könne. Genau davon fanden sich in unserem Vereinsarchiv noch fünf Exemplare, vier davon noch voll funktionsfähig. Wir stellten diese gern leihweise der Produktionsfirma zur Verfügung und haben inzwischen auch die Zusage, dass sie im Film zum Einsatz kommen werden.
Mehr noch: Die Restauratorin hat ganze Arbeit geleistet und die Spuren der Zeit fast vollständig getilgt, wie man sich im Vorher-Nachher-Vergleich überzeugen kann …”

Die im Film verwendeten historischen Uhren der Schachfreunde Siemensstadt, nachdem die Restauratorin sie neu aufpoliert hatte. | Foto: Schachfreunde Siemensstadt
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